In der Bürgerhalle des Dortmunder Rathauses wurde am 2. August 2024 bei einer Gedenkfeier an die Verfolgung der Sinti und Roma während des Nationalsozialismus und nach 1945 erinnert. Anlass dafür war der 80. Jahrestag der Ermordung der letzten gefangenen Sinti und Roma im KZ Auschwitz-Birkenau und der 81. Jahrestag der Deportationen vom Dortmunder Ostbahnhof. Die Geschichte der Dortmunder Sinti und Roma wurde zudem in einer historischen Ausstellung aufgearbeitet. Diese ist bis zum 30. September 2024 im Rathaus zu sehen.
Eine historische Aufarbeitung der Verbrechen an Sinti und Roma
Der 2. August gilt als internationaler Gedenktag an die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma. Insgesamt vielen etwa 500.000 von ihnen den Verbrechen des Nationalsozialismus zum Opfer. In der Nacht vom 2. August 1944 zum 3. August 1944 wurden circa 4.300 Sinti und Roma in den Gaskammern des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau ermordet. Viele von ihnen waren Frauen und Kinder.
Bei der Gedenkfeier soll auch an die Sinti und Roma erinnert werden, die am 9. März 1943 vom Dortmunder Ostbahnhof aus nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. Unter den anwesenden Sinti und Roma bei der gestrigen Gedenkfeier im Dortmunder Rathaus sind viele Nachfahren der Opfer des Nationalsozialismus.
Neben der Gedenkfeier wurde die historische Ausstellung zur Geschichte der Verfolgung der Sinti und Roma in Dortmund während des Nationalsozialismus und nach 1945 eröffnet. Diese wurde durch die Stadt Dortmund gemeinsam mit den Dortmunder Gemeinschaften der Roma und Sinti aufgearbeitet. Auf insgesamt acht Infotafel finden sich Infotexte, Fotos, Dokumente und Berichte zu den Dortmunder Sinti und Roma.
Herausforderungen nach 80 Jahren der Erinnerungsarbeit
Eröffnet wurde die Gedenkfeier mit einem musikalischen Auftakt der Band Fatli Krause & Friends. Darauf folgte ein Redebeitrag der 2. Dortmunder Bürgermeisterin Barbara Brunsing. „In einer Welt, die vergisst, ist es notwendig und wichtig, innezuhalten und an die schrecklichen Verbrechen zu erinnern, die an unseren Mitmenschen begangen wurden“, sagt die Bürgermeisterin mit bedrückter Stimme. Sie findet es wichtig, über die Situation der heute lebenden Sinti und Roma zu informieren, da sie nach wie vor mit Vorurteilen und der daraus resultierenden Benachteiligung konfrontiert sind.
Die Bürgermeisterin gibt das Wort weiter an Roman Franz, den 1. Vorsitzenden des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma NRW. Seine Familie hat 36 Personen in Auschwitz verloren. Mit überzeugter Stimme spricht er über die Diskriminierung, die Sinti und Roma auch nach 1945 noch erlebten. „Es saßen zum großen Teil noch Nazis im Amt“, erklärt Franz. Er kritisiert auch, dass der Völkermord an den Sinti und Roma erst 1982 von der Bundesrepublik anerkannt wurde.
Roman Franz wirkt aufgebracht, als er über die Planung der Gedenkfeier spricht. Er kritisiert, dass die Stadt den Landesverband Deutscher Sinti und Roma NRW nicht darin involviert hätte. „Die Enttäuschung, die ich habe, die geht tief, nach 40 Jahren Arbeit“, sagt der Vorsitzende mit wütender Stimme. Es sei für den Landesverband zudem sehr schwierig gewesen, Mahnmäler zum Gedenken an die ermordeten Sinti und Roma errichten zu lassen. „Ich möchte niemandem eine Schuld zuweisen, sondern ich möchte daran erinnern, auch die Mehrheitsgesellschaft, zu was Nationalsozialismus geführt hat“, beteuert Roman Franz.
Die Realität vieler junger Sinti und Roma nach 1945
„Was erhielten die jungen Menschen, die Auschwitz überlebten?“ Das fragt Ana-Maria Preduca in ihrer Rede bei der Gedenkfeier. „Sie erhielten nichts, außer weiterer Verachtung, weiterem Hass und weiterer Gewalt“, beantwortet die Jugendvertretung von Romano Than e.V. ihre eigene Frage mit überzeugter Stimme. Sie spricht von der verweigerten Entschädigung, der fehlenden Anerkennung als Opfer und der Verfolgung, der junge Sinti und Roma nach 1945 ausgesetzt waren.
Die Bundesregierung hat im Dezember 2023 die weiter anhaltende Gewalt nach 1945 als zweite Verfolgung an Sinti und Roma anerkannt und damit deren Aufarbeitung abgeschlossen.
„Eine Verfolgung, die kein Anfang und kein Ende hat“, findet Preduca. Sie kritisiert den weiterhin ungleichen Zugang zu Bildung und Gesundheit, die stetige Schikanierung, sowie die Angst vieler junger Sinti und Roma vor einer Abschiebung. „Wir wollen die gleiche Rechte und den gleichen Schutz, wie alle anderen Kinder und Jugendliche.“
Ana-Maria Preduca beendet ihre Rede mit einer Schweigeminute. Die Besucher:innen der Gedenkfeier erheben sich und für eine Minute herrscht Stille. Danach ertönt Applaus für Ana-Maria Preduca. Nach zwei weiteren kurzen Redebeiträgen schließen Fatli Krause & Friends die Gedenkfeier mit Musik des Sinti und Komponisten Django Reinhardt.
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VERANSTALTUNG FÄLLT AUS! – Was zeigen die Fotos der SS-Fotografen? Vortrag in der Steinwache über die Inszenierung des Verbrechens (PM)
UPDATE: DIE VERANSTALTUNG FÄLLT AUS!
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1944 entstanden im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau eine Vielzahl von Fotografien, die zumeist den SS-Fotografen Bernhard Walter und Ernst Hoffmann zuzuordnen sind. Erhalten blieben die Bilder in Form eines Albums im Besitz der Holocaust-Überlebenden Lili Jacob, die es auf Vermittlung Serge Klarsfelds 1980 der Gedenkstätte Yad Vashem übergab. Viele der in ihrer offenen oder subtilen Brutalität unerträglichen Aufnahmen zeigen aus der Distanz die Ankunft größerer Gruppen im Lager, andere bilden das Unbegreifliche aus nächster Nähe ab. Auf einigen Fotos sind Selektionen oder „Lagerarbeiten“ zu sehen, manche zeigen die Transportzüge sowie Koffer und Kleidung Verschleppter und Ermordeter, andere die Vernichtungsanlagen.
Zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz-Birkenau 2020 haben die drei Historiker Tal Bruttmann, Stefan Hördler und Christoph Kreutzmüller mit ihrem Bildband erstmals eine umfangreiche Analyse dieser Fotografien vorgelegt. Sie haben in akribischer Forschungsarbeit die Herkunft der abgebildeten Menschen, die Entstehung und den ideologischen Kontext des Albums analysiert und ordnen die Bilder in diese Zusammenhänge ein. In ihren Bildanalysen erlangten sie neue, bahnbrechende Erkenntnisse über Personen und Vorgänge, die sie nun in ihrem Sachbuch ausführlich darlegen.