Diskussion zum NRW-Krankenhausplan in Dortmund: Wieviel Marktwirtschaft darf im Gesundheitswesen stecken?

Das Klinikum-Nord ist u.a. auf die Behandlung von Verbrennungsopfern spezialisiert.
Zu einer Diskussion über die Zukunft der Krankenhäuser und ihrer Versorgungsstrukturen in NRW hatten das „Dortmunder Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen“ und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in die Auslandsgesellschaft geladen. Foto: Klinikum Dortmund

Von Claus Stille

Über Hintergründe und Auswirkungen des NRW-Krankenhausplans ist am Montagabend in der Auslandsgesellschaft diskutiert worden: „Verbessert die Schließung von Krankenhäusern die Versorgung oder werden damit eher die Renditeinteressen privater Akteure im Gesundheitswesen bedient?“ Im Rahmen einer Veranstaltung des Dortmunder Bündnisses für mehr Personal im Gesundheitswesen meldeten sich zu Wort: Manfred Fiedler, Wissenschaftler und ehemaliger Geschäftsführer Personal, Medizin, Pflege am Klinikum Dortmund und Achim Teusch, Arzt und ehemaliger Betriebsratsvorsitzender des Helios Klinikums Siegburg. Fazit: Eine Abkehr von bisherigen Irrwegen ist vonnöten. Bürger*innen vor Ort müssen wieder das Wort haben. Nicht die Privatisierungslobby in Berlin.

Es muss dringend etwas passieren, aber ist der NRW-Krankenhausplan der richtige Weg?

Anne Schulze-Allen (Attac) informierte über den ins Auge gefassten NRW-Krankenhausplan von NRW-Gesundheitsminister Karl Laumann (CDU). Ausgearbeitet habe diesen die Partnerschaft Deutschland GmbH, eine Nachfolgeorganisation der PPP Deutschland GmbH, die sich für öffentlich-private Partnerschaften starkgemacht hat.  ___STEADY_PAYWALL___

Die bekanntlich in der Regel zu mehr Kosten führen, als dies der Fall ist, wenn die Öffentliche Hand plant und baut. Woran man schon erkennen könne, so Schulze-Allen, wohin die Reise gehen solle. Den Privaten würden dadurch mehr Einflussmöglichkeiten im Gesundheitswesen gegeben.

Eine Tatsache sei, dass 40 Prozent aller Krankenhäuser rote Zahlen schreiben. Zehn Prozent wären gar von Insolvenz bedroht. Ein akutes Problem also. Es müsse fraglos dringend etwas passieren. Die Frage, so die Attac-Frau, wäre jedoch, ob dieser NRW-Krankenhausplan der richtige Weg sei.

Bedenkliche Entwicklung von der Gemein- zur Konzernwirtschaft

Bernd Tenbensel vom „Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen“. Fotos (4): Claus Stille

Bernd Tenbensel vom „Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen“ warb für eine dementsprechende überparteiliche Volksinitiative. Dafür werden zirka 66.000 Unterschriften benötigt, damit sich der NRW-Landtag damit befassen muss. (Weitere Informationen zur Volksinitiative finden Sie im Anhang des Artikels.)

Manfred Fiedler hatte den Titel seines Vortrages schon einmal so gewählt, dass er ins Licht rückte, was wir ohnehin schon seit einiger Zeit betreffs des Gesundheitswesens erleben und wohl weiter werden erleben müssen: „Von der Gemeinwirtschaft zur Konzernwirtschaft“.

Die Auswirkungen dessen schätzt Manfred Fiedler so ein: „Wenn die Entwicklungen der letzten Jahre sich weiter fortsetzten, werden höchstwahrscheinlich in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren noch einmal 3,5 Millionen Krankenhausfälle auf uns zurollen“. Das müsse zwar nicht so sein. Vorausgesetzt, man fände andere Auswege. Aber es sei durchaus erwartbar, angesichts einer immer älter werden Gesellschaft. 

Gleichzeitig werde Gesundheitspersonal knapper. Allein in der hausärztlichen Versorgung würden etwa 48 Prozent aller Hausärzte/Allgemeinmediziner in den nächsten fünfzehn Jahren das Rentenalter erreichen. Bei den Pflegekräften liege die Zahl circa bei 38 Prozent. Ersatz wird also händeringend benötigt. Zu befürchten sei zudem, so Fiedler, dass durch das Anwachsen von Einpersonenhaushalten auch die Zahl derjenigen, die Angehörige zu Hause pflegen, weiter abzunehmen drohe.

Screenshot der Homepage der Volksinitiative.

Des Weiteren lieferte Fiedler einen interessanten historischen Abriss der Organisation und Finanzierung des Gesundheits- und Pflegesystems und der dazugehörigen bedarfsgerechten Betriebskosten in der BRD, sowie der nötig gewordenen – auch grundgesetzlichen – diversen Änderungen. 

Gravierendere Eingriffe in das Gesundheitssystem seien schon unter dem damaligen Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) in der schwarz-gelben Koalition bereits 1993 realisiert worden. Erstmalig konnte auch privates Kapital in den Krankenhausbereich fließen und abgerechnet werden („Lex Rhön“).

Deformation des Gesundheitswesens – Irrweg der marktwirtschaftlichen Orientierung

Manfred Fiedler, Wissenschaftler und ehemaliger Geschäftsführer Personal, Medizin, Pflege am Klinikum Dortmund.

Ab 2003, erinnerte der Referent, wurde das Krankenhausentgeltsystem mit dem zum ersten Mal eingeführten sogenannten Fallpauschalen ins Werk gesetzt. Von denen Horst Seehofer 1997 gesagt habe, wenn man das Prinzip ernst nehme, werde das unbezahlbar und nahm davon Abstand. Er sollte übrigens recht behalten. Aber nach dem Regierungswechsel zu Rot-Grün unter Gerhard Schröder habe es starke Kräfte gegeben, die für die Fallpauschalen plädierten, erinnerte Manfred Fiedler.

Das Ziel insgesamt sei halt gewesen, die Kosten der Krankenhäuser immer weiter zu senken. Was nicht immer gelungen sei. Und wieder Korrekturen erforderlich gemacht habe. Ausreichendes Personal betreffend habe es unter Gesundheitsminister Jens Spahn immerhin minimale Fortschritte gegeben. Allerdings hatte es vorher – etwa in Berlin – Protestaktionen für mehr Personal auf den Krankenhausstationen gegeben, die entsprechend Druck aufbauten.

Manfred Fiedler rät ausdrücklich von einer marktwirtschaftlicher Orientierung im Gesundheitswesen ab. Anne Schulze-Allen nannte Fiedlers Referat angesichts der Kürze der zur Verfügung gestandenen Zeit einen wahren Parforceritt. Der freilich auch viele Zahlen transportierte, aber dennoch recht brillant vermitteln konnte, welche Deformationen das Gesundheitswesen in den vergangenen Jahrzehnten erleiden musste, an denen es nicht zuletzt bis heute krankt.

Arzt Achim Teusch: Eine Krankenhausreform mit der Abrissbirne ist der falsche Weg

Achim Teusch, Arzt und ehemaliger Betriebsratsvorsitzender des Helios Klinikums Siegburg und Anne Schulze-Allen von Attac.

Dem stimmte an diesem Abend der Anästhesist Achim Teusch im Grunde genommen zu. Mit der Abrissbirne sich kleiner Krankenhäuser zu entledigen, ist für den Arzt tatsächlich keine Lösung. Zudem ist er dafür, „Fallpauschalen umzukehren“. Teusch gab die Meinung von Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen – beteiligt an der Bertelsmann-Studie zur Krankenhausversorgung – wieder. Wir hätten demnach die Wahl: Kleine, schlechte Krankenhäuser um die Ecke oder größere mit höherer Qualität ein paar Minuten weiter weg. 

Am Beispiel der Herzinfarktversorgung ließ sich Achim Teusch einmal auf Prof. Busses Meinungsäußerung ein: „Klein und schlecht. Groß und gut. Klein und schlecht – Bundesrepublik. Groß und gut – Dänemark.“ Wäre also eine Zentralisierung die Lösung? Statistiken sagten ihm, wusste Teusch zu sagen, dass die Krankenhausgröße nicht der einzige und nicht der wesentliche Faktor sein könne, der Krankheitsentstehung und Sterblichkeit beeinflusse. Sonst müsste Dänemark in allen Vergleichen besser sein. Was aber nicht der Fall sei. 

Das NRW-Krankenhausgutachten führt nach Teuschs Meinung die gesamte Klein-Groß-Gut-Schlecht-Diskussion ad absurdum. Vor allem könne eines gelten: „Wenn die Personalbemessung gut ist und die Verbindung zwischen ambulantem und stationärem Sektor funktioniert und wenn alle Teile des Gesundheitswesens im Rahmen staatlichen Eigentums kooperieren statt zu konkurrieren, dann ist das Ergebnis in einem dreigliedrigen System – groß-mittel-klein und in einem eingliedrigen System nur Maximalversorger gleich gut. Die Krankenhausgröße hat auf das Ergebnis z.B. der skandinavischen Länder keinen messbaren Einfluss.“

In Dänemark sind alle Krankenhäuser staatlich

Demzufolge könne also nicht gesagt werden, kleine Krankenhäuser seien per se schlecht, wie es die Bertelsmann-Studie behaupte. Achim Teusch warnte: „In den Diskussionen um die zukünftigen Krankenhausstrukturen werdet ihr mit streng selektierten Daten zum vorher bestimmten, zum bestimmten Ergebnis geleitet.“

Ein Umbau der Krankenhausstrukturen in Deutschland dürfte laut Achim Teusch um 80 Milliarden Euro kosten. Der Staat könne das nicht stemmen. Teusch: „Wenn aber die Privaten den Spaß bezahlen, dann werden ihnen die schönen, großen, neuen, guten Häuser auch gehören.“ Der erste große Schub sei die Renovierung des Krankenhauswesens der DDR nach der Wende gewesen. Große Maximalversorger seien den Privaten in die Hände gepurzelt. Die Kommunen hätten dringend Geld gebraucht, weshalb sie die neuen Häuser verkauften. Und das investierte Geld wollten die Privaten ja auch wieder zurück – am besten mit doppelt und dreifachem Aufschlag.

Besonders dänisch sei das allerdings nicht, gab Teusch, an Professor Busses Einlassungen erinnernd, zu bedenken: „Denn in Dänemark sind alle Krankenhäuser staatlich. Alle haben genug Geld. Alle haben genug Personal. Konkurrenzkampf gibt es nicht.“

Bestehende Strukturen bedarfsgerecht weiter entwickeln – die Privatisierungslobby ausschalten

Die Veranstaltung fand selbstverständlich unter den Corona-Schutzverordnungen statt.

Eine Krankenhausreform mit der Abrissbirne sei der falsche Weg, so resümierte Teusch. Stattdessen müsse der Irrweg der letzten vierzig Jahre – Zulassung von Gewinn und privaten Betreibern im Jahre 1984, Budgetdeckelungen 1993 und Fallpauschalen 2003 – beendet und  soweit wie möglich umgekehrt werden.

„Zur kostendeckenden Finanzierung ohne Gewinn und Verlust, zur Kooperation der Krankenhäuser statt Konkurrenzkampf. Die Planung sollte darauf gerichtet sein, die bestehenden Strukturen bedarfsgerecht weiterzuentwickeln. Sie sollte regional und demokratisch sein.“ Die Diskussionen sollten öffentlich und transparent sein. Teusch: „Das Wort sollten die Bürger vor Ort haben und nicht die Privatisierungslobby in Berlin.“

Der aufschlussreichen Veranstaltung schloss sich eine interessante Diskussionsrunde unter Corona-Hygiene-Vorschriften – jede Person an eigenem Tisch mit Plexiglas vor Kopf – an. 

 

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Weitere Informationen:

Am kommenden Freitag, den 25.09.2020, startet ab 11 Uhr die Volksinitiative in Dortmund zum Thema: Gesunde Krankenhäuser in NRW – für ALLE! eine Unterschriftensammlung vor der Reinoldikirche am Westenhellweg.

Die Volksinitiative:

Initiiert wurde die Volksinitiative von verschiedenen Bündnissen für mehr Personal im Krankenhaus und Gesundheitswesen allgemein, für den Erhalt von Krankenhäusern und für eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung, die in diversen Städten und Regionen in NRW aktiv sind, in Kooperation mit der Gewerkschaft ver.di. Die Bündnisse bestehen aus Beschäftigten im Gesundheitswesen, Patient*innen und Aktivist*innen, die seit einigen Jahren die Arbeitskämpfe der Kolleg*innen im Krankenhaus solidarisch unterstützen und daran arbeiten, das Thema dorthin zu tragen, wo es hingehört: in die Mitte der Gesellschaft!

Was ist eine Volksinitiative?

Durch eine Volksinitiative wird der Landtag aufgefordert, sich mit einem Thema zu befassen. Wenn 0,5 Prozent der volljährigen, in NRW wohnhaften deutschen Staatsbürger*innen – das sind gut 66.000 Personen – unterschreiben, ist sie erfolgreich. Ziel der Initiative ist es, mehrere Hunderttausend Unterschriften zu sammeln, um der Landesregierung deutlich zu machen, was der Wille der Bevölkerung in NRW ist: Gesunde Krankenhäuser – für ALLE!

Mehr Informationen: www.gesunde-krankenhaeuser-nrw.de

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  1. Anja Butschkau: Laumanns Krankenhausplan führt zu Schließung der Ortho-Klinik in Hörde (PM)

    Die Stiftung Volmarstein hat angekündigt, die Ortho-Klinik (ehemals Bethanien-Krankenhaus) in Hörde zum 31.03.2023 zu schließen. Hierzu nimmt die Landtagsabgeordnete Anja Butschkau (SPD) Stellung:

    „Die Schließung der Ortho-Klinik in Hörde ist ein Einschnitt in die Gesundheitsversorgung im Dortmunder Süden. Schuld daran ist der Krankenhausplan NRW, mit dem Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) eigentlich die stationäre Versorgung in den Krankenhäusern stärken wollte. Wir hatten in der Vergangenheit immer wieder davor gewarnt, dass der neue Krankenhausplan zu Schließungen führen werde. In Hörde bestätigt sich das nun.

    Zwischen 2010 und 2019 stieg in Nordrhein-Westfalen die Zahl der stationären Aufenthalte in Krankenhäusern von 4,2 auf 4,6 Millionen. Das ist ein Plus von 10 Prozent. Jedes Krankenhaus wird deshalb gebraucht. Wie wichtig eine gute, wohnortnahe Versorgung ist, sollte eigentlich nach Corona jedem klar sein. Dortmunder Patientinnen und Patienten im Bereich der Orthopädie werden dank des Krankenhausschließungsplan zukünftig länger auf ihre Operation warten müssen. Für Hörde ist die Schließung des Krankenhauses, das es dort bereits seit 1864 gab, ein schwerer Verlust.“

  2. Till Strucksberg

    Die Koll. Butschkau von der SPD stellt sich in der Pressemitteilung als Verteidigerin der Krankenhäuser und der wohnortnahen Versorgung dar. Wie unglaubwürdig ist solch eine Stellungnahme, wenn man weiß, dass ihr Parteikollege Lauterbach auf Bundesebene genau dasselbe betreibt. Erhellend dazu der Beitrag in Frontal von vorgestern (14.2. „Kahlschlag bei Kliniken“), in dem es heißt: „Jedes zweite Krankenhaus in Deutschland ist aus wirtschaftlichen Gründen nicht überlebensfähig. Darin sind sich Berater der Bundesregierung einig, die nun einen Kahlschlag in der Kliniklandschaft fordern.“ Opposition ist nur glaubwürdig, wenn die Worte zu Taten passen, wenn man regiert. Aber die Glaubwürdigkeit in der Partei-Politik ist ja schon lange hin. Man vergleiche nur mal, was die Ampel-Parteien vor der Wahl gesagt haben mit dem, was sie jetzt tun.

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