Heike Bettermann heißt die neue Chefin der Arbeitsagentur Dortmund. Doch „neu“ oder gar eine Unbekannte ist sie nicht: Seit rund vierzig Jahren arbeitet sie in unterschiedlichen Positionen für die Behörde und verfügt hierdurch über einen immensen Erfahrungsschatz und solides Fachwissen. Von der Ausbildung bis zur Chefin im selben Haus ohne einen Wechsel in eine andere Stadt – eine solche Karriere legen nur sehr wenige Beschäftigte hin. Sascha Fijneman und Alexander Völkel von Nordstadtblogger sprachen mit ihr über ihre Ziele und Schwerpunkte für ihre neue Aufgabe.
Bettermann wünscht sich gleiche Gewichtung von Arbeitsagentur und Jobcenter in der öffentlichen Wahrnehmung
Der Vorteil für Heike Bettermann: Anders als ihre beiden Vorgängerinnen kennt sie das Haus und den Standort, ist bestens vernetzt und vom ersten Tag an „auf Betriebstemperatur“. Zuletzt arbeitete sie als Leiterin Markt und Integration auf der Geschäftsführungsebene des Jobcenters in Dortmund.
Für ihre Aufgabe als Agentur-Chefin hat sie sich vorgenommen, die gesellschaftliche Rolle der Arbeitsagentur aufzupolieren, um Ansprechpartner zu den Themen Arbeit, Beschäftigung und Weiterbildung für alle Menschen zu werden. Außerdem stehen die Bekämpfung der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit ganz oben auf ihrer To-Do-Liste.
___STEADY_PAYWALL___
Sie hat eine klare Zukunftsvision für Arbeitsagentur und Jobcenter Dortmund. „Ich möchte die gesellschaftliche Rolle der Arbeitsagentur verändern. Die Menschen sollen nicht zu uns kommen, weil sie es notgedrungen müssen, sondern ich stelle mir vor, dass wir erster Ansprechpartner für alle Menschen zu den Themen Arbeit, Qualifikation, Weiterbildung und Beschäftigung werden“, so die neue Geschäftsführerin.
Die Agentur solle in ihrem Sinne Anlaufstelle für Arbeitslose aber ebenso für Menschen sein, die sich beruflich verändern wollten, in gleichem Maße für Handwerker und IndustriearbeiterInnen als auch für Akademiker und Hochschulabsolventen, für ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen.
Bisher würde die Agentur hinter dem „Riesen“ JobCenter mit den zahlreichen KundInnen aus dem SGB II und III-Bereich nur bedingt von der Öffentlichkeit wahrgenommen: „Diesbezüglich würde ich mir mindestens eine gleiche Gewichtung in der öffentlichen Wahrnehmung der BürgerInnen wünschen. Außerdem stelle ich mir in Zukunft ein noch engeres, rechtskreisübergreifendes, gemeinschaftliches Vorgehen beider Behörden am Arbeitsmarkt vor.“
Großer Vorteil: Bettermann kennt die lokalen Arbeitsmarktstrukturen und Akteure bereits
Der neuen Chefin liegt vor allem der Abbau der Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit am Herzen. Außerdem müssten weiterhin strukturelle Probleme des lokalen Arbeitsmarktes angegangen werden. Hierfür sei eine intensive Beschäftigung sowohl mit den arbeitslosen Menschen aber in mindestens dem selbem Masse mit den ArbeitgeberInnen notwendig.
Bettermann hat in ihrer knapp 40-jährigen Berufslaufbahn bereits selbst erfahren, wie wichtig und hilfreich gute Beratung und Betreuung bei der Planung der Karriere oder der richtigen Berufswahl sein können. Und auch für die Zukunft hat sie sich selbst auf die Fahnen geschrieben, sich weiter fortzubilden und in gewissen Bereichen weiter zu qualifizieren.
Außerdem ist ihr bewusst, wie wichtig der richtige Umgang mit den KundInnen ist. Von Vorteil ist dabei, dass sie durch ihre langjährigen Tätigkeiten in Dortmund die Netzwerkstrukturen der an der Arbeitsmarktpolitik beteiligten Akteure bestens kennt.
Diese Strukturen gelte es jedoch an gewissen Stellen aufzubrechen und neue Wege zu beschreiten. So sieht sie vor allem im Bereich der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit besonders die ArbeitgeberInnen und die Politik in der Pflicht, die jungen Menschen abzuholen.
„Ich sehe hier vor allem die Arbeitgeber in der Pflicht, ihre Ansprüche herunter zu schrauben und den BewerberInnen entgegen zu kommen.“ Wenn es beispielsweise im Handwerk an Nachwuchskräften mangele, läge dies unter anderem an den schlechten Konditionen der Ausbildung. Die Handwerksvergütungen würden nunmal keine BewerberInnen hinter dem Ofen hervorlocken.
Sie räumt auf mit den gesellschaftlichen Vorurteilen weiter Bevölkerungsteile, viele der Betroffenen wollten ja in der Wiege der sozialen Hängematte gar nicht wirklich arbeiten. Denn die Probleme, die in diesen Bereichen entstünden, seien meist auf Strukturprobleme des Arbeits- und Bildungsmarktes und nicht auf die KundInnen selbst zurückzuführen.
Bettermann: „Die Arbeitgeber müssen den Bewerbern ein Stück weit entgegen kommen.“
So müssten sich die Arbeitgeber von der Vorstellung verabschieden, immer erste Wahl zu bekommen. „Angesichts des Strukturwandels am Arbeitsmarkt und der demographischen Veränderung, denke ich, dass Ausbildung in Deutschland allgemein modularer aufgebaut sein sollte, um niederschwelligere Einstiegsmöglichkeiten für bestimmte Personengruppen zu schaffen.“
Das Handwerk ziehe in punkto Bezahlung immer den Kürzeren im Gegensatz zur Industrie oder dem kaufmännischen Bereich. Hier müssten Strategien zur Besetzung der vakanten Stellen erarbeitet werden. Berufsberatung sollte schon in der Schule beginnen, wie es teilweise auch schon der Fall ist. Diese Bemühungen auf schulischer Ebene sollten nach ihrer Ansicht weiter intensiviert werden.
„Ich denke wir sollten der praktischen Erprobung in den Unternehmen einen größeren Stellenwert einräumen und mehr Möglichkeiten neben Schulpraktika schaffen, damit junge Menschen Berufe kennenlernen und sich erproben können“, so Bettermann.
Mehr Raum für praktische Berufserfahrungen schon während der Schulzeit
Eine dreieinhalbjährige Ausbildung mache nicht bei jedem Schulabgänger Sinn. Man könne die jungen Menschen auch in kürzerer Zeit für gewisse Tätigkeiten fit machen. Im Job könnte man dann weitere Qualifikationen draufsatteln. Dadurch werde der Zugang niederschwelliger – die Hürden seien nicht so hoch.
Und diejenigen, die mit sehr guten Zensuren abgingen, tendierten in den meisten Fällen durch die jahrelange Forcierung das Abitur zur Zugangsvoraussetzung für viele Berufe zu machen, ohnehin eher zu akademischen Laufbahnen.
Und auch bei Praktika müsse darauf Wert gelegt werden, dass auch wirklich Fachwissen vermittelt und nicht nur einfach die Zeit abgesessen würde. Aber auch diesbezüglich stünden unter anderem die Unternehmen in der Pflicht, den jungen Menschen gute Betreuung und das Vermitteln von Fachkenntnissen zukommen zu lassen. Hierfür könnten sie auch durch die Arbeitsagentur gefördert werden.
„Es ist wichtig, den jungen Menschen Anreize zu bieten und sich auch mal erkenntlich zu zeigen für das Engagement. Ich kenne da ein Beispiel, wo der Arbeitgeber der Belegschaft morgens ein gemeinsames Frühstück spendiert. Das finden die Kids super und das motiviert sie, bringt sie dazu, sich mit ihrem Arbeitgeber zu identifizieren und fördert den Spaß an der Arbeit“.
Denn Umfragen hätten gezeigt, dass junge Menschen im Berufsleben sich, vor die Wahl gestellt, definitiv eher mehr Freizeit wünschten, als mehr Geld. Dies hinge mit der Freude oder eben der Unlust an der Arbeit zusammen.
Der soziale Aspekt im Berufsleben: ein gutes Betriebsklima steigert die Motivation
Heike Bettermann führt an dieser Stelle ein persönliches Beispiel an. Die langjährig verheiratete Dortmunderin ist Mutter einer 20-jährigen Tochter, die als Azubi bei einem Steuerberater um die 1.000 Euro netto verdiene. Ihr Freund sei Azubi im Handwerk und verdiene gerade einmal die Hälfte – bei wesentlich höherem Zeit- und Energieaufwand.
Durch das tolle Betriebsklima in seiner Firma, sei der Freund jedoch mehr als zufrieden. „Den Arbeitgebern stehen viele Instrumente zur Verfügung, um ein gutes Betriebsklima zu schaffen und ihre Stellen zu attraktiveren. Von der Planung gemeinsamer Aktivitäten wie Betriebsausflügen oder ähnliches bis hin zu Aktionen wie der Finanzierung eines Führerscheins sind Maßnahmen zur Attraktivierung denkbar.“
Die Handwerks- und die Industrie- und Handelskammer Dortmund hätten die Zeichen der Zeit bereits wahrgenommen und dementsprechend reagiert, doch bei den Betrieben sei der Zeitgeist noch nicht wirklich realisiert worden. Denn auch im Bereich Flucht und Migration sei es an der Zeit sich von der Einschätzung der BewerberInnen aufgrund von Zeugnisnoten und Leistungsnachweisen zu verabschieden. Der soziale Aspekt werde immer wichtiger. Betriebe sollten sich auf Menschen einlassen und individuell vorhandene Fähigkeiten fördern.
Lebenslanges Lernen heißt das zeitgemäße Motto des Arbeitsmarktes
Auch wenn im Schriftverkehr der Behörden gewisse Regulierungen zum Thema Sprache durch die Zentrale in Nürnberg vorgegeben würden, mache es Sinn, im Schriftverkehr, beispielsweise in e-Mails, eine einfache Sprache zu verwenden, die die Menschen auch verstehen.
Selbst wenn es gewisse vorgedruckte Formulare gebe, bestünde in den meisten Fällen die Möglichkeit, eigene Formulierungen in einem Freifeld zu ergänzen, um besonders Menschen mit Migrationshintergrund den Inhalt verständlich zu machen.
Auch die medialen Quellen und Kanäle, die man nutze, seien wichtig und sollten weiter ausgebaut und erweitert werden. „Hier macht es zum Beispiel Sinn, das online-Angebot zu erweitern, um insbesondere junge Menschen über das Smartphone abzuholen.“
Zusätzlich sei es wichtig, den jungen Menschen Entwicklungsperspektiven zu ermöglichen. „Lebenslanges Lernen heißt das Motto unserer Zeit auf dem Arbeitsmarkt. Überall da, wo Qualifikation und Fortbildung die Vermittlungschancen der BewerberInnen verbessern, werden wir diese auch finanzieren. Die Mittel sind sowohl bei der Agentur als auch beim Jobcenter definitiv vorhanden. Natürlich sollte die Maßnahme insofern Sinn machen, dass sie marktgängig ist und die Chancen der BewerberInnen auf dem Arbeitsmarkt optimieren.“
Die neue Chefin kann auf 40 Jahre Berufserfahrung am Standort Dortmund zurückblicken
Die 58-jährige Dortmunderin Heike Bettermann stellt klar, dass sie ihre langjährige Arbeit beim Jobcenter Dortmund sehr gerne gemacht hat und viele Erfahrungen sammeln konnte. Sie war im Laufe der Jahre in unterschiedlichen Positionen tätig.
Auf der Geschäftsführungsebene des Jobcenters Dortmund arbeitete die gelernte Verwaltungsinspektoranwärterin zuletzt als Leiterin des Bereichs „Markt und Integration“.
Davor war sie unter anderem als Regionalbereichsleiterin tätig, nachdem sie selbst rund 20 Jahre in der Beratung und Vermittlung gearbeitet hatte. Sie sei ursprünglich selbst von einem guten Berufsberater in die richtige Richtung gelenkt worden.
„Der Bereich der Berufsberatung und Arbeitsvermittlung hat mich seitdem sehr interessiert. Allerdings war damals noch ein Studium für diesen Berufsweg erforderlich“, erzählt Bettermann. Also habe sie sich zunächst für die Verwaltungsausbildung entschieden und sich hinterher behördenintern weitergebildet, um mit Mitte 30 von der Beratung und Vermittlung auf die Führungsebene zu wechseln.
Die Modernisierung muss weiter vorangetrieben werden – Nachholbedarf bei Digitalisierung
Mit dem Wechsel an der Spitze von Jobcenter und Agentur hätten sich dann neue Möglichkeiten für sie geboten: „Für mich ist die Geschäftsführung der Arbeitsagentur eine neuer Schritt mit völlig neuen Herausforderungen, auf die ich mich freue“, so Bettermann.
In all ihren Überlegungen bezieht Bettermann die Arbeitgeberseite direkt mit ein. Denn auch an dieser Stelle könne wichtige Beratungsarbeit beispielsweise im Bereich der zunehmenden Digitalisierung von Arbeitsabläufen und -prozessen von der Agentur geleistet werden. Hier sieht sie jedoch auch bei der Agentur selbst noch Bedarfe.
So müsse der Online-Service für die KundInnen weiter optimiert und ausgebaut werden. Aktuell sei es zwar möglich Antragsformulare online auszufüllen und zu bearbeiten, selbiges sei jedoch auch zum Beispiel im Bereich der Terminvereinbarung wünschenswert.
Außerdem verfüge die Agentur in Dortmund nicht über flächendeckendes W-LAN, wodurch auch die Anschaffung von Tablets bisher noch nicht zur Debatte stand. All dies möchte Bettermann angehen und auf den Weg bringen.
MitarbeiterInnen sollen an der Entwicklung der Agentur für Arbeit teilhaben
Der weitere Ausbau der Digitalisierung und die damit einhergehende Abstimmung von Arbeitsprozessen seien behördenintern eine der Hauptaufgaben der Zukunft.
„Außerdem möchte ich die hierarchische Führungsstruktur der Agentur aufbrechen und den MitarbeiterInnen die Möglichkeit bieten, sich an Prozessen und Entwicklungen aktiv zu beteiligen und an ihnen teilzuhaben. Die Agentur der Zukunft wird sich durch einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess auszeichnen, an dem die gesamte Belegschaft beteiligt sein wird“, wirft Bettermann einen Blick in die Zukunft.
Das, was sich im JobCenter in Sachen Kundenorientierung und Modernität bewährt habe, wolle sie auf die Agentur übertragen. Auch wenn sich der Arbeitsmarkt in Dortmund positiv entwickelt habe, hieße dies nicht, dass Personal in der Agentur abgebaut würde. Im Gegenteil könne man in diesem Falle umso intensiver in die Einzelberatung und Langzeitbetreuung gehen. Dies mache vor allem Sinn bei Langzeitarbeitslosen, die sich erst wieder auf dem Arbeitsmarkt und im Arbeitsalltag neu orientieren müssten.
Weitere Informationen:
Am Standort Dortmund sind bei der Agentur 618 Beschäftigte, insgesamt zählt der Verantwortungsbereich von Frau Bettermann aber 1.149 Beschäftigte. Diese arbeiten in anderen Liegenschaften zum Beispiel in Hagen, Hamm oder Iserlohn unter anderem in der Familienkasse, den Servicecentern oder für den internen Dienstbetrieb.
Mehr zum Thema bei nordstadtblogger.de: