Die „Achse des Guten“ reicht am Samstag von der Nordstadt bis in die City: Dann werden dort im Rahmen des Festivals »Djelem Djelem« zwei Ikonen der Roma-Musik ihr Kulturgut auf die Konzerthaus-Bühne bringen: Die Mostar Sevdah Reunion ist ein einzigartiges musikalisches Ensemble aus Mostar in Bosnien und Herzegowina. Mit ihnen auftreten wird Esma Redzepova – die Ikone der Romamusik. Sie wird auf dem Balkan auch als »Queen of the gypsies« gefeiert.
Danke an Deutschland für den Einsatz für Flüchtlinge und Roma
Im Vorfeld des Konzertes haben sich die Nordstadtblogger mit den Künstlern und Machern des Festivals unterhalten. Im Mittelpunkt stand dabei natürlich die Lage der Roma in Deutschland und ihren Heimatländern – nicht wenige von ihnen haben sich in den vergangenen Monaten als Flüchtlinge auf den Weg nach Deutschland gemacht.
Esma Redzepova kann dies gut verstehen. „Wenn ich Mazedonien verlassen müsste, würde ich auch nach Deutschland gehen“, sagte die Musik-Ikone. „Sie tun hier so viel Gutes für die Menschen. Dafür sage ich Danke.“
Redzepova macht seit vielen Jahren humanitäre Arbeit. In ihrem Haus in Skopje werden regelmäßig Hilfsgüter gesammelt und verteilt. In Skopje gibt es die größte Roma-Siedlung der Welt.
Ihr Haus ist sehr groß und wird derzeit in ein Museum umgewandelt. Sie schenkt es ihrer Heimatstadt. Dort ist sie seit Jahren auch politisch aktiv und tritt für eine Verbesserung der Lebensumstände der Roma in Mazedonien – aber auch auf dem Balkan insgesamt – ein.
Debatte um „sichere Herkunftsländer“ sorgt die Roma-Communities
Mit Sorge schaut sie aber auf die Diskussionen um die sicheren Herkunftsländer – Deutschland will drei weitere Balkan-Länder zu sicheren Ländern erklären, um in beschleunigten Verfahren die Asylsuchenden wieder zurückzuschicken.
Darunter sind viele Roma, die ihre Heimatländer aus unterschiedlichen Gründen verlassen haben.
„Ich bin keine Nationalistin. Aber Mazedonien hat im Vergleich zu den Nachbarländern für die Roma viel getan. So sind sie als Ethnie in der Verfassung anerkannt, es gibt Bildungsangebote – und sogar ihre Sprache wird in Schulen gesprochen.“
Ganz anders im Kosovo – da ist die Lage katastrophal. Das können die Musiker, die seit 16 Jahren ihre Alben im Studio von Pavarotti in Mostar aufnehmen, bestätigen. „Die Roma sind dort noch nicht mal Bürger zweiter Klasse“, kritisiert Dragi Šestić.
Roma leiden unter systematischer Diskriminierung und Benachteiligung
Esma Redzepovas Heimat Mazedonien wurde bereits als sicheres Herkunftsland eingestuft.
„In Mazedonien an sich besteht keine Lebensgefahr, aber es gibt große soziale Probleme, Diskrimierung und nur wenige Mazedonier haben Verständnis für Roma“, sagt die Künstlerin, die sich auch in einer Welt-Roma-Organisation engagiert.
Jetzt auch den Kosovo so einzustufen, hält sie für grundlegend falsch: „Der Kosovo ist auf keinen Fall sicher.“ Die meisten Roma lebten dort in Ghettos und Lagern, wo sie teilweise von EUFOR-Truppen geschützt werden müssen. „Außerhalb können sie sich nicht sicher bewegen.“
Erfahrungen, die auch Dortmunds Stadtdirektor Jörg Stüdemann gemacht hat. „In den vergangenen 20 Jahren ist die Situation wesentlich schlechter geworden. Ganz viele Städte haben Ghettos eingerichtet.“ Die Roma lebten dort unter elenden Bedingungen, würden diskriminiert und hätte keine Perspektive.
Die EU tut zu wenig, um ihre eigenen Mitgliedsstaaten auf Kurs zu bringen
„Der Skandal besteht darin, dass die EU politisch keine Maßnahmen ergreift und diese Länder bestraft“, so Stüdemann. Dabei blickt er vor allem auf Rumänien und Bulgarien – mittlerweile EU-Mitglieder. Viele Roma haben daher ganz legal im Rahmen der Freizügigkeit ihre „Heimat“ verlassen, um in Deutschland ihr Glück zu suchen.
„In Rumänien gibt es ganz starke Vorurteile. In Bulgarien ist es ähnlich – trotz EU“, ergänzt Redzepova. „Und über Ungarn brauchen wir nicht reden. Wo bleibt die Demokratie, wenn man wieder Mauern hochzieht?“
Flüchtlingsproblematik lässt Roma-Thematik in den Hintergrund treten
Ein Zustand, der auch die AWo-Vorsitzende und SPD-Landtagsabgeordnete Gerda Kieninger umtreibt: „Das Problem ist, dass die EU sich nur als Wirtschaftsraum betrachtet und niemals als Sozialraum“, krisiert die Dortmunderin.
„Es ist mehr als aktuell, darüber zu sprechen, dass wir ein soziales Europa brauchen. Das gehört endlich auf die Tagesordnung.“
Allerdings gerät die Thematik – nicht zuletzt wegen der anhaltenden Flüchtlingsströme nach Europa – ins Hintertreffen. Dies können auch die Macher des Roma-Kulturfestivals in Dortmund verzeichnen. Durch die drängenden Probleme zur Unterbringung der Flüchtlinge treten die ähnlich gravierenden Probleme der Roma in den Hintergrund.
Konzert bildet den Abschluss des zehntägigen Roma-Kulturfestivals
Das Festival bietet eine Möglichkeit, auch darüber zu sprechen. Mit dem Abend im Konzerthaus geht das zehntägige „Djelem Djelem“-Festival zu Ende.
Auf der Bühne wird es dann aber nicht um Politik gehen, sondern um die reiche Roma-Kultur.
Allerdings ist die Mostar Sevdah Reunion an sich schon ein politisches Statement: Schon 1999 scharte der bosnische Tontechniker und Produzent Dragi Šestić im kriegsgeschundenen Mostar eine Gruppe von Musikern verschiedener Ethnien um sich – Kroaten, Serben, Bosnier.
Diese Koryphäen der traditionellen Balkanmusik glaubten trotz aller Differenzen an die verbindende Kraft ihrer Kunst. Das Experiment gelang: Heute ist Mostar Sevdah Reunion ein vielgereistes Musikensemble, das weltweit begeistert.
Balkanmusiker glauben an die verbindende Kraft ihrer Kunst
Mit ihnen auf der Bühne stehen wird Esma Redzepova. Schon bei der ersten Platte der Reunion vor 16 Jahren wirkte sie als Gast mit.
Die mazedonische Romni verfügt über ein umfangreiches musikalisches Repertoire, das besonders von traditionellen mazedonischen Klängen und Roma-Musik geprägt ist.
Redzepova interpretiert diese Wurzeln immer wieder neu und überschreitet Horizonte in verschiedenen Sprachen und Kulturen.
Noch Karten für den Konzertabend erhältlich – Freikarten für Roma
Der Musikabend im Konzerthaus findet am Samstag, 12. September, um 20 Uhr im Dortmunder Konzerthaus statt. Es gibt noch Tickets an der Abendkasse (29,50 Euro).
Da die Macher des Festivals wissen, dass viele Roma, die in prekären Verhältnissen in Dortmund leben, sich keine Tickets leisten können, gibt es Freikarten für sie. Sie wurden an Hilfsorganisationen verteilt.
Diese haben außerdem – so auch die AWO als eine der Hauptorganisatorinnen des Festivals – die gemeinsame „Anreise“ aus der Nordstadt in die Brückstraße organisiert. Die meisten der Armutszuwanderer haben das Konzerthaus noch nicht aus der Nähe gesehen. Was für eine schöne Form Dortmunder Willkommens-Kultur!
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