Emissionsärmere Mobilität, sozialer Wohnungsbau, (Kinder-) Armut: Grüne stellen Schwerpunkte für Haushalt 2020/21 vor

Ein grünes Schwerpunktthema für den Doppelhaushalt 2020/21: die Radverkehrsförderung. Foto: Karsten Wickern

Die Fraktion Bündnis90/Die Grünen hat ihre Schwerpunktsetzungen für den Dortmunder Doppelhaushalt 2020/21 bekanntgegeben. Neben der erwartungsgemäßen Akzentuierung ökologischer Themen um Klimaschutz und emissionsarmer Mobilität liegt der Fokus eindeutig auf sozialen Fragen. Hier sieht die Partei vor allem Handlungsbedarf bei der Bekämpfung von Kinder- bzw. Bildungsarmut. – Und ’ne Mark mehr soll es deshalb auch kosten dürfen: etwa drei Millionen Euro müsste Stadtkämmerer Jörg Stüdemann jeweils in den beiden kommenden Jahren für den hypothetischen Fall locker machen, ließe sich der Stadtrat am 12. Dezember mehrheitlich von allen 37 Einzelanträgen des Gesamtpakets überzeugen. Doch es zeichnen sich bereits jetzt Kollisionen ab. Zumal der finanzielle Spielraum nicht besonders groß ist, soll ein Haushaltssicherungskonzept vermieden werden.

Kommen die brennenden Fragen unserer Zeit in Dortmund eigentlich nicht an?

Kommen sie schon. Doch soweit die beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen Mitte der Woche von den Änderungswünschen der anderen Stadtratsparteien bereits erfahren hatten, war klar: ökologische Themen – da wird für ihren Geschmack im Grunde herzlich wenig geliefert. Obwohl mit der „Fridays for Future“-Bewegung beispielsweise die Klimapolitik eine immer zentralere Stellung einnimmt. Was SPD und CDU bei Vorstellung parteieigener Schwerpunkte für die Haushaltsplanung der nächsten beiden Jahre zum Besten gegeben haben (wir berichteten), bleibt nach „grünen Maßstäben“ definitiv überschaubar.

Letzter Akt vor Ort im Kampf für den Klimaschutz: am gestrigen Freitag protestierten in Dortmund (wie in über 370 Städten in ganz Deutschland und weltweit) vorwiegend junge Menschen. Foto: Klaus Hartmann

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Da ist bei Ingrid Reuter und Ulrich Langhorst ein Bedauern. Immerhin fehlt es vorderhand an Unterstützungsbreite, wo es ihnen zufolge Not täte: für eine klimafreundliche Politik. Doch andererseits wildert so niemand ernsthaft auf ihrem Terrain, bleibt rein äußerlich das Alleinstellungsmerkmal der Partei weitestgehend unangetastet: qualifiziert und exklusiv die drängenden ökologischen Fragen der Gegenwart anzugehen.

Wie in der gemeinschaftlichen Umwelt nachhaltig und in einem umfassenden Sinne zu wirtschaften sei. Doch anders als beim griechischen Philosophen Aristoteles, in dessen Denkhorizont die Wortbedeutung des „Ökologischen“ verankert ist, beziehen sich die Bemühungen nicht mehr auf eine autarke Haushaltswirtschaft, sondern allerorten geht es ums Handeln in einer interdependenten Welt, aus der die Lebensqualität in einer Stadt wie Dortmund nicht heraustrennbar ist.

Emissionsarme Mobilität: Erhöhung der Mittel für Radverkehrsförderung und Konzept zum Ausbau ÖPNV

Förderung emissionsarmer und Beschränkung emissionsreicher Mobilitätsarten – so ließe sich ein zentrales Strategieelement des grünen Entwurfs für die kommunale Zukunft formulieren.

Ingrid Reuter (Bündnis 90/ Die Grünen)
Ingrid Reuter bei der Haushaltsdebatte im Dezember 2018. Foto (3): Alexander Völkel

Die veranschlagten 1,5 Millionen Euro zur Schaffung besserer Bedingungen für den Radverkehr im vom Kämmerer eingereichten Haushaltsplan reichen nach grünen Vorstellungen für die nächsten zwei Jahre allerdings nicht aus.

Jeweils eine Million mehr sollte es schon sein, um das bestehende Radwegenetz auszubauen, zu pflegen und ein zweites Fahrradparkhaus in der Innenstadt zu errichten. – Das zweite Standbein zur emissionsarmen Verkehrsförderung ist der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV). Hier bedarf es nach Auffassung der Grünen zunächst eines Strategiepapiers, mit dem ein Konzept nach Maßgabe des „1,5-Grad-Klimaziels“ vorgelegt wird: macht 200.000 Euro.

Auf der anderen Seite gilt: „Man muss schauen, dass man das Autofahren unattraktiver macht“, so Ingrid Reuter klipp und klar. Wie? Durch eine 20-prozentige Erhöhung der Parkgebühren in der Innenstadt außerhalb der Parkhäuser – mit erwarteten Mehreinnahmen von knapp einer halben Million Euro. Zugleich soll die Verkehrsüberwachung des ruhenden Verkehrs vorrangig in der Innenstadt um weitere sechs Stellen gestärkt werden, die sich größtenteils selbst finanzierten. Über das Plus an geschriebenen Knöllchen, versteht sich.

Sicherung einer 30-Prozent-Quote für öffentlich geförderten Wohnungsbau

In Dortmund als wachsender Stadt wird die Lage auf dem Wohnungsmarkt zunehmend angespannter. Insonderheit mehren sich Stimmen, die Quote für den sozialen Wohnungsbau, also zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum zu erhöhen.

2018 steht dem sozialen Wohnungsbau für Neubauten und Sanierungen 30 Millionen Euro zur Verfügung. Foto: NSB-Archiv
Für den Sozialen Wohnungsbau soll zukünftig eine Quote von 30 Prozent reserviert werden. (Archivbild)

Eindeutig mit von der Partie: die Grünen. Mindestens 30 Prozent soll bei Wohnungsbauvorhaben nach ihrem Willen zukünftig der Anteil öffentlich geförderter Mietwohnungen beim Mietneubau betragen.

Ebenso soll die Verwaltung ein Konzept erarbeiten, mit dem in einzelnen Quartieren ein sogenannter Milieuschutz erreicht werden kann. Ziel ist es, die gewachsene Zusammensetzung von Wohnbevölkerungen zu erhalten. Dazu soll es in einem definierten Milieuschutzgebiet neben einem städtischen Vorkaufsrecht auch Auflagen für Investoren geben, um dort Mietwohnungen zu erhalten und Sanierungen auf ihre Sozialverträglichkeit hin zu lenken.

Schließlich im Blick der Grünen: Konzeptualisierung und Aufbau einer Wohnungstauschbörse, um die Zahl an Unterbelegungen von größeren Wohnungen zu minimieren. Für die Sicherung von Wirtschaftsflächen dagegen, wie von der CDU gefordert, um ungenutzte Potentiale zentralisiert zu entwickeln, sieht Ingrid Reuter auf Nachfrage „keine strikte Notwendigkeit“; im Grunde könne sie „den CDU-Vorschlag nicht nachvollziehen“, so die Grünen-Politikerin.

Schwerpunkt: Kampf gegen Kinderarmut und für mehr Bildungsgerechtigkeit in Dortmund

Kinderarmut – sicher ein Themenfeld, das kommunal nur schlecht allein behandelbar sei, stellt ihr Kollege Ulrich Langhorst fest. Doch da gäbe es einen Zustand, der könne so nicht unkommentiert bleiben: dass jedes dritte Kind in Dortmund (unter 15 Jahren) – je nach Gegend teils jedes zweite – in Armut lebe.

Ulrich Langhorst (Grüne)
Ulrich Langhorst 2017 zu den grünen Vorstellungen für das Haushaltsjahr 2018. Foto: Leopold Achilles

Aus diesem Grund möchte die Partei einerseits Beschlüsse des Stadtrates erwirken, die sich der Sache annehmen und politischen Druck erzeugen.

Zusammen mit dem Land NRW sollen bedarfsgerechtere Instrumente zur Verteilung von Bildungsressourcen entwickelt werden, während der Bund aufgefordert wird, eine eigenständige Kindergrundsicherung auf den Weg zu bringen. Denn: „Die Kinderregelsätze im Hartz IV-System sind zu niedrig“, heißt es zur Begründung.

Andererseits wollen die Grünen, dass sich die Kommune selbst finanziell stärker engagiert: etwa durch Stärkung des Streetwork-Konzepts oder eine Erhöhung der Zuwendungen an Familien- und Erziehungsberatungsstellen in freier Trägerschaft. Neu in die Diskussion geworfen von ihnen: Sozialarbeit möge bereits in den Kitas beginnen, um vor allem in benachteiligten Quartieren möglichst früh durch Regelangebote bessere Perspektiven für soziale Teilhabe und daher Integration zu bieten.

Stärkeres kommunales Engagement für Bedürftige und Menschen in verschiedenen Notlagen

Eine ganze Reihe von weiteren Maßnahmen nehmen die Grünen im sozialen Bereich in den Blick. Insbesondere bei Menschen aus Rumänien und Bulgarien macht Ulrich Langhorst eine Verelendungstendenz aus; doch weggucken gilt nicht: man müsse „in das Themenfeld rein“, unterstützen – und zwar unabhängig davon, ob im Einzelfall formal Ansprüche auf Leistungsbezug geltend gemacht werden können.

Der Gesetzgeber hat die Steuerung der Zuwanderung im Blick, nicht den Einzelnen.
Ob anspruchsberechtigt oder nicht: die Grünen wollen Verelendungstendenzen unter MigrantInnen aus Südosteuropa stärker entgegenwirken.

Für ein Programm „Überlebenshilfe Zuwanderung Südosteuropa“ sollen deshalb 50.000 Euro zur Verfügung stehen. Bedacht wird zudem und unter anderem das Sozialticket: sollte sich die unzureichende landesweite Bezuschussung von gegenwärtig 40 Millionen Euro jährlich nicht erhöhen, soll hier die Kommune ebenso in die Bresche springen wie ggf. bei der konzeptionellen und/oder baulichen Weiterentwicklung des Dortmunder Frauenhauses, wenn dafür die in den kommenden vier Jahren abrufbaren Bundesgelder nicht ausreichen.

Angedacht seitens des Frauenhauses sei etwa, erklärt Langhorst, in der Stadt sichere Wohnungen schaffen, um wegen Auslastung weniger Frauen ablehnen bzw. in andere Städte weitervermitteln zu müssen als bisher. – Auch für den Wärmebus, der dreimal in der Woche abends mit heißen Getränken unterwegs ist, soll etwas übrig bleiben: 10.000 Euro jährlich. Denn es sei ein Unding, so der Fraktionschef, dass die Stadt sich aus der Finanzierung raushielte.

„Bildung für nachhaltige Entwicklung“: stadtweites Schulgärtenprogramm soll realisiert werden

Themen wie emissionsarme Mobilität oder Klimaschutz seien keine grüne Spinnerei, ist Langhorst überzeugt. Es geht um was – und deshalb liegt es nahe, bei den Jüngsten anzufangen.

Lerngarten bei der Dortmunder Tafel: solche Gärten sollen stadtweit und angeschlossen an die Schulen entstehen. Foto: Thomas Engel

„Bildung für nachhaltige Entwicklung“ heißt eine Zauberformel: das ist die Förderung der Befähigung zum Denken und Handeln in ökologischen Kontexten. Also eine essentielle Zukunftsinvestition.

Und hier sollte nach Auffassung der Grünen eben nicht gespart werden: 150.000 Euro jährlich möchten sie 2020 und 2021 jeweils bereitgestellt wissen, um ein stadtweites Schulgärtenprogramm zu entwickeln, in dessen Rahmen die Kinder Achtsamkeit im praktischen Umgang mit und in „der Natur“ erlernen und erfahren können.

Auf ein Realisierungsvolumen von um die drei Millionen Euro jährlich veranschlagen Reuter und Langhorst den grünen Wunschzettel. Nicht gerade wenig. Zumal nach der Neuschätzung der zu erwartenden Steuereinnahmen für die beiden kommenden Jahre sich der Jahresfehlbedarf im Dortmunder Haushaltsentwurf sowieso auf rund 53 resp. 56 Millionen Euro erhöhen wird.

Einigkeit mit anderen Fraktionen zu Altschuldenproblematik und Integrationsfolgekosten

Werden die vorweihnachtlichen Wunschzettel der anderen Fraktionen hinzugenommen, näherte sich somit die Neuverschuldung langsam der magischen 5-Prozent-Marke relativ zum Bestand der allgemeinen kommunalen Rücklage, durch die der jährliche Fehlbedarf ausgeglichen werden muss – eine etwaige Entwicklung, die Kämmerer Jörg Stüdemann mit Argusaugen beobachten wird.

Entwurf des Dortmunder Doppelhaushaltes und Gegenstand für Nachbesserungsvorschläge der Fraktionen.

Würde diese Grenze nämlich überschritten, d.h. neuverschuldet sich die Stadt in einem Haushaltsjahr mit über fünf Prozent dessen, worauf sie durch eigene Sicherheiten zurückgreifen kann, entstünde über die Bezirksregierung in Arnsberg die Verpflichtung zur Aufstellung eines Haushaltssicherungskonzepts, das den fiskalischen Handlungsspielraum der Kommune erheblich einschränkte. Was niemand wirklich wollen kann.

Zumindest was die angehäuften Verbindlichkeiten betrifft, sehen sich die Grünen eins mit den anderen demokratischen Fraktionen. In Sachen kommunaler Altschulden, da müsse etwas geschehen, bedeutet Ingrid Reuter. Und natürlich bei der erforderlichen Umverteilung von Lasten durch Integrationsfolgekosten.

Könnten Bund und Land nämlich für ihre politischen Entscheidungen erfolgreich zur Kasse gebeten werden, erschienen die von den einzelnen Fraktionen schwerpunktmäßig geforderten Mehrausgaben gleich in einem ganz anderen Licht. Allein, obwohl es weihnachtet, an solch Frohe Botschaft glaubt in Dortmund gegenwärtig wohl niemand.

 

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