Demonstration mit anschließender Kundgebung im Dortmunder Norden

Gedenken für NSU-Opfer Mehmet Kubaşik: „Ein Schmerz, den man nicht beschreiben mag“

Mehmet Kubasik war das achte Opfer des rechtsextremen NSU. Paulina Bermúdez | Nordstadtblogger

Am Dienstag (4. April)  jährte sich zum 17. Mal der Todestag von Mehmet Kubaşik. Der Kioskbesitzer wurde am 4. April 2006 vom rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) erschossen. 230 Menschen gedachten ihm und aller Opfer rechtsextremer und antisemitischer Gewalt in einer stillen Demonstration mit anschließender Gedenkkundgebung in der Dortmunder Nordstadt.

Gamze Kubaşik teilte ihre Erfahrungen auf der Gedenkveranstaltung

Gamze Kubasik (l.) sprach das erste Mal beim Gedenken. Paulina Bermúdez | Nordstadtblogger

„Mein Vater war sehr beliebt in der Nachbarschaft, vor allem bei den Kindern. Weil er immer mehr Süßigkeiten in die gemischten Tüten getan hat, als die 50 Cent, die die Kinder dabei hatten“, erzählte Gamze Kubaşik mit belegter Stimme. 17 Jahre ist es nun her, dass sie nach der Schule ihren Vater in seinem Kiosk ablösen wollte. Am 4. April 2006 hinderte sie die Polizei daran – ihr Vater war kurz zuvor erschossen worden.

An dem Tag begann ein Albtraum, der bis zur Selbstenttarnung des rechtsterroristischen NSU-Trios im November 2011 andauern sollte: Die Ermittler:innen überschritten Persönlichkeitsrechte und kriminalisierten die Hinterbliebenen. „Das hat meinen Vater ein zweites Mal umgebracht“, berichtete Gamze Kubaşik.

Sie erinnerte sich an die Anschuldigungen: „Mein Vater soll Drogen an Minderjährige verkauft haben.“ An einem Tag sei sie mit einer Freundin in der Innenstadt unterwegs gewesen, als sie auf Freunde der Familie ihrer Freundin trafen, die Gamze Kubaşik verbal anfeindeten. Von dem Tag an blieb die Jugendliche ein Jahr Zuhause – aus Angst vor der Stigmatisierung, die die ermittelnden Beamt:innen ausgelöst hatten.

Forderungen nach weiteren Ermittlungen in Dortmund

Am Rand des Gedenkens fand sich ein Transparent, das Mehmet Kubasik gewidmet war. Paulina Bermúdez | Nordstadtblogger

Der jungen Frau fällt es schwer, den Tod ihres Vaters zu akzeptieren: „Es ist unerträglich mit dem Wissen zu leben, dass der Mord an meinem Vater hätte verhindert werden können.“ Konkret meint sie das fehlende Einschreiten der Sicherheitsbehörden, denn Mehmet Kubaşik war bereits das achte Opfer des NSU. Sie ist sich sicher, dass der Verfassungsschutz von den mordenden Neonazis wusste.

Von 2000 bis 2007 verübte das rechtsextreme Trio zehn Morde, 43 Mordversuche und drei Sprengstoffanschläge. Bis heute ist wenig über das Vorgehen, das Netzwerk und die Hintergründe der Mörder:innen bekannt – trotz des fünfjährigen Prozesses gegen die als einzige noch lebende Täterin.

Für Gamze Kubaşik gibt es noch viel Ungeklärtes: „Wieso haben sie ausgerechnet meinen Vater ermordet? Wer hat sie dabei unterstützt?“ Manfred Kossack, Sonderbeauftragter des Oberbürgermeisters für Vielfalt, Toleranz und Demokratie, riet dazu „die vielen offenen Fragen mahnend und laut zu stellen.“ Man wolle eine Stadt und ein Land, in der viele Menschen – unabhängig von Migrationsgeschichten – friedlich zusammen leben.

Angehörige Semiya Şimşek reiste für das Gedenken aus der Türkei an

„Der NSU war nicht zu dritt“ hieß es auf einem Plakat. Paulina Bermúdez | Nordstadtblogger

Ein ähnliches Schicksal erfuhr Semiya Şimşek, die Tochter des ersten Opfers des NSU Enver Şimşek, der am 9. September 2000 in Nürnberg an seinem Blumenstand niedergeschossen wurde. Zwei Tage später starb er im Krankenhaus an den Verletzungen. Er wurde nur 38 Jahre alt.

Das Leben seiner Familie veränderte sich von einem Tag auf den anderen. „Elf Jahre durften wir keine Opfer sein“, erklärte Semiya Şimşek. Auch sie erfuhr die Kriminalisierung ihrer Familie: Ihrem Vater sei Drogenhandel unterstellt worden, ihrer Mutter hätte man Fotos angeblicher Geliebten ihres Vaters gezeigt. Sie schloss sich Gamze Kubaşiks Forderungen nach erneuten Ermittlungen und Konsequenzen an und mahnte: „Die Morde und die Opfer dürfen niemals vergessen werden!“

Die Anwältin der Familie Şimşek, Seda Başay-Yildiz, ergriff ebenfalls das Wort. Sie zeigte sich bestürzt über den „unmenschlichen und entwürdigenden Umgang mit den Opfern und ihren Familien.“ Das 3.025 Seiten lange Urteil im NSU-Prozess sei geprägt von einer „extremen Kälte“. So fänden sich keinerlei Informationen über die Opfer und ihre Angehörigen.

„Ebenso wenig findet sich das Wort Verfassungsschutz“, fuhr Seda Başay-Yildiz fort. Die Rolle der Nachrichtendienste und der Polizei sei nicht beleuchtet worden und frei von Konsequenzen geblieben. Sie hinterfrage das daraus resultierende Narrativ eines autark agierenden, isolierten NSU.

Auch Jahre nach den Morden scheint das Vertrauen in Sicherheitsbehörden zerrüttet

Die stille Demonstration auf Höhe der Mallinckrodtstraße. Paulina Bermúdez | Nordstadtblogger

Das Programm der Gedenkveranstaltung war dieses Jahr vielfältig. Nach der stillen Demonstration, die um 17 Uhr von der Mallinckrodtstraße 190 – dem Tatort – vor den Nordausgang des Dortmunder Hauptbahnhofs zog, hallten zahlreiche Redebeiträge von Angehörigen der Opfer über die Steinstraße. Sie alle eint der „Schmerz, den man nicht beschreiben mag“.

Deutlich wurde immer wieder der Vertrauensverlust in die Sicherheitsbehörden und der Vorwurf von rassistisch geprägten Ermittlungs- und Einsatztaktiken. So konnte auch der Solidaritätskreis „justice4mouhamed“ Parallelen ziehen zwischen dem Vorgehen der Polizei im Fall von Mehmet Kubaşik und im Fall von Mouhamed Lamine Dramé, der im August 2022 von der Dortmunder Polizei erschossen worden war.

Auch die Bezirksbürgermeisterin der Innenstadt-Nord Hannah Rosenbaum sieht ein strukturelles und institutionelles Problem mit Rassismus in den Sicherheitsbehörden. Der Verfassungsschutz behindere den Prozess einer umfassenden Aufklärung aktiv. Diese Weigerung zur Aufklärung käme einem „gesellschaftlichen Versagen“ gleich. Abschließend sprach sie Gamze Kubaşik ihren Dank für ihr Engagement gegen Rechtsextremismus und den Redebeitrag im Rahmen der Veranstaltung aus.

Kein Vergessen, kein Schlussstrich!

  • ENVER ŞIMŞEK
  • ABDURRAHIM ÖZÜDOĞRU
  • SÜLEYMAN TAŞKÖPRÜ
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  • MEHMET TURGUT
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  • THEODOROS BOULGARIDES
  • MEHMET KUBAŞİK
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