Die Zahlen der politisch motivierten Kriminalität zeigen, dass der Rechtsextremismus in NRW ein großes Problem ist: „Die verschiedenen Gewalttaten machen deutlich, dass rassistische und menschenverachtende Diskurse in der Gesellschaft als Legitimation für rechtsterroristische Straf- und Gewalttaten genutzt werden. Daher sind die Verschiebung von Sagbarkeitsgrenzen und der aktuelle Rechtsruck eine ernsthafte Gefahr für unsere Gesellschaft“, schreibt die NRW-Landesregierung als Antwort auf eine Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag. Ein deutlicher Fokus liegt bei den einschlägigen Dortmunder Neonazis von der Partei „Die Rechte“ sowie deren Umfeld.
Einschreiten, bevor es überhaupt zu rechtsextremer Gewalt kommen kann
Bei den jüngsten Kommunalwahlen in Dortmund musste die Rechtsextremisten von der Partei „Die Rechte“ und der NPD insgesamt im Vergleich zu den Wahlen 2014 zwar Verluste hinnehmen. Die Rechtspopulisten von der AfD hingegen konnten Stimmen hinzugewinnen. Insgesamt hat sich dadurch das Lager am rechten bis rechtsradikalen Rand des politischen Spektrums vergrößert. ___STEADY_PAYWALL___
Trotz aller internen Anfeindungen sind Übergänge zwischen einzelnen Gruppierungen und Fraktionen innerhalb der Szene teils fließend – der Spitzenkandidat von „Die Rechte“, Bernd Schreyner, etwa war vormals Sprecher des AfD-Kreisverbandes Dortmund.
Die tieferen Ursachen dafür liegen in einem gemeinsamen Fundus rassistischer und/oder menschenverachtender Ideologiestücke, die nicht nur einen gesellschaftlichen Rechtsruck bezeichnen, sondern aus denen heraus sich ebenso rechtsextremistisch motivierte Gewalt bis hin zum Rechtsterrorismus speist.
Eine Gefahr, zweifelsohne, für eine freiheitliche, auf Toleranz und gegenseitiger Anerkennung beruhende Gesellschaft, der frühzeitig und entschieden entgegenzutreten ist. Und nicht erst, wenn es zu Brandanschlägen mit xenophoben Hintergründen oder antisemitischen Morden kommt. Für die Bekämpfung des Rechtsextremismus und -terrorismus sei entscheidend, „alle Erscheinungsformen genau im Blick zu behalten und für eine Sensibilisierung aller Behörden wie auch der Gesellschaft zu sorgen“, formuliert daher die NRW-Landtagsfraktion der Grünen. Also: Wehret den Anfängen!
Rechtsextreme, rassistische, antisemitische und frauenfeindliche Ideologien im Internet
Damit umreißen die NRW-Grünen ihre Begründung zur Großen Anfrage an die Landesregierung zum Rechtsextremismus in NRW. „Denn Rassismus, Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus stellen eine große Gefahr für unsere Demokratie und unsere pluralistische Einwanderungsgesellschaft dar“, sorgen sich die grünen Fragesteller*innen.
Was dem Thema Brisanz gibt, das sind nicht nur die von Neonazis ausgeführten Verbrechen in den letzten Jahren, die verübten oder versuchten Mordanschläge auf Andersdenkende, auf Menschen mit Migrationshintergrund, auf Menschen jüdischen Glaubens.
Sondern das ist die Weise, wie und von wem die abscheulichen Taten ausgeführt wurden: aus diffusen, verhältnismäßig unübersichtlichen Zusammenhängen rechtsextremistischer Gewaltbereitschaft heraus und von Tätern, die organisatorisch häufig nicht an klassische Neonazi-Strukturen gebunden waren.
„Die Täter waren nicht eingebunden in rechtsextreme Organisationen, sondern kommunizierten im Internet auf rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Netzwerken und radikalisierten sich dort“, stellen die Autor*innen der Anfrage fest. Und führen aus: „Seit Jahren werden in Internetforen rechtsextreme, rassistische, antisemitische und frauenfeindliche Ideologien verbreitet und mit Verschwörungstheorien vermengt.“
Neuer rechtsextremer Tätertypus ohne feste Bindung an klassische Neonazi-Strukturen
Eine zentrale Rolle spielten dabei „frauenfeindliche Einstellungen, die von toxischen Männlichkeitsvorstellungen gespeist“ würden.
„Sie finden sich in der Ideologie eines neuen rechtsterroristischen Tätertypus, der menschenverachtende Narrative im Internet konsumiert und sich dort mit Gleichgesinnten vernetzt“, schreibt die Landtagsfraktion der Grünen. Insofern müsse – beispielsweise bei den Attentätern von Christchurch, Halle oder Hanau – von einem solchen Tätertypus gesprochen werden.
Insofern mag es sich, was die Vorbereitung und das Begehen einzelner Delikte betrifft, in manchen Fällen zwar um „Einzeltäter“ handeln – sie kommen aber gleichwohl nicht aus dem Nichts, sondern führen auf brutale Weise zu Ende, was in den Neonazi-Netzwerken vielfach bereits vorgedacht und in unterschiedlichsten Varianten durchgespielt wurde.
In diesem Sinne war es nie nur ein einzelner Rechtsterrorist, der da mordete. Sondern es sind der Hass und die Disposition zur Gewalt einer ganzen Sub-„kultur“ gegenüber allem Fremden, demgegenüber sie in Angst erstarren, und im Verbund mit Verschwörungsideologien sowie reaktionären, patriarchalistischen Rollenbildern, die den Raum bilden, in dem das Unheil gedeihen kann. Und das ist durchaus facettenreich. Der typisch rechtsextremistisch motivierte Anschlag bildet daher quasi nur die Spitze des Eisbergs ab.
Neonazis in Nordrhein-Westfalen mit Dortmund als „Gravitationszentrum“: die Partei „Die Rechte“
Die Anfrage der Grünen zielt nun genau auf jene Strukturen hin, die das Gesamt der rechtsextremistischen NRW-Szene bilden. Bemerkenswert, aber doch wenig überraschend in der seit vergangenen September vorliegenden Antwort der Landesregierung: Wenn es um den Rechtsextremismus in NRW geht, muss deren Organisationskern in Dortmund verortet werden. „Die Partei stellt weiterhin das Gravitationszentrum des Neonazismus in Nordrhein-Westfalen dar“, heißt es in der Stellungnahme des Landes.
Gemeint ist die Splitterpartei „Die Rechte“. Deren Landesverband NRW, wird in der Replik ausgeführt, „werden für das Jahr 2019 etwa 290 Mitglieder zugerechnet“, bei einem geschätzten Frauenanteil von ungefähr 15 bis 20 Prozent, ohne dass die „in nennenswertem Maße herausgehobene Funktionen“ einnähmen.
Weiterhin sei die Partei „Die Rechte“ „mittlerweile in allen Regierungsbezirken des Landes Nordrhein-Westfalen mit Kreisverbänden vertreten“. Die NPD zählte in NRW 2019 noch etwa 450 Mitglieder.
Eine „Aktionsgruppe Dortmund-West“ löste sich im Mai dieses Jahres auf. „Sie war eine kleine, lose strukturierte Gruppierung auf lokaler Ebene und agierte hauptsächlich in den Dortmunder Stadtteilen Huckarde, Mengede und Lütgendortmund“, heißt es in der Stellungnahme. Zugerechnet wurde ihr eine niedrige zweistellige Zahl von Personen, die vereinzelt – ebenso wie Mitglieder von „Blood & Honour Schweden“ oder „Combat 18“ – an Veranstaltungen der Partei „Die Rechte“ teilnahmen.
Innerhalb der AfD wird der ca. 1.000 Personen umfassende „Der Flügel“ wegen gesichert rechtsextremistischer Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz beobachtet, besitzt aber derzeit keine dominierende Rolle im Landesverband NRW.
Schutz der „Erlebniswelt Rechtsextremismus“ durch Privilegien einer politischen Partei
Deren Organisationsform als Partei ist nach Einschätzung der Landesregierung lediglich ein Schachzug, um sich „vor staatlichen Repressionen zu schützen“ (garantiertes Parteienprivileg nach Art. 21 GG). Ideologisch, personell wie bezüglich ihrer Aktivitäten stelle „Die Rechte“ aber weitgehend „eine Weiterführung der 2012 verbotenen Kameradschaften dar“. Wie sie seien auch deren Parteistrukturen dezentral organisiert – mit lokal relativ autonom handelnden Aktivisten.
Nutzen die politischen Akteure von „Die Rechte“ den Parteienstatus einerseits konkret, um ihre „Erlebniswelt Rechtsextremismus“ – „Demonstrationen, Mahnwachen, Geburtstagspartys, Rechtsrockkonzerte und Sonnenwendfeiern“ – vor staatlichem Zugriff zu schützen, nämlich durch Ausweis solcher Events als Parteiveranstaltungen, würden andererseits „parteitypische Aktivitäten“ wahrgenommen, um ihre neonazistische Ideologie zu verbreiten.
Dabei fahren sie eine Doppelstrategie aus Einschüchterung – gegenüber anderen Politiker*innen, Journalist*innen etc. – und Provokation wie positive Bezugnahmen auf den NS, antisemitische Propaganda, Demagogie gegen Migrant*innen. Bildeten bis zur Wahlperiode 2020 „Die Rechte“ und der „NPD“ eine gemeinsame Ratsgruppe mit zwei Vertretern, bleibt nach der Kommunalwahlwahl im September dieses Jahres nur noch der Vertreter Der Rechten, Michael Brück, im Stadtrat als einziger Neonazi übrig.
Vernetzung der Dortmunder Neonazis in Musikszene und durch Kampfsport
Was die Vernetzung der Neonazi-Partei betrifft, heißt es auf die Grünen-Anfrage zum Landesverband Nordrhein-Westfalen, dieser sei „darüber hinaus mit Gruppierungen des klassischen Rechtsextremismus und Neonazismus nahezu im gesamten Bundesgebiet vernetzt.
Dies erklärt sich unter anderem durch die langjährige Szenezugehörigkeit der führenden Mitglieder der Partei ,Die Rechte’, die sich neben ihren Parteiaktivitäten zum Teil auch noch mit anderen Aktionsformen einbringen (zum Beispiel Veranstaltung von Kampfsport, Herausgabe von Zeitschriften). Die durch diese persönlichen Kontakte gewachsenen Verbindungen sind kaum eingrenzbar“.
Die Vernetzung von „Die Rechte“ erstreckt sich auf den Kulturbereich – sofern hier das Wort „Kultur“ überhaupt sinnvoll verwendbar ist. Die Partei veranstaltet selbst Musikabende mit bekannten Szeneinterpreten wie „Lunikoff“ oder „Flak“ und es bestehen beste Kontakte zur einschlägigen Musikszene. In den letzten zehn Jahren gab es in ganz Nordrhein-Westfalen über 200 Veranstaltungen mit rechtsextremistischer Musik; bekannt in Dortmund ist vor allem die Band „Oidoxie“.
Rechtsextremisten aus Dortmund sind seit Jahren weiterhin involviert in der Organisation und Durchführung von Kampfsportveranstaltungen wie dem sog. „Kampf der Nibelungen“ (KDN).
Der KdN trat 2019 mit einem eigenen Kämpferteam aus dem Umfeld von „Die Rechte“ bei einer Veranstaltung der rechtsextremistischen Organisation „Tiwaz –Kampf der freien Männer“ in Sachsen an. Besucher wie Kämpfer bei KdN-Veranstaltungen kommen teils aus dem europäischen Ausland; auch Zuschauer aus der Hooliganszene sind dabei.
Zu den Teilnehmenden der KdN-Hauptveranstaltung im Oktober 2018 gehörten u.a. Rechtsextremisten aus Bulgarien; ebenso traten dort die beiden rechtsextremistischen Kampfsportlabels „White Rex“ (Russland) und „Pride France“ (Frankreich) mit eigenen Teams an.
Soziale Medien: ein immer wichtiger werdender Tummelplatz für den Rechtsextremismus
Im rechtsextremistisch geprägten Medienmix kommt den sozialen Medien eine immer größere Bedeutung zu; seit einigen Jahren spielten sie die Hauptrolle, heißt es in der Stellungnahme. „Sämtliche technischen Kommunikationsmöglichkeiten werden durch die rechtsextremistische Szene genutzt.“
Neben Plattformen wie Facebook und Youtube (teils bis zu 100.000 Abonent*innen) oder bekannten Messenger-Diensten hätten „zuletzt Chat-Applikationen der ,Gamer-Szene’ wie Discord-Server sowie Online-Foren und Imageboards wie ,4chan‘ an Bedeutung gewonnen“.
Bei der vielfältigen Nutzung von sozialen Medien steht – wenig überraschend – die Verbreitung von Neonazi-Propaganda im Vordergrund. Zusammengefügt würden in stark emotionalisierter Form zumeist nationale Ereignisse mit Narrativen der Bedrohung oder des Untergangs bei Zuschreibung von Verantwortung auf typisierende Feindbilder: Migrant*innen, Muslim*innen, Juden und Jüd*innen oder Personen staatlicher Repräsentation.
Besonders alarmierend ist die Feststellung in der Analyse: „In sozialen Medien ist eine Entgrenzung des Rechtsextremismus festzustellen.“ Es käme mancherorts zu einer „Vermischung der Diskurse innerhalb und außerhalb der rechtsextremistischen Szene sowie eine Vermischung von Personenkreisen dies- und jenseits des Rechtsextremismus“. Solche Entgrenzungen könnten sodann „zu einer Normalisierung des Rechtsextremismus führen und mindern die Bereitschaft in der Gesellschaft, sich diesem entgegenzustellen“.
Radikalisierungstendenzen und zunehmende Verschränkung von analogen mit digitalen Erlebniswelten
Daneben seien Radikalisierungstendenzen in sozialen Medien erkennbar: dies betrifft eine Verschärfung von Feindbildern, die Entmenschlichung von Personen sowie die vehementere Forderung nach Kampf resp. deren Vernichtung. Übergänge zu realer Gewalt werden so niederschwelliger.
Die Social Media dienen ebenso als Präsentationsform für Aktions- und Gemeinschaftsangebote in einer rechtsextremistischen Erlebniswelt, in der Medialität und analoges Handeln tendenziell miteinander verschmelzen. „Oft findet das Ereignis in erster Linie zum Zweck der medialen Verwertung statt“, schreiben die Autor*innen in ihrer Stellungnahme.
„Solche Erlebniswelten bestimmen den Reiz des Rechtsextremismus, insbesondere auf Jugendliche und junge Erwachsene, und erhöhen die Wahrscheinlichkeit der Annäherung an diese Szene“, heißt es weiter. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang: ein immer größerer Anteil von Rechtsextremisten und von ihnen potentiell Gefährdeten gehört zu den „Digital Natives“, d.h. sie sind jünger als 30 Jahre. Digitales Interagieren ist gleichsam fester Bestandteil ihres „natürlichen“ alltäglichen Kommunikationsverhaltens.
Mehrere Neonazis der Partei „Die Rechte“ sind im Besitz eines „Kleinen Waffenscheins“
Im Zusammenhang mit Politisch Motivierter Kriminalität (PMK – Rechts) hat die Polizei NRW seit 2008 378 Ermittlungsverfahren gegen Personen der Partie „Die Rechte“ zu entsprechenden Deliktarten (wie Volksverhetzung, gefährlicher Körperverletzung oder Landfriedensbruch) geführt, vor allem in Dortmund.
Sieben Personen, die der Partei „Die Rechte“ zugerechnet werden, verfügen laut Bericht der Landesregierung über einen „Kleinen Waffenschein“. Bei einer von ihnen, beim OB-Kandidat Bernd Schreyner, hat die Polizei Dortmund kürzlich die Einziehung angeordnet (wir berichteten).
„Die Partei Die Rechte verfolgt belegbar Bestrebungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Sie nimmt eine aggressiv-kämpferische Haltung gegenüber den Grundsätzen der Verfassung ein“, hatte die Dortmunder Polizei auf Nachfrage gegenüber Nordstadtblogger die Entscheidung Anfang August dieses Jahres begründet. Dies freilich träfe auf die anderen sechs Personen gleichfalls zu.
Weitere Informationen:
- Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen zum Rechtsextremismus in NRW; hier:
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