Von Alexander Völkel
Eine scheinbar ganz normale WG – die drei Bewohner haben vieles gemeinsam: Sie sind alle 18 Jahre alt und sind befreundet, lernen alle drei Bäcker und teilen sich eine preiswerte Wohnung in der Nordstadt. Scheinbar normal. Doch Endri, Ildis und Albi haben noch eine Gemeinsamkeit: Sie kommen aus Albanien. Und für Jugendliche aus dem ärmsten Land Europas ist es alles andere als normal, in Deutschland einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Denn sie sind – ganz schlicht ausgedrückt – von der deutschen Politik hier unerwünscht. Wir erzählen ihre Geschichte.
Für zigtausende junge Flüchtlinge gibt es keine realistische Bleibeperspektive
Es gibt tausende Jugendliche aus Albanien in Deutschland. Die wenigsten von ihnen haben nach dem 18. Lebensjahr eine Bleibeperspektive. Denn die deutsche Politik hat ihr Land im Herbst 2015 zum sicheren Herkunftsland erklärt.
Eine Chance auf Asyl – und damit einen legalen Aufenthalt – besteht damit faktisch nicht mehr. Ein Schicksal, welches zigtausende Jugendliche aus anderen vermeintlich sicheren Herkunftsländern teilen.
Dass sie dennoch eine berufliche Perspektive in Deutschland bekommen, dafür müssen sie unglaublich viele Hürden überwinden. Alleine hätten sie wahrscheinlich keine Chance. Doch sie standen nicht allein – das Ausbildungscoaching der Grünbau in der Nordstadt hat sie und fast 300 andere junge Flüchtlinge und ZuwandererInnen begleitet.
Seit 26 Jahren kümmert sich die Grünbau GmbH um die Qualifizierung und berufliche Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen und Jugendlichen ohne Ausbildung. Dabei macht sie von jeher keine Unterschiede, woher die Hilfesuchenden kommen – anders als der Gesetzgeber.
Ein neuer Ausbildungsfonds will bürokratische Härten abfedern helfen
Gemeinsam mit der Stiftung Soziale Stadt und anderen Unterstützern hat sie daher ein Programm für Flüchtlinge und Zugewanderte aufgelegt, das die Barrieren beim Zugang in Ausbildung und Arbeit abfedern soll: Es geht um einen Ausbildungsfonds.
„Wir machen keinen Unterschied, aus welchem Land die Jugendlichen kommen oder welchen Aufenthaltsstatus sie haben“, unterstreicht Grünbau-Geschäftsführer Andreas Koch. „Das Wichtigste ist nach der Schule bzw. der Jugendhilfe, sie mit einem Ausbildungsplatz zu versorgen. Wenn Sie hier wohnen, dann müssen wir ihnen auch helfen, dass sie dauerhaft selbst ihren Lebensunterhalt bestreiten können.“
Die Ausbildungsplatzsuche ist für Jugendliche generell nicht leicht. Wenn Sie jedoch ohne ihre Familie und noch dazu relativ neu in Deutschland sind, wird dies noch viel schwieriger. Besondere Hürden hat nun der Gesetzgeber für jene Jugendlichen aufgebaut, die aus vermeintlich sicheren Herkunftsländern kommen.
Ohne eine fachkundige Begleitung hätten die Jugendlichen keine Chance
Sollten die als Flüchtlinge Eingereisten – allen Widrigkeiten zum Trotz – einen Ausbildungsplatz finden, müssen sie zuvor in ihr Herkunftsland ausreisen.
Dort müssen sie ein Arbeitsvisum beantragen, die „Unbedenklichkeitsbescheinigungen“ von Ausländerbehörde und Arbeitsagentur vorlegen und dann auch noch nachweisen, dass sie über 800 Euro monatlich für Miete und Lebensunterhalt verfügen, um hier ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Denn Anspruch auf Bundesausbildungsbeihilfe haben diese Jugendlichen nicht.
Eigentlich müssten sie ja auch die Ausbildungsplatzsuche von ihrem Heimatland aus betreiben. Doch ohne ein persönliches Kennenlernen und Probearbeiten wird heute fast niemand mehr als Azubi eingestellt. Schließlich zielt die Regelung ja eher auf gefragte Fachkräfte wie Ärzte oder IT-Spezialisten, die gezielt von großen Unternehmen nach Deutschland gelockt werden.
Junge Leute ohne Berufsausbildung – das ist in den meisten Ländern Standard – haben da in der Regel keine Chance auf eine legale Einreise. „Das Ganze ist eine gewollte Sanktion“, verdeutlicht Florian Eichenmüller, der im Projekt Ausbildungscoaching bei Grünbau arbeitet. Denn ohne Ausbildungsbeihilfe kommt in Deutschland fast kein Lehrling im ersten Ausbildungsjahr auf 800 Euro im Monat. In vielen Berufen schaffen sie kaum die Hälfte – zum Leben reicht das ohne familiären Hintergrund nicht.
Ausbildungsfonds will Unterstützung beim Lebensunterhalt geben
Daher haben Grünbau, Stiftung Soziale Stadt und weitere Partner einen Ausbildungsfonds aufgelegt, der diese Jugendlichen finanziell unterstützt.
Sie schließen die Lücke zwischen der Ausbildungsvergütung und den von der Behörde verlangten 800 Euro. Im Fall der Bäckerazubis Endri, Ildis und Albi sind das rund 7000 Euro, die vom Fonds für die Dauer von drei Jahren zurückgelegt bzw. zugeschossen werden.
Die drei jungen Albaner sind die ersten und bislang einzigen Jugendlichen, die von dem neuen Topf profitieren konnten. Für einen vierten Jugendlichen gäbe es noch Geld. Doch auch weitere sollen profitieren können – daher werden noch weitere Spender gesucht.
Das Absurde: Viele Betriebe suchen händeringend Azubis – der Mangel an Bewerbern ist aktenkundig und unstrittig. Trotzdem gibt es viele Hürden für ausländische Jugendliche. Mancher Arbeitgeber will potenziellen Azubis bei der Lösung der formalen Hürden helfen. Doch im Dschungel der Bürokratie kommen viele nicht weiter. Hier kommt das Ausbildungscoaching von Grünbau ins Spiel. Sie begleiten junge Flüchtlinge und Neuzuwanderer – und auch ihre Ausbildungsbetriebe.
Dortmunder Ausbildungsbetriebe suchen händeringend motivierte Auszubildende
„Diese Begleitung ist für die Betriebe wichtig. Wenn sie sich alleine mit den Ämtern auseinandersetzen, kommen sie häufig nicht weiter“, berichtet Thomas Vorwerk, Chef der gleichnamigen Bäckerei.
„Das ist unverständlich, weil wir ohnehin schon Nachwuchsprobleme haben. Die Ämter sollten froh sein, dass wir auf auf die jungen Flüchtlinge zurückgreifen könnten“, betont der Familienunternehmer.
Auch Vorwerk hat – ebenso wie die Bäckereien Grobe und Dahlmann – jeweils einen albanischen Jugendlichen eingestellt. Alle drei werden von Grünbau begleitet. Auf sie wie ihre Landleute warteten auf dem Weg zur Ausbildung viele Hürden: Denn im Herbst 2015 wurde Albanien zum sicheren Herkunftsstart erklärt und die Jugendlichen konnten keine mehr Ausbildung beginnen, weiß Manfred Schwarz, der die Jugendliche begleitet.
Die Begleitung ist durchaus nicht nur sprichwörtlich zu verstehen: Er begleitete drei von ihnen sogar nach Tirana in Albanien. Denn die Jugendlichen mussten zunächst freiwillig ausreisen und im Heimatland ein Visum beantragen – in der Hoffnung, wieder zurückkommen zu können. „Das war ein großer Schreck und der Weg wurde wesentlich komplizierter und bürokratischer“, erinnert sich Schwarz. „Die Betriebe waren unglaublich geduldig.“
Unglaublich komplizierte Wege durch den bürokratischen Dschungel
Dort hatten die drei albanischen Jugendlichen zuvor Praktika gemacht. Doch um erfolgreich ein Arbeitsvisum in der Heimat zu beantragen, brauchten sie nicht nur einen Ausbildungsbetrieb.
Sie brauchten auch eine Bescheinigung der Arbeitsagentur, dass sich keine deutschen oder andere vorrangig zu behandelnden BewerberInnen für den jeweiligen Ausbildungsplatz in der jeweiligen Kommune finden lassen.
Doch dann muss auch die Ausländerbehörde mitspielen und eine Vorab-Zustimmung erteilen, dass die Jugendlichen nach einer erfolgreichen Antragstellung in die jeweilige deutsche Stadt zurückkehren dürfen. Ohne dies würde die Visumsbeantragung vor Ort wesentlich länger dauern und wahrscheinlich scheitern.
So wie bei einem anderen albanischen Jungen, der auch einen Ausbildungsplatz in Dortmund gefunden hatte. Doch seine Beantragung des Arbeitsvisums scheiterte – er bekam stattdessen eine 30-monatige Einreisesperre für Deutschland. „Wir schreiben noch E-Mails. Er fragt nach, ob wir noch etwas für ihn tun können“, berichten die Grünbau-Mitarbeiter resigniert.
Endri, Ildis und Albi hatten also auch das notwendige Quentchen Glück, welches ihrem Landmann fehlte. Mittlerweile wurden die Regelungen zwar leicht modifiziert – eine Ausreise ist nicht mehr zwingend nötig. Am komplizierten Verfahren ändert das aber grundsätzlich nichts.
Dortmunds Integrationsratsvorsitzende kritisiert die gewollten Hürden und Schikanen
„Es ist doch schrecklich, dass man solche Wege gehen muss, damit Jugendliche sich in Deutschland integrieren können“, ärgert sich Aysun Tekin, Vorsitzende des Dortmunder Integrationsrates.
„Integration ist gelungen, wenn alle die gleichen Chancen auf Ausbildungs- und Arbeitsmarkt bekommen. Dann brauchen wir auch nicht über gescheiterte Integration reden.“
Solche Hürden seien unerträglich – jeder Mensch haben die gleichen Zukunftschancen verdient. „Respekt und Hut ab für euch und Grünbau“, lobte Tekin. Sie machte abermals deutlich, dass am Integrationsgesetz noch vieles verändert werden müsste, damit dieses seinen Namen auch verdiene.
BVB-Spieler Neven Subotic hörte sich das Schicksal der Jugendlichen an. „Ich war auch mal illegal in Deutschland“, flüsterte er den Jungen zu. Der Fußball-Profi engagiert sich schon seit längerem als Botschafter für das Ausbildungsprojekt von Grünbau.
Unterstützung und Anerkennung durch Fußball-Profi Neven Subotic
Ein Freund von ihm – Paul* aus Mali (*Name geändert) – gehörte auch zu den Teilnehmern. Neven lernte den Jugendlichen in der Nordstadt-Liga „Bunt kickt gut“ kennen und war von seiner Art begeistert. Seitdem begleitet er Paul und auch andere Jugendliche.
Fast 300 Jugendliche sind seit März 2014 im Grünbau-Coaching gewesen. Annähernd 70 konnten sie in einen Ausbildungsplatz vermitteln, 90 in ein Praktikum und mehr als 20 in einen passenden Job. Paul ist dabei so etwas wie das Aushängeschild. Er hatte seinen Ausbildungsplatz über das Projekt gefunden und ist jetzt der erste der 70 „Grünbau“-Azubis, der seine Ausbildung beendet hat und von seinem Betrieb übernommen wurde.
„Für mich ist es eine Ehre und eine Verantwortung, solche Projekte mitzutragen. Es ist gut, wenn man die Aufmerksamkeit, die ein Fußballer genießt, auf die lebenswichtigen Dinge fokussieren kann“, betont Subotic. Für ihn ist es unverständlich, dass man nach so vielen Kraftanstrengungen in der Jugendhilfe nach Erreichen der Volljährigkeit solche zusätzlichen Hürden aufbaut. Dass Endri, Ildis und Albi sie überwinden konnten, dafür zollt der Profikicker den Jugendlichen Respekt.
Subotic hofft nun, dass sich weitere Sponsoren finden, damit mehr junge Leute eine Chance auf eine Ausbildung bekommen: „Ich habe mich aus erster Hand überzeugt, dass das ganz gut gelingen kann.“
Auch eine kostenlose Wohnung kann die Ausbildung möglich machen
Dabei muss ein Unterstützer noch nicht einmal Bargeld mitbringen. Auch Sachleistungen wie eine Wohnung könnten weiterhelfen. „Früher war es doch normal, dass Ausbildungsbetriebe auch für die Unterbringung ihrer Lehrlinge sorgten“, sagte Annemarie Dahlmann – sie betreibt mit ihrem Mann die gleichnamige Bäckerei an der Mallinckrodtstraße.
Endri, Ildis und Albi haben ihre Wohnung mit Hilfe von Grünbau gefunden. Sie konzentrieren sich nun voll und ganz auf ihre Ausbildung. Für die Unterstützung sind sie dankbar – das hilft dabei etwas zu vergessen, dass sie ohne ihre Familien in Deutschland sind. Sie drücken auch anderen Jugendlichen die Daumen, dass auch sie einen Ausbildungsplatz finden.
Denn sie hoffen alle, perspektivisch mit ihrer Arbeit als Bäcker auch ihre Familien in der Heimat unterstützen können. Die 1600 Euro, die sie nach der Ausbildung als Geselle verdienen könnten, seien für eine albanische Familie sehr viel Geld. Zuhause hätten sie mit weniger als 500 Euro auskommen müssen. Falls sie überhaupt eine legale Arbeit gefunden hätten…
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