Fachhochschulreife mit 1,0 – Es ist nie zu spät für alles
Eigentlich sollte Sarah Kohlmanns Schulzeit einen geraden Weg nehmen: Grundschule, Gymnasium, natürlich beendet mit einem ordentlichen Abschluss. Aber es kam alles anders. Auf dem Zweiten Bildungsweg gelang schließlich der Abschluss, und der mit einem Riesenerfolg.
Als Sarah Kohlmann aus Schwerte ihren Schulweg begann lief zunächst alles bestens: die heute 24jährige besuchte nach der Grundschule ein Privatgymnasium. Allerdings fehlte dort ein Angebot, dass ihre Leidenschaft für Sport und die Schule hätte verbinden können. Daher wechselte Sarah Kohlmann in der 9. Klasse auf ein „normales“ staatliches Gymnasium. „Das war eine riesige Umstellung“, so die 24jährige heute im Rückblick. So gab es zwar die ersehnte Sportklasse, dafür aber auch große Klassen und wenig individuelle Betreuung. „Außerdem hatten wir auch durch den Sport bedingt sehr, sehr lange Unterrichtstage, dazu kamen anschließend noch die Hausaufgaben“, erinnert sich Kohlmann. Sie fühlte sich außerdem sehr auf sich selbst zurückgeworfen, weil einerseits große Selbstdisziplin gefordert wurde, andererseits aber Struktur und Regeln fehlten. „Nach einem Jahr war ich nur noch ernüchtert und frustriert, meine Noten sackten ab“, bilanziert die Schwerterin. Schließlich folgte ein Wechsel auf die Gesamtschule. Hier wurde sie sofort in die Jahrgangsstufe 11 eingestuft, ohne zuvor ihre FOR machen zu können. Als sie dann die 12. Klasse aus privaten Gründen abbrach, hatte sie keinen Abschluss der 10. Klasse. Das war ein Tiefpunkt.
Untätig blieb Sarah Kohlmann dennoch nicht. Nach einem Sozialen Jahr arbeitete sie als Integrationshelferin. Das lag nahe, da sie bereits seit Jahren ihren zu 90 Prozent schwerbehinderten Bruder mit betreute, so war sie sich sicher, gut mit Kindern arbeiten zu können.
Während der Zeit als Integrationshelferin reifte der Gedanke die abgebrochene Schullaufbahn wieder aufzunehmen und den Schulabschluss nachzuholen. Das war ein mühsamer Weg, denn trotz fast zwölf Jahren Schule fehlte ja sogar ein mittlerer Schulabschluss. Zunächst besuchte sie also das 3. und 4. Semester der Abendrealschule und holte die FOR nach.
Einerseits war sie froh über diese Möglichkeit, andererseits empfand sie es zunächst als gewaltigen Schritt zurück wieder in der Mittelstufe einzusteigen.
Der Entschluss nach der FOR anschließend nicht in einen Ausbildungsberuf einzusteigen und das Westfalen-Kolleg Dortmund zu besuchen, um einen höheren Schulabschluss zu erwerben, fiel rasch, denn: „Ich wollte ja weiterkommen.“ Die Beratung der Abendrealschule, den Sprung zu wagen, tat ihr übriges.
Von Anfang an wichtig war es ihr allerdings, Arbeit und Schule miteinander vereinbaren zu können, deshalb meldete sie sich am Westfalen-Kolleg für den Bildungsgang Abendgymnasium an. Beides unter einen Hut zu bringen, stellte zwar eine Herausforderung dar, aber die Motivation war groß: „Ich habe mir jeden Tag gesagt, du willst das, du schaffst das, und du schließt mit guten Noten ab.“
Außerdem fasste sie bereits frühzeitig ein konkretes Ziel für die Zeit danach ins Auge; der Besuch einer Jobmesse gab dazu den entscheidenden Impuls. Ihr Interesse galt zunächst dem Zoll, der Polizei und der Bundeswehr. Besonders angesprochen fühlte sie sich durch die Gebirgsjäger. „Ich liebe die Berge und das Skifahren“, schmunzelt Sarah Kohlmann. Viel wichtiger erschien ihr es aber noch, dass neben einer Ausbildung als Gebirgsjägerin auch ein Studium an der Bundeswehrschule möglich ist, dazu wird allerdings mindestens die Fachhochschulreife benötigt, also lautete das Ziel: FHR.
Trotz des Willens unbedingt einen guten Schulabschluss zu machen, startete Sarah Kohlmann zunächst auch mit Bedenken. „Zu Beginn empfand ich einen großen Druck (erneut) zu versagen, aber das gab sich mit der Zeit, je besser es lief“, beschreibt die 24jährige die anfängliche Situation. „Besonders erstaunt und positiv überrascht hat mich dann aber, dass die Lehrkräfte überhaupt keine Vorurteile Schulabbrechern gegenüber haben.“ Überhaupt stimmte von Anfang an alles, so zum Beispiel die gute Lernatmosphäre im Kurs mit durchweg motivierten und lernbereiten Mitstudierenden. Zu Anfang hatte sie noch Bedenken, wenn Gruppenarbeiten angesagt waren: Was wäre, wenn keiner mitmacht? Aber das Problem stellte sich gar nicht. „Außerdem hatte ich sehr engagierte und super nette Lehrer, die immer ansprechbar waren und die sich verständnisvoll zeigten, was die Vereinbarkeit von Schule und Beruf betraf“, resümiert sie heute. Und wenn man wollte, gab es immer die Möglichkeit etwas zusätzlich zu bearbeiten. So fühlte sie sich mit allem gut versorgt, auch in Zeiten der pandemiebedingten Schulschließung, die eine zusätzliche Herausforderung darstellte.
Nun warten neue Ziele, neue Pläne. Zunächst die Ausbildung als Gebirgsjägerin in Süddeutschland, das bedeutet drei Monate Grundausbildung in Weiden in der Oberpfalz, anschließend folgen neun Monate bei den Gebirgsjägern in Bad Reichenhall. Innerhalb der ersten sechs Monate kann Sarah Kohlmann dabei ihre Entscheidung noch mal revidieren, sich für 13 Jahre zu verpflichten. Nach dem Jahr plant sie die Prüfung für das Studium an der Bundeswehrhochschule abzulegen. Psychologie ist für sie das Studium der Wahl.
„Wichtig war es neben dem fachlichen Interesse an einem Studiengang, etwas zu wählen, das mir auch nach einer Zeit bei der Bundeswehr, also nach den 13 Jahren eine berufliche Perspektive im zivilen Leben eröffnet, falls ich dann nicht mehr bei der Bundeswehr bleiben möchte“, erläutert Kohlmann. So verspricht sie sich vom Studium der Psychologie die Möglichkeit auch in Unternehmen, Behörden oder auch selbständig, z.B. als Kinderpsychologin, arbeiten zu können.
Auch durch ihre Zeit am Westfalen-Kolleg fühlt sie sich gut gewappnet, denn die hat ihr nicht nur einen herausragenden FHR-Abschluss mit 1,0 als Ergebnis gebracht und ihr damit bislang verschlossene Türen zu neuen beruflichen Perspektiven geöffnet. Auch manche Erkenntnis nimmt sie mit: „Besonders das gemeinsame Lernen mit einem 50-jährigen Mitstudierenden hat mir gezeigt: Man muss sich nicht schämen, wenn bisher nicht alles so glatt gegangen ist, man ist nie zu alt etwas zu lernen, es gibt heute so viele Möglichkeiten.“
Foto: Westfalenkolleg Dortmund