
Armut im Alter ist ein großes Thema, Einsamkeit aber auch. Viel zu viele Menschen in Dortmund sind isoliert, haben kaum Sozialkontakte oder den Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe. Ein wichtiges Mittel gegen Einsamkeit im Alter kann dabei auch der Besuch einer Tagespflege sein. Im Eugen-Krautscheid-Haus der AWO Dortmund gibt es ein hilfreiches Angebot – dies zeigen Gespräche mit den Gästen und der Leitung.
Ohne funktionierende Tagesstruktur ist ein Einzug ins Heim vorprogrammiert
„Die Tagespflege ist sehr wichtig für Menschen, die jahrelang alleine zu Hause gewohnt haben und nicht aus ihren eigenen vier Wänden wegwollen. Aber wenn Angehörige weit weg wohnen oder berufstätig sind, beginnen die Menschen zu vereinsamen“, weiß Carla Cailean, die Einrichtungsleiterin. Doch was bedeutet das konkret?

„Ich ziehe mich zurück, essen und trinken macht keinen Spaß, waschen und anziehen auch nicht, ebenso wie alleine rausgehen. Das führt dazu, dass die Leute kognitiv mehr und mehr abbauen, ebenso wie die körperlichen Fähigkeiten abnehmen. So entsteht ein Teufelskreis mit Erkrankungen und allem drum und dran”, erklärt sie.
„Dies beschleunigt den Prozess, dass sie nicht mehr alleine bleiben können. Ohne funktionierende Tagesstruktur ist ein Einzug ins Heim vorprogrammiert. Wir bieten als Tagespflege den Menschen an, die sich einsam fühlen und wenige soziale Kontakte haben, wieder am Leben teilzunehmen, vorhande
nen Fähigkeiten zu fördern und auch neu zu entwickeln“, berichtet die Leiterin der AWO-Tagespflegen. Ein Besuch der Einrichtung wirke sich da positiv aus: „Sie schließen hier Freundschaften und haben häufig auch außerhalb der Tagespflege wieder mehr Kontakte. Durch den Besuch merkt man, dass die Lebensqualität gestiegen ist, die Menschen sind zufriedener.”
Edeltraut Laibach (90): „Ich war früher auch viel alleine“
Das kann Lucia Urner, Gast der Tagespflege, nur bestätigen: Sie freut sich, dass sie in der Tagespflege immer Gesprächspartner*innen hat. „Vorher war ich alleine zu Hause oder ich bin mit meinem Ticket durch die ganze Region gefahren. Dann kam die Pandemie und man musste zu Hause bleiben und Maske tragen“, berichtet die 94-Jährige. „Vorher war mein Leben ereignisreich und schön. Doch mit der Pandemie kam die Einsamkeit. Denn Familie und Angehörige hat sie nicht. Stattdessen hat sie über ihr ganzes Leben Buch geführt: „Ich hatte niemanden, dem ich es erzählen konnte.“

Eine Erfahrung, die auch Edeltraut Laibach teilt: „Ich war früher auch viel alleine“, sagt die fitte 90-Jährige. Denn ihre Tochter ist berufstätig und wollte auch mal in Urlaub fahren. „Da haben sie überlegt, was sie mit mir machen, dass sie mich gut versorgt wissen. Da sind wir auf die Tagespflege gekommen“, berichtet Laibach. „Ich habe mir das angeguckt und musste mich dran gewöhnen – alles neue Leute und Gesichter.“
Doch bei der angebotenen Gymnastik im Krautscheid-Haus blühte sie regelrecht auf: „Ich habe eine Ausbildung für Seniorentanz und Gymnastik gemacht und habe auch Gruppen geleitet, bis ich 80 war. Das hat mir immer Spaß gemacht.“ In der Tagespflege konnte sie sich einbringen und bietet nun selbst auch donnerstags eine 45-minütige Einheit an. „Ich finde es schön, dass ich mich auch einbringen darf und habe mich vorbereitet. Ich habe viele CDs zu Hause – viele alte Schlager. Da werden Erinnerungen geweckt. Das macht Spaß, ich freue mich immer.“
Josef Pollasch (86): „Ich komme gerne in die Tagespflege“
Josef Pollasch (86) lebt seit sieben Jahre alleine. „Das war sehr langweilig. Mein Sohn hat wir dann die AWO besorgt. Ich bin sehr zufrieden. Das Personal versorgt jede Person gut und wir bekommen alles, was wir brauchen“, sagt der 86-Jährige, der seit fünf Jahren in die Tagespflege kommt – vier Tage pro Woche. Er hat hier auch eine Spielkameradin gefunden. Drei Tage die Woche spielt er mit einem anderen Gast Rommé. „Ein sehr schönes Spiel. Wir sind beide sehr zufrieden“, sagt er strahlend.

Alle drei sind zudem sehr zufrieden mit dem Essen. „Eigentlich müsste man da mehr Sport machen“, sagt Edeltraut Laibach lachend. „Entschuldigen sie meine schwachen Beine, aber ich kann nicht tanzen“, entgegnet Josef Pollasch. Aber dennoch freut er sich auf das Bewegungsprogramm. „Ich kommen gerne und höre die schönen Melodien.”
Edeltraut Laibach will bei einem der nächsten Angbote auch „Glückauf, der Steiger kommt“ mitbringen. Da weiß sie, dass sie besonders Pollasch glücklich macht. „Ich war 38 Jahre unter Tage – die letzten 18 Jahre als Obersteiger in Oberschlesien”, berichtet er. Dann kam er nach Deutschland, wo er dann bei Hoesch Rote Erde noch 12 weitere Jahre bis zur Rente arbeitete.
Lucia Urner (94): „Ohne Tagespflege wurde mir was fehlen“
Mit Hoesch hatte übrigens auch Edeltraut Laibach zu tun. Sie war ebenfalls bei Hoesch beschäftigt, allerdings in der Verwaltung in der alten Burg auf Phoenix. „Aus meinem Büro könnte ich heute auf den Phoenixsee schauen“, berichtet sie den anderen Tagesgästen. Doch bei aller Liebe für die Arbeit: Ihre große Leidenschaft war früher schon das Tanzen. Diesem Hobby geht so heute noch nach. Alle 14 Tage geht sie in Hombruch bei der AWO zum Tanztee. „Da gehe ich schon 20 Jahre hin“, berichtet die rüstige 90-Jährige.

Mit dem Tanzen hat es die 94-jährige Lucia Urner nicht so. Allerdings genießt sie die Gesellschaft: „Ohne Tagespflege wurde mir was fehlen. Dann wäre ich wieder mehr alleine – ich würde der Tagespflege nachweinen.” Edeltraut Laibach kann das nachvollziehen. Sie kommt ebenfalls gerne: „Ich freue mich, wenn alle mitmachen. Ich sehe hier nur glückliche Gesichter.”
Eines davon ist das von Josef Pollasch. „Ohne die AWO wäre ich viel alleine und das wäre sehr langweilig. Das kann ich mir nicht mehr vorstellen.” Als Kritik an seinen Kindern will das der 86-Jährige aber nicht verstanden wissen. Sie kümmern sich, kaufen ein und besuchen mich am Wochenende. Aber sie sind beide berufstätig.“
Wiederkehrende Tagesstruktur hilft auch den Pflegenden
Natürlich bedeutet die Tagespflege auch eine Entlastung für Angehörige, so dass diese sich um ihre eigene Gesundheit und den Haushalt kümmern sowie den eigenen Bedürfnissen und ihrer Arbeit nachgehen können. „Das tut auch den zu Pflegenden gut, wenn der pflegende Angehörige fitter und erholter ist“, weiß Cailean.

„Besonders bei Demenzkranken brauchen Angehörige Entlastung. Ohne eine Tagespflege werden Angehörige schnell überfordert und die Demenz schreitet schneller fort. Durch Förderung kann man das verzögern. Aber eine Förderung und Aktivierung wie in der Tagespflege ist weder im häuslichen Kontext noch in der stationären Pflege möglich”, berichtet die Pflegeexpertin.
Im Gegenteil: In der Häuslichkeit neigten die pflegenden Angehörigen, den zu Pflegenden alles abzunehmen – das fängt schon beim Essen und der Zubereitung an. „Die zu Pflegenden verlernen das. In der Tagespflege werden sie trainiert, alleine ein Brot zu schmieren. Nach ein bis zwei Monaten können sie das wieder selber. Sie müssen auch nicht gefüttert werden“, berichtet Cailean aus der Erfahrung. „Die Tagesgäste werden von uns auch zur Toilette begleitet – sie sind dann oft nicht mehr inkontinent.“
Beratung zu Pflegeangeboten – Prävention vor dem Umzug ins Heim
Möglich werde das durch eine wiederkehrende Tagesstruktur und eingeübte Abläufe. „Dadurch wird das Fortschreiten der Demenz verlangsamt. „Stoppen kann man sie nicht, aber verlangsamen. In Kombination mit ambulanter Pflege wird so Umzug ins Heim verzögert“, erklärt die Leiterin der AWO-Tagespflegen.
Daher sollte man lieber zusätzliche Tage in der Tagespflege buchen, anstatt die Menschen aus ihrem gewohnten Umfeld herauszureißen und in eine Demenz-WG oder ein Heim zu geben. Das gehe in der Regel auch nicht zu Lasten des eigenen Budgets: „Sie bekommen ja Pflegegeld, Verhinderungspflege etc.. Es gibt viele Möglichkeiten, auch für einen gemeinsam Urlaub. Wie genau das finanziert wird und welche Möglichkeiten es gibt, dazu gibt es bei der AWO eine Beratung.
Das größte Problem: „Der Begriff ,Pflege’ schreckt ab, da kommt Angst auf. Auch bei ,Tagespflege’. Wenn sie ,Pflege’ hören, blocken viele ab“, sagt Carla Cailean. „Dabei ist das hier ein Treffpunkt für Senior*innen. Es ist schwer, die Menschen in die Tagespflege zu bekommen. Aber wenn drin sind, wollen sie nicht mehr weg.“
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