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Früher suchten Anhänger:innen islamistischer Strömungen junge Menschen vor allem in Moscheen oder an Informationsständen auf, doch inzwischen dominiert Social Media zur Mobilisierung. Besonders seit dem 7. Oktober 2023 prägt der Nahostkonflikt die Agenda. Dazu zählt auch die Furkan-Gemeinschaft, die etwa in Dortmund aktiv ist und bereits Pro-Palästina-Kundgebungen organisiert hat. Hinter der vermeintlichen Solidarisierung mit Kriegsopfern verbergen sich jedoch Verbindungen zu antisemitischen Autoritäten.
Die islamistische Ideologie der Furkan-Gemeinschaft
Durch Kurzvideos den Islam näherbringen: Die Präsenz auf Social Media von islamistischen Predigern und Gruppierungen nimmt stetig zu. Innerhalb kurzer Zeit und ortsunabhängig können unzählige Personen erreicht werden – die Zielgruppe sind besonders junge Rezipient:innen. Auch die Furkan-Gemeinschaft pflegt eine hohe Onlinepräsenz, sei es auf Instagram oder TikTok. Die Organisation wurde 1994 vom islamischen Rechtsgelehrten Alparslan Kuytul in der Türkei gegründet, der heute noch als Führungsfigur agiert.
Daneben hat die Gemeinschaft auch Ableger in zahlreichen Städten in Europa und Deutschland, unter anderem seit 2015 in Dortmund in Form des Furkan Kultur- und Bildungszentrums e.V. Wie viele Anhänger:innen dort vertreten sind, ist bislang unklar. Landesweit liegt die Anzahl in NRW schätzungsweise bei rund 80 Personen.
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Die Gemeinschaft verfolgt im Allgemeinen das Ziel, die „Islamische Zivilisation“, die durch das islamische Recht geprägt ist, zu stärken. Andere Staats- und Gesellschaftsordnungen, wie etwa die Demokratie, lehnen sie gemäß den Angaben des Ministeriums des Innern NRW ab. Dieses vereinnahme nach ihrem Verständnis die Rechte Gottes, denn durch die Teilhabe am politischen Prozess zwinge die Demokratie zu Kompromissen, die im Widerspruch zu Gottes Gesetzen stünden, so das Ministerium des Innern NRW. Aus diesem Grund unterliegt sie der nachrichtendienstlichen Beobachtung.
Medienberichten zufolge ordnen Verfassungsschützer die Furkan-Gemeinschaft dem legalistischen Islamismus zu. Dieser sei im Gegensatz zu dschihadistischen Organisationen wie dem IS gewaltfrei, um sich so dauerhaft in der Gesellschaft zu etablieren und islamistische Staaten zu errichten. Dennoch geht die Bundesregierung davon aus, dass die Gemeinschaft Kontakte zur salafistischen Szene pflegt, beispielsweise zur Gruppierung Hizb ut-Tahrir al-Islami. Diese strebe ebenfalls das weltweite Kalifat an und wurde im Jahr 2003 vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) mit einem Betätigungsverbot belegt.
Instrumentalisierung des Nahostkonflikts im islamistischen Spektrum
Dass bei islamistischen Predigern und Gruppierungen der Fokus im Netz seit geraumer Zeit auf den Nahostkonflikt abgestimmt ist, ist dabei kein Zufall. Laut der Bundesgemeinschaft Religiös Begründeter Extremismus e. V. (BAG RelEx) dient der Konflikt häufig zur Instrumentalisierung, um Anhänger:innen für ideologische Zwecke zu mobilisieren.
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Durch die einseitige Darstellung des Konflikts und die Vereinfachung komplexer historischer Zusammenhänge entsteht zudem ein striktes Bild von „Gut und Böse“, wie die BAG RelEx im Quartalsbericht der Bundeszentrale für politische Bildung anmerkt. In diesem Kontext finden sich auch eine Verurteilung der „westlichen Staaten“ sowie der Vorwurf der Untätigkeit islamischer Länder gegenüber den Muslim:innen im Kriegsgebiet, gefolgt von unzähligen antisemitischen Beiträgen.
Zugleich findet der antimuslimische Rassismus vermehrt Ansprache in ihren Beiträgen. Die Organisation CLAIM verzeichnete für das Jahr 2023 insgesamt 1.926 antimuslimische Vorfälle, was einen Anstieg von etwa 114 Prozent im Vergleich zu 2022 entspricht und unter anderem im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt steht.
Auch bei der Furkan-Gemeinschaft Dortmund bildet der Nahostkonflikt die Agenda
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Dies sorgt für die zunehmende Unsicherheit bei muslimischen Personen, gefolgt von verstärkter Angst und dem Gefühl, allein gelassen zu werden. Hier setzen häufig islamistische Gruppierungen an, um das Feindbild gegenüber „dem Westen“ weiter zu schüren und neue Anhänger:innen zu gewinnen.
Auch bei der Furkan-Gemeinschaft Dortmund bildet der Nahostkonflikt die Agenda. Neben zahlreichen Posts auf TikTok und Instagram war sie bereits auf pro-palästinensischen Kundgebungen vertreten, bei denen sie unter anderem auch offenkundig Kritik äußerten.
Diese richtete sich besonders an das Vorgehen der deutschen Politik im Rahmen des Nahostkonflikts und den Vorwurf, dass Israelkritik unmittelbar mit Antisemitismus gleichgesetzt werde, was auch von Dortmunder Anhängern im gleichnamigen Podcast aufgegriffen wird. Eine Abgrenzung zur terroristischen Hamas findet dabei nicht statt. Laut dem Verfassungsschutzbericht des Landes NRW bedienen sie vielmehr das übliche Opfernarrativ und deuten die Angriffe der Hamas als Akt der Selbstverteidigung um.
Führungsperson der Gemeinschaft äußert offen antisemitische und radikale Ansichten
Da sich die Anhänger:innen der Furkan-Gemeinschaft auch außerhalb der Türkei vor allem an die Lehren Kuytuls orientieren, stellt sich die Frage, wie unbefangen die Israelkritik tatsächlich ist.
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Während sich die Gemeinschaft in Deutschland recht bedeckt hält in ihren öffentlichen Aussagen, da sie wissentlich unter Beobachtung steht, gibt Kuytul im Netz seine Meinung freier kund: So postet er offenkundig auf seinem englischsprachigen Account auf X (ehemals Twitter), dass er Israel nicht als Staat anerkennt und auch niemals anerkennen wird.
Die Abspreche des Existenzrechts wird als antisemitisch eingestuft und geht somit über die konstruktive Kritik an der Regierung Israels hinaus. Zugleich solidarisiert sich Kuytul auf X mit der „Al-Aqsa-Flut“-Operation, also der Militäroperation der terroristischen Hamas gegenüber Israel am 7. Oktober. So fordert er, das von Israel besetzte Land zurückzugewinnen und ruft die Palästinenser:innen zum Jihad auf.
In diesem Kontext bezieht sich der Begriff auf den kämpferischen Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebietes. Radikale Gruppierungen interpretieren den Jihad dabei als „Heiligen Krieg“, der als Legitimation für gewaltsame Aktionen dient.
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Auf Nachfrage der Redaktion bei der Pressestelle der Furkan-Gemeinschaft, inwieweit sie sich im Zusammenhang mit dem Vorwurf, dass bei ihnen Israelkritik mit Antisemitismus gleichgesetzt wird, von den Aussagen Kuytuls distanzieren oder diese unterstützen, erfolgte keine Antwort.
Somit bleibt eine Stellungnahme seitens der Gemeinschaft aus. Auf den Instagram- und TikTok-Kanälen der Dortmunder Gemeinschaft sind Videoausschnitte von Kuytuls zu finden. Zwar sind die Videos inhaltlich primär von theologischen Vorträgen geprägt, die keinen Bezug zu Israel und Palästina herstellen, doch lässt dies umso mehr die Frage offen, inwieweit tatsächlich eine Distanzierung von Kuytul stattfindet.
Verstrickte Gemeinschaft erschwert häufig den Ausstieg
Auch wenn islamistische Gruppierungen, wie die Furkan-Gemeinschaft, bereits vor dem Nahostkonflikt Social Media als Kommunikationsstrategie für sich entdeckt haben, zeigt dieser Konflikt erneut, wie schnell durch emotional aufgeladene Videos eine Mobilisierung stattfinden kann. Oft werden Menschen unbemerkt angesprochen und entwickeln Sympathien für diese Organisationen, ohne sich der zugrunde liegenden Ideologien bewusst zu sein. Nach außen hin treten diese Gruppen meist humanitär und wohlwollend auf, während im Hintergrund radikale Akteur:innen agieren, deren Ideen hinterfragt werden sollten.
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Geraten junge Personen einmal in islamistische Kreise wie die Furkan-Gemeinschaft, kommen sie so schnell nicht wieder raus, wie Adem Bayaral von der Radikalisierungsprävention der Bundeszentrale für politische Bildung erklärt: „Gerade weil die Furkan-Gemeinschaft so eine kleine Gruppe ist, kennt man sich gut, man kümmert sich umeinander und es ist entsprechend schwierig, auszusteigen.“
Eine Anlaufstelle für betroffene junge Menschen bietet in Dortmund dennoch die Beratungsstelle „Wegweiser“, die gegen den extremistischen Islamismus vorgeht. Zudem bieten sie auch Workshops zur Mediennutzung von islamistischen Gruppierungen an, die zur Sensibilisierung dienen sollen.
Quellen und weiterführende Informationen:
- Lagebild antimuslimischer Rassismus
- Antwort der Bundesregierung auf die Furkan-Gemeinschaft
- Beitrag SWR zur Furkan-Gemeinschaft
- Ministerium des Innern des Landes NRW
- Verfassungsschutzbericht des Landes NRW
- Lagebericht des Verfassungsschutzes zu Antisemitismus mit Bezug auf Alparslan Kuytul
- Einschätzung der Furkan-Gemeinschaft von Adem Bayaral (Radikalisierungsprävention)
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