Darf ein Neonazi auf einer Demo aus „Notwehr“ filmende oder fotografierende Menschen angreifen, weil er glaubt, dass von ihm Porträts gemacht werden? Die beruhigende Erkenntnis: Darf er nicht. So sieht es zumindest die 42. Strafkammer das Landgerichts.
Neonazi attackiert oft Polizisten, Medienvertreter und Andersdenkende
André P. ist ein stadtbekannter Neonazi, der sehr häufig mit JournalistInnen und PolizistInnen in Konflikt gerät – auch wenn er nur wegen der wenigsten Vorfälle vor dem Richter landet.
Wegen zwei Attacken gegenüber JournalistInnen wurde der 25-jährige Arbeitslose vom Amtsgericht Dortmund im Sommer 2015 wegen Körperverletzung, Nötigung und Beleidigung zu insgesamt 130 Tagessätzen zu jeweils 20 Euro verurteilt.
Dagegen ist der in Dorstfeld lebende Neonazi in Berufung gegangen. Seine Strategie – beziehungsweise die seines Rechts-Anwalts André Picker: Der Angeklagte habe die JournalistInnen aus „Notwehr“ angegangen, weil er verhindern wollte, dass diese Porträts von ihm machen.
Vor dem Landgericht ist er damit allerdings – wie schon vor dem Amtsgericht – nicht durchgekommen. Dennoch kommt ihn die neue Entscheidung billiger zu stehen: Er wurde dieses Mal „nur“ zu 90 Tagessätzen á 15 Euro verurteilt.
Einen Reporter zu Boden gestoßen – eine Reporterin genötigt
Was wurde ihm vorgeworfen? In einem Fall war er am 23. August 2014 unter Polizeibegleitung mit einer Gruppe Neonazis auf dem Weg von einer Standkundgebung in der Kampstraße zur Bahn und dann zur nächsten Standkundgebung in der Nordstadt.
Dabei stieß er einen Reporter mit voller Wucht zu Boden, weil dieser mit dem Handy die Szenerie des Abmarschs filmte. Der Medienvertreter stürzte rückwärts und zog sich Schürfwunden am Ellbogen sowie eine leichte Schulterprellung zu – musste aber nicht behandelt werden.
Im zweiten Fall war Andre P. im Januar 2015 auf eine Reporterin vor der Segenskirche in Eving losgegangen. Er war dort bei einer Bürgerversammlung zum Thema Flüchtlinge aus der Kirche geflogen, weil er u.a. die Sozialdezernentin unflätig beleidigt hatte.
Vor der Tür stieß er auf eine Reporterin, die die vor der Kirche wartenden Menschen fotografieren wollte. Er lief ihr durchs Bild, packte sie unversehens am Kragen des Mantels und griff nach ihrem Handy. Erst als eine weitere Frau dazwischen ging, ließ P. von der Reporterin ab. Dies wurde als Nötigung gewertet.
Außerdem sollte er die Journalistin beleidigt haben. Doch dieser Vorwurf ließ sich nicht aufrecht erhalten und das Verfahren wurde in diesem Punkt eingestellt. Die Begleiterin des 25-Jährigen hingegen wurde deshalb bereits zu einer Geldstrafe verurteilt.
Recht am eigenen Bild gilt nicht bei Versammlungen
Das KunstUrheberrechtsGesetz (KUG) sieht vor, dass Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Allerdings gibt es dabei Ausnahmen.
So gilt das nicht für Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Ausgenommen sind auch Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk erscheinen. Oder eben – und das ist hier der Fall – sind Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben, erlaubt.
„Jeder, der an einer Versammlung oder einem Aufzug in der Öffentlichkeit teilnimmt, muss damit rechnen, im Zuge des Geschehens abgebildet zu werden“, machte Staatsanwalt Ludger Strunk deutlich.
„Und Versammlung und Aufzug sind weit zu verstehen“, machte der Ankläger deutlich. Denn auch der Weg zur oder – wie in den beiden Fällen – der Moment nach einer Versammlung fielen darunter, wenn es einen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang gebe.
Porträt-Einstellung als Knackpunkt für „Notwehrhandlung“
Außerdem – und das ist der Knackpunkt – baute Verteidiger Picker sein Plädoyer vor allem auf einem vermeintlichen „Notwehrrecht“ im Zusammenhang mit dem Anfertigen von Porträts auf. „In dieser Richtung gab es keine belastbaren Beweise“, hielt Strunk der Verteidigung entgegen.
In beiden Fällen hätten die Geschädigten „die Gesamtsituation wahrgenommen“. Da sei der Angeklagte nur einer unter vielen gewesen. „Diese Unterscheidung ist bedeutsam, ob ihm deswegen ein Notwehrrecht zukommt.“
Daher war die Attacke auf die Journalistin als Nötigung zu werten. Bei dem Zu-Boden-Stoßen des Journalisten handelte es sich um eine Körperverletzung mit bedingten Vorsatz.
Denn der kräftige Neonazi hatte den ebenfalls nicht schmächtigen Reporter mit voller Wucht zu Boden gestoßen. Da dieser nicht mit dieser Attacke rechnen konnte, konnte er sich auch kaum schützen. Daher habe der Angeklagte auch die Verletzungsgefahr in Kauf genommen.
Urteil: „Das Fotografieren war ausdrücklich erlaubt“
Dieser Ansicht folgte auch das Gericht: „Das Fotografieren war ausdrücklich erlaubt“, unterstrich der Vorsitzende Richter Becker.
Vom Anfertigen von Porträtaufnahmen habe der Angeklagte nicht ausgehen können. „Angesichts der Häufigkeit ihrer Auftritte auf Demos hätten sie sich informieren können und müssen, dass ihr Handeln nicht gerechtfertigt ist“, hielt er dem Angeklagten vor.
Die Strafkammer verurteilte ihn daher zu 40 Tagessätzen wegen Körperverletzung und 70 Tagessätzen für Nötigung. Daraus bildete sie eine Gesamtstrafe von 90 Tagessätzen. „Das halte ich für tat- und schuldangemessen“, so Richter Becker.
Der Angeklagte ist wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten – fünf Einträge weist das Bundeszentralregister auf. Die Verteidigung hatte Freispruch, die Anklage insgesamt 110 Tagessätze gefordert.
Porträtvorwurf als Deckmäntelchen für Attacken gegen Filmende
Zumindest die Äußerungen der Staatsanwaltschaft beruhigten die anwesenden Medienvertreter – auf der Zeugen- wie auch auf der Zuschauerbank. Denn Strunk machte deutlich, dass die Notwehreinlassung für den Angeklagten nur ein Deckmäntelchen sei.
„Würde man dem Verteidiger folgen, würde § 23 ins Leere laufen“, sagte Staatsanwalt Ludger Strunk, Gruppenleiter für politische Delikte, mit Blick auf die Zulässigkeit der Aufnahmen entsprechend des Kunsturheberrechtsgesetzes.
„Dann könnte ja jeder behaupten, dass von einem eine Porträtaufnahme gemacht wird und könnte vor diesem Hintergrund den Fotografen zur Räson oder gleich zu Boden bringen“, machte Strunk deutlich.
Die JournalistInnen hörten es gerne – denn André P. gehört zu den heimischen Neonazis, die regelmäßig auf MedienvertreterInnen losgehen.
Schutz vor Notwehrhandlungen gilt nicht nur für Medienschaffende
Doch nicht nur die seien geschützt: Es sei im übrigen auch unerheblich, ob es sich bei der filmenden Person um einen Medienvertreter handele oder nicht: „Die Vorschrift richtet sich an Jedermann, der Bildaufnahmen von solchen Aufzügen fertigen will“, unterstrich der Staatsanwalt.
Er wies André P. damit in die Schranken: „Wenn sie für mich nicht als Journalisten erkennbar sind, müssen sie für mich der politische Feind sein“, hatte der Angeklagte zuvor seine Einstellung deutlich gemacht. Doch auch Nicht-Journalisten, die ihn während einer Demo fotografieren, dürfe er nicht angreifen.
Und doch blieb nach dem Prozess ein ungutes Gefühl bei den Medienschaffenden – denn ein Begriff kam gar nicht zur Sprache: Die Pressefreiheit.
Nachtrag:
Gegen das heute verkündete Urteil steht das Rechtsmittel der Revision zum Oberlandesgericht zur Verfügung. Sollte dieses Rechtsmittel eingelegt werden, würde das Urteil auf konkret zu rügende Verfahrens- oder Rechtsfehler hin überprüft. Eine erneute Tatsachenfeststellung vor dem Oberlandesgericht findet nicht statt.
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