Von Claus-Dieter Stille
In vielen deutschen Universitätsstädten verbrannten die Nazis im Mai 1933 tausende Bücher aus öffentlichen und privaten Bibliotheken auf öffentlichen Plätzen. Dabei Werke bekannter Autoren wie Erich Kästner, Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky oder Heinrich Mann, darunter viele jüdische Schriftsteller. Am 30. Mai 1933 fand auch in Dortmund eine Bücherverbrennung auf Drängen von Dortmunder Lehrern und dem Lehrerverband mit Unterstützung des Polizeipräsidenten auf dem Hansaplatz statt. „Undeutscher Geist ging in Flammen auf!“ titelte der Dortmunder Generalanzeiger. 50.000 Dortmunder*innen sollen begeistert zugeschaut haben. Eine Veranstaltung mit Lesung an der Gedenkplatte zur Bücherverbrennung, an der Wißstr./Hansaplatz erinnerte am Donnerstag an diese Nazibarbarei.
Das Beste, Klügste, Humanste, das deutsche Dichter*innen geschaffen hatten, ging 1933 in Flammen auf
Das Beste, Klügste, Humanste, das deutsche und und internationale Kunst und Wissenschaft hervorgebracht hat, ging unter dem Gejohle einer aufgepeitschten Menge in Flammen auf. Zumeist unter diesem Ausruf: „Ich übergebe dem Feuer ….“
Nicht nur Ihre Werke verbrannten, auch Dichter*innen und Wissenschaftler*innen selbst wurden auf vielfältige Art bald Opfer der Hitlerbarbarei.
Heinrich Heine hatte bereits in seiner 1823 veröffentlichten Tragödie „Almansor“ geschrieben: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Dieses Zitat liest man auch, wenn man von der Wißstraße kommend den Hansaplatz betritt, auf einer im Boden eingelassenen Bronzeplatte. Unmittelbar vor den dort gepflanzten kleinen Bäumen, die dort sozusagen Spalier stehen. Da versammelten sich am späten Donnerstagnachmittag zirka hundert Menschen zu einer Gedenkveranstaltung.
Ein zusammen mit Dortmunder Schüler*innen in einem Workshop erstelltes „Brandbanner“ wurde zwischen den Bäumen ausgerollt. Die Schüler*innen gestalteten mit es mit den Brandecken. Auf dem Banner haben die Schüler*innen jeweils in ihrer eigenen Schrift Namen von Autoren und Wissenschaftlern aufgebracht, die sie kannten und deren Werke von den Nazis 1933 dem Feuer übergeben worden waren.
Ula Richter: „2020 ist ein alles Leben vernichtender großer Krieg so nah wie nie.“
Schauspielerin Tirzah Haase las das Gedicht „Das letzte Kapitel“, geschrieben von Erich Kästner im Jahre 1930 (!) Welche Weitsicht! Hier ein Ausschnitt:
„Am zwölften Juli des Jahres 2003
lief folgender Funkspruch rund um die Erde:
daß ein Bombengeschwader der Luftpolizei
die gesamte Menschheit ausrotten werde.
Die Weltregierung, so wurde erklärt, stelle fest,
daß der Plan, endgültig Frieden zu stiften,
sich gar nicht anders verwirklichen läßt,
als alle Beteiligten zu vergiften. (…)“
Ula Richter (BdgR, Bündnis Dortmund gegen Rechts) gab dazu zu bedenken: „Das Jahr 2003, das Jahr der Vernichtung, das Kästner beschreibt, haben wir zwar überlebt. Aber 2020 ist ein alles Leben vernichtender großer Krieg so nah wie nie.“ Und Ula Richter weiter mit Bertold Brecht („Gedächtnis der Menschheit“): „Wenn wir den Kriegstreibern nicht die Hände zerschlagen werden.“
Ula Richter vom Bündnis Dortmund gegen Rechts: „Wir gemeinsam – nie wieder Faschismus. Nein zum Krieg!“
Richter erinnerte daran, dass sich viele, deren Werke damals auf dem Hansaplatz verbrannt wurden, auch selbst das Leben nahmen, „weil deren Situation so dramatisch, so hoffnungslos war, dass viele daran zerbrachen“.
Ula Richter: „Wenig später brannten die Krematorien, Millionen Menschen fielen dem Völkermord und dem Vernichtungskrieg der Hitlerfaschisten zum Opfer.“
Mit der Veranstaltung wolle man „gleichzeitig die Kultur hochhalten, gegen Tendenzen der Vorrohung des wieder erstarkenden Rassismus, Antisemitismus, Antikommunismus und der Gegenaufklärung“.
Richter: „Wir gemeinsam – nie wieder Faschismus. Nein zum Krieg!“
Erinnerung: Werke in der Nazizeit verfolgter deutscher Schriftsteller wurden zu Gehör gebracht
Zu Beginn der Lesung wurde stellvertretend für viele andere an einige von Nazis verfolgte, fortschrittliche Dortmunder Künstler*innen erinnert: Hans Tombrock, Maler und Vagabund, Paul Polte, Arbeiterdichter.
Bernd Temming, Grafiker, sowie Charlotte Temming, Schriftstellerin.
Erinnert wurde an den Schriftsteller Ernst Toller, der sich im Exil das Leben nahm. Der Schauspieler Weißert las aus Tollers „Das Schwalbenbuch“.
Ebenso an die Autorin Else Lasker-Schüler. Sie wurde gelesen von Tirzah Haase.
Was Bert Brecht über Oskar Maria Graf, der, an die Nazis gerichtet, geschrieben hatte „Verbrennt mich!“, schuf, trug Andreas Weißert vor.
„Und ob sie mich erschlügen. Sich fügen heißt lügen“, bekannte der Erich Mühsam, Dramatiker, Pazifist und Anarchist. Sein Lied vom „Revoluzzer“ wurde vorgetragen von Tirzah Haase.
Andreas Weißert wiederum trug „Aussage eine Nationalsozialisten vor Gericht“ (1930) vor.
Ebenso kam zum Vortrag Gertrud Kolmars („Nachruf“).
Tief berührender Vortrag: „Der beste Jahrgang deutscher Reben ließ vor der Ernte so sein Leben“
Der Höhepunkt der Veranstaltung war gleichzeitig deren nachdenklich, tief traurig stimmender Abschluss: Andreas Weißerts Interpretation „Walter Mehring in memoriam Silvester 40/41“ (darin denkt Walter Mehring an seine toten Freunde).
Im Text des Schriftstellers und Satirikers Franz Mehring heißt es: „Der beste Jahrgang deutscher Reben ließ vor der Ernte so sein Leben“, heißt es da.
Ein wohl alle Anwesenden tief berührender, äußerst markant und eindrücklich von Andreas Weißert vorgelesener Text, welcher – kurz hörbar – auch an dem gestandenen Schauspieler selber nicht spurlos vorbeiging. Ein längerer Beifall folgte.
Kultur, die so wichtig ist, wo vieles hochkommt, was wir für erledigt hielten
Resümierend brachte Ula Richter auf den Punkt. „Da haben wir heute Kultur auf die Straße getragen. Kultur, die so wichtig ist, besonders in unserer Zeit, wo vieles hochkommt, wovon wir nicht gedacht hätten, dass es wieder einmal seinen Kopf erhebt. Kultur an einem Ort, wo vor 86 Jahren diese Schandtat passierte. Kultur, die wir lebendig halten wollen.“
Die dem Thema angemessenen musikalischen Parts zwischen den gelesenen Beitragen waren großartig von den einfühlsamen Musikern David Oriewsky (Geige) und Bernd Rosenberg (Akkordeon) ausgeführt worden. Sie waren dankenswerterweise kurzfristig für den verhinderten Peter Sturm eingesprungen. Die Biografien wurden von Doris Borowski gesprochen.
Getragen wurde die Veranstaltung von BDgR, VVN/BdA Dortmund, DKP Dortmund sowie dem Dortmunder Friedensforum.
Weitere Informationen:
- „Das letzte Kapitel“ von Erich Kästner (vorgetragen;: Aufnahme von 2013); hier:
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