„Wir sind stolz auf unser ansehnliches Programm“ sagt Ricarda Erdmann von der Integrationsagentur der AWO und schaut auf das dicke Programmheft von „Djelem Djelem“ – dem erstmals organisierten Roma-Kulturfestival. „Bisher wurde Zuwanderung fast ausschließlich negativ diskutiert. Wir wollen auch andere Facetten hinzufügen.“ 33 Organisationen – Wohlfahrtsverbände, Selbsthilfeorganisationen und Institutionen – machen mit.
Starke Vorbehalte gegen „Zigenuner“ in der Nachbarschaft
Ihr gegenüber sitzt Sami Dzemailovski und strahlt: „Wir sind sehr dankbar für die Dortmunder Initiative.“ Sami ist ein Rom und engagiert sich dafür, dass sich mehr Roma zu ihrer Identität bekennen können. Eine schwierige Aufgabe – eine, die zudem immer schwieriger wird. Denn mit der verstärkten Zuwanderung aus Südosteuropa treten die Vorbehalte gegen „die Zigeuner“ immer stärker zu Tage.
„Wir sind seit 600 Jahren ein Teil der deutschen Gesellschaft.“
„Wir sind nicht erst seit gestern hier, sondern seit 700 Jahren in Europa und seit 600 Jahren in Deutschland“, sagt der pädagogische Projektkoordinator des Projekts Migovita der Otto Benecke Stiftung. „Wir sind ein Teil der Gesellschaft.“ Er selbst ist 1973 nach Deutschland gekommen – als Sohn eines jugoslawischen Gastarbeiters. „Wir sind hier ganz normal zur Schule und zur Arbeit gegangen.“
Daher ärgert es ihn, dass Roma unterstellt wird, dass sie sich nicht integrieren und arbeiten wollten. Gerade die Jugoslawen haben sich besonders gut integriert – viele von ihnen waren Roma. Allerdings haben sie sich nicht als solche zu erkennen gegeben. Schon damals schlugen ihnen die Vorurteile entgegen. „Wir sind an allem Schuld: An der Wirtschaftskrise, am Klimawandel, am fallenden Goldpreis…“, sagt Sami Dzemailovski etwas resigniert.
Podiumsdiskussion: „Roma im Gespräch – Lebenswege und Selbstorganisation“
Seit 25 Jahren engagiert er sich für junge Menschen, um ihnen etwas Selbstbewusstsein zu geben, sich zu ihren an Traditionen und Kultur reichen Volkszugehörigkeit zu bekennen. Durch die neue Zuwanderungswelle – die „Armutszuwanderung“, wird das fest unmöglich.
Dzemailovski ist übrigens einer der Teilnehmer einer Podiumsdiskussion, die am Donnerstag um 18 Uhr bei der Auslandsgesellschaft stattfindet. Sie bildet den offiziellen Auftakt zu „Djelem Djelem“. Das Thema: „Roma im Gespräch – Lebenswege und Selbstorganisation“. Hier lebende Roma berichten über gelungene Selbstorganisation und erfolgreiche Lebenswege. Vorbehalten und Berührungsängsten möchten die Veranstalter positive Beispiele entgegenstellen und mit Angehörigen der Roma Community ins Gespräch kommen. Mit dabei sind unter anderen Galya Haka (Freundschaftsverein der Neuzuwanderer Dortmund e.V.), Ismeta Stojkovic (Terno Drom) und Mirza Demirovic (AWO Streetwork).
Antiziganismus ist auch beim Bildungsbürgertum hoffähig
„Ich habe noch nie erlebt, dass auch in höheren Bildungsschichten so unverhohlen antiziganistische Äußerungen machen. Das erschreckt mich zutiefst“, berichtet Erdmann. „Über Juden würden sie das nicht zu sagen wagen.“
Erfahrungen, die auch Stadtdirektor Jörg Stüdemann gemacht hat – vor allem in den Heimatländern der Roma: „Da herrscht eine bestialisch aufgeheizte Atmosphäre.“ „Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass normale Dortmunder zu so fremdenfeindlichen Aussagen möglich sind“, ergänzt AWO-Geschäftsführer Andreas Gora.
„Djelem Djelem“ als Beitrag zur Willkommenskultur
Umso wichtiger sei es, in Dortmund eine neue Form der Willkommenskultur zu zelebrieren. „Diese Form der Veranstaltung passt gut zu uns“, so Gora.
Die Angebotspalette reicht dabei von Podiumsdiskussion und Fortbildung für Fachkräfte aus dem sozialen Bereich über Musik, Theater und Film bis hin zum Familienfest auf dem Nordmarkt. „Ich bin froh, dass die AWO die Initiative ergriffen hat und hätte nicht gegalubt, dass so schnell so viel auf die Beine gestellt wird“, kommentiert Stüdemann. „Wir müssen deutlich machen, dass viele tolle Leute mit einer tollen Kultur zu uns gekommen sind.“
Es gehe dabei nicht um ein Romantisieren. Aber die Dortmunder müssen mit den Menschen sprechen, über das Thema politisch diskutieren und auch einiges Lernen. Natürlich verursache die Zuwanderung auch Kosten, betont der Kämmerer der Stadt Dortmund. „Aber das haben wir auch bei Zuwanderern aus anderen Ländern. Wir müssen erreichen, dass sie einen bestmöglichen Zugang zur Stadtgesellschaft bekommen.“
Integration: „Selbst bei Fachkräften erlebe ich Vorbehalte“
Vor allem gehe es darum, Vorurteile abzubauen. „Selbst bei Fachkräften erlebe ich Vorbehalte“, berichtet Aida Demirovic-Krebs. „Die Vorurteile haben sich seit Jahrhunderten nicht verändert.“ Daher bedürfe es für die Zuwanderung gerade der Roma eine besondere Strategie: „Es geht nicht ums Segregieren, aber ums Sensibilisieren“, verdeutlicht die Mitarbeiterin der Integrationsagentur der AWO. „Daher ist Empowerment so wichtig.“ Die zweitägige Fachtagung im Depot, wo gleich mehrere der „Djelem Djelem“-Veranstaltungen stattfindetn, ist ausgebucht. Statt 50 haben sie 62 Teilnehmer zugelassen. Dutzende weitere Interessierte mussten abgewiesen werden. „Wir hatten über 100 Anfragen aus der ganzen Region“, verdeutlicht die AWO-Mitarbeiterin die Bedeutung des Themas.
Daher hat auch das Theater im Depot mitgezogen, ergänzt Berthold Meyer: Neben einer Theater- und einer Musikveranstaltung wird dort auch die Fachtagung stattfinden. Im Kino „sweetSixteen“ nebenan wird zudem ein Film zum Thema Roma gezeigt.
Hier gibt es das gesamte Programm in der Übersicht:
- Das Gesamtprogramm als PDF zum Download: Programm-Flyer DJELEM DJELEM
- Erstmals Roma-Kulturfestival in der Nordstadt: „Djelem Djelem” will die kulturelle Vielfalt zeigen
- „Makar Tschudra – A Gipsy Tale”: Ein poetischer Kampf um Freiheit, Liebe und traditionelle Reichtümer der Roma
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