Häusliche Gewalt ist ein Thema, über das selten geredet wird, die häufig aber tödlich endet. Die AWO Dortmund und das Theater im Depot wollen das ändern. So startete die Bühnensaison an der Immermannstraße mit dem beeindruckenden, anderthalbstündigen Monolog, geschrieben vom irischen Autor Roddy Doyle: „Die Frau, die gegen Türen rannte“. Lesley Higl war es, die das Publikum die ganzen 90 Minuten gebannt zuhören ließ, was Doyle bereits 1996 im Roman und Anfang der 2000-Jahre als Theaterstück zu sagen hatte. Im Zuschauer*innenraum waren außer ihrer Stimme und den Popsongs vom Band keine Muckser zu hören. Niemand von den gut 100 Gästen wollte ein Wort verpassen.
Paula Spencer ist kein Einzelfall: Die Frau, die gegen Türen rannte
Lesley Higl als Paula Spencer erzählte aus ihrem fast 40-jährigen Leben. Von der sexuellen Anmache ihres Vaters und der Nachbarschaft, von der quälenden Schulzeit, von der fehlenden Anerkennung durch die Umgebung. Sie selbst achtet sich auch erst, nachdem sie Carlo kennengelernt und geheiratet hat. Sie liebt ihn, mit jeder Faser ihres Körpers, auch mit den von ihm geschlagenen und verbrannten. ___STEADY_PAYWALL___
Vier Kinder zieht sie groß, arbeitet als Putzfrau, trinkt und will alles anders machen. Vor einem Jahr hat sie Carlo rausgeschmissen, jetzt erfährt sie von der Polizei, dass er erschossen wurde. Sie fängt an, ihr Leben Revue passieren zu lassen und nimmt sich vor, einiges zu ändern.
„Ist Paula ein besonderer Fall?“, fragte Mirja Düwel, die AWO-Geschäftsführerin, zu Beginn der anschließenden Podiumsdiskussion ihre drei Gesprächspartnerinnen. „Nein“, antwortete Lesley Higl klar. Sie habe sich in Vorbereitung auf die Proben mit den Beraterinnen der Caritas Bochum unterhalten.
AWO-Vorsitzende Anja Butschkau: „Gewalt darf niemals privat sein.“
„Ich war schockiert, wie schlimm die Situation ist. Das wusste ich vorher nicht.“ Dortmunds AWO-Vorsitzende Anja Butschkau, viel unterwegs in der Frauenhilfe-Infrastruktur, und somit gut informiert, möchte deshalb auch erreichen, dass über Gewalt in der Familie gesprochen wird – öffentlich: „Gewalt darf niemals privat sein“, sagte sie.
Sevgi Kahraman-Brust, Sprecherin des Netzwerkes gegen Zwangsheirat und Gewalt, betonte, dass Gewalt in der Familie nichts mit der Herkunft zu tun habe, aber der Umgang mit Gewalt in Migrant*innen-Familien überholungsbedürftig sei. Die Frauen hätten weniger Anlaufstellen, um Hilfe zu bekommen und die Hilfeleistung sei auch schwieriger.
Keine Frau spricht gerne darüber, dass der Mann sie schlägt. „Man muss sich trauen können, beim Arzt zu sagen: Ich bin geschlagen worden“, forderte Lesley Higl. Um nicht, wie Paula Spencer, immer wieder zu sagen, sie sei gegen eine Tür gerannt. Sie sei entsetzt gewesen zu erfahren, wie viele Todesfälle es gebe.
„Man muss sich trauen können, beim Arzt zu sagen: Ich bin geschlagen worden.“
Anja Butschkau will erreichen, dass Angehörige und Freundinnen aufmerksamer werden und sich bei Verdacht trauen, zu fragen. Aber sie mahnte auch an: „Man muss auch das Helfen lernen.“ Eine erste Anlaufstelle sind die Frauenhäuser. Hiervon, da waren sich alle vier auf dem Podium einig, gibt es zu wenige im Land.
Außer mehr Plätze in Frauenhäusern zu sichern, sei es wichtig, die helfenden Personen gut auszubilden. Das gelte nicht nur für die Mitarbeiter*innen in Beratungsstellen, auch Polizist*innen und Richter*innen müssten lernen, den richtigen Ton zu treffen und die richtigen Fragen zu stellen, so eine Forderung von Sevgi Kahraman-Brust.
Um Frauen stark zu machen, bei aller Liebe keine Gewalt gegen sich zuzulassen, müsse schon in Kindergarten und Schule das Selbstbewusstsein von Mädchen stark gemacht werden. Hier versprach Mirja Düwel, für die AWO-Beschäftigten in der Offenen Ganztagsbetreuung die Weiterbildung in diesem Sinne auszubauen und mehr Hilfsangebote auf Migrantinnen auszurichten.
Auch in der Politik könnte sich demnächst etwas im Sinne der Frauen ändern. Im Publikum saßen bis zum Schluss Landtagsabgeordnete wie Butschkaus Kollegin Carina Gödecke und ihr Kollege Volkan Baran, der SPD-Bürgermeisterkandidat Thomas Westphal, die Dortmunder Bürgermeisterin Birgit Jörder und der Nordstadt-Bürgermeister Ludwig Jörder.
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AG der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW: „Förderung von digitalen Beratungsangeboten gegen sexualisierte Gewalt nötig und hilfreich“ (PM)
Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW:
„Förderung von digitalen Beratungsangeboten gegen sexualisierte Gewalt nötig und hilfreich“
Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freie Wohlfahrtspflege begrüßt die neue Fördermaßnahme des Landes für Prävention und Nachsorge sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Zu diesem Zweck stellt das Ministerium für Kinder, Frauen, Familie und Integration (MKFFI) den Familienberatungsstellen zwei Millionen Euro zur Verfügung. Die Mittel sollen die digitale Infrastruktur verbessern helfen und zum Ausbau digitaler Beratungsangebote dienen.
„Wir freuen uns sehr über dieses Paket und verstehen es auch als Wertschätzung für die Arbeit unserer Beratungsstellen“, sagt Helga Siemens-Weibring, Vorsitzende des Arbeitsausschusses Kinder, Jugend und Familie der LAG Freie Wohlfahrtspflege. Gerade in der Corona-Krise und während des Lockdowns habe sich gezeigt, dass digitale Beratungsangebote ausgebaut werden müssten: „Das versteht jetzt jede und jeder – und in diesem Feld ist die Notwendigkeit ja auch unübersehbar“, sagt Siemens-Weibring mit Blick auf die Missbrauchs-Skandale in Lügde, Bergisch Gladbach und Münster. Dem MKFFI dankt sie ausdrücklich, denn die „Förderung von digitalen Beratungsangeboten gegen sexualisierte Gewalt ist nötig und hilfreich.“
Neben dem Ausbau der digitalen Infrastruktur sei auch die Entwicklung neuer Konzepte für die digitale Beratung notwendig. „Gerade bei Prävention und Nachsorge sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche könnte eine digitale Beratung Möglichkeiten eröffnen, die wir so bisher noch nicht nutzen konnten“, sagt Siemens-Weibring. Die jungen Menschen seien digital affin und oft virtuos – daran gelte es auch in der Beratung anzuknüpfen. Hilfe und Unterstützung könne dann beispielsweise unabhängig vom Ort und von festen Öffnungszeiten geleistet werden – zudem auch schnell und anonymisiert. „Digitale Angebote werden die Beratung von Mensch zu Mensch und beispielsweise psychologische oder therapeutische Hilfe nicht ersetzen, sondern überall da sinnvoll ergänzen, wo sie benötigt wird“, sagt Siemens-Weibring. Es gibt 264 geförderte Familienberatungsstellen in Nordrhein-Westfalen, darunter fallen Erziehungsberatungsstellen, spezialisierte Beratungsstellen und Anlaufstellen bei Misshandlung und sexuellem Missbrauch von Kindern sowie Ehe- und Lebensberatungsstellen.
In der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW haben sich 16 Spitzenverbände in sechs Verbandsgruppen zusammengeschlossen. Mit ihren Einrichtungen und Diensten bieten sie eine flächendeckende Infrastruktur der Unterstützung für alle, vor allem aber für benachteiligte und hilfebedürftige Menschen an. Ziel der Arbeit der Freien Wohlfahrtspflege NRW ist die Weiterentwicklung der sozialen Arbeit in Nordrhein-Westfalen und die Sicherung bestehender Angebote. Die Freie Wohlfahrtspflege NRW weist auf soziale Missstände hin, initiiert neue soziale Dienste und wirkt an der Sozialgesetzgebung mit.