Von Klaus Winter
Hertha Hoffmann war eine bemerkenswerte Frau, die in Dortmund fast vergessen war. In Erinnerung blieb nur, dass sie 1919 eine Spedition an der Märkischen Straße gründete und Mitbegründerin verschiedener Dortmunder Frauenverbände war. Daran erinnert auch die Bezirksvertretung der Innenstadt-Ost, die nach der Dortmunder Jüdin, die 1933 von den Nazis ihres Vermögens beraubt und Deutschland mittellos verlassen musste, erinnert. Sie ist eine von vier jüdischen Namensgeber*innen, nach denen die neuen Straßen im Kronprinzenviertel benannt wurden. Ihre besondere Rolle, also Pionierin in der Automobilbranche – und das noch als Frau – geriet nahezu völlig in Vergessenheit. Für die Automobil-Ausgabe der „Heimat Dortmund“ hat Nordstadtblogger Klaus Winter ihre Lebensgeschichte und ihre Rolle als Automobil-Unternehmerin erforscht, die wir hier wiedergeben.
Herkunft und früher Lebenslauf von Hertha Hoffmann, die Hörde geboren wird
Hertha Hoffmann wurde am 27. Juni 1892 in Hörde als Tochter des Kaufmanns Max Hoffmann und seiner Ehefrau Henriette geb. Heymann geboren. In ihrer Heimatstadt besuchte sie zunächst die achtklassige Volksschule. Mit der Erlangung des Volksschulabschlusses endete ihre Schullaufbahn jedoch nicht, denn durch Privatunterricht wurde sie auf den Besuch der einjährigen Mittleren Handelsschule in der Nachbarstadt Dortmund vorbereitet. Während dieser Zeit belegte sie zusätzlich Kurse in Sprachen und Literatur.
Ab 1910 stand Hertha Hoffmann im Berufsleben, und bis 1919 fand sie mehrere Anstellungen in Dortmund: Sie war Kontoristin, Korrespondentin und Buchhalterin bei den Architekten Schmidtmann & Klemp, bei der Fa. Wiemer & Trachte, Eisenbeton-Bauten, und bei dem Architekten Carl von Ladiges. Die Fa. Gebrüder Kaufmann beschäftigte sie als Büro-Vorsteherin und die Deutsch-Luxemburgische Bergwerks Hütten A. G, Abteilung Dortmunder Union, als Einkäuferin und Abteilungsleiterin.
Im November 1918, der Erste Weltkrieg war gerade beendet, wurde sie von den Belegschaften der der Deutsch Luxemburgischen Bergwerks Hütten A. G. angeschlossenen Werken gewählt, um die Interessen der Arbeiterschaft gegenüber der Dortmunder Union zu vertreten. Zur Verbesserungen der Arbeits- und Sozialbedingungen der Arbeiter und Angestellten arbeitete sie mit dem damaligen Staatskommissar Ernst Mehlich zusammen.
Außerdem war die äußerst rege Frau auch Mitbegründerin und Vorstandsmitglied der Dortmunder Ortsgruppe des Kaufmännischen Verbandes für weibliche Angestellte, Vorstandsmitglied im Frauenstimmrechts-Verband, Ortsgruppe Dortmund, Mitbegründerin und Vorstandsmitglied im Dortmunder Volkshochschul-Verein sowie Vorstandsmitglied des Jüdischen Frauen-Bundes, Dortmund.
Die Unternehmerin Hertha Hoffmann – Sprung in die berufliche Selbständigkeit im Alter von 27 Jahren
1919, im Alter von 27 Jahren wagte Hertha Hoffmann den Sprung in die berufliche Selbständigkeit. Die Frage, welches ihre Beweggründe dafür waren, sich in der schwierigen Nachkriegszeit der Automobilbranche zuzuwenden, muss unbeantwortet bleiben. Jedenfalls war sie die erste Dortmunderin, die sich im Automobilwesen selbständig machte.
Ihr Unternehmen firmierte zunächst „H. Hoffmann, Handelskontor, Dortmund“ und hatte seinen Sitz am Königswall. Am 4. Oktober 1922 wurde dann die „H. Hoffmann Kraftwagen-Bereifungen GmbH“ unter der Nummer 999 in das Handelsregister, Abteilung B eingetragen.
Die Gesellschaft, ausgestattet mit einem Grundkapital von 200.000 Reichsmark, vertrieb Kraftwagen, Reifen für Kraftwagen und weiteres Automobil-Zubehör für eigene und fremde Rechnung. Neben Hertha Hoffmann war Ella David zu einem Drittel an dem Unternehmen beteiligt, Ella David besaß aber kein Alleinvertretungsrecht.
Der Firmensitz wurde bald vom Königswall in das Haus Märkische Straße 25 verlegt. Hier hatte Hertha Hoffmann Räumlichkeiten gepachtet und 20.000 Goldmark in einen Um- und Ausbau investiert. Neben einem Ladenlokal und Büroräumen verfügte das Unternehmen hier über sieben beheizbare Garagen, eine vollständig eingerichtete Reparaturwerkstatt sowie eine Tankstelle.
Ferner besaß sie ein umfangreiches Ersatzteil- und Reifenlager, sowie eine staatlich konzessionierte, modern und vollständig eingerichtete Kraftfahrschule mit Modellen und Filmeinrichtung für Personen- und Lastkraftwagen. Hertha Hoffmann war auch Pächterin einer zweiten Tankstelle und weiterer Garagen, die an der Märkischen Str. 84 zu finden waren.
Die Firma Hoffmann hatte die General-Vertretungen für Personen- und Lieferwagen der Stoewer-Werke AG, Stettin, und Last- und Lieferwagen der Citroen-Werke AG, Köln-Kalk. Ferner besaß sie die Alleinvertretung der Liga-Gummi-Werke AG, Frankfurt a. M., und der Deutschen Kabelwerke (Deka), Berlin. Im Angebot waren auch Reifen der Marken Continental, Peters-Union, Engelbert u. a.
Hertha Hoffmann erinnerte sich später, dass in ihrem Automobil-Geschäft durchschnittlich 36 Wagen pro Jahr verkauft wurden. Der Jahresumsatz betrug rund 150.000 Reichsmark Hieraus resultierte ein Gewinn von durchschnittlich 30.000 RM, das Ersatzteilgeschäft erbrachte einen jährlichen Verdienst von ca. 3.600 RM, der Verdienst in Bereifungen war mit 2400 RM zu beziffern.
Der Verdienst aus dem Werkstatt-Betrieb ergab jährlich 3600 RM, der Gewinn aus den beiden Garagen-Betrieben und Tankstellen belief sich auf 3.800 RM und der Gewinn aus der staatlich genehmigten Automobil-Fahrschule betrug10.000 RM.
Von diesem Brutto-Verdienst von 53.400 RM mussten die Kosten wie Gehälter, Löhne, Miete, Steuern etc. abgezogen werden. Es verblieb ein Reingewinn von ungefähr 16.000 RM. Da Hertha Hoffmann zu zwei Dritteln an dem Unternehmen beteiligt war, belief sich ihr Einkommen auf mehr als 10.000 RM jährlich. Nach Unterlagen der Industrie- und Handelskammer beschäftigte Hertha Hoffmann 1933 vier kaufmännische Angestellte, zwei technische Angestellte, einen ungelernten Arbeiter und einen technischen Lehrling.
Das Jahr 1933 als Wendepunkt: Das jüdische Unternehmen geriet in den Blick der Nazis
Hertha Hoffmann und Ella David waren Jüdinnen. Mit der Machtergreifung Hitlers geriet ihr Unternehmen rasch in das Blickfeld der Nationalsozialisten. Vor dem Geschäftslokal, den Garagen und der Werkstatt wurden SA-Posten aufgestellt. Den Geschäftsinhaberinnen wurde verboten, Angestellte zu entlassen. Ferner wurde die Tankstelle geschlossen und Pächter kündigten die Mietverträge ihrer Garagen. Dazu kam die Beschlagnahme von Automobilen, an denen das Unternehmen das Eigentumsrecht hatte.
Beschlagnahmt wurden auch Außenstände der Allgemeinen Ortskrankenkasse, der Westfälischen Volks-Zeitung und anderer Unternehmen, die an die Fa. H. Hoffmann zu leisten waren. Eine bei der General-Anwaltschaft in Berlin eingereichte Klage gegen die SA wegen ungesetzlicher Beschlagnahme von Automobilen und Außenständen wurde von dort dem Polizei-Präsidium Dortmund und vom diesem der SA zugeleitet. Der Boykott der Fa. H. Hoffmann verstärkte sich daraufhin weiter.
Unter dem Druck der NSDAP entzogen die Stoewer-Werke AG, Stettin, trotz eines bestehenden Vertrages Hertha Hoffmann im August 1933 ihre Vertretung und übertrugen sie einer arischen Firma. Dieser Vorgang fand öffentlich statt, da die Tagespresse die Dortmunder Bevölkerung durch ihre Berichterstattung entsprechend informierte. Der von Hertha Hoffmann benutzte Vorführwagen der Marke Stoewer wurde ihr entschädigungslos von den Nationalsozialisten fortgenommen.
Das eigene Personal war maßgeblich an der Lahmlegung des gesamten Betriebes beteiligt
An den Maßnahmen, die schließlich zur Lahmlegung des gesamten Betriebes führten, war das eigene Personal maßgeblich beteiligt: Der von Hertha Hoffmann angestellte Fahrlehrer gehörte der SS an, andere Mitarbeiter waren Mitglieder der SA. Persönliche Zusammenstöße mit der SA führten dazu, dass Hertha Hoffmann bald um ihr Leben fürchten musste. Ohne entsprechende Vorbereitungen getroffen zu haben, floh sie im Sommer 1933 aus Dortmund.
Hertha Hoffmann hatte sich mit ihrer Mutter eine Wohnung im Haus Kapellenstr. 5 geteilt. Hier standen ihr außer einem Schlafzimmer ein Wohn- und Speisezimmer sowie ein Arbeitszimmer zur Verfügung. Sie ließ alles zurück und trennte sich von ihrer Familie: „Ich hinterliess meine Mutter und meine Schwester mittellos, die ich mit meinem Bruder zusammen unterhalten hatte.“ (Ihr Bruder Walter Hoffmann besaß am Burgwall 19 ebenfalls eine Autogarage und eine Fahrschule.)
Auch geschäftlich gab es aufgrund der plötzlichen Auswanderung sehr bedeutende Verluste: „Ich hatte kurz vor meiner erzwungenen Flucht einen Kraftwagen unter Eigentumsvorbehalt an die Westdeutsche Volkszeitung, Dortmund, Kielstrasse, verkauft und habe weder den Kaufpreis für den Wagen, noch den Wagen zurückerhalten. Ich glaube nicht zu hoch zu greifen, wenn ich sage, dass der Wert meiner im Stich gelassenen Sachen mindestens 60.000 RM betrug, während ich die Aussenstände auf mindestens zusammen 10.000 RM schätze.“
Obwohl Hertha Hoffmann Deutschland bereits verlassen hatte, forderte die Allgemeine Automobil-Verkaufsgesellschaft m. b. H., Dortmund, die „Firma H. Hoffmann“ per Einschreiben auf, die noch sichtbare Werbung für Stoewer-Automobile an und in ihrem Haus Märkische Str. 25 kurzfristig zu entfernen, wie auch den nach wie vor stattfindenden Verkauf von Stoewer-Wagen endgültig einzustellen, andernfalls sie wegen unlauteren Wettbewerbs belangt werden müsste. Wenige Monate, nachdem sie die Führung ihres Unternehmens fallen gelassen hatte, ging es ein. Im November 1933 wurde das Konkursverfahren eröffnet, und ein Jahr später wurde die Firma „von Amts wegen“ gelöscht.
In der neuen Heimat: Hertha Hoffmann emigrierte nach Palästina
Hertha Hoffmann hatte Palästina als Ziel ihrer Emigration gewählt. Doch das ungewohnte Klima dort bekam ihr nicht. Sie erkrankte schon bald nach ihrer Ankunft, musste ein Krankenhaus aufsuchen und wurde „nicht genesen“ daraus entlassen. Die schlechten Lebensbedingungen in Palästina kamen der Wiederherstellung ihrer Gesundheit natürlich nicht entgegen. Noch Jahrzehnte später litt sie unter ihrer Krankheit. Da sie auch die Sprache in ihrer neuen Heimat zunächst nicht beherrschte, lebte Hertha Hoffmann in großer Not.
Mit dem Stopfen von Strümpfen, Wäscheflicken und ähnlichen Arbeiten konnte sie in den ersten Jahren in der neuen Heimat nicht einmal ihr Existenzminimum decken. Von etwa 1936 bis 1939 verdiente sie als Vermittlerin von Kraftfahrzeugen monatlich etwa 12 Pfund, was ungefähr 150 Reichsmark entsprach.
In den Jahren 1939 bis etwa 1947 stiegen ihre Einnahmen etwas; sie beliefen sich monatlich nun auf umgerechnet annähernd 200 Reichsmark. Dann kam der Rückschlag: Ein Unfall, bei dem sie einen komplizierten Beinbruch erlitt, machte sie, da sie mehrfach operiert werden musste, für etwa ein Jahr arbeitsunfähig. Dann brach der israelische Unabhängigkeitskrieg aus. Dadurch wurden Hertha Hoffmanns Verdienstmöglichkeiten wieder drastisch reduziert. An einen Geschäftsbetrieb wie einst in Dortmund war überhaupt nicht mehr zu denken.
Später scheint Hertha Hoffmann im Bankgeschäft tätig gewesen zu sein. Näheres konnte bislang nicht ermittelt werden. 1990 erschien ein kleiner Artikel über Hertha Hoffmann in der Exilzeitung „Aufbau“: Unter einem Foto, das die weißhaarige und auf einen Spazierstock gestützte 98 Jahre alte Dame vor einem Chevrolet, Baujahr 1937 zeigt, ist zu lesen: „Herta Hofmann, die vor 57 Jahren aus Dortmund nach Israel kam, wurde kürzlich von der Tel Aviv Universität in deren Computer-Labor geehrt, für dessen Errichtung sie einen Teil ihres Vermögens gespendet hatte.“ Die Spende stand vermutlich in einem Zusammenhang damit, dass Hertha Hoffmann nicht verheiratet war und keine Nachkommen hatte.
Zwei Jahre nach dem Kurzartikel im „Aufbau“ starb Hertha Hoffmann. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof von Holon, einer Stadt südlich von Tel Aviv, Israel.
Quellen und Literatur:
- Landesarchiv NRW, Abt. Westfalen, Münster, Bestand Regierung Arnsberg, Wiedergutmachung, Nr. 601472
- Adressbücher der Stadt Dortmund 1920-1933
- Verfolgung und Widerstand in Dortmund 1933-1945, Katalog zur ständigen Ausstellung des Stadtarchivs Dortmund in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, Dortmund, 1992, S. 383
- Aufbau, America’s only German-Jewish Publication, Freitag, 20.07.1990
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