Ein beeindruckendes Beispiel in Dortmund-Dorstfeld zeigt, wie gelebte Inklusion auf dem Arbeitsmarkt funktionieren kann

Haben sich gesucht und gefunden. Bürokaufmann Marius Leupold und Seniorchef Reinhard Bräunig. Fotos Alex Völkel
Haben sich gesucht und gefunden: Bürokaufmann Marius Leupold und Seniorchef Reinhard Bräunig. Fotos: Alex Völkel

Von Sascha Fijneman

Inklusion und Integration können eine absolute Bereicherung für Betriebe sein, wenn man den Menschen eine Chance einräumt und individuelle Stärken fördert. Leider ist der Zugang zum Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung immer noch um ein vielfaches schwieriger als für ArbeitnehmerInnen ohne Handicap. Auch beim Online-Händler für Pool und Saunabedarf Bräunig in Dortmund-Dorstfeld gestaltete sich der Anfang schwierig. Doch mittlerweile ist der kleinwüchsige und auf dem linken Auge blinde Marius Leupold nicht mehr zu ersetzen. Er ist vollwertiges Mitglied des Teams, bringt sich eigeninitiativ ein und ist einfach wissbegierig und lernbereit. „Der ist immer auf Achse und nicht zu bremsen“, freut sich Geschäftsführer Reinhard Bräunig senior über den Glücksgriff, den er mit der Einstellung des jungen Mannes gemacht hat.

Aller Anfang ist schwer: Wie der erste Eindruck einer Bewerbung täuschen kann.

Auch wenn er nur auf dem rechten Auge sehen kann, hat Marius Leupold Durchblick.
Auch wenn er nur auf dem rechten Auge sehen kann, hat Marius Leupold den vollen Durchblick.

Und das trotz anfänglicher Skepsis. Als Reinhard Bräunig senior, der sich um das Personalmanagement des Betriebes kümmert, den er gemeinsam mit seinem Sohn führt, die Bewerbung von Marius Leupold begutachtete, fiel ihm als erstes das ziemlich unvorteilhafte Bewerbungsfoto auf. 

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Schriftlich konnte sich der junge Mann jedoch gut ausdrücken und mit seiner dreijährigen integrativen Ausbildung zum Kaufmann im Büromanagement war er genau der Kandidat, den sich die Firma eigentlich wünschte. Also entschloss sich der 76-jährige Seniorchef, es auf ein Vorstellungsgespräch ankommen zu lassen. Die Chemie stimmte.

Hierüber freut sich auch die Chefin der Arbeitsagentur Dortmund, Martina Würker. „Die Betriebe sollten Inklusion als Chance begreifen. Das Leben ist nicht immer geradeaus und blümchenschön. Wir unterstützen und fördern bei der Inklusion mit individuellen Modellen, die jeweils auf die Bedürfnisse des Arbeitnehmers und die Erfordernisse des Arbeitgebers abgestimmt sind.“

So lernten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer näher kennen und es wurde schnell offensichtlich, dass der junge Leupold von beruflichem Ehrgeiz getrieben wurde. „Nach meiner Ausbildung habe ich unzählige Bewerbungen rausgeschickt, bis es klappte. In der Zwischenzeit war ich einen Monat arbeitslos – das war der schlimmste Monat meines Lebens. Keine Tagesstruktur, kein Grund aufzustehen. Ich habe ziemlich schnell gemerkt, dass mir da im Alltag was fehlt“, so der sympathische und äußerst selbstironische Marius.

Reinhard Bräunig senior: „Es ist Aufgabe der Arbeitgeber, Potentiale zu erkennen und zu fördern.“

Bräunig und Sohn geben den Menschen eine Chance und fördern gezielt die Stärken des Einzelnen.
Positiv: Bräunig und Sohn geben den Menschen eine Chance und fördern gezielt die Stärken des Einzelnen.

Bräunig senior entschloss sich dazu, dem jungen Mann eine Chance zu geben und bot ihm eine dreimonatige Probebeschäftigung an. Mittlerweile hat er einen befristeten Arbeitsvertrag und die Chancen für eine langfristige Übernahme stehen gut. Aber das war nicht von Anfang an so: „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren nicht begeistert von meiner Entscheidung“, berichtet Bräunig offen und ehrlich.

Er habe große Widerstände gespürt und hätte Überzeugungsarbeit leisten müssen. „Heute sieht das ganz anders aus, Marius ist angekommen und angenommen im Team. Wir schauen, wo seine Fähigkeiten liegen, was er gut kann und was vielleicht aufgrund seines körperlichen Handicaps nicht geht“, so der engagierte 76-jährige.

Für ihn ist es absolute Sache des Arbeitgebers, beim Thema Inklusion die Stärken des Arbeitnehmers zu erkennen und zu fördern. Wichtig sei hierbei vor allem der gemeinsame Prozess der Eingliederung. Nichts sollte über den Kopf des Betroffenen hinweg entschieden werden.

Wirbelwind Marius ist mittlerweile in verschiedenen Bereichen unersetzbar

Egal ob am PC, in der Produktion oder im Lager. Marius geht seinen Weg und steht seinen Mann.
Egal ob am PC, in der Produktion oder im Lager: Marius geht seinen Weg und steht seinen Mann.

Und so arbeitet Marius nicht nur im Büromanagement. Er bearbeitet die Tagespost, kümmert sich um eingehende Bestellungen, hilft in der Produktion aus, druckt und klebt Etiketten auf Aufguss-Produkte und Saunazubehör. Mittlerweile kennt er sich gut im Portofolio des Bestandes aus, welches bei Bräunig um die 500 Produkte umfasst. Und durch die Abwechslung wird der Job für Marius nie zur eintönigen Routine.

Auch für den 20-jährigen war der Anfang sicherlich gewöhnungsbedürftig. Doch schon beim Vorstellungsgespräch habe er sich wohl gefühlt, auch wenn er sehr angespannt gewesen sei. Er sei begeistert von der Bereitschaft der Firma Bräunig gewesen, gemeinsam Wege zu finden, um ein für beide Seiten vorteilhaftes Arbeitsverhältnis auf die Beine zu stellen.

„Man lernt nie aus und immer dazu“, lautet seine Devise und mit einem köstlichen Humor fügt er hinzu: „Ich hab ein Auge auf die Dinge, wenn auch nur eins“ spielt er auf seine halbseitige Blindheit an. Er nimmt seine Arbeit ernst, sie erfüllt ihn, gibt seinem Leben Sinn und macht ihm vor allen Dingen Spaß. Auch wenn sein Ehrgeiz ihm manchmal vielleicht zu viel abverlangt.

„Ich fühle mich gut aufgehoben, die Arbeit macht mir Spaß. Es kratzt aber immer noch an meinem Ego, wenn ich etwas nicht schaffe, nur weil ich etwas kleiner bin als andere.“ Und Martina Würker ergänzt: „Marius ist der beste Beweis dafür, dass auch Menschen mit Behinderung im Arbeitsalltag voll und ganz ihren Mann stehen können.“

Respekt, Toleranz und Teamwork sind die Mittel zum Erfolg

Arbeitsagenturchefin Martina Würker und die Bräunigs.
Besuch in Dorstfeld: Arbeitsagentur-Chefin Martina Würker im Gespräch mit Vater und Sohn Bräunig.

Bis die Arbeitsabläufe und die unterschiedlichen Aufgabenbereiche verinnerlicht waren, stand Marius immer ein Betreuer oder eine Betreuerin mit Rat und Tat zur Seite.

„Das Problem bei der Inklusion ist, glaube ich, weniger die Akzeptanz von Menschen mit Behinderung, sondern der Umstand, dass man ihnen einfach nicht viel zutraut, es sich schlicht und einfach nicht vorstellen kann, zu was auch Menschen mit Behinderung zu leisten imstande sind“, so Marius.

Für Seniorchef Bräunig ist die Sache klar. „Auch mit Handicap hat Marius einen Kopf und zwei gesunde Hände. Seine Körpergröße spielt für seine Tätigkeit keine Rolle – und sie ist mir auch egal.“ Auch in der Vergangenheit hat sich die Firma Bräunig auf soziale Arbeitsmarktprojekte in Kooperation mit Jobcenter und Arbeitsagentur eingelassen. 

Vor rund fünf Jahren habe man zu dritt mit dem Online-Handel begonnen und befinde sich seitdem in stetigem Wachstum. Mittlerweile sind 28 Beschäftigte für den Saunazubehör-Hersteller tätig. Unter ihnen sind mehrere ehemals Langzeitarbeitslose sowie Flüchtlinge aus Syrien. Man habe auch schon mal schlechte Erfahrungen gemacht – aber die würden auch mit „normalen“ BewerberInnen vorkommen. 

Wie Inklusion und Integration das zwischenmenschliche Verständnis fördern können

Martina Würker schaut Marius Leupold bei der Arbeit über die Schulter.
Martina Würker schaut Marius Leupold bei der Arbeit im Betrieb in Dorstfeld über die Schulter.

Durch die Integration der syrischen Mitarbeiter hätten Bräunig und Sohn mittlerweile einen ganz anderen Blick auf die Bürgerkriegsproblematik in Syrien. Man könne viel besser nachempfinden, wie es den Menschen geht, die ihre Heimat aufgrund von Krieg und Zerstörung verlassen müssten, um in einem fremden Land völlig neu anzufangen, verdeutlicht der Juniorchef. 

„Ob beim Thema Integration oder Inklusion. Natürlich ist es eine zeitintensive Aufgabe die Menschen einzuarbeiten und fit zu machen und oftmals sind die BestandsmitarbeiterInnen wenig davon begeistert diese Zeit aufzubringen. Doch wenn man es richtig anpackt, die vorhandenen Potentiale fördert und auch Schwächen oder Handicaps akzeptiert und berücksichtigt, kann das Ganze zur absoluten Bereicherung und zur Entlastung für alle im Betrieb tätigen MitarbeiterInnen werden“, sind sich Bräunig und Sohn einig.

Und Marius fügt hinzu: „Ich bin froh hier angekommen zu sein. Ich hätte nie gedacht, dass ein eher steriler Beruf wie der des Kaufmannes im Büromanagement so vielseitig und abwechslungsreich sein kann. Ich fühle mich sehr wohl und als ganz normaler Mitarbeiter.“

Bleibt zu hoffen, dass zukünftig noch mehr ArbeitgeberInnen, den Mut beweisen, neue Wege zu gehen, Menschen mit Handicap eine Chance zu geben, auch Brüche in Lebensläufen zu akzeptieren, Potentiale beim Thema Integration und Inklusion zu fördern und sich von der jeweiligen Persönlichkeit des Einzelnen individuell überzeugen zu lassen.

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