Wohnen ist ein Menschenrecht. Auf dass allen ein würdiges Heim zukommen möge, das ist sein inhaltlicher Kern. Dies ist weltweit mitnichten der Fall. Selbst in reichen Gesellschaften wie der Bundesrepublik sind viele ohne eigene Wohnung, auch in Dortmund. – Ein Skandal, mit dem sich sozial engagierte Personen und Institutionen in der Stadt nicht abfinden wollen. Ein hervorragendes Beispiel ist das Diakonische Werk Dortmund/Lünen. Mit dem Wichernhaus in der Nordstadt verfügt es über eine traditionsreiche Immobilie, in der zukünftig „Hilfen aus einer Hand“ für Wohnungslose konzentriert sein werden. Dessen Herzstück bildet ein großzügig ausgestattes „Wohnzimmer“ als Wohlfühlraum. Der dafür notwendige Umbau des ehemaligen Veranstaltungssaals befindet sich gerade in vollen Zügen. Zum Ende des Jahres hin soll er abgeschlossen sein.
Große Zahl Wohnungsloser stellt unserer Gesellschaft ein schlechtes Zeugnis aus
Am Umgang mit ihren Schwächsten, daran misst sich eine Gesellschaft, lautet ein bekannter Aphorismus. Das sind in Dortmund unter anderem (nach neusten Zahlen) ca. 2.000 Menschen, die keine eigene Wohnung haben.
Denen es aus diesem Grund am Allernötigsten fehlt, was hierzulande normalerweise eine Selbstverständlichkeit ist: Sicherheit und individuelle Rückzugsmöglichkeiten, postalische Erreichbarkeit, Wasch- und Duschgelegenheiten, meist auch der Zugang zum Regelsystem medizinischer Versorgung.
Dass es so viele Wohnungslose inmitten der bundesrepublikanischen Gesellschaft gibt, stellt dieser ein ziemlich mieses Zeugnis aus. Sie duldet offenbar eine schlagende Ungleichverteilung von Reichtum. An deren sinnfälliger Spitze Menschen ohne eigenes Heim stehen: beobachtbar beispielsweise in den Innenstädten, wenn sie in Plastiktüten ihr gesamtes Hab und Gut mittragen.
Engagement von Sozialverbänden und Bürger:innen, wo der Staat versagt
Wer hier seit vielen Jahren einspringt, zumindest so gut es geht, das sind gemeinnützige Sozialverbände, aber auch viele engagierte Bürger:innen. Einer von ihnen ist Andreas Georg Hanke. Der Dortmunder Architekt ist bei der Neugestaltung des Wichernhauses ehrenamtlich unterwegs.
Während der Vorstellung des neuen Diakonie-Projektes, auf der Baustelle vor Ort im Wichernhaus, drückt er eine – auf den ersten Blick vielleicht paradox klingende – Hoffnung, eine Vision aus: dass es irgendwann keines Engagements, keiner privaten Spenden mehr bedürfe.
Weil der Staat als Organisationsform institutionalisierter Gemeinschaft endlich seiner Verantwortung nachkommt und wie selbstverständlich jene unterstützt, die als Wohnungslose dringend Unterstützung brauchen, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können. – Doch solange dies nicht der Fall ist, müssen andere einspringen.
„Den Schwächsten einen Ort zu geben, der in Qualität und Ausstattung dem entspricht, was man sich auch fürs eigene Zuhause wünscht – das wäre doch mal etwas, was unsere Stadt auch für Menschen, die keines haben, lebenswert machen würde. Deswegen arbeite ich für die Sache“, erklärt Andreas Hanke persönliche Motivation und Engagement.
Umnutzung des alten Veranstaltungssaals zum „Wohnzimmer“ für Wohnungslose
Was ist nun seitens der Akteure konkret geplant? Materielles wie inhaltliches Herzstück der Umbaumaßnahmen im Inneren des ehemaligen Kultur- und Tagungszentrums in der Nordstadt, dem Wichernhaus, ist sein Veranstaltungsaal. Dort, wo einst bundespolitische Schwergewichte wie Gregor Gysi ihre Visitenkarte abgaben.
Doch dann kam Corona und mit der Pandemie das vorläufige Aus von Menschenansammlungen – erst recht in geschlossenen Gebäuden. Stattdessen wurde seit 2020 mit den Kontaktrestriktionen der über 200 Quadratmeter fassende, nahezu ebenerdig gelegene Raum in dem Traditionshaus der Dortmunder Diakonie für Wohnungslose umgenutzt (wir berichteten).
Nun wird er zur Gänze umgebaut. Die Maßnahme ist Teil einer Neukonzeption für das 1918 eingeweihte Gebäude an der Stollenstraße. Danach sollen die bisherigen Diakonie-Angebote für Bedürftige ohne feste Heimstatt dort gebündelt werden. Den Kern bildet die Absicht, Wohnungslosen niederschwellig einen Ort als Tagesaufenthalt zugänglich zu machen, an dem sie sich wirklich wohlfühlen können.
„Hier bin ich Mensch, hier kann ich sein“
80 Personen können sich hier dann zeitgleich nicht nur einfach aufhalten. Sondern: sie sollen sich fühlen wie daheim, gäbe es dergleichen. Es entsteht folglich kein einfaches Obdach, nicht allein ein Schutz für Menschen ohne eigene Wohnung gegen etwaige Unbilden der Witterung oder gegen soziale Aggression, der sie in der Öffentlichkeit immer wieder ausgesetzt sind.
Vielmehr könnte ein handlungsleitender Satz bei der Einrichtung des neuen Zentrums lauten: „Hier bin ich Mensch, hier kann ich sein.“ So formuliert es auch Pfarrer Niels Back aus der Geschäftsführung des Diakonisches Werkes Dortmund/Lünen. Nicht wie Kund:innen, Klient:innen oder sonst wer auf den langen Fluren von Behörden sollen die Menschen sich hier fühlen, oder wie als Patient:innen in Wartezimmern.
Wahrgenommen werden von ihnen soll im Wichernhaus keine notdürftige Bleibe. Sondern, statt einer Art Notunterkunft, wird dort augenblicklich an einem Tageszuhause gewerkelt, in dem sie eben „sein“ können. Was den strategischen Kerngedanken des Projektes berührt: Aufbau einer angemessenen, auf besondere Bedürftigkeiten Wohnungsloser zugeschnittenen Umgebung, um eine Persönlichkeitsstabilisierung zu bewirken, die ein Mehr an Handlungsfähigkeit zur Gestaltung des eigenen Lebens erzeugt.
Einrichtung im Wichernhaus richtet sich nach imminenten Bedürfnissen von Wohnungslosen
Gemütlichkeit, Komfort bei der Ausstattung, dazu Sicherheit in einer menschenwürdigen Umgebung: alles im neuen Wichernhaus zielt darauf, nachhaltig verlorengegangene Selbstwertkräfte zu stärken – auf Empowerment. Gegen Ende des Jahres soll es soweit sein, das sei der Plan, erläutert Uta Schütte-Haermeyer aus der Geschäftsführung des Diakonischen Werkes.
Alle bislang in der Rolandstraße basierten Unterstützungseinrichten der Diakone für Wohnungslose oder solche, die davon bedroht sind, werden an die Stollenstraße verlegt. Nicht mehr oder weniger als das gesamte Angebotsrepertoire der Zentralen Beratungsstelle für wohnungslose Menschen (ZBS) soll ab Winter 22/23 dort abrufbar sein.
Dies betrifft etwa die Infrastruktur, mit der eine postalische Adresse zur Verfügung gestellt werden kann – ein Muss beispielsweise für den Schriftverkehr mit Ämtern. Zukünftig werden die Postfächer direkt im Eingangsbereich, an der Längstseite des weiträumigen Gemeinschaftszimmers, dem „Wohnzimmer“, zugänglich sein. An dessen Kopfende sich die offene Küche befinden wird, mit der Möglichkeit individueller Vorratung, aber auch gemeinschaftlichen Kochens.
Spenden fürs Projekt in der Nordstadt sind ausdrücklich willkommen
Wasch- und Duschmöglichkeiten befinden sich eine Etage darunter; ebenso in dem Gebäude vorhanden: Räume für Rückzug und Ruhe, für medizinische Untersuchungen seitens eines festen Teams aus zwei Krankenschwestern und einer Ärztin.
Und für Beratungsgespräche, die am Ende idealtypisch dazu führen sollen, dass Betroffene Transferleistungen erhalten und wieder eine eigene Wohnung finden. Der Weg dahin mag im Einzelfall lang sein. Man müsse „das sehr sorgfältig machen, wenn jemand reinkommt aus einer solchen Situation“, weiß Architekt Andreas Hanke. Unterstützt wird er unter anderem von dem Dortmunder Filmemacher-Ehepaar Adolf Winkelmann und Christiane Schaefer-Winkelmann.
Was bleibt, ist der Umstand, dass hier eine gemeinnützige Einrichtung und privates Engagement Staatsversagen deckeln. Auf unabsehbare Zeit – bis eine sozialer aufgestellte Politik sich einzugreifen traut – wird sich dies nicht ändern. Daher bitten die Beteiligten um Spenden.
Spenden unter: www.diakoniedortmund.de/wohnzimmer – oder an folgendes Konto der Sparkasse Dortmund: Diakonisches Werk Dortmund und Lünen; IBAN: DE90 4405 0199 0001 7777 77; BIC: DORTDE33XXX; Stichwort: Wohnzimmer
Weitere Informationen: GISS-Studie, Wohnungslose ohne Unterkunft; hier:
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Mehr unter http://www.diakoniedortmund.de