Sitzung des Ausschusses für Soziales, Arbeit und Gesundheit beim Dortmunder Stadtrat, Tagesordnungspunkt 7.1, Anträge – es liegt vor, eingebracht von der Fraktion Linke&Piraten: „Geduldete Geflüchtete in Ausbildung“. – Es entspannt sich eine weitgehend ergebnislose Debatte, die symptomatisch für die Sprachlosigkeit einer Politik ist, der es in weiten Teilen an Fachwissen fehlt, um begründete Entscheidungen treffen zu können. Hier zur Situation geduldeter Geflüchteter, die sich in einer Ausbildung befinden, aber von ihren Einkünften unter Umständen nicht den Lebensunterhalt bestreiten können. Immerhin: Es wurde Einigung darüber erzielt, sich in der nächsten Sitzung näher zu informieren.
Ausbildungsabbrüche bei geduldeten Geflüchteten, weil das Geld zum Leben nicht reicht
Fatma Karacakurtoglu, Die Linke & Piraten, begründet die von ihrer Fraktion eingegangene Tischvorlage, die sie als Anfrage und Initiative für eine Debatte im Ausschuss verstanden wissen will: Die Situation der sich in Ausbildung befindenden Geduldeten sei „sehr heikel“. Sie seien „ausgeschlossen von BAföG und Zusatzleistungen“.
Müssten eventuell die Ausbildung abbrechen, weil die Vergütungen dafür eventuell nicht reichten, und fielen dann ins Sozialsystem zurück mit Ansprüchen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Hier lägen Härtefälle vor. Dazu gäbe es entsprechende Gerichtsentscheidungen, zudem Erlasse auf Landesebene wie in Niedersachsen. Dies müsse diskutiert werden, weil sich das Land NRW gegen ein ähnliches Vorgehen sträube.
Zudem läge ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgesetz vor, weil SGB-II-Empfänger auch zur Schule gehen und Leistungen bekommen könnten. Deshalb sei es sehr wichtig, „dass wir das schnellstmöglich erklären, damit die sich in Ausbildung befindlichen jungen Menschen auch weiterhin ihre Ausbildung fortführen können“, erklärt Karacakurtoglu.
Betrifft das Problem jeden, der eine Ausbildung ohne weitere finanzielle Ressourcen macht?
Uta Schütte-Haermeyer, Bündnis 90/Die Grünen, pflichtet bei: Es sei ein Thema, das aktuell sehr stark in den Beratungsstellen aufkäme. Es handele sich in Anführungsstrichen aber nur um Geflüchtete ohne sichere Bleibeperspektive. Sie wolle die Anfrage um zwei Fragen ergänzen: Was wisse die Verwaltung aus anderen Städten über den Umgang mit dem Problem, zum Beispiel Münster? Und: Gäbe es „andere Möglichkeiten in Härtefällen zu reagieren, als den § 22 Abs. 1 Satz 2 in SGB-XII?“
Sozialdezernentin Birgit Zoerner verweist auf ein vorliegendes Urteil des Landessozialgerichtes (LSG) NRW, das sehr dezidiert darstelle, „warum auch die Ausnahmen, die in einigen Städten gewährt werden, erst mal nicht rechtskonform sind.“ In der Sache sei man sich aber einig: die „Regelung, die in den Gesetzen steht“, sei „eigentlich vollkommen über“.
Sie beträfe aber nicht nur Flüchtlinge, sondern jeden, der eine Ausbildung mache, die nicht für die Sicherung des Lebensunterhaltes auskömmlich sei und über keinerlei private Möglichkeiten verfüge, dies in irgendeiner Form zu kompensieren. Daher empfände sie eine Diskussion, die sich ausschließlich auf diese Gruppe konzentriere, als schwierig.
Seit einiger Zeit versuche man, so Zoerner weiter, über den Städtetag, hier eine gesetzliche Änderung herbeizuführen. Es sei, egal für welche Gruppe, „eine komplett kontraproduktive Reglung, nämlich Menschen … von der Ausbildung fernzuhalten, in dem Moment, wenn die Ausbildungsvergütung die Existenz nicht absichern kann.“
Bundesrepublikanische Tradition: Auszubildende und Studierende sind von der Sozialhilfe ausgeschlossen
Der Leiter des Sozialamtes, Jörg Süshardt, bestätigt die missliche Lage mit Verweis auf das Urteil des LSG NRW: Es zöge sich seit Jahrzehnten durch die bundesdeutsche Sozialgesetzgebung das Prinzip durch, es solle keine Ausbildungsförderung auf einer sogenannten zweiten Ebene geben.
Bei Anspruch sollten Studierende BAföG und junge Menschen in einer Ausbildung durch das Arbeitsförderungsgesetz nach SGB-III, etwa als Bundesausbildungsbeihilfe (BAB) Unterstützung erhalten. Wer hier aus irgendwelchen Gründen durchfiele, dürfe nicht zusätzlich Sozialhilfe erhalten. Also keine Leistungen nach SGB-II, SGB XII oder dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Das könne man versuchen historisch zu verstehen, aber, so Süshardt: „Wir verstehen das nicht, fachlich, politisch, denke ich, auch nicht.“ Denn die Konsequenz, welche der Gesetzgeber damit bewusst in Kauf nähme, sei: Menschen, die nebenbei kein Geld verdienen könnten oder keine reichen Eltern hätten usf., die müssten die Ausbildung aufgeben und sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen.
Dies bedeute, bezogen auf Flüchtlinge mit einer schlechten Bleibeperspektive, eine besondere Herausforderung, weil es für sie keinen unmittelbaren Zugang zum Jobmarkt gäbe. „Das ist in sich nicht logisch und für die jungen Menschen ist das allemal tragisch, absolut“, schlussfolgert Süshardt. Das führe zu Härten. Aber das Gesetz sage, es müsse eine besondere Härte sein, damit Ausnahmen griffen. Etwa bei psychischen Störungen durch hochgradige Traumatisierung. Eine allgemeine Härte, nach dem Motto, „das ist ja eine Sauerei, reicht da nicht“, ergänzt der Sozialamtsleiter.
Die Debatte dreht sich zunehmend um sich selbst und ihre eigene Zielführung
Schütte-Haermeyer bemängelt, dass die Verantwortung hier zwischen verschiedenen Ebenen hin und her geschoben würde. Das Land hätte per Erlass die Möglichkeit, das Problem anders zu regeln. Wie zum Beispiel Niedersachsen, Berlin und Schleswig-Holstein; NRW wolle das aber nicht. Zudem könne man damit auf kommunaler Ebene anders umgehen; aber, so Schütte-Haermeyer in Richtung Zoerner, da sagte die Dezernentin „Njet!“ Auf dem Rücken der betroffenen SchülerInnen sei dies eine „echt schwierige Entscheidung“.
Als in der Debatte der Gedanke aufkommt, ob es nicht hilfreich sei, eine Resolution zu verabschieden, um auf die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen, stellt sich die CDU quer. Thomas Bahr stellt die Frage, worüber man sich bis jetzt eigentlich unterhalte – über einen Antrag oder einen Prüfauftrag an die Verwaltung?
Ein solch komplexes Thema könne nicht als Tischvorlage abgehandelt werden. Sollte es um einen Antrag gehen, würde er ihn zu diesem Zeitpunkt definitiv ablehnen. Über ein solches Thema müsse er erst einmal nachdenken und mit den KollegInnen diskutieren, bevor er darüber abstimmen könne.
Es könne sein, dass hier im Rat alle die betreffenden Regelungen als ungerecht erachteten. Er wisse aber nicht, ob es seitens des Bundes ein Betriebsunfall oder so gewollt gewesen sei und was dahintersteckte.
Ein weitgehend erfolgloser Versuch klärender Worte vom Chefs des Jobcenters
Frank Neukirchen-Füsers, Geschäftsführer des Jobcenters Dortmund versucht, die Dinge ein wenig zurechtzurücken: Es sei nicht richtig, dass Menschen in Ausbildung ohne reiches Elternhaus, die von den Ausbildungsvergütungen nicht leben könnten, keine Ansprüche auf Sozialleistungen hätten. Das Problem gälte daher nicht für alle.
Es habe eine gesetzliche Änderung gegeben, damit sich Ausbildungsvergütungen und Sozialleistungen zukünftig nicht widersprächen. Das sei über viele Jahre anders und absolut nicht in Ordnung gewesen, habe sich aber zwischenzeitlich geändert.
Hier aber spräche man von geduldeten Flüchtlingen aus sicheren Herkunftsländern, die nicht einen solchen Zugang zu einer Ausbildung und den Sozialleistungssystemen hätten.
Fatma Karacakurtoglu versucht, den nach Gesetzeslage hier offenbar unterschiedlichen Status verschiedener Gruppen Geflüchteter bezüglich ihrer legalen Rechte durch Verallgemeinerung zu umgehen, zitiert Bundesdrucksache 18-8041 S. 29: „Hilfebedürftige Menschen sollten vorrangig die Berufsausbildung aufnehmen und auch beenden können, auch wenn sie lange Jahre auf staatliche Hilfen angewiesen sind.“
Das entspräche auch internationalem Recht, so die Vertreterin der Linken & Piraten. Jeder müsse die Möglichkeit haben, eine Ausbildung/Bildung aufzunehmen und auch zu beenden. – Aber die Debatte dreht sich nun endgültig im Kreis.
Zu guter Letzt: Wenig an inhaltlichen Klärungen, daher Vertagung bis zur nächsten Ausschusssitzung
Schütte-Haermeyer bemerkt, das Thema schreie danach, sich damit näher zu beschäftigen, was mit einer Tischvorlage aber nicht ginge, die sie im Übrigen als Anfrage verstanden habe.
Gerd Fallsehr, CDU, verweist darauf, dass es für eine politische Qualitätsdiskussion in einem Ausschuss nicht zielführend sei, ein derart komplexes Thema mit einer Tischvorlage zu bedienen. Man solle es weiter verfolgen und qualitativ aufbereiten.
Für Renate Weyer, SPD, deutet die diskutierte Frage auf eine Grauzone hin. Es seien dem Ausschuss aber augenblicklich wegen der Gesetzeslage die Hände gebunden. Man solle das Papier der Linken & Piraten als eingebrachte Anfrage mitnehmen. Hier habe man lediglich ins Blaue hinein diskutiert, ohne einen Lösungsvorschlag zu haben.
Justine Grollmann, CDU, fragt, über wie viele Leute hier in Dortmund eigentlich gesprochen würde, wenn sich die Verwaltung mit dem Problem beschäftigen solle?
Ulrich Langhorst, stellv. Vorsitzender des Ausschusses und Sitzungsleiter, bemerkt, es ginge ja nicht nur um Geflüchtete Menschen, sondern Frau Zoerner hätte darauf hingewiesen, dass es einen Personenkreis Nicht-Geflüchteter gäbe, die in einer sehr ähnlichen Situation seien; dies sei dann, integrationspolitisch wie gesamtgesellschaftlich gesehen, völlig absurd. Die Anfrage könne ein Einstieg darin sein, sich mit dem Thema zu befassen.
Stadträtin Zoerner schlägt vor, zu überlegen, wen man zu dem Thema einladen könne, damit es in seinen Facetten dargestellt würde. Dessen unbenommen sei, dass man sich jetzt schon positionieren könne, um auf die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen. Daher fände sie eine Resolution sinnvoll.
Ulrich Langhorst fast zusammen: Man wolle sich also bei der nächsten Ausschusssitzung mit dem Thema weiterbeschäftigen. Was eine Resolution, etwa durch den Rat beträfe, müsse man mal schauen.
Thorsten Hoffmann (CDU) gibt zu bedenken, man leiste gute Entwicklungshilfe, wenn Menschen hier ausgebildet würden.
Am Ende kommen die Ausschussmitglieder überein, in der Sache Klärung herbeiführen. Das Thema „Geduldete Geflüchtete in Ausbildung“ soll fester Tagesordnungspunkt in der nächsten Ausschusssitzung sein.
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Grünen-Fraktion Dortmund
Integration belohnen statt bestrafen: Die Unterstützungslücke für Asylsuchende in Ausbildung muss dringend geschlossen werden
Die GRÜNEN im Rat drängen darauf, eine Lösung für jugendliche Flüchtlinge in Ausbildung zu finden, die von jeglicher finanzieller Unterstützung ausgeschlossen sind. Dabei könnte auf Dortmunder Ebene ein Runder Tisch helfen, an dem neben der Verwaltung auch die IHK, die Kreishandwerkerschaft und das JobCenter teilnehmen. Auch die Landtagsfraktion der GRÜNEN ist inzwischen tätig geworden und hat die Landesregierung aufgefordert, einen Erlass für eine Härtefallregelung zu verkünden.
Ulrich Langhorst, Fraktionssprecher der GRÜNEN:
„Um sich möglichst schnell selbst finanzieren zu können, beginnen viele Geflüchtete bereits während ihres Asylverfahrens eine Ausbildung oder streben einen deutschen Schulabschluss an. Das ist gut und sollte belohnt und nicht bestraft werden. Gleichzeitig haben einige der Betroffenen damit aber ein existentielles Problem: Denn wenn ihr Asylverfahren nach 15 Monaten noch nicht abgeschlossen und ihr Aufenthaltsstatus noch nicht entschieden ist, erhalten sie keine Leistungen mehr, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Auch BAföG oder Berufsausbildungsbeihilfe können Asylbewerber*innen in Ausbildung oder Studium nicht beantragen.
Das führt zu der paradoxen Situation, dass Betroffene aus finanziellen Gründen häufig ihre Ausbildung abbrechen müssen. Damit geht wertvolle Zeit für die Integration verloren. Wir regen deshalb einen Runden Tisch an, mit der Zielsetzung, diese Förderlücke für die Betroffenen zu schließen. Es handelt sich unseres Wissens um eine überschaubare Anzahl von Betroffenen. Deshalb könnte man auch über einen Unterstützungsfond nachdenken.“
Auf Landesebene hat inzwischen die GRÜNE Landtagsfraktion beantragt, betroffene Geflüchtete als Härtefälle zu akzeptieren und mit den Regelungen im SGB XII zu unterstützen. Niedersachsen, Berlin und Schleswig-Holstein verfahren bereits nach diesem Prinzip. Auch die Sozialgerichte Schleswig und Hamburg sowie das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen haben bereits entsprechend entschieden.
Ulrich Langhorst: „Einen Schul- oder Ausbildungsabschluss zu machen und sich zu integrieren. liegt nicht nur im Interesse der Geflüchteten, sondern auch im Interesse von Arbeitgeber*innen oder zum Beispiel auch von Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf. Denn bei denjenigen, die sich gezwungen sehen, ihre Ausbildung abzubrechen, handelt es sich teilweise um dringend benötigte angehende Pflegerinnen und Pfleger. Wir wollen deshalb, dass Geflüchtete nicht aufgrund längerer Verfahrensdauern, die sie nicht selbst verschuldet haben, an einer Ausbildung gehindert werden.“