Der Super-Wahltag bescherte Dortmund fünf Wahlen und viele Überraschungen: In der so oft beschworenen „Herzkammer der Sozialdemokratie“ war die SPD zwar deutlich stärkste Kraft, musste aber – außer bei der Europa- und der Integrationsratswahl – teils deutlich Stimmen abgeben.
Oberbürgermeister-Wahl in Dortmund
SPD-Amtsinhaber Ullrich Sierau muss in die Stichwahl – und das – obwohl seine ärgste Herausforderin Dr. Annette Littmann zunächst kaum mehr als eine Notlösung war. Ein Ratsmandat wollte die CDU ihrem Neuzugang von der FDP nicht geben.
Erst als Sierau kurzfristig doch noch den Weg für Neuwahlen frei gemacht hatte, kam sie für das OB-Amt in Frage. Umso selbstbewusster kann die Kandidatin auf ihre 32 Prozent blicken – im Wahlkampf selbst war sie eher blass und blieb beim Ergebnis hinter dem des früheren CDU-Kandidaten Hans-Joachim Pohlmann.
Sierau erreichte trotz Amtsbonus und generalstabsmäßiger Vorbereitung nur 43,7 Prozent. Er sah für die Stichwahl noch Luft nach oben und machte wahltaktische Überlegungen für sein Abschneiden verantwortlich. Daniela Schneckenburger (Grüne) kam auf 11,2 Prozent und Dr. Hans-Christian Tödt (Linke) auf starke 5,8 Prozent. Der frühere Nordstadt-Quartiersmanager David Grade (Piraten) erreichte 2,1 Prozent und lag damit noch vor Lars Rettstadt (FDP). Der Liberale büßte 3,1 Prozent ein und schaffte es nur mit Mühe, die Kandidaten von NPD und FBI hinter sich zu lassen.
Europawahl
Mit 39,3 Prozent hat hier die SPD Dortmund-weit die Nase vorn. Im Gegensatz zu den lokalen Gremien können die Dortmunder Sozialdemokraten vom Martin-Schulz-Bonus profitieren – sie legen hier um 5,9 Prozent zu.
Die CDU kommt bei der Europawahl in Dortmund auf 25 Prozent (-2,3%), die Grünen auf 12,5 Prozent (-2,3 %) und die Linke auf 6,5 Prozent (-0,1%). Die europaskeptische AfD erreicht aus dem Stand 5,9 Prozent.
Heimischer Vertreter im EU-Parlament wird Prof. Dr. Dietmar Köster sein. Der SPD-Politiker aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis wird die Nachfolge von Bernhard Rapkay antreten. Der Dortmunder Sozialdemokrat war 20 Jahre im Europaparlament.
Rat: SPD siegt trotz Verlusten
Bei der Ratswahl bleibt die SPD stärkste Kraft, muss aber auch hier Federn lassen: Auf 38,2 Prozent kommen die Sozialdemokraten – das sind 5,5 Prozent weniger als bei der letzten Wahl.
Die CDU erreicht erneut 27,2 Prozent. Die Grünen verlieren 1,8 Prozent und kommen auf 15,4 Prozent. Fast verdoppeln konnte die Linke ihr Ergebnis und ist mit 6,8 Prozent im neuen Rat vertreten (+3,3). Die AfD zieht mit 3,4 Prozent in den Rat ein.
Die FDP dümpelt mit 2,4% am Rand der Bedeutungslosigkeit und wird beinahe noch von den Piraten (2,3%) überholt. Die Bürgerliste und „Die Rechte“ erreichen jeweils ein Prozent, die NPD 0,9 Prozent und die FBI 0,7 Prozent.
SPD holt Nordstadt-Direktmandate
Erwartungsgemäß konnte die SPD in der Nordstadt alle drei Direktmandate für sich verbuchen – der vierte Direktwahlkreis wurde gestrichen. Der SPD-Stadtbezirksvorsitzende Florian Meyer kam auf 39,4 Prozent (Wahlkreis 1) und verwies Hans-Georg Schwinn (Grüne/15,7 %), den CDU-Ratsfraktionschef Ulrich Monegel (13,3%) und Cornelia Wimmer (Die Linke/13,3%) auf die Plätze.
In Wahlkreis 2 setzte sich die amtierende Bürgermeisterin und SPD-Spitzenkandidatin Birgit Jörder mit 31,9 Prozent klar durch. Hier lagen die Grünen mit dem 2. stellvertretenden Bezirksbürgermeister Dirk Logermann (18%) und die Linken mit ihren BV-Fraktionschef Cüneyt Karadas (14,6%) sogar noch vor dem neuen CDU-Bewerber Dorian Marius Vornweg (14,3%). Dieser soll Thomas Bahr als Fraktionschef beerben, der nach vielen Jahren in der BV nun für den Rat kandidiert hat.
Das beste Ergebnis fuhr Volkan Baran in Wahlkreis 3 für die SPD ein. Er kam auf 43,7 Prozent. Der bisherige CDU-Fraktionschef in der Nordstadt-Bezirksvertretung, Thomas Bahr, konnte sich hier zumindest mit 12,9 Prozent Platz 2 sichern. Die Kandidaten der Linken (Fatma Karacakurtoglu / 12,3%) und Grünen (Mustafa Essati/ 10,9 %) kamen auf die Plätze 3 und 4.
Nordstadt-BV: Zugewinne der Linken
Der klare Sieg der SPD kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die Sozialdemokraten hier massiv Federn lassen mussten und gerade die Linken mit Sozialthemen punkten konnten. Denn die Linke gewann 5,7 Prozent hinzu und kam auf 15,1 Prozent. Die SPD hingegen verlor acht Prozent, bleibt aber mit 39 Prozent noch klar stärkste Kraft. Die Grünen kommen auf 16,8 Prozent (-2,6%), die CDU auf 13,6 Prozent (-1,6%). Während die Bürgerliste (1%) und die FDP (1,2%) in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, können hier die AfD 4,3 Prozent, Die Rechte 3,5 Prozent und die Piraten sogar 4,5 Prozent verbuchen.
Integrationsratswahl
Bei der Wahl der MigrantInnenvertretung gab es eine faustdicke Überraschung: Die Allgemeine aktive Liste der türkischen Verbände – zuletzt mit einer absoluten Mehrheit „gesegnet“, erreichte nur noch 16,8 Prozent. Die Internationale SPD-Liste zog überraschend stark und kam bei der Integrationsratswahl auf 31,9 Prozent.
Auf Platz 3 kam die Polnische Liste mit 16,3 Prozent. Einzelbewerberin Irina Bürstinghaus erreichte 8,5 Prozent und das neu formierte Bündnis für Innovation & Gerechtigkeit errang 7,4 Prozent. Die Liste der Vielfalt erzielte 6,2 Prozent. Die anderen Listen und Einzelbewerber schnitten deutlich schlechter ab.
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Wiebke Claussen
Leserbrief:
Niedrige Wahlbeteiligung verpflichtet Politiker
Auf der Startseite der Stadt Dortmund ist folgender Wahlspruch zu lesen: „Das Heil der Demokratien, von welchem Typus und Rang sie immer seien, hängt von einer geringfügigen technischen Einzelheit ab: vom Wahlrecht. Alles andere ist sekundär.“ Als Kommentar der Wahlergebnisse zeugt der Wahlspruch von Selbstgerechtigkeit und Ignoranz.
Die gewählten Mandatsvertreter haben am Sonntag ihre Mehrheiten eingefahren, den Zugang zu Pfründen, Posten und Gestaltungsaufgaben erlangt. Die niedrige Wahlbeteiligung verpflichtet Politiker dazu, sich mit den Ursachen von Parteienverdrossenheit und der Abkehr vieler Bürger vom politischen Gemeinwesen auseinanderzusetzen.
Nicht einmal die Hälfte der Dortmunder (44,9%) ist am Sonntag zur Wahl gegangen. Die Wahlbeteiligung ist damit gegenüber 2009 um fast 2%-.Punkte gesunken (46,7%). In vielen Stadtteilen sank die Wahlbeteiligung unter 40%. Und in der Nordstadt gab sogar nur ¼ der Wahlberechtigten (25,3%) ihre Stimme ab – auch hier gut 2%.Punkte weniger als 2009. Die 75% Wahlenthaltung sind nicht entbehrlich, sie sind eine Scham. In einem Stadtteil mit 53.000 Einwohnern (mit vielen Menschen mit (noch) keiner Wahlberechtigung: Kinder, Ausländer) haben sich lediglich 8.000 Personen an der Wahl beteiligt. Und auch der Angriff der Neonazis auf das Rathaus am Wahlabend, den die anwesenden Parteien- und Ratsvertreter live mitbekommen haben, ist eine Facette dieser Entwicklung.
Die Auseinandersetzung mit den Ausprägungen der sozialen Frage in Dortmund, der Zunahme prekärer Lebensverhältnisse, von Ausgrenzung, sozialräumlicher Segregation, Verwerfungen der Stadtentwicklung, und mit der Frage, wie Betroffene und Wahl-Stimmlose zu Beteiligten gemacht werden können, dies ist primär notwendig, um ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen zu erhalten.