„Systemfehler“ - der neue Podcast von Nordstadtblogger ist online

Dierk Borstel über die Europawahl, die Chancen kleinerer Parteien und das Wählen ab 16 

Nordstadtblogger Julius Obhues hat mit Politikwissenschaftler Dierk Borstel über die Europawahl gesprochen.
Nordstadtblogger Julius Obhues hat im Depot mit Politikwissenschaftler Dierk Borstel über die Europawahl gesprochen. Foto: Karsten Wickern für Nordstadtblogger.de

Die Nordstadtblogger-Redaktion startet zur Europawahl einen neuen Podcast: Egal, ob es um globale Klimapolitik, politische Strategien oder die lokalen Herausforderungen und Chancen in unserer Heimatstadt Dortmund geht – wir bieten fundierte Diskussionen und vielfältige Perspektiven. „SYSTEMFEHLER“ ist der Podcast für alle, die sich für das aktuelle Geschehen interessieren und bereit sind, tiefer in die Materie einzutauchen. Zum Auftakt hat die Redaktion Politikwissenschaftler Dierk Borstel zu Gast und redet mit ihm über die EU-Wahlen, die Chancen kleinerer Parteien und Wählen ab 16.

Die EU ermögliche Frieden, Freiheit und Wohlstand

Am 9. Juni steht ein großes Jubiläum an: zum zehnten Mal dürfen Bürger:innen der EU-Staaten ein gemeinsames Parlament wählen. Bei der ersten Europa-Wahl 1979 waren es zunächst neun Länder (inklusive der BRD) die zusammen 434 Parlamentarier:innen nach Straßburg entsandten.

Mittlerweile ist der Staatenverbund auf 27 Mitglieder angewachsen, in denen zusammen knapp 450 Millionen Menschen leben. Ein politisches Gebilde das in dieser Form einmalig und im Hinblick auf die konfliktreiche europäische Geschichte alles andere als selbstverständlich ist.

Für Prof. Dr. Dierk Borstel, Politikwissenschaftler an der Fachhochschule Dortmund, steht die Europäische Union für viele grundlegende Freiheiten, die unser heutiges Leben prägen: Reisefreiheit, europaweites Studieren, intensive Handelsbeziehungen. Freiheiten die einem vor allem bewusst werden würden, wenn man Europa verlässt.

Die aber auch indirekt das tägliche Leben in Dortmund prägen: „Ganz viele Gelder, die in Dortmund zum Beispiel in die Kommunalpolitik fließen, das heißt in den Verkehr, in soziale Projekte, sind häufig europäisch gegenfinanziert. Da steht nur nicht immer Europa drauf. Da ist aber ganz viel Europa drin.“

Die Wahl als Richtungsentscheidung

Die Frage, in welche Richtung sich das politische Europa weiterentwickelt, sei jedoch so umkämpft wie nie. Viele nationalistische und rechtsextreme Parteien wollen ein Zurück zum Nationalstaat.

Ein Projekt, das für Borstel auch deshalb keinen Sinn ergibt, weil es gerade bei den großen Fragen von Krieg und Frieden, Reichtum und Armut, der Lösung der Klimakrise und gerechten Verteilung von Geflüchteten dringend gemeinsame europäische Lösungen bräuchte.

Auch die Tatsache das kein europäisches Land globalpolitisch ähnlich bedeutsam und einflussreich auftreten könne, wie die großen Länder China, USA, Indien ist für Borstel ein starkes Argument für eine intensive, europäische Zusammenarbeit.

Mit der Asylrechtsreform untergräbt die EU eigene, europäische Werte

Allerdings schwäche sich die EU selber, in dem sie sich beispielsweise mit der EU-Asylrechtsreform von den eigenen, europäische Werten wie Menschenrechte und Würde entferne und Gefahr laufe rechtsstaatliche Prinzipien zu untergraben, wie bei schnellen Asyl-Verfahren an den Außengrenzen oder Abschiebungen in Drittstaaten.

Politikwissenschaftler Dierk Borstel ist Professor der FH Dortmund.
Politikwissenschaftler Dierk Borstel ist Professor der FH Dortmund. Foto: Karsten Wickern für Nordstadtblogger.de

Eine Politik die auch deshalb falsch und unglaubwürdig sei, weil Europa und gerade Deutschland in nahezu allen wirtschaftlichen Bereichen dringend auf Einwanderung angewiesen sei, wie der Fachkräftemangel alltäglich zeige.

Dabei sei es mitnichten so, dass Deutschland ganz weit oben auf der Liste der Wunschländer stünde. Die Schwierigkeit der Deutschen Sprache und große Rassismus-Probleme (wie unlängst auf Sylt zu sehen) sind dabei nur einige der Gründe.

Fehlender Mut zu positiven Erzählungen

Was Borstel in diesem europäischen Wahlkampf besonders fehlt, sind Debatten, wo es mit der EU hingehen könnte, die positiven Visionen und Bilder: „Wo wollen wir denn mit unserem Dortmund eigentlich hin? Also was ist die Idee für Dortmund 2050? Was ist das Versprechen, was wir den Menschen geben? Was müssen wir heute entwickeln, damit diese Stadt so lebenswert bleibt, wie sie eben ist oder noch liebenswerter wird? Und diese Zukunftsdebatten (…) würde ich mir wünschen.“

Europa ist eine Chance für kleinere Parteien

Debatten die zumindest von einigen, kleineren Parteien geführt würden, wie von der in 14 europäischen Ländern antretenden Partei „Volt“, die schon bei der letzten EU-Wahl in Deutschland mit 0,7% ein Mandat gewinnen konnte.

Nordstadtblogger Julius Obhues hat im Depot mit Politikwissenschaftler Dierk Borstel über die Europawahl gesprochen.
Nordstadtblogger Julius Obhues hat im Depot mit Politikwissenschaftler Dierk Borstel über die Europawahl gesprochen. Foto: Karsten Wickern für Nordstadtblogger.de

Dass die Fünf-Prozent-Hürde zumindest noch bei dieser Wahl (2029 soll die Sperrklausel bei mindestens zwei Prozent liegen) nicht greift, stelle für viele kleine und neue Parteien eine echte Chance dar, Gelder, Mandate und so einen gewissen Einfluss zu gewinnen.

Neben der Partei „Volt“, der „Tierschutzpartei“, der Partei „die Partei“ und vielen weiteren „Kleinen“ treten zur EU-Wahl ebenfalls das neu gegründete „Bündnis Sarah Wagenknecht“ sowie die „Letzte Generation“ mit eigenen Parteien an.

Parteien seien allerdings erst immer dann erfolgreich, wenn sie es schaffen würden, dauerhaft ein bestimmtes gesellschaftliches Milieu zu repräsentieren und auch in der Fläche sichtbar und strukturiert zu wirken. Aspekte die Borstel beim „BSW“ und der „Letzen Generation“ (noch) nicht erkennen kann. Ein positives Abschneiden bei den Wahlen dennoch nicht ausschließt.

Die jungen Generationen ernst nehmen

Dass es politisch bei dieser EU-Wahl vor allem auch darauf ankomme, junge Menschen und Erst-Wähler:innen (zum ersten Mal sind auch 16- und 17-Jährige wahlberechtigt) zu erreichen, hätten nicht zuletzt steigende Umfragewerte unter jüngeren Menschen zur AfD gezeigt. Es komme darauf an, die jungen Generationen, die durch komplexe Krisenerfahrungen (Pandemie, Krieg in der Ukraine und Gaza, Klima) geprägt seien, nicht alleine zu lassen.

Politikwissenschaftler Dierk Borstel ist Professor der FH Dortmund.
Politikwissenschaftler Dierk Borstel ist Professor der FH Dortmund. Foto: Karsten Wickern für Nordstadtblogger.de

Zunehmendem Rassismus in der Öffentlichkeit und fragwürdigen Abschiebepraktiken müsse man ebenso entgegentreten, wie einfach erscheinenden, populistischen Antworten. Am besten gelinge dies, in dem soziale Ungerechtigkeiten thematisiert und eine echte europäische, solidarische und ökologische Alternative geboten werden würde.

Wer das Interview in voller Länge nachhören will, kann dies auf den YouTube- und Spotify-Kanälen der NordstadtBlogger tun. Der neue Podcast „Systemfehler“ wird nun in Regelmäßigkeit spannende Gäste aus Politik und Gesellschaft zu Gast haben. Kleiner Spoiler: nächste Woche Freitag ist der Dortmunder Soziologe Aladin El-Mafaalani zu Gast.


Der Podcast „Systemfehler“ ist eine Produktion der Nordstadtblogger-Redaktion. Wir bedanken uns bei allen, die bei der Erstellung dieses Podcasts mitgewirkt haben.

  • Redaktion: Erik Latos, Matthias Jochimsen, Julius Obhues und Alexander Völkel
  • Moderation: Julius Obhues
  • Kamera: Karsten Wickern
  • Schnitt: Karsten Wickern und Julius Obhues

Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!


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