Anfang des Jahres sprach Nordstadtblogger im Rahmen der Serie „Digitalisierung, Politik und Gesellschaft“ mit dem Dortmunder Medienpädagogen Daniel Schlep. Schlep kritisierte die Geschäftsmodelle der großen Digitalkonzerne und deren negative Folgen für Demokratie, Ökologie und Ökonomie. Außerdem bemängelte er – gerade auch in Homeschooling-Zeiten – den unreflektierten Umgang mit digitalen Medien in Schulen und sprach dabei gar von einer „medienpädagogischen Katastrophe“. In diesem Gastbeitrag lässt er nun das Jahr Revue passieren und fasst seine Erfahrungen als kritischer Medienpädagoge noch einmal anschaulich zusammen.
Gesunde Digitalisierung – Ein Entscheidungsjahr im Rückblick
Von Daniel Schlep, Medienpädagoge aus Dortmund; unter freier Lizenz zuerst erschienen auf der Homepage des Autors
Nachdem ich selbst über Jahre hinweg mit bekannten Firmen an Medien- und Marketingprojekten gewirkt und mich danach als Medienpädagoge bewusst für mehr Aufklärung rund um echte Medienkompetenz eingesetzt habe, startete das Jahr 2021 mit dem folgenden Zitat von mir in der Presse:
„Niemand würde ernsthaft auf die Idee kommen, in einer Lehreinrichtung am Beispiel von McDonalds gute Ernährung zu erläutern. Im Bereich der Medien erläutern wir aber nahezu unreflektiert am Beispiel von Apple, Google, Microsoft, Zoom, etc. angeblich gute Digitalisierung, da Entscheidungsträger:innen, Lehrer:innen, Eltern und Kinder fast alle nur digitales Fast-Food kennen.“
Enden sollte das Jahr dann mit einer Welle von Anfragen rund um die Nutzung von sinnvollen Geräten, Systemen und Programmen, langfristigen Planungen bzgl. Nachhaltigkeit, Datenschutz, etc. und dem Start meines Aufklärungsprojektes unter dem Motto „Kontrolliere deine Computer – sonst kontrollieren sie dich!“.
Was ist in der Vergangenheit geschehen und wo stehen wir nun in einem scheinbaren Entscheidungsjahr der Menschheitsgeschichte? (Als studierter Historiker sei mir diese epische Formulierung erlaubt.)
Wir haben über Jahre hinweg die Ausbildung echter Medienkompetenz verschlafen – speziell im Hinblick auf die Kritikfähigkeit bzgl. der Vorgänge hinter den Medien. Zeitgleich hat über Jahrzehnte und speziell im letzten Jahrzehnt eine massive Konsumdressur der Menschen über die Geräte in den Händen und Hosentaschen stattgefunden, die durch das Marketing globaler Großkonzerne fokussiert wurde.
Wenn ich den ganzen Tag ohne nahezu jegliches Hintergrundwissen ein Smartphone mit dem Google-System Android nutze und die Google-Suche (trotz aller Bedenken bzgl. Datenschutz und der daraus resultierenden Fremdkontrolle über die Menschen) mein scheinbar bester Freund in Alltagsfragen ist, stelle ich dann tatsächlich noch die Frage, ob Produkte und Dienste von Google vielleicht doch generell unpassend sind?
Wenn ich den ganzen Tag ohne nahezu jegliches Hintergrundwissen ein Tablet mit dem Apple-System iOS (also ein iPad – und nein, dies ist keine Produktgattung, sondern es handelt sich tatsächlich um ein Tablet) nutze und mir (trotz Foto-Scan im Hintergrund und teilweise massiver Sicherheitslücken im Betriebssystem) angeblich höchster Datenschutz und angeblich höchste Sicherheit direkt mitverkauft werden, stelle ich dann tatsächlich noch die Frage, ob Produkte und Dienste von Apple vielleicht doch generell unpassend sind?
Wenn ich den ganzen Tag ohne nahezu jegliches Hintergrundwissen einen Standrechner oder ein Notebook mit dem Microsoft-System Windows nutze und daran vielleicht bereits Jahrzehnte gewöhnt bin (obwohl sich das Geschäftsmodell dieser Firma in all der Zeit maßgeblich verändert hat und heute durch Online-Accounts, Cloud-Dienste, etc. noch viel mehr auf die Abhängigkeit der Nutzer:innen abzielt), stelle ich dann tatsächlich noch die Frage, ob Produkte und Dienste von Microsoft vielleicht doch generell unpassend sind?
Passende Beispiele zu Amazon und Facebook (den 2 weiteren der 5 Internet-Oligarchen) spare ich mir jetzt, um meine Finger und die Nerven der Gemeinschaft zu schonen.
Und ja, das Thema nervt tatsächlich – speziell der Datenschutz. Der gemeine Volksmund kann das Wort „Datenschutzgrundverordnung“ (DSGVO) schon nicht mehr aussprechen, ohne direkt zu toben und zu rasen. Und dies ist ja auch ein Stück weit berechtigt. Denn Regeln nerven. Und Regeln sind oftmals auch nicht auf alle Vorgänge und Vorfälle per Schablone passend anwendbar, denn die Welt ist am Ende eben doch nicht so bürokratisch und einfach in Schubladen zu sortieren, wie wir oftmals glauben.
Aber was haben die DSGVO und die nervigen Cookie-Abfragen im Internet denn nun eigentlich Gutes an sich, Herr Schlep? Sie zeigen uns endlich auf, was für ein Spiel seit Jahren und Jahrzenten im Hintergrund ohne unser Wissen gestrickt und gespielt wurde. An dieser Stelle kommt ganz sicher die folgende Frage auf: „Was habe ich schon zu verbergen?“ Die Antwort: Alles.
Denn Daten sind nicht immer nur gleich Werbung. Das Spiel ist Jahrtausende alt und die Menschen im alten Ägypten spielten es schon: Hat ein Mensch viele Infos über einen anderen Menschen, kann er ihn kontrollieren. Wohin das führt, hat uns Donald Trump bei seiner Wahl zum US-Präsidenten speziell mit der Hilfe von Mediengeräten und mit dem gezielten Einsatz von Datenanalysen, Bots und Kampagnen vorgeführt. Wollen wir dies tatsächlich auch in Deutschland?
Genug des Datenschutzes – dieses Thema wird auch immer viel zu inflationär herangezogen, wenn es um die Streitereien rund um Medien in Firmen, Institutionen, speziell Schulen, aber auch privaten Haushalten geht. Kommen wir endlich mal zur Medienpädagogik. Bei unseren Diskussionen vergessen wir, dass all die schönen und besonders die „smarten“ Lösungen (mit möglichst vielen Automatismen und nahezu keinerlei notwendigem Hintergrundwissen) oftmals in keinster Weise unsere Medienkompetenz, sondern eher unseren Komfort bzw. unsere Faulheit und die damit einhergehende Abhängigkeit fördern.
Da kommt an dieser Stelle die Frage auf: Welche Geräte/Systeme/Programme sind z.B. in Schulen sinnvoll?
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Geräte, die verklebt/verschachtelt sind und weder gut repariert noch im Kern verstanden werden können? (Manche GrundschülerInnen glauben fest daran, dass in Apple-Geräten keine Platine sitzt – verklebte Magie.)
- Geräte mit einer generellen Lebensdauer und Software- bzw. Sicherheits-Updates von maximal 5 Jahren? (Ausgaben hatten wir zuletzt durch Corona genug und im Zuge der Nachhaltigkeit sollte man unnötigen und auch zukünftigen Elektroschrott schon bei der Anschaffung neuer Geräte möglichst langfristig vermeiden.)
- Geräte, Systeme und Programme, die „smart“ sind und soviele Automatismen mit sich bringen, dass alles nur noch gemütlich läuft und wir beginnen, unseren digitalen Haushalt nicht mehr selbst zu führen? (Wir schieben alles in Clouds, verlernen dabei die manuelle Verwaltung von Dateien/Inhalten und kämpfen am Ende noch im Video-Chat mit automatischen Mikrofon-Pegeln. Man merkt: Wir verlieren die Kontrolle.)
Fazit: Schule hat nicht die Aufgabe, Konsum zu fördern. Daher sollten passende Werkzeuge gewählt werden.
Reflektierte Geräteanschaffungen und freie/offene Syteme und Programme lösen all die genannten Probleme.
Kommen wir aber nun zurück zum Anfang: Das Entscheidungsjahr 2021. Mein Zitat oben hat das generelle Problem bereits zusammengefasst. Unsere Medienkompetenz ist nicht schlecht, sondern unterirdisch. Dies gilt für Leitungspersonen, Firmen, Institutionen, Schulen, Privatleute und leider nach meiner langjährigen Erfahrung oftmals auch für ausgebildetes IT-Personal. Wir haben viel gelerntes Wissen für die Nutzung, dazu auch offizielle Fortbildungen und sogar schöne Scheine, aber die echte Medienkompetenz bzgl. der Vorgänge im Hintergrund fehlt nahezu überall.
Da gibt es die Abgriffe und Mitschnitte bei z.B. Video-Chat-Lösungen bekannter Firmen, die Auswertungen im Hintergrund trotz Datenschutz-Beteuerungen oder auch die Apps mit eigenständiger Aktivierung von Mikrofonen und GPS-Signalen – alles ohne unser Wissen oder unsere Zustimmung. Aber wir fühlen uns wohl, weil wir vordergründig Berechtigungen durch digitale Klappschalter vergeben können und uns inzwischen natürlich oft auch oberflächliche DSGVO-Konformität serviert wird.
Warum ist 2021 nun ein Entscheidungsjahr? Die Corona-Krise hat den Bedarf nach Digitalisierung in vorher ungeahnte Sphären katapultiert. Leider war unsere Medienkompetenz schon vorweg nicht dazu in der Lage, die Digitalisierung ansatzweise passend einschätzen zu können. Und durch die schlagartig auftretenden Probleme im Zuge von Corona herrschte reiner Pragmatismus (generell verständlich).
Leider wurden dann allerdings die Entscheidungen bzgl. der Geräte, Systeme und Programme ebenso schlagartig auf Basis von Konsumwissen bzw. der bereits erwähnten Konsumdressur des Marketings getroffen. Corona darf an dieser Stelle nicht als Ausrede für unsere jahrzehntelangen Versäumnisse im Bereich des Wissens rund um Medien dienen. Denn nun werden/wurden die Weichen für die Zukunft gestellt.
Die Einführung von bestimmten Geräten, Systemen und Programmen, die durch den Geräteaufbau, Accounts und Clouds speziell die Abhängigkeit der NutzerInnen und die Kontrolle über diese fokussieren, ist keine vorübergehende, sondern eine Lebensentscheidung. Diese Entscheidung treffen wir in Schulen und auch privaten Haushalten aktuell für uns selbst und die kommenden Generationen – und all dies ohne passendes Hintergrundwissen.
Es ist nun an der Zeit, für mehr Aufklärung zu sorgen und gemeinsam die Medienkompetenz der gesamten Gesellschaft voranzubringen, damit wir endlich sinnvolle (vorhandene) Lösungen anstreben können und uns die Weichen zukünftig in Richtung einer gesunden Digitalisierung und nicht in Richtung Fast-Food führen…
Weitere Informationen:
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Titel: Gesunde Digitalisierung – Ein Entscheidungsjahr im Rückblick
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Urheber: Daniel Schlep
https://www.danielschlep.de/
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Lizenz: CC BY-SA 4.0
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de
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Quelle: https://www.danielschlep.de/Gesunde-Digitalisierung.pdf
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Änderung: Die Gender-Schreibweise wurde abgewandelt (Beispiel: LehrerInnen in Lehrer:innen). Die Bebilderung und Bildunterschriften wurden von Nordstadtblogger hinzugefügt.
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