„Europa – ich wähle Dich: 40 Jahre Europawahl“ – Debatte über die Beziehung zwischen Europa und seinen WählerInnen

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Europa-Debatte, (v.l.:) Ralph Sina, Nora Varga, Martin Loberg und Ines Soldwisch. Fotos: Anna-Sophia Backhaus

Von Anna Lena Samborski

Vor 40 Jahren fanden zum ersten Mal die Direktwahlen des europäischen Parlamentes statt. Wie nahmen die Menschen damals diese Möglichkeit zur politischen Teilhabe auf europäischer Ebene wahr? Wie haben sich die Befugnisse des Europaparlamentes seitdem verändert? Und wie stehen heute gerade junge Menschen zu Europa und der Europäischen Union? Im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung des Informationszentrums Europe Direct Dortmund und der Auslandsgesellschaft e.V. widmeten sich Erstwählerin Nora Vagen, Martin Loberg (Geschäftsführer der Auslandsgesellschaft) und die Historikerin Dr. Ines Soldwisch (RWTH Aachen) diesen Fragen. Alle Beteiligten sprachen sich außerdem für ein vereinigtes Europa mit seinen demokratischen Grundwerten aus und riefen alle WählerInnen demokratischer Parteien zum Gang an die Wahlurne am 26. Mai auf.

Diskussionen rund um Europa im Dortmunder Rathaus

Die Diskussionsveranstaltung fand unter dem Titel „Europa – ich wähle Dich: 40 Jahre Europawahl“ am Dienstagabend im Dortmunder Rathaus statt. Zur Eröffnung begrüßten Bürgermeisterin Birgit Jörder und Klaus Wegener als Präsident der Auslandsgesellschaft das Publikum.

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In einem weiteren Programmpunkt stellte Dirk Schubert von Europe Direct Dortmund das Projekt „Deine Stimme – dein Europa“ vor, bei dem sich Jugendliche auf kreative Weise mit europäischen Themen auseinandersetzen. Die entstandenen Songs, Filme, Theaterstücke und Poetry Slam Texte werden am 12. Mai im Fritz-Henßler-Haus vorgestellt.

Die anschließende Diskussion wurde von Ralph Sina, ARD/WDR-Korrespondent in Brüssel, moderiert. Durch das Fish-Bowl-Format wurden außerdem vereinzelte Impulse aus dem Publikum in die Diskussion eingebracht. Wie der Veranstaltungstitel bereits vermuten lässt, lag der Fokus auf dem persönlichen Bezug von Nora Vagen als Erstwählerin und Martin Loberg, der 1979 bereits dabei war, zu Europa und den Europawahlen.

Dr. Indes Soldwisch konnte viele Aspekte mit wissenschaftlichen Fakten untermauern. Auch Ralph Sina selbst verstand es, sich durch kleinere und größere Brexit-Anekdoten aus Brüssel inhaltlich einzubringen.

Martin Loberg: Ein Zeitzeuge einer wenig spektakulären ersten Europawahl

1979 befindet sich Loberg im ersten Studienjahr. Bei dem Gedanken an das Zeitgeschehen kämen ihm Schmidts Kanzlerschaft, Chomeinis Rückkehr in den Iran und die Friedensbewegung in den Sinn. Die Europawahl spielte in seiner Erinnerung allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Diese sei eher als Symbolpolitik empfunden worden, zumal das Europaparlament zu dem Zeitpunkt nahezu keine rechtlich bindenden Befugnisse hatte. Trotzdem ist er seinerzeit zur Wahl gegangen, da ihm schon alleine die Möglichkeit dazu, auch mit Blick auf die DDR, als großes Privileg erschien.

Die Bedeutung der Europawahlen ist für Loberg durch die schrittweise Erweiterung der Befugnisse des Europäischen Parlamentes gestiegen. Heute führt er mit Jugendlichen bildungspolitische Besuche in Brüssel und Straßburg durch. Schon alleine bei der Betrachtung der Dolmetscherkabinen werde dabei vielen Teilnehmenden schlagartig die Komplexität des Unterfangens EU mit 27 beteiligten Nationalstaaten und der Vielfalt verschiedener Sprachen bewusst, so Loberg.

Trotz all der Widrigkeiten lohnt sich der Aufwand in seinen Augen: denn durch die enge Zusammenarbeit der europäischen Staaten würde der Frieden in Europa garantiert. Allgemein glaube er in unserer heutigen Zeit nicht mehr an nationale Lösungen. Daher setze sich die Auslandsgesellschaft aktiv für eine Beibehaltung der Europäischen Union ein.

Nora Varga: Erstwählerin wünscht sich einen stärkeren Fokus auf Themen junger Menschen

Nora Varga: die Jugend ist gespalten
Nora Varga: die Jugend ist gespalten

Nora Varga ist Schülerin am Städtischen Gymnasium Bergkamen und wird im Mai zum ersten Mal ihre Stimme bei den Europawahlen abgeben. Sie gehört zur Generation, die mit allen Annehmlichkeiten eines vereinigten Europas aufgewachsen ist. Viele junge Menschen empfänden die Reisefreiheit, den Euro und den europäischen Frieden als selbstverständlich, sagt sie.

Wenig überraschend ist daher für sie, dass ihrer Generation teilweise das Bewusstsein dafür fehlt, wo im Alltag überall EU drin steckt. Auf der anderen Seite seien sich aber auch viele darüber im Klaren, dass Europa nun in den Zeiten des Brexit an einem Scheideweg stehe.

Trotz mangelnder Informationen über die EU sei deren Präsenz in letzter Zeit in sozialen Medien mit Themen, die für junge Menschen relevant sind, gestiegen – wie zuletzt durch die Debatte zur Erneuerung des Urheberrechts ersichtlich wurde. Die diesbezügliche EU-Abstimmung habe sie mit ihrem Freundeskreis live im Internet verfolgt.

Unterschiedliche Einstellungen zur EU bei jüngeren Leuten

Die Reaktionen auf das Ergebnis waren unterschiedlich: die Einen fühlten sich resigniert und das Gefühl, die eigene Stimme zähle nicht, habe sich verfestigt. Andere seien euphorisiert durch die Aufmerksamkeit, die ihre Protestbewegung erhalten habe.

Auch Varga ist von der Idee eines vereinigten Europas mit seiner friedensstiftenden Wirkung und den alltäglichen Annehmlichkeiten überzeugt. Sie wünscht sich allerdings von der EU einen stärkeren Fokus auf Themen und Bedürfnisse der jungen Generation wie Klimawandel und Digitalisierung. Und appelliert: die EU müsse sich so für die Jugend greifbarer und nahbarer machen, um für Europa zu begeistern.

Denn auch Varga sieht die Steigerung der Wahlbeteiligung unter demokratisch gesinnten WählerInnen als wirksames Mittel gegen den erstarkenden Rechtspopulismus mit seiner oft EU-kritischen Haltung.

Geschichte des europäischen Parlamentes: von beratender Funktion zur Mitbestimmung

Dr. Ines Soldwisch
Dr. Ines Soldwisch

Dr. Ines Soldwisch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am historischen Institut der RTWH Aachen und Expertin für die Geschichte des Europäischen Parlamentes. Im Laufe der Diskussion stellte sie dessen Entwicklung seit den ersten Europawahlen in einem kurzen Abriss dar.

1979 verfügte das Parlament noch, wie auch Loberg erklärte, lediglich über beratende Funktionen. In mehreren Schritten – vor allem durch die Einheitliche Europäische Akte Mitte der Achtziger und den Vertrag von Maastrich 1992 – wurden die Kompetenzen erweitert.

Heute ist das Parlament bei dem Beschluss über Gesetzesentwürfe gegenüber dem Rat gleichberechtigt und kann durch sein Initiativrecht die Kommission zur Vorlage neuer Entwürfe aktiv anregen. Auch Soldwisch sieht in der stetig sinkenden Wahlbeteiligung seit 1979 ein Problem – der Grund: vor allem WählerInnen der etablierten Parteien gingen erfahrungsgemäß nicht wählen. Das hat Konsequenzen.

Geringe Wahlbeteiligung bei EU-Wahl führt zur Stärkung der rechtspopulistischen Parteien

Der längste Wahlzettel ist der für die Europawahl.
Im Mai ist es wieder soweit.

Denn dies würde den erstarkenden rechtspopulistischen und oft EU-kritischen Parteien, die zum Teil das erste Mal zur Wahl antreten, in die Hände spielen. Ein Zusammenschluss der nationalen Rechten zu einer Fraktion bedeute mehr Redezeit und Finanzmittel. Für Soldwisch besteht sogar die Gefahr, dass die Rechten nicht mehr überstimmt werden können.

Aus ihrer Sicht ist ein Grund für die geringe Wahlbeteiligung, dass das Europaparlament es in 40 Jahren nicht geschafft hat „zu den Bürgern zu kommen“. Dabei liege ein Großteil des Versäumnisses aber auch bei diesen selbst.

Das Argument der mangelnden Informationsangebote von Seiten der EU ist für die Historikerin nicht haltbar. Es sei aber schließlich auch an den BürgerInnen selbst, sich aktiv zu informieren. Des Weiteren nimmt Soldwisch die etablierten Medien in die Pflicht: Nachrichten zu europäischen Themen seien hier gegenüber nationalen deutlich unterrepräsentiert.

Weitere Informationen:

  • Programm Auslandsgesellschaft, 1. Halbjahr 2019; hier
  • Weitere Veranstaltungen von Europe Direct Dortmund zur Europawahl; hier:

 

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Reaktionen

  1. Online-Veranstaltung „Die große Lücke der EU – Beitrittsperspektiven auf dem Westbalkan“ am 13.09. um 19 Uhr (PM EDIC)

    Nordmazedonien, Albanien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Serbien und Kosovo – grundsätzlich steht die Tür der Europäischen Union auch für die Staaten des Westbalkans offen. Doch hereingelassen wurde bislang keiner davon. Auf mehreren EU-Westbalkan-Gipfeln wird zum Teil seit zwei Jahrzehnten um die Beitrittsperspektiven gerungen. Fünf der Länder verfügen schon über den Status „EU-Beitrittskandidat“, Verhandlungen laufen bereits mit Serbien und Montenegro, Kosovo gilt bis dato nur als „potenzieller Beitrittskandidat“.

    Der sehr schleppende Prozess des Beitritts sorgt seitdem auf dem Westbalkan für immer mehr Unmut. Auch dass die Ukraine sowie Moldau – berechtigterweise, jedoch verhältnismäßig schnell – den Kandidatenstatus verliehen bekamen, ohne dass ein klarer Fahrplan für die Beitrittsverhandlungen der Westbalkan-Staaten im Raum steht, hat die Stimmung nicht verbessert.

    Alle sechs Staaten zusammen haben lediglich rund 20 Millionen Einwohner. Doch ihre Bedeutung für die EU ist auch geopolitischer Natur. Denn Staaten, die die Konfrontation mit der Europäischen Union suchen, nehmen über den Westbalkan Einfluss. Russland beispielsweise in Serbien, aber auch China unter anderem in Montenegro. Klar ist: Ein endgültiger EU-Beitritt des Westbalkans würde Einigkeit in Europa demonstrieren und eine große Lücke der Europäischen Union schließen.

    Doch wie realistisch ist dieser Schritt in den kommenden Jahren wirklich? Welche Herausforderungen bleiben? Und wie ist die Stimmung in der Bevölkerung des Westbalkans?

    Über diese Fragen sprechen wir mit Dr. Vedran Dzihic, Senior Researcher am Österreichischen Institut für Internationale Politik und Lektor an der Universität Wien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören: Demokratietheorie und Demokratisierungsprozesse, Europäische Integration, Konfliktforschung, Zivilgesellschaft und Protestbewegungen, Außenpolitik und Nationalismus. Sein regionaler Fokus liegt auf Ost- und Südosteuropa mit besonderem Schwerpunkt auf dem Balkan.

    Moderiert wird die Veranstaltung von Cassandra Speer. Die Veranstaltung findet am 13.09. um 19 Uhr als Videokonferenz über Zoom statt. Mehr Infos & Zugangslink: https://www.europe-direct-dortmund.de/event/die-grosse-luecke-der-eu-beitrittsperspektiven-auf-dem-westbalkan/

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