Von Heike Becker-Sander
Erst wird Fieber gemessen, dann werden die Hände desinfiziert. Kontaktdaten müssen in Vordrucke eingetragen werden. Und, nicht vergessen: Maske auf! Irgendwie stellt man sich den Empfang in einem Bordell anders vor. Doch in der Linienstraße in der Nordstadt und den übrigen Dortmunder Bordellbetrieben ist es wie überall: In Corona-Zeiten gelten besondere Regeln – ohne Ausnahme. Für die Gäste im Bordell geht’s erst zur Sache, wenn die Sicherheits- und Hygieneauflagen penibel erfüllt sind.
Nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster das Verbot von sexuellen Dienstleistungen in der Corona-Schutzverordnung des Landes NRW gekippt hat, sind auch in der Westfalenmetropole die ersten Bordelle wieder geöffnet und die Sexarbeit in den dafür angemeldeten Wohnungen ist ebenfalls möglich.
Gerichtsentscheid kam plötzlich und sorgte für Verwirrung – Sexarbeiterinnen erleichtert: „Endlich ist dieser Albtraum vorbei!“
„Die Entscheidung aus Münster kam ziemlich unerwartet“, berichtet Silvia Vorhauer, Sozialarbeiterin bei der Dortmunder Mitternachtsmission. „Keiner wusste so genau, was dieses Urteil bedeutet, selbst bei der Stadt wurde um etwas Geduld gebeten, weil man den genauen Urteilstext noch nicht kannte.“ Auch die Fachberatungsstelle, die sich um die Belange der Prostituierten in der Stadt kümmert, holte sich erst einmal juristischen Rat, um zu verstehen, was denn nun im Bereich Sexarbeit wieder erlaubt ist – und was nicht. Inzwischen sind die roten Lichter im Großteil der Linienstraße und in den meisten anderen Betrieben wieder angegangen.
Für die Frauen brachte der Gerichtsentscheid das Ende eines sechsmonatigen Berufsverbots. „Endlich ist dieser Albtraum vorbei!“ und: „Endlich hab‘ ich mein Leben wieder zurück!“ So kommentierten Prostituierte die Aussicht, endlich wieder arbeiten zu können. Silvia Vorhauer: „Eine der älteren Frauen, die schon lange in diesem Bereich arbeitet, sagte mir wörtlich: ‚Das war die schlimmste Zeit meines Lebens‘.“
Natürlich gibt es nach den langen Monaten ohne Arbeit oder mit Aushilfsjobs bei vielen Betroffenen jede Menge Sorgen. „Viele Frauen sind zum Beispiel verschuldet, haben sich Geld borgen müssen, das nun zurückgezahlt werden muss,“ erzählt die Sozialarbeiterin. Der Beratungsbedarf in der Mitternachtsmission für die Frauen, die in der Bordellstraße, in Clubs und Wohnungen arbeiten, ist seit Beginn der Corona-Verordnungen eklatant gestiegen. „Wir hatten allein in einer Woche 80 Beratungen. Sonst sind es knapp 400 im ganzen Jahr.“
Noch nicht alle Frauen sind wieder zurück – aber die Stammgäste warten schon
Einige Prostituierte sind auch noch nicht wieder zur Arbeit zurückgekehrt. Aus den verschiedensten Gründen. „Die Frauen warten erst einmal ab, wie sich die Lage entwickelt“, erklärt Sandra (35), die seit mehreren Jahren in Dortmund in einem Bordellbetrieb arbeitet. „Das ganze hin und her in den letzten Monaten hat doch viele stark verunsichert.“
Hinzu komme, dass einige auch psychisch am Ende seien. „Diese Existenzängste und die Geldnöte haben die Frauen fertig gemacht.“ Einige müssen auch erst wieder ihre Papiere in Ordnung bringen, bevor sie arbeiten können, zum Beispiel die Ausweise verlängern lassen, die das Prostituiertenschutzgesetz vorschreibt.
Auch Sandra selbst will noch etwas abwarten und erst einmal ihren Aushilfsjob, den ihr die Job-Agentur vermittelt hat, ordentlich zu Ende bringen. „Aber die Stammgäste warten schon“, erzählt sie. „Die ersten haben sich einen Tag nach dem OVG-Urteil gemeldet und wollten möglichst sofort vorbeikommen.“
Konsequentes Handeln: Wer die Auflagen verweigert, muss wieder gehen
Derweil werden auch an der Linienstraße die ersten Erfahrungen mit den Corona-Auflagen im Bordellbetrieb gemacht. „Das muss alles noch anlaufen“, meint eine der Wirtschafterinnen, die sich in den Häusern um nahezu alles kümmern. Bisher gab’s aber keine Schwierigkeiten. Die meisten Männer respektieren die geforderten Maßnahmen – einige auch nicht. „Wer sich verweigert, keine Maske tragen will oder die Kontaktdaten nicht ausfüllen möchte, muss wieder gehen. Ausnahmen gibt es nicht!“ Schließlich müssten nicht nur die Gäste, sondern auch die Frauen geschützt werden.
Erste Kontrollen der städtischen Ämter haben bereits stattgefunden. Ergebnis: keine Beanstandungen!
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Christian
Habe noch nie eine bessere Dokumentation zum Thema Prostitution gesehen: 3sat-Doku vom 4. März 2021: „Prostitution: Kein Job wie jeder andere“
lg