Mit dem Rad geradeaus auf einer eigenen Fahrbahn durch die Dortmunder Innenstadt? Das ist bislang nicht möglich. Zukünftig vielleicht schon. Eine Nord-Süd-Achse (über Kleppingstraße/Kuckelke bzw. Hansastraße) soll nun zeitnah im Hinblick auf ihre Realisierbarkeit getestet werden. Ohne dass es zur Konkurrenz mit dem Fußverkehr kommt. So will es zumindest der Mobilititätsausschuss des Stadtrats. Eine Mehrheit ist sich dort darüber hinaus einig: den Ausbau des Wallrings für ökologisch vernünftigeren Verkehr ersetzt das keinesfalls. Ein durchgehender Radwall muss her.
Das Zusammenspiel von Expertise und Politik in demokratischen Gesellschaften
Die Mühlen des politischen Geschäfts – liegt kein Notstand vor – sind in einer Demokratie nicht gerade Geschwindigkeitsfresser. Auch auf kommunaler Ebene nicht. Seitens der Stadtverwaltung will hier vieles sorgfältig bedacht und geplant werden; dort, in den zuständigen Gremien, wird von den gewählten Parteienvertreter*innen – auch öffentlichkeitswirksam – debattiert, schließlich entschieden. Mehrheitlich, was denn zu tun sei, zum Wohle der Bürger*innen. Das dauert. ___STEADY_PAYWALL___
Zuweilen, wenn die Parteien nicht wissen, was sie machen sollen, weil sie nicht wissen, was überhaupt geht, was nicht – dann lassen sie die Angelegenheit von der Kommunalverwaltung prüfen. Die sagt, was unter welchen Voraussetzungen nach bestehender Rechtslage realisierbar wäre. So schafft Expertise idealtypisch Wissensgrundlagen für politisches Handeln. Dazu werden von den Gremien sog. Prüfaufträge vergeben.
Aber nicht immer allein aus diesem Grund wird sachkundiger Rat von der Stadt erbeten. Politisches Taktieren ist dabei keineswegs ausgeschlossen. Das jüngste Beispiel war in dieser Woche im dem Stadtrat zugeordneten Ausschuss für Mobilität, Infrastruktur und Grün (AMIG) zu beobachten. Es ging um ein verhältnismäßig heikles Thema, nicht nur in Dortmund, sondern unserer Zeit überhaupt. Dessen vereinfachte Überschrift könnte lauten: Wie gewichten wir im Einzelfall Wirtschaft und Umweltschutz zueinander?
Prüfauftrag: Innenstadtquerungen Kleppingstraße/Kuckelke und Hansastraße für Radverkehr
Runtergebrochen auf kommunale Ebenen scheiden sich die Geister dann an konkreten Maßnahmen – und das politische Taktieren beginnt. Auf der Tagesordnung des AMIG steht ein gemeinsamer Vorschlag der Fraktionen von CDU und Grünen: Die Verwaltung möge die Errichtung einer Fahrradachse durch die Dortmunder Innenstadt von Nord nach Süd prüfen.
Dies solle in einer Testphase über 12 Monate geschehen. Ziel der Antragssteller, das heutzutage – angesichts der heraufziehenden Klimakatastrophe – kaum jemand verneinen möchte: eine „fahrradfreundliche Gestaltung der Innenstadt“, lautet der Gemeinplatz im Wortlaut an Ort und Stelle.
Reinhard Frank, mobilitätspolitischer Sprecher der Christdemokraten betont zur Antragsbegründung: Hier solle nicht explizit ein „Planfall 5“ diskutiert werden, sondern es handele sich lediglich um einen Prüfauftrag an die Verwaltung (s.o.). Das wirkt harmloser und öffnet nicht erneut einen seit längerem schwelenden Streit in der Dortmunder Kommunalpolitik. Den auszutragen, dazu haben alle Beteiligten gegenwärtig wenig Interesse. Worum geht es?
Um den Ausbau des Fahrradwegenetzes im und am Innenstadtbereich im Zuge des Mega-Projekts „Emissionsfreie Innenstadt“. Allerdings: Gerne möchte die Union weitgehend auf den darin vorgesehenen Radwall (auf dem jetzigen Wallring) verzichten. Dies zumindest der Eindruck aus den Debatten der letzten Monate. Denn da ist die Sorge um den Einzelhandel, um die Wirtschaft, um die vielen Pendler*innen, und vieles mehr.
Ominöser Planfall 5: wird damit der vorgesehene Umbau des Wallrings überflüssig?
Ihr Problem: Für den im Projekt angestrebten, umfassenden Wallumbau zugunsten von Rad und Fußgänger*innen liegen mittlerweile vier verschiedene (und sich teils gegenseitig ausschließende) Optionen, die sog. Planfälle vor (wir berichteten). Erarbeitet wurden sie von der Stadt zusammen mit externen Kooperationspartnern. Entstanden sind vier unterschiedliche Konzepte, wie ein solcher Umbau prinzipiell aussehen könnte. Doch gleich in welcher Version – alle Fälle laufen darauf hinaus, den motorisierten Individualverkehr auf dem Wallring zu beschränken. Denn es muss ja Platz her, für ökologisch vernünftigere Verkehre.
Im Weiteren ist im Rahmen des Zielvorhabens, die Dortmunder Innenstadt über ihre Infrastruktur möglichst emissionsfrei zu halten, aber vorgesehen, Querungen der Innenstadt für Radfahrer*innen von Nord nach Süd und von West nach Ost anzulegen. Dieser Projektaspekt wurde bisher allerdings mit weniger Nachdruck verfolgt.
Der Dortmunder CDU schwebt nun vor, einen zusätzlichen – quasi ihren eigenen fünften Planfall – mit diesen Innenstadtquerungen für den Fahrradverkehr gleichrangig zu behandeln. Statt zunächst ausschließlich den Wallumbau in den Blick zu nehmen (d.h. die Planfälle 1-4). Ihr strategisches Ziel, offenbar: Planfall 5 als ebenfalls exklusive Alternative zu den bislang in der Diskussion befindlichen Konzepten ins Spiel zu bringen, deren Realisierung unabweisbar unerfreuliche Konsequenzen für den Autoverkehr zeitigte.
Hintergrund: CDU hat für weitgehenden Verzicht auf Radwall gegenwärtig keine Mehrheit
Doch für einen solchen „Planfall 5“ gibt es im politischen Dortmund gegenwärtig leider keine Mehrheit. Diese – allen voran Bündnis 90/Die Grünen – sieht besagte Radquerungen durch die Innenstadt lediglich als eine Ergänzung zum vorgesehenen Radwall. Aber die Fraktionen von CDU und Grünen kooperieren seit dem letzten Jahr. Daher der gemeinsame Antrag, welcher gleichwohl politisch recht unterschiedlich motiviert ist. Klar dabei ist: kommt es zum Schwur, gibt es Ärger.
Währenddessen kocht der Konflikt auf kleiner Flamme. Hier ein Piks, da ein Überhören. Kaum eine Gelegenheit in der letzten Zeit verstrich, bei der Grünen-Sprecher Matthias Dudde nicht müde wurde, zu betonen (wie in der vergangenen Sitzung des AMIG): Sie, seine Partei ginge von der Realisierung beider Vorhaben in der Stadt aus – Radwahl und Querung.
Die Christdemokraten wiederum setzen – angesichts der politischen Mehrheitsverhältnisse – pragmatisch-klug auf Zeit, in der ihre Sachposition an politischem Gewicht gewinnen könnte. Sollte sich etwa infolge der zwölfmonatigen Testphase herausstellen, dass die Querungsidee nicht nur realisierbar ist, sondern besonders und vielleicht auch als genuine Alternative zum Radwall in Betracht gezogen werden könnte.
Ein Prüfauftrag an die Dortmunder Stadtverwaltung als taktisches Manöver?
Dennoch: Wer den anvisierten Fahrradachsen durch den Innenstadtbereich positiv gegenübersteht, kann zunächst gar nichts dagegen haben, ihre Realisierbarkeit auf der Nord-Süd-Strecke zu testen. Gleich, welches Kalkül im Weiteren hinter dem Prüfauftrag stecken mag. Daher – bis auf die AfD – breite Zustimmung im Ausschuss für den Prüfauftrag von CDU/Grünen an die Verwaltung, der Sache auf den Grund zu gehen.
Dennoch, Christian Gebel, Linke+, kann sich während der kurzen Diskussion in dem Ausschuss nicht verkneifen: Sie freuten sich, dass die CDU so konstruktiv mit ihrer Kritik an einer (eigenständigen) fünften Variante umgegangen sei.
Und meint natürlich deren gewieften Schachzug, das (mutmaßliche) christdemokratische Basismotiv – nämlich einen ausgewachsenen Radwall mit deutlichen Einschränkungen für den Autoverkehr zu verhindern – hinter einem harmlos wirkenden Prüfauftrag an die Verwaltung aus der politischen Schusslinie zu bringen.
Bauchschmerzen wegen Querung des Westenhellwegs durch Fußgänger*innen
Ansonsten geht es in der Ausschusssitzung hier und da um Details. Wilfried Rupflin vom Behindertenpolitischen Netzwerk gibt zu verstehen: Aus Behindertensicht sei es sinnvoll, würde das Radwegenetz vervollständigt, klar. Jedoch: Rad- und Fußverkehr sollten auseinandersortiert werden, „damit die Fußgänger nicht am Ende Freiwild sind“.
SPD-Sprecherin Gudrun Heidkamp bestätigt die erwartbare Zustimmung ihrer Fraktion, hat aber ähnliche Bauchschmerzen: Es solle auch beachtet werden, dass beide zur Prüfung anstehenden Wege (die Achsen fürs Rad) den Westenhellweg querten, der normalerweise eben stark belaufen sei.
Für die Grünen stellt Matthias Dudde während der Sitzung klar, was sie als „Fahrradachsen“ begriffen: „Wir verstehen darunter nicht einen Radschnellweg“, beruhigt er die Sorgen um den Fußverkehr. Was ihm vorschwebt: Am Westenhellweg müsse man eben vom Rad absteigen und die paar Meter schieben. „Wir wollen keine Konkurrenzsituation schaffen zwischen Fußverkehr und Radverkehr“, so Dudde.
Der Kooperationskollege von der CDU pflichtet ihm bei: das funktioniere woanders – wie in Freiburg – seiner Erfahrung nach schließlich auch.
Fahrradachsen und Radwall: Zwei unabhängige Teilprojekte für eine emissionsfreie Innenstadt
Aber das sind Einzelheiten, für die ggf. Lösungen gefunden werden könnten, so der Eindruck. Gewichtiger, bei aller Zustimmung zu dem Prüfantrag, eine prävalente Insistenz in dem Ausschuss. Nämlich auf die Unabhängigkeit des Teilprojekts Innenstadtquerung für den Radverkehr im Verhältnis zum Umbauprojekt des Wallrings für ökologische Fortbewegungsweisen – die zwingend zulasten der Autos gehen wird.
Gudrun Heidkamp macht klar: Die nun vorgesehene Prüfung, die geschehe unabhängig vom Vorhaben am Wall. Ja, das sei „nicht Fall 5“, bestätigt der Ausschussvorsitzende und ihr Parteigenosse, Hendrik Berndsen. Heißt: Radquerungen durch die Innenstadt muss es genauso geben wie einen Fahrradwall. Aus der Sicht von Klimaschützer*innen nachvollziehbar: Hauptsache, weniger Autos, hieße es von dort.
Grünen-Politiker Matthias Dudde, mit einem deutlichen Seitenblick auf die Union, schlägt in eine ähnliche Kerbe: Auch bei Veranstaltungen in der Innenstadt solle ein Korridor für das Rad freigehalten werden. Er denkt dabei beispielsweise an den Dortmunder Weihnachtsmarkt. Letzteres ist wiederum nicht ganz im Sinne der CDU: die wollte bislang den gewünschten Radweg durch die Innenstadt zu solchen Zeiten unterbrechen.
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Reader Comments
Tim
Danke für den erhellenden Artikel, in dem deutlich wird, wie Lokalpolitiker herumtaktieren und Entscheidungen durch immer neue Finten verzögern. Kein Wunder, dass der Ausbau der Radwege bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird. Dadurch wird die gegenwärtige Radfahrer-Generation nichts mehr davon haben.