Von Susanne Schulte
Fast 40 Jahre Gewerkschaftsmitglied, fast 30 Jahre Gewerkschaftssekretär – Michael Bürger, der jetzt keinen Monat früher als es die Renteneintrittsgrenze üblicherweise vorsieht seinen Schreibtisch als verdi-Geschäftsführer des Bezirks Dortmund verlassen hat, widmete sein ganzes Arbeitsleben erst ehren-, dann hauptamtlich der ÖTV und später der Dienstleistungsgewerkschaft. Was er gemacht hat, hat er gerne und mit der Ruhe und Überlegtheit gemacht, für die er bekannt ist und für die er geschätzt wird. „Ich habe nie auf die Rente hingelebt mit dem Wunsch, dann endlich das machen zu können, was ich immer wollte.“ Was ihm jetzt aber gefällt: Er macht nur noch Termine, die er selbst bestimmt, und nicht die anderen. Letzteres sei zum Schluss doch eine Belastung gewesen, sagt er im Gespräch mit Nordstadtblogger.
Beruflicher Werdegang: Erst forschte er zur Mitbestimmung, dann praktizierte er sie
Bürger ist gebürtiger Dortmunder, hat bis auf sechs Jahre, die er an der Grenze von einem Nachbarkreis gewohnt hat, immer in der Stadt gelebt und gearbeitet.
Er macht auf dem Stadtgymnasium Abitur, studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Uni in Dortmund und arbeitete erst als studentische Hilfskraft in der Sozialforschungsstelle, wurde später dort in den Personalrat gewählt und wurde gleich zum Vorsitzenden bestimmt. „Da bin ich dann mit null Ahnung gleich richtig mit der Gewerkschaftsarbeit in Kontakt gekommen.“
Hatte er vorher viel zur Mitbestimmung und Mitarbeiter*innenvertretungen geforscht, leistete er nun die praktische Arbeit. Wurden in den Studien die Gremien und deren Arbeit beschrieben, „hatte man in der praktischen Arbeit aber immer ein Ergebnis: Entweder es klappte oder es klappte nicht.“
Seit 1991 bei der ÖTV – Skepsis gegenüber ver.di legte sich nach den ersten Tarifverhandlungen
1991 bewarb er sich als Gewerkschaftssekretär bei der ÖTV, wurde eingestellt und übernahm die Betreuung der Mitglieder und Tarifverträge in den Sparten ÖPNV, private und öffentliche Versorgung der Stadtwerke Lünen, Dortmund und Schwerte, die der Stadtverwaltung Lünen und des dortigen Ortsvereins. Seine Arbeit umfasste die individuelle Rechtsberatung und die kollektive Unterstützung.
In seine Dienstzeit fiel die bundesweite Diskussion um die Zusammenschlüsse der Einzelgewerkschaften. „Am Anfang war ich skeptisch gegenüber verdi. Es schien mir, dass alles viel umständlicher werden würde.“ Auf der anderen Seite sei die Situation in der ÖTV aber auch so gewesen, dass sich etwas habe ändern müssen. „Wir haben uns oft mit der DAG aufgerieben.“
Die DAG, die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, vertrat in denselben Betrieben, in denen die ÖTV oder andere DGB-Gewerkschaften die Arbeiter*innen organisiert hatten, die Angestellten. So kam Michael Bürger immer mehr zu der Haltung, „dass wir das machen sollten“.
Und später dann, als ÖTV, DAG, IG Medien, HBV und die Postgewerkschaft unter dem Namen verdi – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft – zusammenarbeiteten und in den Tarifverhandlungen die Arbeitnehmer*innenseite mit nur einer Stimme sprach, war er überzeugt: „Allein dafür hat es sich gelohnt.“
Bedeutung von Haupt- und Ehrenamt war in den Gewerkschaften sehr unterschiedlich
Die alten Strukturen in den ehemaligen fünf Einzelgewerkschaften blieben vorerst in verdi erhalten. Komplizierter war die innerorganisatorische Struktur: Die Fachbereiche hatten die fachliche Leitung, die jeweilige verdi-Bezirksleitung die disziplinarische. Auch die Bedeutung von Ehren- und Hauptamt unterschied sich in jeder der fünf Organisationen.
„In der ÖTV spielten Gewerkschaftssekretäre die große Rolle, in der Postgewerkschaft waren es die Ehrenamtlichen.“ Doch den Mitgliederschwund konnte auch verdi nicht aufhalten. Hatte der Bezirk Dortmund 48000 Mitglieder im Jahr 2001, waren es in 2017 etwa 7000 weniger.
Heute, nach den Fusionen mit Bezirken Hellweg/Hochsauerland und Hamm/Unna zum Bezirk Westfalen betreut die Gewerkschaft 61000 Mitglieder. Womöglich wäre die Zahl noch geringer, doch 2010 und 2011 sei die Mitgliederentwicklung sehr positiv gewesen, erinnert sich Michael Bürger. „Der Grund war nicht rauszufinden.“
Michael Bürger übernahm 2008 die verdi-Geschäftsführung in Dortmund
Hatte er sich nach der verdi-Gründung mit seinem Kollegen, mit dem er sich vertrat, darauf geeinigt, so weiterzumachen wie bisher, war damit 2008 Schluss.
Der Bezirk Dortmund stellte seinen neuen Geschäftsführer vor: Michael Bürger. Ulli Dettmann, Bürgers Vorgänger auf diesem Posten, war zuvor als stellvertretender Landesbezirksleiter nach Düsseldorf gewechselt.
„Ich musste lange überlegen, bevor ich mich um den Bezirksleitung bewarb und war dann der einzige Bewerber.“ Er vertrat seitdem den größten verdi-Bezirk in Nordrhein-Westfalen. Seine Aufgaben waren jetzt andere: „Die inhaltliche Arbeit war verschwunden. Ich war vor allem beschäftigt mit Verwaltung und technischen Dingen.
Nach einem halben Jahr wusste ich schon nichts mehr von den Tarifverträgen, die ich bis dahin betreut hatte.“
Bis auf einen: Die Vorbereitungen der Tarifrunden im Öffentlichen Dienst, während der für die Beschäftigten in Kommunal- und Bundesbehörden sowie in Landesbehörden verbesserte Gehälter und Arbeitsbedingungen ausgehandelt werden, ließ sich Bürger nicht nehmen. „Hier geht es immer um mehrere Fachbereiche. Deshalb hat der Geschäftsführer den Hut auf.“
Abschied von der Arbeit und von den Zehn-Stunden-Tagen im Dienst
Bürger hat den Hut jetzt an seinen Nachfolger Michael Kötzing weitergegeben. Eine Feier zum Abschied steht noch aus.
Nachdem Kino- und Theaterbesuche nun wieder möglich sind, man auch zu Büchern in den letzten Monaten immer Zugang hatte, und jetzt die Kontaktbeschränkungen gelockert wurden, hat der ehemalige verdi-Geschäftsführer keine Sorge vor zu viel freier Zeit.
Eines freut ihn ganz besonders: „Jetzt kann ich viel mehr mit den Enkeln machen.“ Bei einem Zehn- bis Elf-Stunden-Tag sahen die ihren Opa sehr viel seltener als jetzt.
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