Das Auswärtige Amt warnt: In Ghana steht Queerness unter hoher Strafe

Dortmund unterzeichnet Städtepartnerschaft mit Kumasi – trotz scharfer Kritik des SLADO e.V.

Oberbürgermeister Thomas Westphal (l.) und Oberbürgermeister Samuel Pyne (r.) unterzeichneten im Dortmunder Rathaus die Städtepartnerschafts-Urkunde – die Presse war zu diesem Termin nicht eingeladen. Foto: Roland Gorecki für Stadt Dortmund

Dortmund und Kumasi haben ihre Städtepartnerschaft mittlerweile offiziell besiegelt. „Meilenstein“, nennen die Städtepartnerschaft die einen, „Risiko“ nennen sie die anderen. Denn in Ghana steht Queerness und auch die Unterstützung der queeren Szene unter hoher Strafe. Nun besuchte der Oberbürgermeister der afrikanischen Stadt erstmals Dortmund und beantwortete im Interview kritische Fragen – ganz zum Unmut der anwesenden städtischen Vertreterin.

Kumasi OB Samuel Pyne besuchte Dortmund mit einer kleinen Delegation

Kumasi ist die zweitgrößte Stadt des afrikanischen Landes Ghana und beherbergt mehr als drei Millionen Menschen. Seit Mai ist sie zudem auch die erste afrikanische Partnerstadt der Stadt Dortmund – ein „Meilenstein“, finden die Dortmunder Grünen, Linke+ und die Partei.

Samuel Pyne, Oberbürgermeister von Kumasi, reiste im Mai mit einer kleinen Delegation das erste Mal in die deutsche Partnerstadt. Er findet, Dortmund sei „wunderbar, vor allem das viele Grün und die Menschen, die sind sehr nett.“ Besonders gefallen habe ihm das Rathaus, das Fußballmuseum und das Phönix-See-Gelände – und natürlich das Essen und das deutsche Bier, ergänzt Pyne schmunzelnd.

„Kumasi ist in der Mitte des Landes Ghana, unsere Stadt zieht Menschen aus der ganzen Welt an – es ist immer viel los“, berichtet der afrikanische Oberbürgermeister. Gemeinsamkeiten hätten Dortmund und Kumasi so einige, das habe er während seines Besuchs einmal mehr festgestellt.

Zwischen den Partnerstädten gibt es viele Gemeinsamkeiten – aber auch massive Unterschiede

Besonderen Wert lege er – ebenso wie der Dortmunder OB – auf das Klima. „Kumasi ist eine grüne Stadt – wir geben allerdings unser Bestes, um das noch weiter auszubauen, um sicherzustellen, dass unser Plan zum Klimaschutz funktioniert“, erklärt Samuel Pyne.

Trugen sich im Beisein von OB Thomas Westphal ins Goldene Buch der Stadt ein: Bürgermeister von Kumasi Samuel Pyne (rechts) und Botschafterin Gina Ama Blay. Stadt Dortmund / Roland Gorecki

Eine weitere Gemeinsamkeit sei der Fokus auf Bildung – denn auch Kumasi ist eine Studierendenstadt mit drei öffentlichen und fünf privaten Universitäten. Geplant werden sollen deshalb auch Studierendenaustauschprogramme mit der Technischen Universität Dortmund.

OB Samuel Pyne sieht vor allem darin einen großen Vorteil. „Austauschprogramme werden uns zusammenwachsen lassen, wir werden voneinander lernen, das bringt uns weiter“, findet er.

Ein großer Unterschied sind jedoch die allgemeinen Menschenrechte in Ghana. Aktuell können einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen in Ghana mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden.

Darüber hinaus besteht dort für queere Menschen auch die Gefahr Opfer von Erpressung sowie Gewalt durch Privatpersonen aber auch staatlichen Stellen zu werden. Staatlicher Schutz wird LSBTIQ*-Personen in Ghana ebenfalls verwehrt.

Homosexualität steht in Ghana unter Strafe: Oberster Gerichtshof prüft Verschärfung der Gesetze

Laut einer Umfrage des Pew Research Centers halten 98 Prozent der ghanaischen Befragten Homosexualität für inakzeptabel. Auch die deutsche Bundesregierung rät vor einem offenen Umgang der eigenen queeren sexuellen und/oder geschlechtlichen Identität in Ghana dringend ab. Das auswärtige Amt warnt Reisende diesbezüglich ebenfalls explizit.

Der Christopher Street Day in Dortmund – in Ghana undenkbar. Foto: Christopher Ising

Seit dem letzten Jahr berät das ghanaische Parlament darüber hinaus über eine Verschärfung der bestehenden Gesetze, wonach sich das Strafmaß für homosexuelle Handlungen weiter erhöht und auch die Identifikation als LSBTIQ* an sich bestraft werden soll.

Des Weiteren soll die finanzielle Unterstützung sowie der politische Einsatz für queere Menschen unter Strafe gestellt werden. Somit wäre ein zivilgesellschaftlicher Austausch zwischen Dortmund und Kumasi für LSBTIQ*-Personen aus beiden Ländern unter ghanaischem Recht strafbar.

Stadtspitze hatte offenbar Sorge vor einem negativen Echo

Vor dem Interview fragte Samuel Pyne, ob er die Fragen einmal sehen könne und überflog sie, gemeinsam mit seinem Assistenten. Die anwesende Vertreterin der Stadt Dortmund schaute erschrocken und fragte: „Sind da etwa auch kritische Fragen bei?“.

Die Feierstunde zur neuen Städtepartnerschaft mit Kumasi wurde durch eine Rede von Samuel Pyne, dem Oberbürgermeister von Kumasi, ergänzt. Stadt Dortmund / Roland Gorecki

Auf den Hinweis, dass das Auswärtige Amt eine Reisewarnung für Ghana ausspricht, weil queeren Menschen und Menschen, die Queerness akzeptieren oder unterstützen, mehrjährige Haftstrafen drohen und dies von großem öffentlichen Interesse für Dortmunder:innen ist, entgegnete sie nur: „Es wäre aber wirklich schade, wenn über die Städtepartnerschaft von Anfang an negativ berichtet wird.“

Dortmund OB Thomas Westphal antwortete seit mehr als zwei Wochen nicht auf unsere Anfrage, ob er denn auch die kritisch im Rat diskutierten Themen mit seinem Amtskollegen angesprochen habe.

Selbst davon überzeugen konnte sich unsere Redaktion bei der offiziellen Unterzeichnung der Städtepartnerschaft bzw. beim Eintrag ins Goldene Buch nicht – die Presse war dazu, anders als die Ratsfraktionen,  nicht offiziell eingeladen. Nur die stadteigenen Medien waren für den Termin vorgesehen.

Ein offizieller Fototermin, aber nicht von der Stadt arrangiert: Die Delegation aus Kumasi besuchte die CJD Zeche Germania. Foto: CJD NRW Nord

Es gab keinerlei offizielle Termine mit der Delegation – lediglich der CJD Dortmund hatte zum Besuch der Delegation aus Kumasi  auf der CJD Zeche Germania eingeladen, bei dem es um Wissenstransfer ging.

Die Zeche Germania steht seit vielen Jahren für die Verknüpfung von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit. Sie bietet langzeitarbeitslosen Menschen einen geschützten Rahmen, in dem sie in unterschiedlichen Maßnahmen ins Arbeitsleben reintegriert und so auf den ersten Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Ein besonderer Fokus liegt hier auf Inklusion, also der Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen, REHA-Maßnahmen und der Berufsvorbereitung.

Der Dortmunder SLADO e.V. positioniert sich kritisch gegenüber der Städtepartnerschaft

Der Dachverband der Schwulen-, Lesben-, Bisexuellen- und Transidentenvereine und -initiativen in Dortmund (Slado e.V.) hatte sich bereits im Vorfeld kritisch gegenüber der Städtepartnerschaft positioniert, derzeit stelle sowohl ein fachlicher Austausch für queere Beschäftigte der Stadt als auch ein zivilgesellschaftlicher Austausch für queere Menschen ein hohes Risiko dar.

SLADO-Vorstand Klammer
Paul Klammer ist der Geschäftsführer des SLADO e.V.

„Ja, es gibt in Kumasi bestimmt Leute, die queer sind. Ich selber habe keine Erfahrung damit, ich habe noch nie jemanden aus der queeren Community gesehen. Aber ich höre, dass Menschen darüber sprechen“, erklärt Samuel Pyne im Interview. Er gibt an, selbst keinerlei Kenntnis über queerfeindliche Hasskriminalität in Kumasi zu haben.

„Die Aussagen von Oberbürgermeister Samuel Pyne zeigen, warum die Lage für queere Menschen in Ghana so schwierig ist. Queere Menschen können in Ghana nicht frei und offen leben und werden entsprechend auch nicht gesehen“, betont Paul Klammer, Geschäftsführer von SLADO e.V..

„Herr Pyne stellt völlig zurecht fest, dass die staatliche Verfolgung queerer Menschen auf nationaler Ebene verhandelt wird und kein auf Kumasi begrenztes Problem ist. Die Verfolgung queerer Menschen in Ghana findet aber vor allem auch durch Privatpersonen und aufgrund sehr verbreiteter queerfeindlicher Einstellungen statt“, so Klammer.

SLADO fordert, dass Menschenrechte in Ghana auch für queere Menschen gelten müssen

Pyne versichert, sicherzustellen, dass alle Menschen, die in einem Studierendenaustausch Kumasi besuchen, sicher sein werden. Er beruft sich dabei auf Austauscherfahrungen mit anderen Ländern aus der Vergangenheit. Ihm sei kein einziger Angriff – verbal oder körperlich – gegen mögliche queere Menschen aus anderen Ländern bekannt.

„Trans rights are human rights“ heißt es auf einem Plakat beim diesjährigen CSD in Dortmund.
„Trans rights are human rights“ – Plakat beim CSD 2022. Foto: Paulina Bermúdez für Nordstadtblogger

In Bezug auf den neuen Gesetzesentwurf sagt er: „Das ist ein nationales Thema, ich habe den Gesetzesentwurf nicht vorgelegt. Um ehrlich zu sein, möchte ich meine persönliche Meinung nicht äußern. Wir müssen den Ausgang abwarten – wenn der Gesetzesentwurf verabschiedet wird, ist er rechtlich bindend für alle Menschen. Wenn es nicht gesetzlich geregelt ist, ist es in unserem eigenen moralischen Verständnis zu schauen, was richtig für uns ist.“

Auf die Frage, ob queere Studierende mit offenen Armen in Kumasi empfangen würden, entgegnet er: „Natürlich empfangen wir sie mit offenem Herzen, aber wenn sie (in unser Land) hereinkommen – die Kultur der Menschen, die Normen der Menschen werden sich auf ihr Verhalten auswirken. Aber wie ich bereits gesagt habe, es hat noch keinen offenen Hass gegen sie gegeben oder nachteilige Gewalt gegen irgendeinen Besucher in meiner Stadt.“

Kauch: Anti-LGBT-Gesetz birgt erhebliche wirtschaftliche und politische Risiken für Ghana

„Verschiedene UN-Institutionen und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch haben Menschenrechtsverstöße gegen queere Menschen in Ghana dokumentiert. Davor schützt das moralische Verständnis einzelner Politiker und Mitmenschen nicht“, entgegnet Paul Klammer.

Michael Kauch (FDP/ Bürgerliste)
Michael Kauch sprach das Thema in einem Vortrag an, zu dem er als Europaangeordneter eingeladen worden war. Foto: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

„Vielmehr müssen sich Kumasi und Dortmund dafür einsetzen, dass die Menschenrechte, und insbesondere das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person und das Verbot der Diskriminierung, auch für queere Menschen Geltung erlangt“, so der SLADO-Vertreter.

Kritisch angesprochen hat der FDP-Europaabgeordnete Michael Kauch das Thema: „In einem Vortrag zu den Wirtschaftsbeziehungen EU-Ghana habe ich hervorgehoben, dass Ghana für die EU als Demokratie und wirtschaftlich aufstrebendes Land ein wichtiger Partner in Afrika ist. Allerdings berge das Anti-LGBT-Gesetz erhebliche wirtschaftliche und politische Risiken für Ghana. Denn das Gesetz schränke Menschenrechte und Meinungsfreiheit ein, was im Fall einer endgültigen Verabschiedung nicht ohne Reaktion Europas bleiben werde.“

Quellen und weitere Informationen:

  • Interview mit Samuel Pyne im DKH am 17. Mai 2024
  • Pressemitteilung des SLADO e.V.
  • Informationen zur Lage queerer Menschen in Ghana: www.lsvd.de

UPDATE (5. Juni, 17.30 Uhr):

Nach unserer Berichterstattung hat sich Stadt Dortmund nun doch noch geäußert. Stadtsprecher Michael Meinders teilt mit:

„Im direkten Austausch zwischen den beiden OBs wurde die Thematik nicht angesprochen. Unser OB hält es auch für richtig, dass beim ersten Kennenlernen nicht gleich die kritischen Themen beleuchtet werden. Man möchte sich erstmal kennenlernen und auch nicht aus 4-Augen-Gesprächen zitieren“, so der Pressesprecher.

Und weiter heißt es: „Bevor man vertieft in diese Thematik einsteigen kann, müssten bestimmte Themen der Entwicklung vorausgehen. Um diesen Weg zu beschreiten legen wir in unserer Partnerschaft ein Fundament an Menschenrechtsthemen und beginnen mit den eher ,einfacheren‘ Themen. So haben wir als erstes das Projekt ,She for democracy‘ gemeinsam mit unserem Gleichstellungsbüro bearbeitet. Weitere Themen werden defintiv erfolgen.“


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