378 Gedenksteine erinnern an Schicksale aus der NS-Zeit

Erinnerung an Holocaust-Opfer: Die Stadt Dortmund bekommt acht weitere Stolpersteine

Die Auszubildenden der Dortmunder Friedhöfe haben die Stolpersteinverlegung, gemeinsam mit dem Jugendring Dortmund durchgeführt.
Die Auszubildenden der Dortmunder Friedhöfe haben die Stolpersteinverlegung, gemeinsam mit dem Jugendring Dortmund durchgeführt. Foto: Chimène Goudjinou

„Julius Meyer, Erna Meyer, Fred Gustav Meyer und Werner Meyer“ das sind die Inschriften der vier Stolpersteine. Auszubildende der Dortmunder Friedhöfe haben die Stolpersteine auf dem Heiligen Weg verlegt. Diese sollen an Familie Meyer erinnern, eine jüdische Familie, die im Zuge des Holocausts ermordet wurde. Sie haben gelebt, wo heute der Parkplatz des Stadtgymnasiums ist.

Noch keine Stolpersteine für Familie Meyer

Die vier Stolpersteine für Familie Meyer liegen auf dem Heiligen Weg.
Die vier Stolpersteine für Familie Meyer liegen auf dem Heiligen Weg. Foto: Chimène Goudjinou

Zwischen den Steinplatten des Heiligen Wegs machen die Auszubildenden der Dortmunder Friedhöfe eine Stelle für die vier goldschimmernden Stolpersteine frei.

Sie messen das letzte Mal die freie Stelle ab. Wo heute der Parkplatz des Stadtgymnasiums ist, standen einst Häuser am Heiligen Weg. In einem der Häuser lebte Familie Meyer. ___STEADY_PAYWALL___

„Im Juli 2019 sah ich einen Film in der Steinwache. Anlass war die Stolpersteinverlegung der Familie Eisenstein, die mit Familie Meyer verwandt ist. Julius Meyer wurde im Garten gezeigt, unbeschwert, lachend, er badete.

Heike Wulf (rechts), Vorsitzende im Verein für Kunst und Kultur im Kaiserviertel e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht für Familie Meyer Stolpersteine zu organisieren.
Heike Wulf (rechts), Vorsitzende im Verein Kunst und Kultur im Kaiserviertel e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, für Familie Meyer Stolpersteine zu organisieren. Foto: Chimène Goudjinou

Gleich nach der Veranstaltung bin ich zum Heiligen Weg gefahren und habe gesehen, dass es dort noch keine Stolpersteine gibt“, sagt Heike Wulf, Vorsitzende im Verein Kunst und Kultur im Kaiserviertel e.V..

Direkt hat Wulf sich an die Aufgabe gemacht, Stolpersteine für Familie Meyer zu organisieren. Sie hat Aktenzeichen im Stadtarchiv eingeholt, Pat:innen für die Stolpersteine gesucht und zum Schluss einen Termin für die Verlegung festgemacht.

Familie Meyer: „Sie waren Bürger wie du und ich“

Der Rabbiner Avigdor Moshe Nosikov stellt sich vor die Stolpersteine und spricht ein Gebet.
Der Rabbiner Avigdor Moshe Nosikov stellt sich vor die Stolpersteine und spricht ein Gebet. Foto: Chimène Goudjinou

Der Rabbiner Avigdor Moshe Nosikov stellt sich vor die Stolpersteine und spricht ein Gebet. Familie Meyer bestand aus Vater Julius, Mutter Erna und den Kindern Fred Gustav und Werner.

Die Eltern schickten ihre Kinder nach England und blieben in Deutschland, wo sie im Holocaust ermordet wurden. „Es hieß, sie hatten keine Angst“, sagt Wulf.

Die Pat:innen der Stolpersteine zünden Kerzen an und legen Rosen nieder.
Die Pat:innen der Stolpersteine zünden Kerzen an und legen Rosen nieder. Chimène Goudjinou | Nordstadtblogger

Julius Meyer betrieb in Dortmund eine Kurzwaren-Großhandlung. 1938 musste Julius Meyer sein Geschäft aufgrund der antisemitischen Politik aufgeben. Über das, was seine Frau Erna oder Kinder Fred und Werner gemacht haben, ist nichts belegt.

„Muss es ja auch nicht. Sie waren Bürger wie du und ich. Die gearbeitet haben, die den ersten Weltkrieg erlebt haben, die Kinder bekommen haben, die Freude am wachsenden Dortmund hatten, was die Filme belegen, die uns hier hingeführt haben“, sagt Wulf.

Patenschaften für die Stolpersteine der Familie Meyer

Die Pat:innen der Stolpersteine zünden Kerzen an und legen Rosen nieder.
Die Pat:innen der Stolpersteine zünden Kerzen an und legen Rosen nieder. Foto: Chimène Goudjinou

Nachdem Gebet des Rabbiners zünden die Pat:innen der Stolpersteine Kerzen an und legen Rosen nieder. „Die Verlegung musste auch bezahlt werden und ich freue mich, hier alle Paten vor Ort zu haben, für die es eine Ehre ist, diese Patenschaft zu übernehmen“, sagt Wulf.

Die Patenschaft für den Stein von Julius Meyer übernehmen Birgit Lindstedt, Projektmanagerin des Kinderhospiz, Annette Kritzler, Mitgründerin der Borsigplatzverführungen und Heike Wulf.

Volkan Baran, Landtagsabgeordneter der SPD steht Pate für Werner Meyer.
Volkan Baran, Landtagsabgeordneter der SPD, steht Pate für Werner Meyer. Foto: Chimène Goudjinou

Als Paten für Erna Meyers Stein stehen, der Verein Kunst und Kultur im Kaiserviertel e.V. mit einer zweckgebundenen Spende von Bettina Gau. Die Nachbarschaftsinitiative Ka!sern übernimmt die Patenschaft für Fred Gustavs Stein.

Volkan Baran, Landtagsabgeordneter der SPD steht Pate für Werner Meyer. Die Anwesenden legen daraufhin eine Schweigeminute für Familie Meyer und alle Jüdinnen und Juden, die während der Pogrome umgekommen sind ein. Zum Schluss löschen die Pat:innen die Kerzen, als Zeichen die Verstorbenen gehen zu lassen.

Ein Stolperstein für Ernst Löwenstein: Opfer des Euthanasie-Programms

Die Auszubildenden der Dortmunder Friedhöfe verlegen auf der Marsbruchstraße, vor der Zufahrt zur LWL Klinik in Aplerbeck einen Stolperstein. Foto: Chimène Goudjinou

Einige Stunden später verlegten die Auszubildenden der Dortmunder Friedhöfe gemeinsam mit dem Jugendring Dortmund acht weitere Stolpersteine in Dortmund.

Einen der Steine auf der Marsbruchstraße vor der Zufahrt zur LWL-Klinik in Aplerbeck. Dieser Stein ist für Ernst Löwenstein, ein ehemaliger Patient der Provinzial-Heilanstalt Aplerbeck.

Am 21. September 1940 wurde er mit vier weiteren Aplerbecker Patienten in die Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf bei Hannover verlegt.

Der Stolperstein ist für Ernst Löwenstein, ein ehemaliger Patient der Provinzial-Heilanstalt Aplerbeck.
Der Stolperstein ist für Ernst Löwenstein, ein ehemaliger Patient der Provinzial-Heilanstalt Aplerbeck. Chimène Goudjinou | Nordstadtblogger

Er gehörte zu den 158 psychisch Kranken jüdischer Abstammung, die dort im September 1940 gesammelt und dann am 27. des Monats zum Zuchthaus Brandenburg transportiert wurden.

Am selben Tag wurden sie von den Nationalsozialisten in den Gaskammern getötet. Die Patientenakte von Ernst Löwenstein wurde noch während des Weltkrieges bewusst vernichtet, um die Spuren des Verbrechens zu verwischen.

Durch Stolpersteine wird Gedenken in den Alltag der Menschen gerückt

Rabbiner Avigdor Moshe Nosikov steht vor dem Stolperstein für Ernst Löwenstein und spricht ein Gebet.
Rabbiner Avigdor Moshe Nosikov steht vor dem Stolperstein für Ernst Löwenstein und spricht ein Gebet. Foto: Chimène Goudjinou

Auf dem Klinikgelände gibt es ein Mahnmal zur Erinnerung an die Euthanasie-Opfer. Doch enthält dieses Mahnmal keine Namen der Opfer. „Deshalb ist er für die persönliche Erinnerung nicht so sehr geeignet“, sagt Klaus Winter, der die Patenschaft für den Löwenstein-Stolperstein übernommen hat.

Koordiniert werden die Stolpersteinverlegungen in Dortmund von der Arbeitsstelle Zukunft braucht Erinnerung des Jugendring Dortmund mit Unterstützung des Stadtarchivs Dortmund. Die Idee für einen neuen Stolperstein kommt von Gruppen oder Einzelpersonen, welche die Patenschaft für den Stolperstein übernehmen.

Stolpersteinpat:innen stellen die Finanzierung sicher und geben der Verlegung einen würdigen Rahmen. „Sie setzen sich für eine aktive Erinnerungskultur ein und tragen dazu bei, dass das Gedenken in den Alltag der Menschen gerückt wird“, sagt Fabian Karstens, der die Erinnerungsarbeit des Jugendring Dortmund koordiniert.

„Wir hoffen, dass noch viele weitere Stolpersteine kommen“

Künstler Guntar Demnig mit dem Stolperstein für Bertha Wolf. (Archivbild) Paulina Bermúdez | Nordstadtblogger

In Dortmund konnten mit Hilfe des Künstlers Gunter Demnig bereits 370 Menschen vor dem Vergessen bewahrt werden.

Demnig hat vor 30 Jahren das Projekt der Stolpersteine entwickelt und ins Leben gerufen. „Wir hoffen, dass noch viele weitere Stolpersteine kommen“, sagt Winter.

Darauf entgegnet Jan Gravert, Bezirksbürgermeister von Aplerbeck: „Ich kann garantieren, dass der Stolperstein für Ernst Löwenstein nicht der letzte Stolperstein in Aplerbeck sein wird.“

Info:

Interessent:innen für die Übernahme einer Stolpersteinpatenschaft können sich bei der Arbeitsstelle Zukunft braucht Erinnerung des Jugendring Dortmund melden.

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