„Solche Projekte wie in der Harzer Straße sollte es auch in Dortmund geben!“ ist der erklärte Wunsch von Galya Haka, der Vorsitzenden des Solidaritäts- und Freundschaftsvereins (SFN e.V.) der Neuzuwanderer in Dortmund.
Sie selbst ist vor mehr als zwei Jahren aus Bulgarien in die Dortmunder Nordstadt gekommen und berichtete wie viele ihrer Landsleute von nach wie vor nicht gelösten Problemen bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche.
Rund 70 interessierte Fachleute und Bewohner waren der Einladung des Planerladen e.V. zu der Kooperationsveranstaltung mit dem Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V., der AWO Integrationsagentur und der Auslandsgesellschaft NRW gefolgt, um lebhaft mit den eingeladenen Experten zu diskutieren.
Die intensive Diskussionsrunde wurde von Ubbo de Boer, ehrenamtlicher Obmann des Oberbürgermeisters für die Nordstadt, moderiert.
Vorbildhaftes Modernisierungsprojekt mit und für Neuzuwanderer in Berlin-Neukölln
In Berlin-Neukölln hat die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft („Die Aachener“) vorbildhaft gezeigt, wie den menschenunwürdigen und ausbeuterischen Wohnverhältnissen von Neuzuwanderern begegnet werden kann und gleichzeitig Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden können.
Hier wurde ein 137 Wohneinheiten in 17 Häusern umfassender Wohnblock an der Harzer Straße, in dem zu 70 Prozent Roma in prekären Verhältnissen lebten (z.T. auch Matratzenlager zu horrenden Preisen), gekauft und zusammen mit und vor allem für Neuzuwanderer saniert.
„So arbeiten Roma-Frauen, die sich in der Modernisierungsphase mit unserer Unterstützung als Reinigungskräfte zusammengeschlossen und Gewerbe angemeldet hatten und in der Harzer Straße tätig waren, nun beispielsweise als Angestellte bei den von uns beauftragten Reinigungsfirmen sowie mittlerweile auch in weiteren Häusern von uns“, berichtet Ana-Maria Berger, die ursprünglich als Übersetzerin bei der Aachener Siedlungsgesellschaft in das Wohnprojekt eingestiegen ist.
„Auf ähnliche Art und Weise fanden die Männer als Bauarbeiter bei der Modernisierung Beschäftigung und etliche sind jetzt bei den Baufirmen legal angestellt“, macht sie deutlich.
Intensive Mieterbeteiligung beim Umbauvorhaben in Berlin-Neukölln
„Das Projekt ist für uns rentierlich, weil die Mieter durch die Beschäftigung zahlungsfähig wurden, und wir Vollbelegung und keine Mietausfälle haben. Durch die flankierenden sozialen Angebote ist zudem die Kinderbetreuung und das Erlernen der Sprache weitestgehend sichergestellt.“
Der Modernisierungsprozess wurde außerdem mit Mieterversammlungen intensiv begleitet und bei den Wohnungszuschnitten wurden die Bedarfe der Bewohner berücksichtigt. So entstanden mehrere Wohnungen für Großfamilien.
In der Siedlung gibt es eine Werkstatt, in dem ein Künstler mit den Kindern aus recyceltem Müll Sitzbänke und ähnliches als nutzbare Kunstobjekte für den Innenhof und für die Sozialräume erstellt. Die diplomierte Psychologin und Soziologin Ana-Maria Berger ist mittlerweile Sozialmanagerin, Projektentwicklerin und Mieterbetreuerin nicht nur in der Harzer Straße, sondern auch für die anderen Bestände der „Aachener“ in Berlin.
Begleitet wird das Projekt von dem Verein AspE e.V. (Ambulante sozialpädagogische Erziehungshilfe), der mit begleitenden sozialen Angeboten direkt vor Ort die Bewohner unterstützt. Mit dem Familien-Forum Harzer Kiez (Dreijahresfinanzierung über Aktion Mensch) wurde zudem ein Ort der Begegnung für alle Bewohner des Quartiers geschaffen – mit Elterncafé, Kita, Sprachkursen, Beratungs- und Freizeitangeboten u.v.m.
„Eines unserer Hauptziele ist es, Begegnungen und Dialog zu schaffen und somit Diskriminierung und Vorurteile abzubauen. Inklusion verstehen wir als Lebenseinstellung und setzen uns für gleiches Recht auf Teilhabe in der Gesellschaft für alle ein“, erläutert Daniel Ibraimovic von AspE e.V.
Übertragbarkeit des aufwändigen Vorhabens nach Dortmund als Ziel
Die Experten sind beeindruckt von dem Neuköllner Modell, zumal die Wohnungsgesellschaft für die Modernisierung keinerlei öffentliche Förderung in Anspruch genommen hat.
Auch wenn sich so ein Projekt nicht 1:1 auf Dortmund übertragen lässt, so zeigt es doch sehr überzeugend gangbare Wege auf: „Vor allem der Wille und der Mut der ,Aachener‘ müssen kopiert werden und der Weg entsprechend den Dortmunder Voraussetzungen beschritten werden“, appelliert Tülin Kabis-Staubach.
„Besonders beeindruckend ist, dass die „Aachener“ den Mut hatte, den Neuzuwanderern zunächst konzentriert Wohnraum anzubieten, um damit auch konzentriert und logistisch einfach die sozialen Angebote direkt vor Ort anbieten zu können. So gelang es in relativ kurzer Zeit aufzuzeigen, dass das Problem nicht im geballten Wohnen, sondern an der Not und Ausweglosigkeit der Menschen lag.
Wie dieses Beispiel pointiert belegt, gehen die Probleme im Zusammenleben in der Nachbarschaft und die rassistisch angehauchten Vorurteile und falschen Schuldzuweisungen schnell zurück, wenn die Menschen in guten Verhältnissen leben können, egal woher sie stammen.
Erst dann kommt der nächste Schritt zur Akzeptanz bei Vermietern und Nachbarschaft und zur schrittweisen Integration in verteiltem Wohnen in einzelnen Häusern“, führt sie weiter aus.
Sozial-integrative und unternehmerisch-wirtschaftliche Gesichtspunkte als Einheit
Die Kernbotschaft für andere Städte, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, lautet also, dass die mehr-dimensionale Projektidee sowohl aus sozial-integrativen als auch aus unternehmerisch-wirtschaftlichen Gesichtspunkten sehr gut funktioniert hat.
Seitdem die Neuzuwanderer-Familien in qualitativ gut ausgestatteten und nicht mehr überbelegten Wohnungen wohnen und keinen kriminellen Machenschaften für Beschäftigung ausgeliefert sind, klappt es auch mit den Nachbarn.
Und zwar wohl so überzeugend, dass der ehemals als „Roma-Siedlung“ verrufene Wohnblock mittlerweile als gute Adresse bekannt wurde und die „Aachener“ eine lange Warteliste an Wohninteressierten zu verwalten hat.
Inzwischen werden bei Neuvermietungen in der Harzer Straße nicht mehr nur Neuzuwandererbewerber berücksichtigt. Das Unternehmen bringt sie vielmehr auch in seinen anderen Beständen in verschiedenen Berliner Bezirken unter – ohne nennenswerte Probleme in der Nachbarschaft.
Der Weg zur Normalität ist also bestens angebahnt. Dieser Erfolg hat neben der Senatsverwaltung in Berlin auch die Entscheider des bundesweiten Wettbewerbs „Soziale Stadt“ sehr überzeugt und die „Aachener“ wurde mit großem Lob in 2014 mit dem Preis gekürt. „Mittlerweile ist die Berliner städtische Wohnungsgesellschaft GESOBAU auch offen für das Konzept, wir starten neue Projekte in Kooperation“ berichtet Ana-Maria Berger erfreut.
Forderung: Wohnungsunternehmen und Genossenschaften in die Pflicht nehmen
„Der Zugang zum ,normalen‘ Mietwohnungsmarkt in Dortmund ist für die Neuzuwanderer noch weitestgehend verschlossen. Das gilt es aufzubrechen.“ Rainer Stücker vom Dortmunder Mieterverein sieht hier den Abbau von Vorteilen bei den Vermietern an erster Stelle.
Organisationen wie dem Mieterverein oder sozialen Trägern sind mehr oder weniger die Hände gebunden, da sie bei Schutzmaßnahmen für Neuzuwanderer vor ausbeuterischen Vermietern keine alternativen Wohnmöglichkeiten anbieten können.
Daher werden wie in Berlin auch in Dortmund Stimmen laut, das städtische Wohnungsunternehmen bei der Lösungssuche in die Pflicht zu nehmen. Jedoch scheint hier der Willen der Politik, dies zu unterstützen, (noch) zu fehlen.
Besonders schade fanden die Veranstalter und die Teilnehmer, dass der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Dortmunder Wohnungsgesellschaften trotz Zusage nicht erschien, um an der Podiumsdiskussion teilzunehmen.
Nordstadt-Obmann regt einen Runden Tisch zum Erfahrungsaustausch an
Ubbo De Boer regte einen Runden Tisch mit den Dortmunder Wohnungsunternehmen inklusive der Genossenschaften an, die sich mit der „Aachener“ über deren Erfahrungen austauschen sollten, um damit die Motivation der Eigentümer zu stärken, Neuzuwanderern den Zugang zu Wohnraum zu ermöglichen.
Denn in Dortmund fehlt noch der letzte Schritt: Als vor rund zwei Jahren die städtische Wohnungsgesellschaft DOGEWO21 damit begann, einige der sogenannten Problemhäuser aufzukaufen und (bei einem Objekt in Kooperation mit der Stiftung Soziale Stadt) mit Landesförderung zu sanieren und weitere Eigentümer dem Beispiel der Stadttochter folgten und qualitativen Wohnraum in der Nordstadt schufen, gehörten Neuzuwanderer ausdrücklich nicht zu den Zielgruppen dieser Sanierungsobjekte.
Im Mai 2014 gab es eine vielversprechende Ankündigung der Evangelischen Landeskirche zu einem Wohn- und Beschäftigungsprojekt für Neuzuwanderer in Dortmund – sehr ähnlich dem ‚Aachener’- Konzept. Die Diskutanten hoffen sehr bald von konkreten Umsetzungsschritten zu hören. Herr de Boer kündigte an, direkt bei der Landeskirche nachzufragen.
In Bezug auf die private Wohnungswirtschaft kommt hingegen das Dilemma zum Tragen, dass wegen der fehlenden Arbeitsmöglichkeiten und dem Ausschluss der Neuzuwanderer aus den Sozialsystemen die Mietzahlungen nach wie vor häufig nicht gesichert sind.
„Wohnen plus“: Eine Wohnung alleine reicht nicht – Abbau der Diskriminierungen
Ricarda Erdmann von der AWO wünscht sich, dass Zuwanderung als Normalität endlich akzeptiert wird und auch Neuzuwanderer einen uneingeschränkten Zugang zum „normalen“ Mietwohnungsmarkt erhalten. Die Mehrheitsgesellschaft dürfe das hier sichtbare Ausmaß an Diskriminierung und Ungleichbehandlung nicht hinnehmen.
Oswald Marschall vom Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma richtete zudem einen Appell an die Mehrheitsgesellschaft, auch die in vielen Nachbarschaften anzutreffenden guten Beispiele der Integration von Sinti und Roma zur Kenntnis zu nehmen und bekannt zu machen.
Reiner Staubach vom Planerladen e.V. lobt vor allem die bei diesem Projekt demonstrierte pragmatische Lösungsorientierung. Aus seiner Sicht lassen sich die in Dortmund bereits vorhandenen Projektansätze durchaus in diesem Sinne weiterentwickeln.
Das Neuköllner Projekt liefere hier vor allem ein Referenzbeispiel für eine lokale Willkommenskultur, das den immer noch anzutreffenden negativ-stigmatisierenden Darstellungen über Neuzuwanderung aus Südosteuropa positive Erfahrungen entgegensetzt. Vor allem habe sich hier ganz klar gezeigt: Die Neuzuwanderer waren nicht das Problem, sondern die Vernachlässigung der Häuser durch den früheren Eigentümer.
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Beratungsstelle Westhoffstraße
Beratung für rumänische Arbeitnehmer
Eine Informationsveranstaltung für rumänischsprachige Zuwanderergruppen gibt es am 16. April in der Zeit von 17 bis 18.30 Uhr im Saal der Beratungsstelle Westhoffstraße.
Da wir täglich damit konfrontiert sind, dass besonders die Zuwanderer aus Südosteuropa mit ihrer Arbeitskraft ausgenutzt werden, möchten wir diese Menschen stärken, indem wir sie über Ihre Rechte als Arbeitnehmer oder Selbstständige in der BRD informieren.
Marina Samra (Beratungsstelle Westhoffstraße) konnte für diese Veranstaltung Szabolcs Sepsi (Faire Mobilität) gewinnen, der zunächst referiert; im Anschluss besteht für die Besucher die Möglichkeit, Fragen zu stellen und gemeinsam ins Gespräch zu kommen.
Um die Niedrigschwelligkeit des Angebotes und einen regen Austausch der Zuwanderer mit den Referenten zu gewährleisten, wird die Veranstaltung ausschließlich in rumänischer Sprache und Romanes durchgeführt.