„Everything Belongs To The Future“ – Eine furiose Premiere in Dortmund mit vier außergewöhnlichen Schauspieltalenten

Bérénice Brause, Kevin Wilke, Mario Lopatta
Wie entgeht man einer Entdeckung, Nina – Bérénice Brause, Parker – Kevin Wilke, Alex – Mario Lopatta. Fotos: Birgit Hupfeld

Von Gerd Wüsthoff

Laurie Penny, englische Autorin, Bloggerin und Feministin, hat mit ihrem Roman „Everything Belongs to the Future“ („Alles gehört zur Zukunft“) zwei unterschiedliche Motive in ihrem Stück in Stellung gebracht: eine Dystopie mit einem zugespitzten Klassengegensatz und dagegen die Hoffnung auf Gerechtigkeit als dem sozialen Kern des Menschseins an sich. Der dystopische Blick in eine Zukunft der extremen Klassenunterschiede, liegt bei Penny vielleicht in ihrer britischen Herkunft – immer noch eine geradezu rigide Klassengesellschaft. Die Hoffnung auf Gerechtigkeit hingegen ist eine universelle. Penny kritisiert in ihrem Stück nicht nur eine dystopische Zukunft, sondern auch den aktuellen Neoliberalismus. Die vier jungen DarstellerInnen, haben diesem Bühnenstück genau den Schmiss gegeben, den es brauchte, um unter die Haut zu gehen und füllten das Studio im Schauspielhaus mit ihrer Präsenz aus.

Konspirativ fremdgesteuerte  Systemkritik an einer Zwei-Klassen-Gesellschaft

Bérénice Brause, Frieder Langenberger, Mario Lopatta
Bérénice Brause, Frieder Langenberger, Mario Lopatta

Die vier DarstellerInnen, in ihrem letzten Jahr der Ausbildung (Kunstuniversität Graz) – Bérénice Brause, Mario Lopatta, Kevin Wilke und Frieder Langenberger – spielten jung, frisch und ungestüm, mit Begeisterung für das Spiel an sich. Haben wir die „Geburt von vier neuen Theater-Stars“ gesehen? Sicher!

Dabei geben sie in der Bühnenfassung, Regie von Laura N. Junghanns, (Deutsch von Anne-Kathrin Schulz) den Elan, den man sich bei Jungrevolutionären denkt, aber auch bei den, Dank „The Fix“, ewig Jung-gebliebenen vorstellt. Der Traum eines Jungbrunnen ist ein uralter Traum der Menschheit. Man mag sich kaum eine ewig junge, auch in Teilen, Gesellschaft vorstellen. Man hat unwillkürlich Bilder aus „… Jahr 2022 … die überleben wollen“ (Originaltitel: Soylent Green), 1973, von Regisseur Richard Fleischer, mit Charlton Heston und Edward G. Robinson inszeniert, im Kopf.

Bérénice Brause, Mario Lopatta, Kevin Wilke, Frieder Langenberger
Bérénice Brause, Mario Lopatta, Kevin Wilke, Frieder Langenberger

Penny hat ihre Romanvorlage um eine Art Bombenanschlag mit einem Gegenmittel zu „The Fix“ angelegt. Die zutiefst in eine „die da Oben“ (Superreich) und „die da Unten“ (Arm) gespaltene Gesellschaft wird wie in einem Orwellschen Überwachungsstaat – „1984“ – mit allen Armutsproblemen dargestellt.

Die Revolutionäre sind ein Mikrokosmos in einer aufrührerischen Künstlerkolonie, trotz allem Widerspruchs gegen das System, manipulierte Bauernopfer. Ein Mitbewohner Alex, dargestellt von Lopatta, erscheint zuerst im Rahmen einer Vernehmung. Genau dieser Alex aber wird durch Parker (Wilke) mit „The Fix“ geködert und zum IM, oder V-Mann.

Treibende Kraft der Rebellen ist die impulsiv, radikale Nina (Bause, hervorragend als überzeugte Revolutionärin). Sie hält die revoltierende Künstlerkolonie am Leben und auf Trab. Sie ist es schließlich, die Dave (Langenberger) in der Kolonie zulässt und ihn ein Gegenmittel zu „The Fix“ im Keller entwickeln lässt. Die Homosexualität von Dave wird zu Beginn deutlich, als er seine Zweifel äußert – er hadert mit dem Verlust von Saladin Hasan, der nach einer Koran Lesung inhaftiert wurde. Eine Kritik von Penny an der aktuell grassierenden Islam-Phobie. Mit seiner Systemkritik aber wird Dave immer authentischer und schließlich selbst ein Revolutionär.

Konsumenten-Ohnmacht in einer neoliberal automatisierten Welt

Mario Lopatta und Cynthia
Mario Lopatta und Cynthia

Alex hingegen sucht sein Auskommen mit dem Establishment und plant dabei ein gemeinsames Leben mit Nina. Das hindert ihn allerdings nicht daran, Dave bezirzend, endgültig zu seinem Wechsel im System zu überzeugen.

Auch Alex hat Zweifel an seiner Kooperation mit Parker, dem Chef von „TeamThreeHundred“, der ihn aber bei seinem Egoismus packt und endgültig auf seine Seite zieht. Die grotesk wirkenden Versuche von Alex, über den Computer Cynthia Kontakt mit Parker aufzunehmen, machen unsere heutige Konsumenten-Ohnmacht in einer neoliberal automatisierten Welt deutlich – Konsument trifft auf Sprachcomputer, oder Milchstraße, Andromeda bitte kommen.

Dave, als immer überzeugender wirkender Gegenentwurf zu Alex, wird schließlich selber das Gegenmittel zu „The Fix“ zünden, bei dem Unbeteiligte sterben. Das Gegenmittel soll den Nutzern von „The Fix“ ihren „Jugendvorteil“ nehmen und sie auf das „Normalmaß“ zurücksetzen. Denn mit Fix bleibt man in dem Alter, in dem man beginnt es einzunehmen.

Dave und Parker, jetzt 98, aber immer noch im Körper von 25-jährigen, lancierten „The Fix“, ursprünglich mit Hasan, vor 70 Jahren. Hasan erscheint im Stück als der ehemalige Liebhaber, oder gewollte, von Dave. Seine Haft und damit der Verlust, lösen den Konflikt mit dem geschaffenen System bei Dave aus. Dies wird gleich zu Beginn deutlich, wenn Dave und Parker sich während des 70-jährigen Jubiläums von „The Fix“ handgreiflich streiten.

Bühnenbild und Kostüme zu verhalten für die Arm-Reich-Jung -Alt-Schere

Frieder Langenberger, Mario Lopatta
Frieder Langenberger, Mario Lopatta

Das Bühnenbild von Maria Eberhardt lässt über sich öffnende Bühnenwände das elitär überhöhte Party-Geschehen der Jubiläumsfeier direkt sehen.

Die Einrichtung der Kommune hätte gerne auch „trashiger“ sein dürfen. Allerdings hätte Natalia Nordheimer bei den Kostümen ruhig mutiger sein dürfen, denn mit „The Fix“ geht es auch um den geradezu faschistoiden Jugendwahn unserer und eventuell einer zukünftigen, insbesondere der von Penny gezeigten Gesellschaft.

Während man in der Revoluzzer-Kommune „normal“ gekleidet ist, trägt man auf der Party von Parker griechisch-römische Kostüme. Bei Alex geradezu schamhaft aufreizend, bei Dave und Parker zu keusch, vielleicht ihrem wahren Alter entsprechend, verhüllt. Die Kostüme stammen von Natalia Nordheimer . Das Dave ohne „The Fix“ ein authentischeres Leben geführt haben könnte, spürt man in seinem Streit mit Parker deutlich. Seine Sehnsucht danach bringt ihn schließlich glaubhaft in die Revoluzzer Kommune.

Mario Lopatta, Bérénice Brause
Mario Lopatta, Bérénice Brause

Der gescheiterte Egoismus von Alex wird am Ende überdeutlich. Alex steht hier stellvertretend für die Überreichen mit „The Fix“, die von den „Umständen“ gezwungen in einer „Gated Community“ ihr „Dasein“ luxuriös fristen müssen. Alex hat seine Liebe verloren. Nina ist gealtert, will nichts mehr von ihm, dem Verräter, wissen.

Er ist nun jung und reich, nicht mehr das, was sie in ihm, jetzt enttäuscht, sah. Aber das System der Unterdrückung scheint bestehen geblieben zu sein. Die Trennung zwischen Arm und Reich, die jung und schön bleiben können, derzeit „noch“ nur durch Schönheits-Operationen erreichbar, bleibt bestehen. Eine Trennung der Gesellschaft, die sich seit der Einführung des Neoliberalismus immer weiter verstärkt und undemokratische Ideen als Lösungsansatz in aller Welt, Dystopien befördert.

Die vier Studierenden der Kunstuniversität Graz, begeisterten mit jugendlicher Frische und arbeiten derzeit in Dortmund. Sie schließen hier ihr letztes Jahr ab. Nach „Everything Belongs to the Future“ sind sie Teil der Produktion „Tartuffe“.

Weitere Informationen:

  • Die Darsteller: Nina: Bérénice Brause, Alex: Mario Lopatta, Parker: Kevin Wilke, Dave: Frieder Langenberger,
  • Regie: Laura N. Junghanns
  • Bühne: Maria Eberhardt
  • Kostüme: Natalia Nordheimer
  • Musik: Sonae
  • Dramaturgie: Dirk Baumann
  • Licht: Stefan Gimbel
  • Ton: Chris Sauer
  • Regieassistenz / Inspizienz: Hannah Koester
  • Ausstattungsassistenz: Svea Schiemann
  • Soufflage: Ruth Ziegler

Vorführungen im Studio Schauspielhaus Dortmund: Beginn jeweils 20 Uhr

  • Samstag, 20. Oktober 2018
  • Samstag, 27. Oktober 2018
  • Samstag 3. November 2018
  • Samstag, 17. November 2018
  • Sonntag, 25. November 2018
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