Wenn wir den Begriff „Einseitigkeit“ mit einem Beispiel belegen sollten, könnten wir es nicht besser tun als mit der aktuellen Reportage der Wochenzeitung „DIE ZEIT“. Sie hat zwar nicht die Unwahrheit geschrieben, aber eine völlig eindimensionale Darstellung aus gerade mal zwei (!) Straßen fabriziert, wo sie es dann noch schaffen, alle positive Seiten und Facetten auszulassen, um das dann als Nordstadt-Reportage zu verkaufen. Wir sind es so leid, dass überregionale Medien, angelockt von anderen reißerischen Storys, zu uns kommen, um dann die vorher gefassten Vorurteile nur noch zu bestätigen. Mit Scheuklappen und einer negativen Grundeinstellung, die nichts – aber auch gar nichts – Positives zulassen will. Ja, wir haben Probleme. Die leugnen oder verschweigen wir auch nicht. Aber wir fordern eine faire Berichterstattung und die Vermittlung eines Gesamtbildes ein – gerade wenn sich ein Reporter-Team drei Wochen Zeit für Dortmund nimmt. Allerdings haben sie offenbar immer dann weggeschaut und weggehört, wenn von den positiven Seiten berichtet wurde. Sie haben auch positive Beispiele besucht. Doch davon berichten sie nichts. Man will sich offenbar die eigene Geschichte nicht durch Fakten ruinieren lassen. Hier ein Gast-Kommentar des befreundeten Blogs LJOE – er bringt es auf den Punkt.
Ein Gastbeitrag von Björn Hering/ Last Junkies on Earth
Fünf Polizeiwagen rasen auf den Nordmarkt, Beamte springen heraus, die Häuserfassaden sind abends oft in sanft rotierendes Blaulicht getaucht. Eine Messerstecherei, eine Drogenrazzia, eine Rivalität unter Banden. Nur eine Frage der Zeit, bis auch die große Hamburger Wochenzeitung die Zeit sich in der Nordstadt mal umschaut. Was dabei jedoch herausgekommen ist, ist einfach völlig absurd.
Eine reißerische Story, die nur ihre eigenen Vorurteile bestätigen wollte
Der Bereich rund um die Mallinckrodtstraße, Schleswiger Straße und Missundestraße ist nicht mehr als ein städtisch kontrolliertes Sammelbecken für die ärmsten Geschöpfe der Stadt; aufgegeben, zurückgelassen und vor allem sich selbst überlassen.
Dortmunds Problembezirk ist mittlerweile weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt, nicht zuletzt durch die reißerischen Reportagen der FAZ mit dem Titel „No-Go-Area Dortmunder Nordstadt: Dealen im Schichtdienst„.
Nun also hat vor nicht mehr als drei Wochen die ZEIT zwei Journalisten und einen Fotografen ganze drei Wochen lang in der Nordstadt einquartiert, und was die dort so alles zu Gesicht bekommen haben, scheint an Dystopie nicht mehr zu toppen zu sein.
Das dunkelste, absurdeste und übertriebenste Bild, welches man aus dem Hut zaubern kann
In der aktuellen Ausgabe der ZEIT (19/2017) veröffentlichten die Journalisten Nadine Ahr und Moritz Aisslinger das wohl dunkelste, absurdeste und übertriebenste Bild, welches man aus dem Schlagwort „Dortmunder Nordstadt“ wohl aus dem Hut zaubern kann.
Ein fast dreiseitiges Dossier begleitet einen Ex-Nazi und Alkoholiker und seine Crackfreunde durch den Nachmittag, einen Horror-Haus-Jungen durch seinen morgendlichen Gang zur Schule sowie einen leitenden glatzköpfigen Polizeihauptkommissar, der sich selbst als Libanesen-Jäger bezeichnet.
Glückwunsch, liebe Zeit, besser hätte man es wirklich nicht machen können. Wenn denn also der guten Frau Ahr und Herrn Aisslinger für diese Meisterleistung nicht einer ihrer allem Anschein nach heiß begehrten Journalistenpreise verliehen wird, dann ist ihnen zumindest der Verkauf ihres Artikels als Drehbuch für einen neuen Mad Max Film sicher.
Ich bin ziemlich enttäuscht, und das als jahrelanger Leser dieser eigentlich guten Zeitung
Das also kommt dabei heraus, wenn man zwei Journalisten der Zeit in die Nordstadt schickt? Ich bin ziemlich enttäuscht, und das als jahrelanger Leser dieser eigentlich guten Zeitung. Ganze drei Wochen haben sie damit verbracht, um ein detailiertes Abbild des „Drogen-Supermarktes“ auf der Mallinckrodtstraße aufzuzeichnen: Hier gibt´s das schlechte Kokain, hier gibt´s das Haschisch für fünf und das Gras für zehn Euro, dort drüben gibt´s das bessere Kokain. Aha. „Habt ihr Rivos?„, fragen in der Reportage ein paar Jugendliche und den anscheinend ziemlich ramponierten ex-Nazi „Ötzi“. Dieser antwortet:“ Nee. Müsst ihr zu den Türken gehen.“ Aha.
Roma-Jungs treten als Spiel gegen Mülltonnen und schlagen auf flüchtenden Ratten ein. Aha. Oder besser Haha? Mit einer derart schwarzen Brille auf der Nase kann ich auch den Berliner Prenzlberg noch zur No-Go-Area runterschreiben. Ich wandel nun wirklich seit mehreren Jahren fast täglich durch genau diesen Kiez und habe auch schon viel Scheiß gesehen (Gruß an Pfarrer Schocke) und auch der Zombie-Begriff ist auf diesem Blog schon gefallen.
Was die Zeit hier jedoch als Bild von Dortmunds Norden für ihre 500.000 Leser zeichnet, macht den Anschein, als wollte man diesen Teil Deutschlands nun vollends als hoffnungslose Favela abstempeln. Entweder also kommen die beiden Journalisten aus bestem Hause und sind bisher glücklicherweise von jeglicher Großstadt-Reiberei verschont geblieben. Glaube ich aber nicht. Dann aber handelt es sich allem Anschein nach um die wohl absurdeste Reportage, die ich seit langem lesen durfte.
Desto tiefer sie in der Nordstadt nach dem Dunklen suchen, desto mehr positive Absichten und Projekte schlagen ihnen entgegen
60.000 Menschen leben in der Nordstadt. Das Dossier von Ahr und Aisslinger skizziert das asoziale Treiben, welches in nur einem Straßenzug stattfindet und blendet dabei alles, aber wirklich alles aus, was die restlichen Menschen auf den 14, 4 Quadratkilometern Nordstadt so treiben.
Vielleicht hätten sie sich auch mal Ötzis Kiosk am Nordmarkt besser anschauen sollen. Dann hätten sie festgestellt, dass es hier weder Zigaretten noch Alkohol zu kaufen gibt. Stattdessen ist der unübersehbare orangene Kiosk eine Kontaktstelle für Nordmarkt-Nutzer und Straßensozialarbeit, betrieben von Passgenau, einem Projekt der Diakonie Dortmund.
Hier gibt es auch eine Suchtberatung und Kontakt zum mobilen medizinischen Dienst des Gesundheitsamtes. Langsam müsste es den beiden dämmern: Desto tiefer sie in der Nordstadt nach dem Dunklen suchen, desto mehr positive Absichten und Projekte schlagen ihnen an allen Ecken entgegen.
Ich kann nicht über die verfallenen Fassaden und Horrorhäuser schreiben, ohne das Schüchtermanncarree auf der Mallinckrodtstraße zu erwähnen. Hier hat die Julius Ewald Schmitt Grundstücksgesellschaft an der Ecke Bornstraße / Mallinckrodtstraße einen Jugendstil-Wohnblock mit insgesamt 26 Häusern komplett renoviert.
Eine wunderschöne Fassade, saubere Hausflure und großzügige Altbauwohnungen werten diese Brennpunktkreuzung extrem auf. Ich kann nicht von Spritzen und Dreck am Nordmarkt berichten , ohne zu erwähnen, dass eben dieser Dreck jeden Tag von Mitarbeitern von Passgenau aufgehoben und entsorgt werden, einem Projekt, welches Langzeitarbeitslose in diese Arbeit einbindet. Ich kann nicht über die Ticker auf dem Nordmarkt schreiben, ohne zu erwähnen, wie das Grünflächenamt die Büsche stark beschneiden oder abtragen lässt. „Eine Präventionsmaßnahme, um Drogenverstecke in der Umgebung zu vermeiden“, so berichtet man mir.
Keine Glanzleistung: Ein primitives und eindimensionales Bild vermittelt
Das einseitige Bild, welches Frau Ahr und Herr Aisslinger hier vom Drogenkiez Dortmund zeichnen und wild als „Nordstadt“ titulieren, ist so primitiv wie eindimensional. Mehr noch, es untergräbt jegliche Mühen der gefühlt hunderte Projekte, die hier tagtäglich ihre Arbeit verrichten, um das Image des Stadtteils tatsächlich zu wandeln.
Eine Zuarbeit seitens der Zeit wäre hilfreich gewesen, stattdessen schaffen es zwei gestandene Journalisten der angesehenen Wochenzeitung in drei Wochen gerade mal, die Preise und Standorte des lokalen Drogenmarktes zu erörtern, wie man ihn auch in jeder größeren Stadt im Sauerland antreffen kann.
Da scheinen sie fast traurig, wenn man die Dealer mit nur vier Gramm Gras in der Tasche erwischt und nicht in Handschellen abführen kann. Nicht reißerisch genug! Gott sei Dank haben sie dann ja noch Polizeihauptkommissar Wick als Ass im Ärmel, der sich zur Peinlichkeit aller Ordnungshüter dann tatsächlich öffentlich als Libanesen-Jäger bezeichnet. Dass unser OB Ullrich Sierau, hemdsärmelig wie er ist, da im Gespräch sprichwörtlich der Kragen platzt – wen wundert´s noch.
Reader Comments
heavy Pete
Ich habe selber ein ambivalentes Verhältnis zu meinem Wohnort der Nordstadt. Aber den Fokus nur auf dieses Viertel an der Malinkrodtstraße zu legen ist nicht sinnvoll. Jede Großstadt hat so einen Kiez. Und ich bin auch schon mal neugierig durch diese besagten Straßen gefahren und habe festgestellt dass viel passiert ist was die heruntergekommenen Häuser angeht. Der Nordmarkt ist nicht der beste Teil der Nordstadt, das ist klar. Was mich aber immer wieder tröstet ist die Berichterstattung auch von den Nordstadtbloggern die auch von den zahlreichen sozialen Projekten berichten die sich mit dem Problemen der Menschen dort beschäftigen. Der Zeitartikel klingt wirklich sehr einseitig und wenig professionell.
Cornelia Wimmer
Ich gehe heute die ZEIT kaufen und lese das Ganze noch mal im Orginal. Sozusagen sorgfältigkeitshalber. – Aber solche Blicke auf die Nordstadt – und vergleichbare Stadtteile in anderen Städten- sind nichts Ungewöhnliches. Sie zeigen das, dem wir stets und überall, in der Politik und in den Talkrunden, in schwungvollen Artikeln, nicht nur der ZEIT, begegnen: Eine tiefe Spaltung der Gesellschaft in Arrivierte, Reüssierte und – nicht selten vermeintlich – Gebildete und Durchblickende und in den anderen Teil der Rausgeschubsten, Hängengelassenen, in jeder Hinsicht Verarmten, auf die man dann mit Verständnislosigkeit und Verachtung blickt.
PS: Sorry, – aber was ist „dystopisch“?
David Grade
Die ZEIT berichtet über meine Heimat, die Nordstadt. Nur, erkenne ich meinen Kiez gar nicht wieder. Ja die Personen, die in der Geschichte auftauchen, gibt es. Es gibt den Polizisten Markus Wick, den Pfarrer Ansgar Schocke und bestimmt auch Alex, den zwölfjährigen aus der Malli 55. Ich gehe jede Woche in dem Netto einkaufen, der im Artikel beschrieben wird. Und ja ich finde auch, dass es ein Problem ist, dass die Wahlbeteiligung so niedrig ist. Und dass Menschen in schlechten Wohnungen leben. Ich weiß und sehe auch, dass es Drogenhandel gibt.
Trotzdem gibt der Artikel mein Lebensgefühl in der Nordstadt nicht wieder und auch nicht die Realität. Er liest sich mehr wie der Fiebertraum eines AFD-Fanatic. Entsprechend feiern Die Rechte den Artikel auch auf ihrer Website ab. Der Artikel bedient jedes schlechte Vorurteil; gegen rattenjagende Roma, rassistische Polizisten, dealende Libanesen. Er setzt im Subtext auf Herkunft und Rasse. Die Protagonisten werden auf ihre Nationalität degradiert.
Es wird ein düsteres Bild der Nordstadt gezeichnet. Und um die Schatten möglichst tief zu machen wird Schlechtes überspitzt und Gutes ganz weg gelassen. Und munter dazu erfunden. Klar im Nachhinein wird sich kaum nachweisen lassen, ob die Geschichte mit den Kindern, die sechs Ratten erschlagen, wahr ist. Andere Dinge lassen sich überprüfen:
An „jeder Ecke gibt es eine Filiale von Western Union“ wird im Artikel behauptet. Es gibt in der Nordstadt keine Filiale von Western Union. Die nächste Filiale ist in der Lübke Brückstraße in der Dortmunder Innenstadt. Wer mag kann sich mit der Filialsuche von Western Union selber davon überzeugen:
https://www.westernunionbank.com/de/standortsuche-germany/
Es gibt allerdings Geschäfte die den Geldtransfer mit Western Union anbieten, es sind 11 Stück in der Innenstadt Nord (wenn ich mich nicht verzählt habe, wer selber zählen will: https://www.westernunion.com/de/de/vertriebsstandort-suchen.html
… die Nordstadt hat mehr Ecken.)
Das die Polizei Dortmund deutlich gemacht hat, dass die Darstellung eines Polizisten als „Libanesenjäger“ nicht der Wahrheit entspricht, hat mich wenig überrascht. Hätten andere Protagonisten auch Presseabteilungen würde es bestimmt von weiteren Seiten Klarstellungen geben.
Was ich in der ZEIT lese gleicht also mehr Urban Fantasy als einem Artikel oder einem Dossier. Das wäre ja nicht schlimm, hätte die ZEIT das Ding als Belletristik verkauft und meinetwegen „inspiriert von wahren Geschehnissen“ dazu geschrieben. Das kann mensch ja immer tun. Beim Herrn der Ringe zum Beispiel; auch dort gibt es Menschen die Luft atmen und Hosen tragen, so wie hier bei uns.
Ich hoffe sehr, dass in der ZEIT an Artikel sonst höhere Maßstäbe angelegt werden. Wenn über meine Heimat, wo ich die Dinge direkt nachprüfen kann, so verfälschend berichtet wird, wer sagt mir dann, dass es nicht bei jedem anderen Bericht in der ZEIT auch so ist? Letztendlich werde ich es selber überprüfen müssen, per Internet mit Menschen vor Ort Kontakt aufnehmen und Fragen oder im besten Falle selber hin fahren. Habe ich leider nicht die ZEIT für.
Zum Glück gibt es Journalisten denen ich das Vertrauen entgegen bringen kann realitätstreu zu berichten. Und die nicht um des Effektes wegen Umstände dazu erfinden. Ja, Journalisten müssen auswählen; die Welt ist zu komplex für eine 1:1 Abbildung. Aber die Auswahl sollte nicht so einseitig sein, dass mensch am Ende sein eigenes Zuhause nicht mehr erkennt.
Ich hoffe die ZEIT bemüht sich mein gesenktes Vertrauen wieder zu steigern. Wir brauchen guten Journalismus.
Rolf Dennemann
Zitat : „Die Nordstadt hat eine Vielzahl von interessanten Hinterhöfen mit alten Gebäuden, die seit Jahrzehnten darauf warten, wach geküsst zu werden. Für Rolf Dennemann, dem Kopf von artscenico, sind Hinterhöfe auch ein Ort der Kommunikation. In seinem Stück „Tal der fliegenden Messer (Tohuwabohu)“ präsentiert er mit Laien und Profi-Schauspielern im Hinterhof an der Missundestraße 10 das raue Leben. Ars tremonia war bei der Premiere am 06. Mai dabei.
Skurrile Typen gibt es in dem Stück genug und dennoch scheinen sie auf dem realen Leben der Nordstadt herausgegriffen zu sein. Die Oma, die Mitarbeiterin vom Pflegedienst, die Nachbarn, die neu Hinzugezogenen oder die Schnorrerin. Bei der hat die Inflation gnadenlos zugeschlagen, denn mit Kleingeld gibt sie nicht nicht zufrieden, ein Zehner sollte es schon sein.
Nicht nur die Typen sind skurril, auch die Geschichte, die uns Dennemann präsentiert, ist ein wenig „strange“. Kalla und Walla haben der Rentenkasse den Tod ihrer Mutter verheimlicht und kassieren ihre Rente. Natürlich wissen die Nachbarn Bescheid und verlangen Schweigegeld. Nachdem das zu viel wird, versucht sich Walla als erfolgloser Heiratsschwindler.
Daneben geht das Leben im Hinterhof seinen Gang, kleine Gärten werden gepflegt, der Grill wird an geschmissen und ein spanisches Paar hat es sich als Obdachlose auf einem Sofa bequem gemacht.
Das Stück lebt hauptsächlich von seiner sehr ungewohnten Freiluftatmosphäre. Das Setting in einem Hinterhof war zunächst ungewöhnlich, doch man gewöhnte sich daran. Auch dass Nachbarn ab und zu aus dem Fenster schauten, um zu erfahren, was los ist oder eine Katze sich vom Dach das Stück näher ansah.
Der zweite Teil spielte im hinteren Bereich des Hinterhofes, wo mehrere schöne alte Garagen auf den Besuch der Zuschauer warteten. Die Zeit wurde unterdessen genutzt, um vorne alles für die Gartenparty vorzubereiten, womit das Stück auch beendet wurde.
Das Stück ist ideal für alle diejenigen, die das Nordstadtflair lieben und gerne neue Orte entdecken. Dazu zeigt Dennemann ein Kaleidoskop an Nordstadt-Typen und Nordstadt-Leben, das sich deutlich vom Leben in einer Reihenhaus-Siedlung am Stadtrand unterscheidet. Hinzu kommt auch die gelungene Melange von Laien und Profis zu einem einheitlichen Stück.“
Dorian Marius Vornweg
Machen wir uns nichts vor, das Dossier der ZEIT beschreibt die Realität in der Nordstadt. Lediglich einen kleinen Ausschnitt, aber es ist die Realität. Davon kann sich leicht überzeugen, wer mit offenen Augen über den beschriebenen Abschnitt der Mallinckrodtstraße geht. Über Details lässt sich dabei bekanntermaßen vortrefflich streiten: Wer bezeichnet nun wen als „Libanesenjäger“? Jagen Roma-Kinder wirklich Ratten im Hinterhof? Ist es nun eine Wester-Union-Filiale oder bloß ein Vertriebsstandort? Doch auch ohne Antworten auf diese und weitere Fragen ist klar, die guten Seiten der Nordstadt finden in dem Dossier keinen Platz.
Dabei wäre es durchaus einfach gewesen sie zu finden. Gerade auf der Mallinckrodtstraße hätte man nur ein paar Meter weitergehen müssen, um den Grünen Salon auf dem Nordmarkt, das Schüchtermanncarrée oder Traditionsbetriebe wie das Restaurant Yüksel und die Bäckerei Dahlmann zu entdecken. Auch die „Nachbarn“ in der Fritz-Reuter-Straße haben sich nicht bloß auf ein Gläschen Sekt im Hinterhof getroffen, um in Erinnerungen an die vermeintlich guten alten Zeiten zu schwelgen, sondern haben mit Handschuhen, Greifzange und Müllsack ihre Straße aufgeräumt. Das und noch vieles mehr hätten die ZEIT-Leute sehen können, wenn sie denn gewollt hätten. Sie hätten auch nicht den Eindruck erwecken müssen, Volkan Baran von der SPD sei der einzige Politiker, der sich in der Nordstadt blicken ließe. Denn im Grunde findet man sie hier alle, von der SPD, über die CDU, die Grünen und die Linken, ja, sogar die vom Aussterben bedrohte Art der Piraten ist hier zu beobachten. Und alle versuchen sie, nach ihren Möglichkeiten und Vorstellungen, etwas Gutes für die Nordstadt zu bewirken. Nichts gegen Volkan Baran, aber der Mann ist nun wahrlich nicht der einzige politische Aktivposten.
Bei aller berechtigten und begründeten Kritik am ZEIT Dossier sollten Politik, Verwaltung und Akteure nun allerdings auch nicht in eine kollektive Abwehrhaltung verfallen und die Schilderungen rundherum von sich weisen. Denn es handelt sich, wie bereits gesagt, um eine zwar fragmentarische, aber zutreffende Darstellung von Realität im Stadtteil. Die Probleme dürfen nicht verdrängt werden, nur weil das Dossier sie zugespitzt, vielleicht auch polemisch, schildert. Für die Probleme müssen Lösungen her. Ansätze gibt es, aber es muss noch viel konsequenter vorgegangen werden: Was funktioniert, muss fortgesetzt und ausgebaut werden, was nicht funktioniert muss beendet und durch neue Ideen ersetzt werden. Einen fundierten Überblick über die Vielzahl der Projekte und Initiativen zu haben wäre dabei für alle Beteiligten hilfreich.
Wenig hilfreich hingegen ist das Bild, welches der Oberbürgermeister, in dieser Sache, von seiner Stadt und sich selbst abgibt. Der Gastkommentar nennt ihn „hemdsärmelig“ und findet es wohl irgendwie sympathisch, wenn ihm „da ihm Gespräch sprichwörtlich der Kragen platzt“. Nun ist es ein schlecht gehütetes Geheimnis, dass Herr Sierau zuweilen zur deftigen Gesprächsführung, bis hin zu womöglich cholerischen Ausfällen neigt. Sich von zwei Journalisten der ZEIT derart aus der Reserve locken zu lassen ist jedoch nicht sympathisch, sondern schlichtweg unprofessionell. Es hätte genügen sachliche Argumente gegeben. So entsteht leider der Eindruck, der OB habe keinen Plan für die Nordstadt, nichtmal eine Idee und fühle sich auch im Grunde nicht verantwortlich. Der Vergleich mit dem Londoner Stadtteil Notting Hill trägt auch nicht gerade dazu bei, den Eindruck der Hilflosigkeit zu verringern, sondern lässt einen bedenklich verschobenen Vergleichsmaßstab vermuten.
Schlussendlich liegt die Wahrheit über die Nordstadt natürlich irgendwo zwischen den unkritischen Jubelhymnen, ultraalternativer Anarchos einerseits und dem endzeitgestimmten, einseitigen ZEIT-Dossier andererseits. Lassen wir uns also nicht beirren.
Ex-Münchnerin
Vor ein paar Jahren war ein ähnlich tendenziöser Artikel im fluter, Zeitschrift der Bundeszentrale für politische Bildung (!) Dort wurde behauptet, an jedem zweiten Laternenpfahl in Dortmund wäre Hakenkreuze und niemand würde sich mehr nach Dorstfeld trauen – geschrieben von einem Hamburger. Ich habe leserbrieflich klargestellt, dass das mehr als übertrieben ist. Die Redaktion hat daraufhin ungefragt dem Autor meine Telefonnummer gegeben (!) Dortmund muss in dieser Medienvermarktungswelt einfach immer diese beiden Klischees bedienen: „Ghetto“ und „Nazi-Stadt“. Zum Kotzen.
Ubbo de Boer
Zur Einseitigkeit, zur begrenzten Sicht auf zwei Straßen und zur Wahlkampf bedingten Bedienung aller Vorrurteile ist alles gesagt. Die Süddeutsche schreibt anders. Lässt sogar den Bezirksbürgermeister zu Wort kommen, der ehrlich und fair die Vorteile, Chancen und Gefahren nennt.
Ein Wort zur Berichterstattung über den Oberbürgermeister. Wer den Artikel in der Zeit für unseriös hält, sollte, lieber Herr Vornweg, die einseitige Berichterstattung nicht zum Anlass für parteipolitische Tritte nehmen. Der OB hat sicherlich nicht nur über „Notting Hill“ gesprochen, sondern auch über Förderprogramme, Stadterneurung, Integrierte Handlungskonzepte etc. Aber das wollte man nicht hören.
Und noch eines – ich bekenne mich: Ich finde den Film „Notting Hill“ immer noch schön — genauso wie die Nordstadt
Nordstadtblogger-Redaktion
Der Focus hebt ungefiltert jede Polizeimeldung und jede Horrormeldung aus Dortmund und der Nordstadt auf seine Seite. Selbst Berichte von anderen – so auch den der ZEIT – schlachtet das Online-Portal quotenträchtig aus. Es hat wesentlichen Anteil am überregionalen Nordstadt-Bashing. Nun hat eine Focus-Redakteurin davon die Nase voll. Das schreibt sie:
http://www.focus.de/politik/deutschland/nach-jahren-in-der-dortmunder-nordstadt-ich-habe-mitten-in-der-no-go-area-gewohnt-und-habe-das-bashing-satt_id_7125478.html
Ändern tut das natürlich nichts am Stil der Berichterstattung. Aber vielleicht höhlt steter Tropfen ja den Stein.
Klaus Selle
Unmittelbar nach erscheinen des Artikels in der ZEIT hatte ich der Redaktion folgenden längeren Brief geschickt (zur Antwort unten mehr)
Sehr geehrte Damen und Herren,
in dem o.g. Dossier wird der Anspruch erhoben, die »Wirklichkeit« der Dortmunder Nordstadt abzubilden. Leider ist das in keiner Weise gelungen. Die Darstellung ist äußerst selektiv und wird der komplexen Realität eines Stadtteils wie der Nordstadt nicht gerecht. Gestatten Sie mir daher, wenigstens auf einige der blinden Flecke in der Darstellung hinzuweisen:
1. Es gibt sehr viel mehr »Wirklichkeiten« in der Nordstadt
Zunächst: Es ist zu begrüßen, wenn auch journalistisch der Blick auf Menschen in unserer Gesellschaft gerichtet wird, deren Schicksale von der großen Mehrheit nicht wahrgenommen werden. Insofern sind die kurzen Personen- und Situationsbeschreibungen – trotz mancher Überzeichnungen – vielleicht hilfreich.
Aber: Sie kennzeichnen in keiner Weise die Wirklichkeit in der Nordstadt Dortmunds. Das liegt bei einem Stadtteil dieser Größenordnung auf der Hand – bleibt aber für den Artikel ohne Konsequenzen. Dort wird lediglich, ohne einordnende Erklärung ein Ausschnitt aus den Stadtteil-Realitäten herausgegriffen und grell ausgeleuchtet. Alles andere bleibt ausgeblendet: Das gilt für die Menschen, die die Nordstadt als Wohnort immer noch und immer wieder schätzen (wenngleich auch sie von aktuellen Entwicklungen irritiert sein mögen – dazu unten mehr). Das gilt für die vielen sozialen Gruppen, die (nur) hier erschwinglichen Wohnraum und so etwas wie eine neue Heimat fanden. Das gilt insbesondere aber auch für die zahlreichen Personen und Gruppen, die sich mit viel Engagement (und Erfolg) um den Zusammenhalt dieses komplizierten und sich ständig ändernden sozialen Gebildes namens Nordstadt kümmern: Unmittelbar neben dem Standort Ihres Autorenteams gibt es z.B. eine Jugendfreizeitstätte, in der bulgarische, schwarzafrikanische und andere Jugendliche einen gemeinsamen Ort gefunden haben. Etwas weiter entfernt befindet sich eine Grundschule, die schon 2006 den Deutsche Schulpreis erhielt und an der, wie an den vielen anderen Lernorten im Quartier, unter sehr schwierigen Bedingungen hervorragende pädagogische Arbeit geleistet wird. Im Umfeld des Nordmarkts ist der »Solidaritäts- und Freundschaftsverein der Neuzuwanderer Dortmund e.V.« aktiv, eine von vielen Bemühungen Selbsthilfepotenziale zu mobilisieren. Und was ist mit der großen Zahl weiterer Initiativen, Gruppen und Organisationen in kulturellen und sozialen Handlungsfeldern, was mit den Wohnungsunternehmen, was mit der lokalen Ökonomie (die eben nicht nur aus Dealern besteht)? Auch dies Wirklichkeiten. Auch sie finden weder Beachtung noch Erwähnung.
2. Um der Wirklichkeit der Nordstadt näher zu kommen, muss man sich mit ihrer Rolle als »Ankunftsstadtteil« auseinandersetzen
Wer Zuwanderung nicht a priori für Teufelswerk hält, oder denen keine Steilvorlagen liefern will, die so denken, muss sich mit den so genannten Ankunftsstadtteilen auseinandersetzen, die es in nahezu allen größeren Städten gibt (von denen abgesehen, deren innere Stadtbereiche bereits so aufgewertet sind, dass nicht einmal deutsche Mittelschichtfamilien dort noch Wohnraum finden). Die Nordstadt ist ein besonders gutes Beispiel für solche Quartiere, die Zuwandernden aller Art zunächst Heimstatt bieten, bevor manche von ihnen weiter ziehen, andere bleiben – ob es nun Studierende sind, Berufsanfänger, Arbeitsmigranten (die früher so genannten »Gastarbeiter«), Familienverbünde aus Bulgarien oder Asylanten aus Nordafrika.
Das führt zu hoher Fluktuation, sozialer Selektion, auch zu Reibungen und Unverträglichkeiten – aber es sind eben diese Stadtteile in denen vorrangig die gesellschaftliche »Integrationsarbeit« geleistet wird. Die Nordstadt war lange Zeit in diesem Sinne sehr erfolgreich, aber auch stets das Sorgenkind der Stadtentwicklung. Denn dort mussten nicht nur die Zuwanderungswellen, sondern auch alle Strukturumbrüche, die das Ruhrgebiet seit den 70er Jahren durchschüttelten, bewältigt werden, dort erzeugte die Deindustrialisierung die meisten Arbeitslosen, entluden sich soziale Spannungen, brachen Konflikte auf….
Ankunftsstadtteile sind also ständig und auf vielfache Weise gefährdet. Ihnen drohen Spiralen der Abwertung und Verfestigungen der Marginalisierung. Damit dies nicht geschieht, sind große Anstrengungen notwendig. Immer wieder ist die Vorstellung zu hören, man könne diese Stadtteile mit einer einmaligen Aktion »in Ordnung« bringen. Das ist nicht der Fall. Besten- oder schlimmstenfalls werden Probleme nur räumlich verschoben. Insofern handelt es sich hier, wie es einmal der Stadtplaner Peter Zlonicky genannt hat, um eine »Daueraufgabe ohne Dauerlösung«.
Dem hat man sich in Dortmund (und anderen Städten) schon längst gestellt. Seit Jahrzehnten bemühen sich die Kommune und viele gesellschaftliche Kräfte, diese Daueraufgabe zu bewältigen. Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, dass Vieles von dem, was etwa in Dortmund geschieht, bundesweit Vorbildcharakter hat. Auch das neue Programm »nordwärts«, das sich auf den ganzen, weit über den Bezirk Innenstadt-Nord hinausgehenden nördlichen Teil der Stadt richtet und auf die Angleichung der Lebensverhältnisse im Stadtgebiet zielt, dürfte zu diesen besonderen Anstrengungen gezählt werden.
Man kann angesichts dieses langjährigen und intensiven Engagements die Entgeisterung des Oberbürgermeisters verstehen, als er im Rahmen eines Interviews des Autorenteams gefragt wird, ob er sich für die Probleme der Nordstadt »verantwortlich« fühle. Das war entweder eine missglückte Provokation oder Ausdruck gravierender Unkenntnis – sowohl das langjährige und intensive Engagement der Stadt betreffend, wie aber auch die Ursachen der jüngeren Entwicklungen. Womit ein letzter Punkt anzusprechen ist:
3. Wirklichkeiten lassen sich nicht verstehen, wenn man nicht nach ihren Ursachen fragt
Ankunftsstadtteile sind mit jeder Zuwanderungswelle auf’s Neue gefährdet. Stets bedarf es besonderer Anstrengungen, um das prekäre Gleichgewicht zurück zu gewinnen, das für solche Quartiere kennzeichnend ist. Das galt früher schon für die Anwerbung der »Gastarbeiter« und später dann für die Binnenwanderungen im EU-Raum. Alle diese Bewegungen, werden nicht von den Kommunen ausgelöst, sind nicht einmal von ihnen beeinflussbar. Sie müssen sehen, wie sie die Folgen ökonomischer oder politischer Entscheidungen anderer bewältigen.
Die Entwicklungen, unter denen die Nordstadt in den letzten fünf Jahren besonders leidet und die viele der Fortschritte aus den Jahren zuvor überlagern, wurden im Rahmen der Osterweiterung auf europäischer Ebene ausgelöst ohne ihre Konsequenzen »bis nach unten«, bis zu den Orten, die Ziel der neuen Wanderungen sein werden, zu Ende zu denken. Das rächte sich. Und so kamen in einigen Stadtteilen große Gruppen an, die alle Aufnahme- und Integrationsmechanismen völlig überforderten – sei es im Schulsystem, am Wohnungs- oder Arbeitsmarkt und nicht zuletzt in den Nachbarschaften, in denen sie unterzukommen suchten. Allein in einem Teil der Dortmunder Nordstadt, dem Quartier Nordmarkt, waren es zeitweise rund 5000 Menschen aus Rumänien und Bulgarien. Das übersteigt die Kräfte aller. Und löst Effekte aus, die den ganzen Stadtteil belasten. Die Zuwanderungswelle 2015/16 überlagerte und steigerte diese krisenhafte Entwicklung. Da kann man gut verstehen, dass sich die Kommunen und viele der Aktivisten vor Ort überlastet und allein gelassen fühlen. Umso höher ist es den betroffenen Städten anzurechnen, wenn sie weiterhin dazu stehen, weltoffen zu sein – und wie Dortmund in diesen Tagen das »Dortbunt!«-Fest zu feiern. Die Probleme sind damit aber noch nicht gelöst und es ist offensichtlich, dass es noch umfassender Unterstützung und einiger Zeit bedarf, um die überlasteten Stadtteile wieder in’s Lot zu bekommen.
4. Verzerrte »Wirklichkeits«-Beschreibung fördert Stigmatisierung
Es ist ja nicht das erste Mal: Duisburg-Marxloh, Dortmunder Nordstadt und einige wenige andere Stadtteile in Deutschen Städten sind beliebte Kulissen für reißerischen Sensationsjournalismus, unverhohlenen Sozialvoyeurismus oder besorgte Berichte zur sozialen Lage. Aber ganz gleich mit welcher Intention und in welchem Stil die Artikel verfasst werden – sie eint eine Funktion: Das Stigma, das diese Quartiere ohnehin belastet, wird noch einmal verstärkt.
In Zeiten zu einfacher Antworten auf komplizierte Fragen wäre es hilfreich, wenn seriöser Journalismus sich an Michelle Obama orientieren würde: »When they go low, we go high«.
In diesem Sinne verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Klaus Selle
Als Antwort schrieben mir Nadine Ahr und Moritz Aisslinger
Sehr geehrter Herr Selle,
wir können Ihre Kritik nachvollziehen. Wir waren während und nach der Recherche eben mit jenen Fragen bezüglich der Differenziertheit konfrontiert, haben aber durch die Straßennamen, als eine Art wiederkehrende Überschrift im Text, und die dazu abgedruckte Karte mehr als deutlich gemacht, dass es sich nur um ein relativ kleines Gebiet handelt, über das wir berichten. Wir haben in vielen langen Gesprächen untereinander über den Aufbau der Geschichte gesprochen, und sind am Ende zu der Entscheidung gekommen, uns auf diesen Ausschnitt zu konzentrieren, und denen eine Stimme zu geben wie Alex und seiner Familie. Bislang wurde immer nur über die Problemhäuser gesprochen, noch nie hat sich jemand mal intensiver mit den Menschen darin auseinandergesetzt. Sie tauchen oft nur als gesichtslose Bewohner auf.
Und ja, es gibt diese andere Seite der Nordstadt, zum Beispiel am Hafen, es gibt aber auch die von uns beschriebene Seite, und selbst wenn es nur ein Quartier sein mag, fanden wir die Zustände sehr berichtenswert und haben uns dafür entschieden lieber nah dran an dem Menschen zu sein, und nur aus einem kleinen Gebiet zu berichten, anstatt weit weg und groß.
Vielleicht interessiert es Sie zu hören, dass bereits mehrere Leser konkret die Familie von Alex unterstützen wollen, und ihren Beitrag dazu leisten wollen, die Zustände in diesem Teil der Nordstadt zu verbessern. Darüber freuen wir uns sehr.
Beste Grüße, Nadine Ahr und Moritz Aisslinger
Annette Kritzler
Sehr geehrte Damen und Herren der Redaktion DIE ZEIT,
mit meinem Schreiben möchte ich Bezug nehmen auf Ihren Artikel „Alex, Ötzi und der Libanesen-Jäger“ vom 04.05.17.
Mit großem Interesse habe ich den Bericht mit dem oben genannten Artikel zur Dortmunder Nordstadt gelesen.
Je tiefer ich in den Artikel eindrang, um so mehr wuchs meine Enttäuschung über diesen Bericht.
Ich kenne einige der Protagonisten im Artikel persönlich, als Anwohnerin und diplomierte Geografin lebe ich sei rund 30 Jahren in der Dortmunder Nordstadt, mit Nähe zum Borsigplatz.
Seit 11 Jahren biete ich mit meinem eigenen Unternehmen „Borsigplatz VerFührungen“ Stadtteiltouren, jenseits des Mainstream-Tourismus, in allen drei Nordstadtquartieren an.
Hier ein Link zu unserem Unternehmen: http://www.borsigplatz-verfuehrung.de/
Das Unternehmen habe ich unter anderem gegründet weil mir die einseitige „Blaulicht“-Berichterstattung über unseren Kiez unglaublich auf den Geist ging. Auch weil ich den Blick der Menschen für die Besonderheiten der Nordstadt schärfen möchte und damit einer weiteren Stigmatisierung etwas entgegen setzen möchte. Was wir hier machen stärkt den Zusammenhalt der Menschen und schafft eine neue Identität der Anwohner mit dem Lebensumfeld.
Doch nun zu meiner Kritik. Ich möchte vorweg schicken das alles was im Artikel steht der Wahrheit entspricht, dennoch hätte ich mir sehr gewünscht das der Bericht ausgewogen die Probleme der Nordstadt aufzeigt und als Gegenüberstellung auch die vielen positiven Entwicklungen bei uns im Norden.
Just im Dez. 2016 wurde die Dortmunder Nordstadt als Kreativ.Quartier Ruhr ausgelobt, ein Zeichen für die reichhaltige Kunst- und Kreativszene (rund 80 Künstler, ca. 30 Kreativwirtschaftler).
Neben der bunten Szene gibt es viele Aktivitäten im Bereich der wachsenden Gruppe von Studenten die die Nordstadt als Wohnquartier entdeckt haben. Ich selbst bin Vorsitzende des Netzwerks KulturMeileNordstadt e.V., ich gehöre dem Hoeschpark e.V. an, dem Hoesch-Museum e.V., den Naturkundemuseum e.V. den Fredenbaumpark e.V. u.v.m. Sie dürfen mich gern als Nordstadtaktivistin bezeichnen, auch als Nordstadtexpertin werde ich gern gehandelt, einige nenne mich auch liebevoll Miss Borsigplatz!
Nicht aufzählen kann ich die vielen Institutionen und Einrichtungen die sich für Jugendliche ebenso aktuell für Flüchtlinge einsetzen, ganz zu schweigen von den Schulen die sich seit Jahren bemühen in einem Bereich mit hohem Migrationsanteil gut Bildungsarbeit zu leisten. Und schließlich die Subkultur, die Szenekneipen, die drei Programmkinos, die Galerien, Ateliers und alternativen Stadtteilprojekte. Was mir darüber hinaus sehr am Herzen liegt ist die Integrationsarbeit die wir Nordstadtbewohner tagtäglich, ungefragt und vollkommen ehrenamtlich für unsere Stadt leisten. In der Nordstadt spricht man nicht über Integration mal lebt sie! Die Nordstadt ist der Integrationsmotor für die Gesamtstadt Dortmund. Die Wertschätzung dieser nachbarschaftlichen Leistung fehlt mir nicht nur in Ihrem Bericht, er fehlt mir grundsätzlich in der Betrachtung der drei Quartiere. Darum fordere ich deutlich Solidarität mit den Menschen im Dortmunder Norden, sowohl von unserer Stadtgesellschaft in Dortmund als auch von überregionalen Medien!
Im Artikel werden leider auch nur zwei Quartiere erwähnt, die Nordstadt besteht aber auf dem Hafen-, dem Nordmarkt- und dem Borsigplatz-Quartier, das ist besonders schade weil es doch am Hafen gerade so richtig aufwärts geht.
All das findet keinen Widerhall in Ihrem Artikel, warum nicht. Die Journalisten haben sich doch immerhin 3 Wochen in Do-Nord aufgehalten. Ich stelle mir die Frage wie der Arbeitsauftrag formuliert war. Denn so blind kann man in unserem Kiez nicht sein, es gibt genügend Möglichkeiten sich „gut“ sprich in fairer Form über die Nordstadt zu informieren.
Ich halte derlei einseitige Berichterstattung für journalistischen Populismus. Von DER ZEIT, die ich und mein Umfeld sehr schätzen, hätte ich einen deutlich ausgewogeneren Journalismus erwartet.
Um hier nicht als beleidigte Leserin dazustehen mache ich Ihnen folgendes Angebot:
Begleiten Sie mich und meine Kunden/Gäste doch mal bei einer unserer Nordstadt VerFührungen und schärfen Sie dabei den Blick für die Besonderheiten und positiven Entwicklungen bei uns in der Dortmunder Nordstadt.
Mir bleibt an dieser Stelle nur zu hoffen das Sie mein Angebot annehmen.
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Mit freundlichen Grüßen vom Borsigplatz
Annette Kritzler
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Sehr geehrte Frau Kritzler,
vielen Dank für Ihre Zeilen. Wir können Ihre Kritik nachvollziehen. Wir waren während und nach der Recherche eben mit jenen Fragen bezüglich der Differenziertheit konfrontiert, haben aber durch die Straßennamen, als eine Art wiederkehrende Überschrift im Text, und die dazu abgedruckte Karte mehr als deutlich gemacht, dass es sich nur um ein relativ kleines Gebiet handelt, über das wir berichten. Wir haben in vielen langen Gesprächen untereinander über den Aufbau der Geschichte gesprochen, und sind am Ende zu der Entscheidung gekommen, uns auf diesen Ausschnitt zu konzentrieren, und denen eine Stimme zu geben wie Alex und seiner Familie. Bislang wurde immer nur über die Problemhäuser gesprochen, noch nie hat sich jemand mal intensiver mit den Menschen darin auseinandergesetzt. Sie tauchen oft nur als gesichtslose Bewohner auf.
Und ja, es gibt diese andere Seite der Nordstadt, zum Beispiel am Hafen, es gibt aber auch die von uns beschriebene Seite, und selbst wenn es nur ein Quartier sein mag, fanden wir die Zustände sehr berichtenswert und haben uns dafür entschieden lieber nah dran an dem Menschen zu sein, und nur aus einem kleinen Gebiet zu berichten, anstatt weit weg und groß.
Vielleicht interessiert es Sie zu hören, dass bereits mehrere Leser konkret die Familie von Alex unterstützen wollen, und ihren Beitrag dazu leisten wollen, die Zustände in diesem Teil der Nordstadt zu verbessern. Darüber freuen wir uns sehr.
Beste Grüße, Nadine Ahr und Moritz Aisslinger
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Sehr geehrte Frau Ahr, sehr geehrter Herr Aisslinger,
danke für Ihre Reaktion auf meine Anmerkungen.
Der Zeitartikel hallt noch ein wenig nach in der Nordstadt in Dortmund und im Umland.
Wir sind es ja inzwischen „fast“ schon gewohnt das über uns undifferenziert und einseitig berichtet wird, das können Sie in vielen Medien nachlesen.
Abfinden werden wir uns damit nicht, selbstbewusst und um unsere Schatten- u. Lichtseiten wissend wehren wir uns in eine von Medien getragene Ecke gestellt zu werden, die stigmatisierend und unzureichend neutral ausgewogen berichtet.
Bezugnehmend auf Ihren Hinweis zum Kartenausschnitts, wen Sie damit deutlich machen wollten das die Probleme nur in einem bestimmten Teil der Nordstadt vorherrschen hätte sie das sowohl im Text als auch in der Karte deutlich hervorheben müssen. Als Geografin bin ich speziell mit Kartenwerk und Darstellungsformaten vertraut, hier hinkt Ihre Argumentation doch sehr.
Das hätte besser vermittelt werden müssen aber dies hätte wohl die Gewichtung des Artikels ad absurdum geführt, stimmt´s?
Die gesamte Nordstadt ist seit Dez. 2016 „Kreativ.Quartier Echt Nordstadt“. Ein Label das man sich verdienen muss. Das passt natürlich nicht in einen Blaulichtbericht im Wahljahr schon klar. Ich hatte immer angenommen die Zeit hätte eine rote Färbung, jetzt mit Argumenten einer christdemokratischen Ausrichtung die Mär der No Go Area zu befeuern ist enttäuschend.
Leider stellen Sie sich in ihrem Schreiben an mich nicht meiner Frage nach der Arbeitshypothese, das bedaure ich sehr es würde mir/uns helfen zu begreifen was Sie angetrieben hat uns derart schlecht zu schreiben. Sie bedienen Klischees in einem von rechter Hetze (und da wissen wir in Dortmund echt wovon wir reden!) und unsozialen Äußerungen geprägten Klima der Verunsicherung!
Es ist erfreulich das es nun Hilfsangebote für Alex und seine Familie gibt, immerhin ein Licht am Horizont einer Gesellschaft in der die soziale Verantwortung immer mehr verloren geht.
Wenn es nur das ist was ihr Artikel bewegt hat ist es aber aus meiner Sicht zu wenig um sich dafür auf die Schultern zu klopfen. In der Nordstadt leben rund 8000 Rumänen und Bulgaren die alle die Hilfe der Mehrheitsgesellschaft verdient hätten, das wäre ein Schlagzeile mit Appell an die sog. Gutmenschen sich mal überbordent intensiv hier bei uns im Norden zu engagieren.
Schlussbemerkung:
Wir, die Nordstädter würden uns nach wie vor wünschen das über uns immer in ausgewogener Weise berichtet wird, das ist mein Resümee aus zig Gesprächen in den vielfältigen Netzwerken in denen ich tätig bin.
Erfreulicherweise hat die Süddeutsche am 10. Mai einen Artikel veröffentlicht der Ihren Bericht deutlich konterkariert.
Insofern ist unsere Medienwelt nun erst Mal wieder rund.
Mit den besten Grüßen vom Borsigplatz
Annette Kritzler
OB Ullrich Sierau
Let’s go Nordstadt statt No-Go-„Journalismus“
Persönliche Erklärung von Oberbürgermeister Ullrich Sierau
zum Bericht „Alex, Ötzi und der Libanesen-Jäger“ in der „Zeit“
vom 4. Mai 2017 zur Dortmunder Nordstadt
Vorbemerkung
Nach wochenlangem Aufenthalt in der Dortmunder Nordstadt haben zwei junge Nachwuchskräfte der „Zeit“ unter dem Titel „Alex, Ötzi und der Libanesenjäger“ einen Verriss der Dortmunder Nordstadt veröffentlicht. Trotz der verzerrten Darstellung gab es für mich als Oberbürgermeister bislang keinen Anlass auf das Traktat zu reagieren. Nachdem der Bericht allerdings zu rechtspopulistischer Hetze in anderen Online-Medien und so genannten sozialen Netzwerken geführt hat, sehe ich mich nun doch veranlasst, zu dem Machwerk Stellung zu nehmen.
Stellungnahme
Zum wiederholten Mal wurde die Dortmunder Nordstadt Gegenstand reißerischer Berichterstattung. Diesmal haben sich zwei junge Nachwuchskräfte der „Zeit“ daran versucht, das Wohnen und Leben von rund 60 000 Menschen und die Arbeit der dort rund 28 000 Erwerbstätigen in knapp 2000 Betrieben in einem Zerrbild darzustellen.
Offensichtlich knüpft die bodenlose Darstellung an politische und mediale Initiativen an, Teile von NRW als so genannte No-Go-Areas erscheinen zu lassen. So ist offensichtlich auch die Dortmunder Nordstadt in diesen Politikstrudel geraten. Fakt ist, dass dieser Stadtteil mit seinen 60 000 Bewohnerinnen und Bewohnern eine vielfältige Infrastruktur aufweist.
Die lebhafte Kultur- und Gastronomieszene und die über 28 000 Arbeitsplätze ziehen eine Vielzahl von Dortmunderinnen und Dortmundern an, so dass die Nordstadt mitnichten eine No-Go-Area ist. Sie ist ein pulsierender Stadtteil – eine Let’s-Go-Area mit viel Potenzial für eine erfolgreiche Entwicklung trotz aller Probleme.
Trotz dieser Fakten wird immer wieder versucht, in reißerischer und offenbar selektiver Wahrnehmung ein Zerrbild zu zeichnen. Es hat den Anschein, als solle ein Stadtteil regelrecht „hingerichtet“ werden. Wenn man gerade dabei ist, kann man den dort seit rund 20 Jahren engagierten Oberbürgermeister gleich mit fertig machen. Fragen stellen sich: Zu welchem Zweck werden die Bewohnerinnen und Bewohner verunglimpft, die Besucherinnen und Besucher verunsichert und ein Werteverfall der Immobilien herbei geschrieben? Zu welchem Zweck wird jeder Hinweis auf kommunale, zivilgesellschaftliche sowie privatwirtschaftliche Initiativen schlicht verschwiegen – obwohl die Autoren entsprechende Hinweise hatten und die Fakten bekannt waren?
Diese Schweigespirale zu den Anstrengungen und nachweislichen Erfolgen in der Nordstadt ist für mich nach dem gut 90-minütigem Gespräch mit den Nachwuchskräften der “Zeit“ nicht überraschend. Das Gespräch wurde einseitig geführt. Die inhaltlichen Antworten und erläuterten Zusammenhänge bezüglich der Entwicklung des Stadtteils sowie der bekannten Erfolge wurden in der Veröffentlichung einfach ausgeklammert. Das ist kein Journalismus, sondern propagandistische Hetze gegen einen Stadtteil.
Aus den 90 Minuten sind einige Zitatfetzen sinnentstellend herausgefiltert worden. Zutreffend ist, dass ich die Nachfrage, ob ich mich für die Nordstadt verantwortlich fühle, als Zumutung empfunden habe. Ich hatte zuvor deutlich gemacht, dass ich trotz vieler Rückschläge über Jahre dort am Ball geblieben bin und mich nachweislich um die Nordstadt kümmere.
In diesem Gesprächszusammenhang habe ich meine Kritik an der Bundesregierung differenziert erläutert und aufgezeigt, dass die Integrationsleistungen einzig und allein von der Kommune gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und anderen Strukturen vor Ort erbracht werden – während sich die Willkommenskultur von Frau Bundeskanzlerin Merkel im Fotografieren von Selfies erschöpft.
Vor dem Hintergrund des Flüchtlingszustroms hat der Bundesinnenminister Thomas de Maizière vor etwa drei Jahren in nahezu jeder Sonntagszeitung von der deutschen Willkommenskultur geschwärmt, auf der anderen Seite wurden aber keinerlei Voraussetzungen für die Bewältigung der Zuwanderung geschaffen. Das Bundeskanzleramt zeigte sich überrascht, dass so viele Flüchtlinge nach Deutschland wollen.
Es stellt sich die Frage, wie dort internationale Entwicklungen beobachtet und wie Rückschlüsse für geeignete Managementmaßnahmen zur Bewältigung der Probleme gezogen werden. Gibt es im Bundeskanzleramt kein Fernsehgerät? Schon im Februar 2011 waren die Flüchtlinge auf Lampedusa Vorboten dieser Entwicklung.
Der offensichtlich überforderte Bundesinnenminister hat das ihm unterstellte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht auf den Flüchtlingszustrom vorbereitet.
Der Präsident des BAMF hat seit Monaten und Jahren mehr Personal, Technik und Finanzen gefordert. Am 24. September 2015 musste die Bundesregierung entsprechende Versäumnisse einräumen. Das führte am 25. September 2015 dazu, dass der Präsident des BAMF aus „persönlichen“ Gründen seinen Rücktritt eingereicht hat. Ein Bauernopfer.
Im Unterschied dazu die kommunale Ebene: Als die Flüchtlinge kamen, war diese zur Stelle. Gerade Dortmund hat sich nicht weggeduckt. Die Bundesregierung hingegen ist bis heute nicht in der Lage, Asylverfahren ordentlich abzuwickeln. Bis heute gibt es Unklarheiten, wer sich wo aufhält. Bis heute wurde zwischen Bund und Ländern kein kompatibles Gesamtsystem etabliert. In der Wirtschaft würde man von einem Managementversagen sprechen, in der Verwaltung heißt das Organisationsversagen.
Wie beim Thema der Zuwanderung aus Süd-Ost-Europa (Zuwanderung von Rumänen und Bulgaren), bleiben die Kommunen auf hohen Kosten sitzen (Integrationspauschale). Auf immer neuen Flüchtlingsgipfeln, an denen die Kommunen nicht direkt beteiligt werden, entstehen immer neue Regelwerke, die in der Praxis häufig Zielgenauigkeit vermissen lassen. Die Bundesebene macht sich eher „einen schlanken Fuß“, Anstrengungen auf kommunaler Ebene werden nicht selten konterkariert.
Und genau vor diesem im Interview aufgezeigten Hintergrund bin ich als Oberbürgermeister in der Tat in der Interviewsituation erstaunt und fassungslos gewesen über die Unkenntnis der fragenden Autoren. Alle Zusammenhänge und zuvor dargestellten Fakten wurden ignoriert. Es wurde nur versucht, die nicht weg zu diskutierenden Probleme der Nordstadt mir exklusiv in die Schuhe zu schieben. In genau dieser durch die Fragesteller eskalierten Situation habe ich ihnen ironischerweise meinen Job angeboten.
Der Effekt der Berichterstattung: Nur ein kleiner Teil des Gesamtzusammenhangs wurde in den Fokus gerückt. Die reißerische Berichterstattung über das Gespräch mit mir führte in mehreren medialen Netzwerken zu rechtspopulistischer und rechtextremer Hetze. Das ist die fatale Folge einer reißerischen Berichterstattung, die die positiven Effekte in der Nordstadt völlig außer Acht gelassen hat. Es ist unterschlagen worden, dass es bei allen Problemen erhebliche Integrationsleistungen gibt. Die Stadt ist der Nordstadt für diese gesellschaftspolitische Arbeit dankbar. Dortmund ist in seiner langen Geschichte seit dem Mittelalter immer wieder Ort von Zuwanderung gewesen und wir sind stolz auf unsere Vielfalt.
All dies wird in der Berichterstattung über das Interview nicht wiedergegeben. Diese Darstellungen sind von mir nie autorisiert worden. Der Bericht spiegelt allein die Sichtweise der Autoren wider, die den Kontext komplett verzerren oder ignorieren.
Ich verwehre mich in meinem Amt als Oberbürgermeister und als Person ausdrücklich gegen die durch eine verkürzte Darstellung meiner Position möglich gewordene Instrumentalisierung durch Rechtspopulisten und Rechtsextremisten. Bei aller Kritik an der Bundesregierung, die nur unzureichend bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise geholfen hat, trete ich als Oberbürgermeister und aufgrund persönlicher Fluchterfahrung vollumfänglich für das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Asyl ein. Genau aus diesem Grund engagiere ich mich dafür, denjenigen zu helfen, die wegen Bürgerkrieg, Hunger und Umweltkatastrophen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen.
Der gesamte Vorgang zeigt in seiner medialen und politischen Dimension, dass Politikerinnen und Politiker seitens der Medien regelmäßig mit Situationen konfrontiert sind, die sonst vor allem Fußballer oder Fußballtrainer kennen. Die Mannschaft ist gut trainiert, ist erfolgreich und versteht auf dem Platz zu kämpfen. Nach erfolgreichem Spiel gibt es Journalisten, die während des Spiels nur zugeschaut haben und dann von der Außenlinie kommentieren, was hätte besser laufen müssen, ohne einen eigenen Beitrag zum Spiel zu leisten.
Wir alle erinnern uns an das legendäre Interview von Waldemar Hartmann und Rudi Völler, in dem sich „Waldi“ als ungerechter Kritikaster hervortat, um Rudi Völler einen „einzuschenken“. Rudi Völler hat die richtige Konsequenz gezogen und Waldemar Hartmann Kontra gegeben. Oder denken wir an Per Mertesacker nach dem Spiel Deutschland gegen Algerien bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2014: „Was wollen Se…?“
Ähnlich hat es sich mit dem Interview verhalten, dem ich ausgesetzt war. Statt objektiv zu diskutieren, wurden immer weitere Tiefpunkte herbeigeredet. Und nicht nur Rudi Völler und Per Mertesacker platzt irgendwann der Kragen, wenn immer neue Haare in der Suppe gesucht werden. Insofern habe auch ich als Mensch emotional reagiert, wenn alles Positive ignoriert und ein Stadtteil regelrecht hingerichtet wird.
Zu einer sachgerechten Berichterstattung hätte es gehört, auf einige der folgenden – in einer Auswahl – aufgeführten Anstrengungen und Projekte hinzuweisen:
1. Taskforce Nordstadt
Bekämpfung der Straßenprostitution
Die intensive Bekämpfung der illegalen Straßenprostitution gehört seit der Schließung des Straßenstrichs und dem Inkrafttreten des Verbots der Straßenprostitution nach der neuen Sperrbezirksverordnung am 16. Mai 2011 zu den Kernaufgaben der Task Force Nordstadt. Insgesamt wurden seit Beginn der Aktionen im Mai 2011 bis heute Straf- und Ordnungswidrigkeitenanzeigen gegen Prostituierte sowie Ordnungswidrigskeitsanzeigen gegen Freier in über 2.600 Fällen vorgelegt.
Bekämpfung der Drogenkriminalität
Die städtischen Ordnungspartner tragen vornehmlich durch ihre erkennbare Präsenz an entscheidender Stelle zu einer Verbesserung der Situation bei. Sofern eine (vorrangige) Strafverfolgung nicht in Betracht kommt, wird der Konsum von Rauschmitteln an bestimmten Örtlichkeiten, z. B. auf Spielplätzen, zudem von den Ordnungspartnern als Ordnungswidrigkeit geahndet. 2016 wurden bisher über 850 solcher Fälle zur Anzeige gebracht.
Problemimmobilien unter Beobachtung
Im Jahr 2016 hat das Fallmanagement Problemhäuser im Nordstadtbüro des Ordnungsamts, oft im Zusammenwirken mit anderen Fachbereichen der Verwaltung (z. B. Bauordnungs-, Gesundheits- oder Jugendamt), insgesamt 139 Hauskontrollen in 95 auffälligen Immobilien durchgeführt. Dabei wurden 23 Objekte gleich mehrfach aufgesucht. Am häufigsten waren bei den Kontrollen unerlaubte Abfallablagerungen (70 Fälle) festzustellen, gefolgt von baurechtlichen und wohnungsaufsichts-rechtlichen Missständen (jeweils 47 Fälle). Insgesamt wurden durch das Nordstadtbüro 2016 nach Problemhauskontrollen 278 Personen von Amts wegen abgemeldet. Von den aktuell in der Datenbank Problemhäuser stadtweit erfassten 130 Problemhäusern (2015: 144) liegen 83 (2015: 107) im Stadtbezirk Innenstadt-Nord.
2. Weitere umgesetzte Fördermittelprojekte im Rahmen der Zuwanderung seit 2012
– Sprach- und Alphabetisierungskurse
– Einsatz studentischer Integrationshelfer
- Muttersprachliche Familienbegleiterinnen/Beratungsbus/Kinderstuben
- LOGIN Mobiles Integrations- und Ausbildungscoaching bildungsferner Neu-Zugewanderter
– Clearingstelle Gesundheit
- Projekt Einwanderung gestalten
– Seit 2012 wurden zudem im Rahmen der Gesamtstrategie durch den Trägerverbund Fördermittelprojekte in Höhe von über 12,5 Millionen Euro beantragt, konzipiert und koordiniert. Davon wurden Projekte in Höhe von 9,48 Millionen Euro bereits umgesetzt und weitere Projekte in Höhe von 3,09 Millionen Euro beantragt, deren Bewilligung vom Fördermittelgeber in Aussicht gestellt wurde (Quelle: Sachstandsbericht 2017 „Zuwanderung aus Südosteuropa“)
3. Soziale Stadt NRW - Dortmund Nordstadt
– Verbesserung des öffentlichen Raumes:
a) Eingang in die Nordstadt/kreative Brücke
b) Hof-, Fassaden- und Lichtgestaltung
- Lokale Ökonomie:
a) Existenzgründungen und Bestandspflege
b) Kooperation Schule und Wirtschaft,
c) Profilierung spezifischer Gewerbequartiere,
d) Existenzgründungs- und Unternehmenswettbewerb
- Soziale und ethnische Integration:
a) Gewaltprävention,
b) Jugendforum
c) Cafe Berta,
d) Schuldenprävention
4. Ökumenische Anlaufstelle „Willkommen Europa“
Ein Projektverbund aus freien Trägern und Verwaltung unterstützt die Menschen, die in Dortmund für sich und ihre Familie eine dauerhafte Perspektive suchen. Seit 2014 wird ein sozialräumlich ausgerichtetes Maßnahmenpaket laufend weiterentwickelt, das unterschiedliche Strategien zur Erwerbsintegration erprobt und optimiert.
5. Heimathafen - Integratives Beratungs- und Bildungshaus in der Nordstadt
Das Projekt Heimathafen mit Investitionen in Höhe von 3,7 Mio. läutet den Startschuss in die Hafenentwicklung – Speicherstraße Süd ein. Es ist vorgesehen, eine Immobilie, die lange leer gestanden hat, zu ertüchtigen. Beratung, Bildung, Qualifizierung und Kultur finden dann unter einem Dach zusammen. Träger der Maßnahme ist die Stiftung Soziale Stadt.
6. Fortschreibung des Integrierten Handlungskonzepts
- Quartiersmanagement/Stadtteilmanagement
- Mobile intensive Betreuung für junge Menschen (MIB)
– Brücken in Bildung und Ausbildung für Neuzuwanderer
Allem No-Go-„Journalismus“ zum Trotz: Mit anderen Freunden der Nordstadt werde ich unbeirrt weiter an der Zukunft der Dortmunder Nordstadt arbeiten. Let’s go…