Aus der Bittermark berichten Susanne Schulte (Text) und Helmuth Vossgraff (Fotos)
In einer Stadt, die in den vergangenen Monaten häufig in Verbindung mit Aufmärschen, Morden und Aktionen, begangen von Nazis, genannt wurde, ist es sicher nicht leicht, als Redner die passenden Worte während einer Gedenkfeier zu finden, die an die rund 300 Männer und Frauen erinnert, die vor den Ostertagen 1945 von Nationalsozialisten ermordet wurden.
Ernst Söder, Vorsitzender des Fördervereins Gedenkstätte Steinwache/ Internationales Rombergparkkomitee ist dies gelungen.
Er sprach aus, was viele der Gäste, die an Karfreitag zur Veranstaltung in die Bittermark kamen, dachten: „Es ist an der Zeit, dass auch einmal die Justiz ihr Verhältnis zur Demokratie überdenkt“, sagte er und meinte damit die erneute Erlaubnis einer Nazi-Demo durch das Verwaltungsgericht, die vorher von Polizeipräsident Gregor Lange untersagt worden war.
„Faschismus ist keine Gesinnung“
Es könne nicht sein, dass „der braune Mob“ die Stadt „Woche für Woche in den braunen Dreck zieht“ und der „Staat schaut zu“.
Auf keinen Fall dürfe man auf diese Weise auch die Polizei immer wieder dazu bringen, die Teilnehmer dieser Veranstaltungen auch noch zu beschützen.
„Faschismus ist keine Gesinnung, Faschismus ist eine als Ideologie heruntergebrochene Form des Verbrechens“, betonte Ernst Söder.
Auch Oberbürgermeister Ullrich Sierau forderte in seiner Rede als Vertreter der Gastgeberin, der Stadt Dortmund, ein Verbot der Partei „Die Rechte“.
Bekam er dafür mehrheitlich Applaus, wurde er für seinen Dank an Polizeipräsident Gregor Lange, der auch unter den Gästen war, von einigen Zuhörern ausgebuht.
Ullrich Sierau überhörte diese Reaktion nicht: „Wir sollen uns in dieser Sache nicht auseinander dividieren lassen“, antwortete er den Kritikern.
Präsident des Verbandes der französischen Zwangs- und Arbeitsdeportierten kam
Angesichts der Rechten im Dortmunder Rat, angesichts deren Drohungen und Einschüchterungen sei „es nötig, dass wir uns hier treffen, uns daran erinnern, wohin Rechtsextremismus führt und aus der direkten Konfrontation mit der Vergangenheit unsere Sensibilität und Aufmerksamkeit für heutige Vorgänge stärken.“
Er bedankte sich ausdrücklich bei den Ehrengästen für deren Kommen, vor allem bei Jean Chaize, Präsident des Verbandes der französischen Zwangs- und Arbeitsdeportierten, der mit seinen nunmehr 93 Jahren in Begleitung seiner Kinder, Enkel und Urenkel erneut nach Dortmund gereist war.
Jean Chaize, der auch 1958 in der Bittermark war, als der unbekannte französische Zwangsarbeiter in der Krypta des Denkmals bestattet wurde, sieht in diesem Mahnmal „ein außergewöhnliches Symbol für ein Land, das den Mut hat, sich seiner Vergangenheit zu stellen“.
Es sei „einzigartig in Deutschland“, sagte er in seiner in französischer Sprache gehaltenen Rede, die Wolfgang Asshoff anschließend auf Deutsch übersetzte. „Der Friede ist leider kein Geschenk, er muss immer hart erarbeitet werden.“ Und dieses sei nicht nur Aufgabe der Führenden, sondern die Aufgabe von allen.
Botschafterinnen und Botschafter der Erinnerung erneut in der Bittermark aktiv
Diese Aufgabe haben in Dortmund auch die Botschafterinnen und Botschafter des Erinnerung übernommen.
Es sind junge Frauen und Männer, die seit einigen Jahren – damals zum Teil noch als Schülerinnen und Schüler – die Veranstaltung moderieren, Interviews mit den Ehrengästen führen, die Gestaltung übernehmen und andere junge Menschen mit ihrer Arbeit zum Mitmachen begeistern.
Und weil sie das so gut und leidenschaftlich machen, müssen sie alle einmal namentlich genannt werden: Carissa Wagner, Lars Gutknecht, Nicole Herdt, Lukas Spasovski, Katrin Wickern, Nicolas Weidemann, Johannes Rohm, Jannis Gustke, Rabiha Abuelkomboz, die Geschwister Navanya, Sangeeth und Santhosh Ganasathasan, Lucas Scholz und Karsten Wickern.
Vielleicht schaffen sie es ja, dass sich die Wiese rund um das Mahnmal wieder mit 18.000 Menschen füllt, wie es Ernst Söder in den 1950er Jahren bei den Gedenkfeiern selbst erlebt hat.
Krypta der Gedenkstätte wird nur an Karfreitag geöffnet
Der Karfreitag ist seit 1958 der einzige Tag, an dem Krypta mit dem Grab des unbekannten französischen Zwangsdeportierten geöffnet wird.
Den Schlüssel zu dieser Ruhestätte übergab der damalige Dortmunder Oberbürgermeister Dietrich Keuning an den damaligen Präsidenten des Verbandes der französischen Zwangs- und Arbeitsdeportierten, Jean-Louis Forest.
Dieser übergab ihn an seinen Nachfolger Jean Chaize, der ihn zuhause aufbewahrt. Wenn Chaize zur Karfreitags-Gedenkfeier nach Dortmund reist, nimmt er den Schlüssel stets mit, damit die Krypta geöffnet werden kann.
So ist nach der Veranstaltung die Schlange vor der Ruhestätte immer lang, weil viele Gäste einmal im stillen Gedanken vor dem Grab stehen möchten.
Führungen von der Steinwache zum Mahnmal in der Bittermark
Diese und andere Geschichten rund um das Mahnmal weiß Wolfgang Asshoff zu erzählen. Der ehemalige Lehrer am Max-Planck-Gymnasiums ist seit zwölf Jahren von der Stadt beauftragt, sich um die Gedenkstätte in der Bittermark zu kümmern.
Damit diese wieder oder überhaupt einmal präsent in den Köpfen der Dortmunder wird, bietet die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache jetzt öffentliche Führungen zum Mahnmal an.
Jeden letzten Sonntag im Monat ist Treffpunkt um 14 Uhr auf dem Parkplatz des Augustinums, Kirchhörder Straße 101.
Eine Anmeldung ist nicht nötig. Die Teilnahme ist kostenlos. Die erste Führung ist am 26. April, die letzte im Jahr am 27. September.
Wer eine individuelle Führung wünscht, für die man bezahlen muss, ruft bei der Stadt an: Telefon 50-25002. LehrerInnen, die mit ihren Schülerinnen und Schülern diesen Ausflug machen möchten, müssen nichts bezahlen. Die Führungen dauern etwa 90 Minuten.
1000 Teilnehmer beim Heinrich-Czerkus-Gedächtnislauf
Einen neuen Teilnehmerrekord gab es beim Heinrich-Czerkus-Gedächtnislauf vom Stadion Rote Erde zur Bittermark: Rund 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer – als Spaziergänger, Walker und Jogger – nahmen an der elften Auflage teil.
Veranstalter sind der BVB-Fanclub Heinrich Czerkus, die Naturfreunde Dortmund-Kreuzviertel, das BVB-Fanprojekt und der BVB.
Der Dortmunder Heinrich Czerkus war Kommunist und Widerstandskämpfer zur Zeit des verbrecherischen Nationalsozialismus. Außerdem war er Platzwart und Herr des BVB-Stadions.
Auch er wurde im April 1945 von den Nationalsozialisten im Rombergpark ermordet. Ihm und den 300 anderen Opfern wird in der Bittermark gedacht.
„Kein Wasser für Rassisten“ als besonderes Sammlerobjekt
Vor der Veranstaltung wurden am Stadion Bierdeckel, Anstecker und auch T-Shirts verteilt, mit denen die Fan-Abteilung und der Heinrich-Czerkus-Fanclub gegen Rassismus ein Zeichen setzen.
Besonders beliebt sind auch die Bierdeckel „Kein Bier für Rassisten“. In Abwandlung hatte die Fangabteilung Wasserflaschen für die Teilnehmer beklebt – „Kein Wasser für Rassisten“ und „Heinrich-Czerkus-Gedächtnislauf 2015“ – war dort zu lesen.
Die Flaschen entwickelten sich zu einem besonderen Sammlerobjekt.
Reader Comments
Ulrich Sander
Abschluss-Erklärung des Fördervereins Steinwache/ Internationales Rombergparkkomitee:
Heute im Sinne der Opfer handeln
Vierzehn junge Widerstandskämpfer, Matrosen, wurden am 5. Mai 1945 im
bereits von Briten besetzten Schleswig-Holstein erschossen. Sie hatten sich,
geleitet von Heinrich Glasmacher, einem jungen Katholiken aus Neuss,
geweigert, noch einmal in den Einsatz gegen die Russen zu gehen. Ihre Mörder
waren später hohe Offiziere der Bundeswehr.
Hunderte Zwangsarbeiterinnen von Krupp/Essen hatten die Nazis kurz vor Ende
des Krieges nach Bergen-Belsen abgeschoben, wo viele von ihnen das Schicksal
Anne Franks erlitten. In Lüdenscheid/Hunswinkel wurden unzählige Kölner,
darunter Zwangsarbeiter, noch im März 1945 ermordet. Unzählige Häftlinge
starben auf Todesmärschen und als sogenannte Deserteure.
Darüber und über das, was aus den Hinterbliebenen und Tätern wurde, haben
wir am 2. April 2015 im Dortmunder Rathaus beraten.
Aus Anlass des 70. Jahrestages der Dortmunder Karfreitagsmorde veranstaltete
der Förderverein Gedenkstätte Steinwache-Internationales Rombergpark-Komitee
e.V. ein Zusammentreffen mit Personen, die über Erinnerungen an die
Kriegsendphasenverbrechen vom Januar bis Mai 1945 Aussagen treffen können.
Verbrechen in der Kriegsendphase gab es nicht nur in Dortmund und im
Ruhrgebiet, sondern im ganzen „Deutschen Reich“. Und es waren nicht nur von
der Gestapo ausgeführte Massaker, sondern auch Mordaktionen der Hitlerjugend
und anderer NSDAP-Mitglieder.
Die Opferzahlen von Massenhinrichtungen, Menschenjagden, Todesmärschen und
Erschießungen von Deserteuren gehen in die Hunderttausende.
Unser Treffen war das erste dieser Art ohne Zeitzeugen aus der
Opfergeneration. Es war ein Beispiel dafür, wie wir künftig unsere
Erinnerungsarbeit bewältigen.
Wir führten uns vor Augen, was die Opfer bewegte, die eine Zeit des Friedens
und der Freiheit nicht mehr erleben durften. Wir müssen uns erinnern, was
sie uns für das Heute zu sagen haben, da rechte Kräfte in Europa wieder
aktiv werden und sogar ein Krieg auf europäischem Boden droht. Ihrem Auftrag
„Nie wieder!“ sind wir verpflichtet.
Unterzeichnet von den Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Erinnerungstreffens „Kriegsendphasenverbrechen“ am 2. April 2015 im Dortmunder Rathaus
Die 50 Teilnehmer/innen kamen aus den Niederlanden und aus Deutschland, u.a. aus Dortmund, Bochum, Essen, Meschede/Sauerland, Oberhausen, Penzberg/Oberbayern und Wuppertal.