Der Autor und Illustrator Nils Oskamp wurde in den 1980er Jahren in Dorstfeld Opfer rechter Gewalt. Bis heute machen einige der Neonazis, in deren Visier er damals geraten war, mit rechtsextremem Terror Schlagzeilen. Seine Erlebnisse und Erfahrungen hat er in einem illustrierten Roman zusammengestellt. Die Graphic Novel „Drei Steine“ stellte Oskamp jetzt in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache vor.
Nils Oskamps Graphic Novel „Drei Steine“ erscheint im Panini-Verlag
Oskamp stellte sein Buch zunächst mit einem kurzen Trailer vor: Als ein Mitschüler auf der Wilhelm-Busch-Realschule in der Klasse den Holocaust verleugnete und weitere Nazi-Parolen propagierte, lehnte sich Nils Oskamp dagegen auf. Dadurch machte er sich zur Zielscheibe der Neonazis.
Ein Kampf ums nackte Überleben begann. In eindringlichen Bildern zeigt die Graphic Novel, wie die Lehrer und die Polizei, aber auch seine Eltern, die Bedrohung nicht ernst nahmen.
Mehrfach wurde Oskamp von Neonazis krankenhausreif geschlagen, deren Verständnis von „Ruhm, Ehre und Tapferkeit“ sich in hinterhältigem Auflauern und Angriffen in Überzahl offenbarte.
Die Spirale der Gewalt eskalierte und gipfelte in zwei Mordanschlägen. Die jugendlichen Täter wurden von Altnazis indoktriniert und angeworben. Die Seilschaften existieren teils bis heute fort, im Roman tragen die Protagonisten andere Namen.
Doch warum „Drei Steine“? Der junge Nils nahm sie von einem Grabstein auf dem alten jüdischen Friedhof in Dorstfeld mit. Den ersten warf er in höchster Not auf einen angreifenden Neonazi, den zweiten setzte er gegen einen anderen Neonazi, den er verdächtigte, für einen Mordanschlag auf ihn verantwortlich zu sein, nicht ein, weil er sich im letzten Moment des fünften mosaischen Gebotes entsann: „Du sollst nicht töten!“.
Den dritten Stein brachte Oskamp Jahre später zur israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, um der von den Nationalsozialisten ermordeten Juden zu gedenken und die Widerstandskämpfer zu ehren, an denen jedermann sich ein Beispiel nehmen solle.
Podiumsdiskussion zur Geschichte und zum Kampf gegen Neonazis und Rechtspopulismus
Den Hauptteil des Abends machte dann aber eine Podiumsdiskussion mit reger Publikumsbeteiligung aus, in der, ausgehend von „Drei Steine“, zum einen noch einmal die Geschichte des Rechtsextremismus in Dortmund in den letzten 40 Jahren beleuchtet wurde, vor allem aber, wie dem heute noch immer virulenten Neonazismus und auch dem neuerdings um sich greifenden Rechtspopulismus begegnet werden könne.
Nils Oskamps Gesprächspartner war der Journalist David Schraven vom Recherchebüro „CORRECT!V“, der sich in seiner Graphic Novel „Weisse Wölfe“ jüngst selbst mit den Dortmunder Neonazis der neueren Generation beschäftigt hatte.
Weiterer Gesprächspartner war Timo Reinfrank, Programmleiter der Amadeu Antonio Stiftung, die vielfältig gegen Rassismus und Rechtsextremismus kämpft. Sie betreibt unter anderem auch die Webseite „Netz gegen Nazis“.
Dortmunder Lokalhistorie – vor 1933 braun und heute wieder?
Außerdem stand Hartmut Anders-Hoepgen, der die Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie der Stadt Dortmund leitet, mit auf dem Podium. Moderator war Markus Günnewig, stellvertretender Leiter der gastgebenden Mahn- und Gedenkstätte Steinwache.
Die lokale Historie beleuchteten zunächst Hartmut Anders-Hoepgen und Nils Oskamp.
Anders-Hoepgen deutete an, dass häufig Altnazis ihren Nachwuchs erfolgreich „eingebräunt“ hätten, sodass es heute in Stadtteilen, die vor 1933 die Nazis oder andere rechtsnationalistische Parteien gewählt hätten, gleichfalls überproportional Stimmabgaben für rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien gebe.
Nils Oskamp wusste aus seiner Dorstfelder Schulzeit in den 80ern von Lehrern zu berichten, die ihre Schüler noch gern die erste Strophe des Deutschlandliedes singen ließen und feurig die Schlacht von Stalingrad an der Tafel nachstellten.
Rechtsradikaler Aufbau und das Wegschauen bei Behörden und der Zivilgesellschaft
Von Anders-Hoepgen etwas grobmaschig skizziert sorgte die Deindustrialierung der einstigen Stadt von Kohle, Stahl und Bier in Dorstfeld für eine massive Abwanderung. In die zunehmend leergezogenen Häuser in Unterdorstfeld zogen zunächst linksalternative WGs und Kleingewerbebetriebe ein.
Diese wurden aber von der strukturkonservativen alleinregierenden SPD konsequent weggebissen. In die dadurch freigewordenen, billigen Wohnungen in Häusern mit oft schlechter Bausubstanz mieteten sich dann nach und nach immer mehr Neonazis ein.
Nicht lange, und prominente Aktivisten wie Michael Kühnen und Christian Worch gaben sich ein Stelldichein, die damalige Lokalgröße Siegfried Borchardt immer dabei. Im Naturschutzgebiet in der Hallerey trieb die berüchtigte „Wehrsportgruppe Hoffmann“ ihr Unwesen.
Timo Reinfrank von der Antonio Amadeu Stiftung ergänzte, die Polizei schaute damals gerne weg, der BvB auch. Der damalige OB meinte bequem, der Rechtsradikalismus sei in Dortmund keineswegs endemisch, sondern die Rechtsextremen kämen von außen, machten sich einfach die günstige Verkehrslage der Stadt zunutze – so lange war sie Segen, nun wurde sie zum Fluch – und verschwänden dann, nachdem sie den guten Ruf der Stadt zu beschädigen versucht hätten, so rasch wieder, wie sie gekommen seien.
Erhöhte Gewaltbereitschaft bei Rechtsextremen – zunehmende Popularität des Rechtspopulismus
Den Blick auf die Situation und die Aufgaben der Gegenwart leitete David Schraven mit düsteren Befunden ein. Es gebe im rechten Milieu wieder eine erschreckend hohe Gewaltbereitschaft, sehr viele Gewalttaten gegen Flüchtlinge, Flüchtlingsunterkünfte, aber auch gegen Flüchtlingshelfer und Politiker der Willkommenskultur.
Die Täter fühlten sich sicher, weil nur zwei Prozent von ihnen vor Gericht verurteilt würden, der Großteil der Verfahren eingestellt werde.
Timo Reinfrank ergänzte: offiziell seien seit dem Attentat auf dem Münchner Oktoberfest 1980 bis heute 200 Menschen durch Rechtsextremisten ermordet worden, die wirkliche Zahl liege aber sogar bei über 900 Opfern, zum Vergleich: der linksextremistische Terror der RAF habe 39 Tote gefordert.
Flankiert würden diese rechten Untaten von einer bedenklichen Radikalisierung im Netz. Die Öffentlichkeit schaue bei weitem nicht genug hin, auch weil Rechtsextreme zuvörderst Randgruppen ins Visier nähmen, vor den Flüchtlingen etwa die Roma oder Obdachlose.
Anders-Hoepgen zeigte sich angesichts des zunehmenden Zulaufs rechtspopulistischer Bewegungen wie der AfD sehr besorgt. So seien 70 Prozent der Nichtwähler rechtspopulistisch gesonnen, ein Potential, dass von AfD & Co. noch keineswegs ausgeschöpft sei.
In seinem Dortmunder Wahlkreis seien bei der letzten Kommunalwahl nur noch 30 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne gegangen. Er machte dafür gesellschaftliche Desintegrationsprozesse kultureller und ökonomischer Art verantwortlich. Anders-Hoepgen warf den demokratischen Parteien vor, sich diesem Trend nicht offensiv genug entgegenzustemmen.
David Schraven von „CORRECT!V“ mahnte stärkeres Engagement der Gewerkschaften an, so wie in den 90ern, als Gewerkschafter Flüchtlingsheime schützten und gegen rechten Rassismus die erfolgreiche Kampagne „Mach meinen Kumpel nicht an!“ starteten.
Rechtsextremismusbekämpfung durch Repression in Dortmund
Ein wichtiges Mittel zur Bekämpfung von Neonazismus ist die Repression. Schraven forderte schärfere Gesetze, um neonazistischer Propaganda und Umtrieben wirksamer entgegentreten zu können.
Vorbild sei hier einmal Österreich, wo 2011 der aggressive Neonazi Gottfried Küssel wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Dieses sog. „Verbotsgesetz“ war bereits 1945, direkt nach der Befreiung, erlassen worden und gilt noch immer.
Aber auch wo die deutschen Gesetze eigentlich reichten, agiere die Justiz oftmals wie taub und blind. So sei der Dorstfelder Naziaktivist Sven Kahlin für die Tötung des Punkers „Schmuddel“ vor elf Jahren vergleichsweise milde bestraft worden, weil das zuständige Gericht kein politisches Tatmotiv erkennen mochte.
Die aktuelle Polizeiarbeit geriet hier nicht in den Fokus der Kritik, gelobt wurden die dichte örtliche Präsenz und die zunehmenden Razzien in den Dorstfelder Nazi-WGs, bei denen nicht nur die digitale Infrastruktur beeinträchtigt, sondern auch viel Insider-Material beschlagnahmt werde. Aber, so beklagte Schraven, warum habe es noch keinen nachhaltig erfolgreichen Hackerangriff auf den Neonazi-Onlineversand „antisem.it“ oder das sog. „dortmundecho“ gegeben?
Erfolge zivilgesellschaftlicher Initiativen in Dortmund
Heiko Hamer vom Runden Tisch Dorstfeld warf ein, die Abwehr von Rechtsextremismus und -populismus durch die Dortmunder Zivilgesellschaft sei doch erfolgreich.
Dies zeigten die überwiegend von Sachorientierung und Willkommensbereitschaft geprägten Bürgeranhörungen zu Flüchtlingsheimen und dass Pegida in Dortmund ebenso wenig eine Chance habe, wie die Neonazis mit ihren hetzerischen Andockversuchen ins prekäre oder bürgerlich-reaktionäre Milieu.
Eine Huckarder Lehrerin ergänzte, in ihrem Stadtteil habe sich die Zivilgesellschaft, die örtlichen „Schulen ohne Rassismus“ vorneweg, erfolgreich gegen die Eröffnung eines „Die Rechte“-Parteibüros gewehrt.
Hartmut Anders-Hoepgen berichtete für die Koordinierungsstelle von erfolgreichen Sensibilisierungen auf den Schulleitungskonferenzen der Realschulen und Gymnasien. Die Lehrer forderten pädagogisches Material zur Demokratieerziehung und Radikalismusprävention.
Das sollen sie alsbald bekommen, die Materialkoffer zum Thema Rechtspopulismus werden gerade bestückt. Dies ist auch Teil eines neuen Aktionsplanes gegen Rechts, den die Stadt gerade entwickelt.
Dorstfelder Antinazi-Initiative für Entmietungen und Vermietungsstop
In den Kinderschuhen steckt wohl noch eine Initiative, von der Anders-Hoepgen sprach. Sie will den bestehenden und vor allem den jüngst stark zunehmenden Vermietungen an Neonazis rund um den Dorstfelder Wilhelmplatz begegnen.
Zeit wär´s, wie Timo Reinfrank und David Schraven mahnten. In Mecklenburg-Vorpommern gebe es bereits Arreale, in denen der „Raumkampf“ von den Nazis zu ihren Gunsten entschieden worden sei, da gebe es dann eben Nazi-Bäcker, Nazi-Schuster, Nazi-Schneider, Nazi-Frisöre, Nazi-Kitas, Nazi-Jugend- und -Seniorentreffs …
Aber anders als dort, so möchte man hinzufügen, dienen die Dorstfelder Nazi-WG-Strukturen nicht nur der ideologischen, mentalen und organisatorischen Binnenfestigung, sondern sie sind der „Hotspot“, von dem aus unter dem Label „Die Rechte“ vielfältige Naziaktivitäten in den anderen Dortmunder Stadtteilen und weit darüber hinaus erdacht, initiiert und verantwortet werden.
„Drei Steine“ von Nils Oskamp kann wichtige Beiträge leisten
Einen wichtigen Beitrag zur kritischen Vergangenheitsaufarbeitung, aber auch zum gegenwärtigen Kampf gegen rechte Menschenfeindlichkeit dürfte „Drei Steine“ von Nils Oskamp leisten.
Es ist eine Wanderausstellung zum Buch geplant, der Autor kommt auch gerne in Schulen, um sein Buch vorzustellen und mit Schülern und Lehrern zu diskutieren.
Auf der Homepage von „Drei Steine“ – www.dreisteine.net – gibt´s jede Menge Zusatzinfos und auch pädagogisches Begleitmaterial.
Reader Comments
Nils Oskamp
Jetzt für „Drei Steine“ abstimmen!
Meine Graphic Novel „Drei Steine“ ist nominiert für den Rudolph Dirks Award. Der wird dann Anfang Dezember erstmals zur German ComeCon in Dortmund verliehen. Du kannst mir helfen, dass mein Buch in der Stadt den Preis bekommt wo die Geschichte gespielt hat.
Die Jury soll nur aus ‚Fachpersonal‘ bestehen, sprich Mitarbeitern von Comicverlagen, Buchhändlern, Comic-Fachjournalisten, Kulturmanagern oder Comicschaffenden. Alle, die sich dazu zählen, können sich unter: http://rudolphdirksaward.de/registrieren anmelden und dann in der Kategorie Biography für „Drei Steine“ Voten. Also: Diese Mail weiterleiten, teilen auf Facebook und MITMACHEN!!! (https://twitter.com/DirksAward)
Hier noch neue Infos zu den Drei Steinen,
aktueller Medienspiegel:
http://www.dreisteine.com
Aktuelle Fotos, Lesungen und Ausstellungen_
http://www.facebook.com/dreisteine
ARTE TV Bericht und das Deutschlandradio Interview
http://info.arte.tv/de/kampf-gegen-braun-schwarz-weiss
http://www.deutschlandfunk.de/graphic-novel-ueber-dortmunder-neonaziszene-die-mutigen.807.de.html?dram:article_id=357868
p.s. Mein Tipp
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