Die SPD-Fraktion in Dortmund steckt in einer tiefen Krise – nun ist Fraktionschef Hendrik Berndsen zurückgetreten

Das Lachen ist ihnen mittlerweile vergangen: der bisherige Fraktionschef Hendrik Berndsen (vorne)  mit seinen Stellvertreter*innen Carla Neumann-Lieven, Silvya Ixkes-Henkemeier und Franz Josef Rüther. Foto: SPD

Paukenschlag bei der SPD-Fraktion: Ihr Vorsitzender Hendrik Berndsen hat am Montag überraschend seinen Rücktritt verkündet. Er kam damit offenbar einem Scherbengericht zuvor. Denn seit Wochen rumorte es in der Fraktion – und einer möglichen vorgezogenen Neuwahl kam er nun mit einem Rücktritt zuvor. Die schwierige Lage der SPD, die zwar noch immer die größte Fraktion im Dortmunder Rat stellt, aber personell geschwächt und durch die Projektpartnerschaft von Grünen und CDU massiv in die Defensive geraten ist, erreicht damit einen neuen Höhepunkt. 

Probleme sind auch Nachwirkungen des schlechten Kommunalwahlergebnisses im Herbst

Zwischen allen Stühlen? Der bisherige SPD-Fraktionsvorsitzende Norbert Schilff soll nach dem überraschenden Wahlaus von Birgit Jörder neuer Bürgermeister werden. Foto: Alex Völkel
Der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Norbert Schilff musste nach dem überraschenden Wahlaus von Birgit Jörder neuer Bürgermeister werden.

Das schlechte Wahlergebnis im Herbst 2020, welches völlig überraschend der beliebten 1. Bürgermeisterin Birgit Jörder den Sitz im Rat gekostet hatte, sorgte für Verwerfungen. Denn nun musste der bisherige Fraktionschef Norbert Schilff seinen Hut für das ehrenamtliche Bürgermeisteramt in den Ring werfen. 

Er war zwar das bekannteste und prominenteste verbliebene Ratsmitglied. Doch der Schritt erfolgte nicht ganz freiwillig. Nicht ganz freiwillig – denn mehrere führende Fraktionsmitglieder machten Druck und wollten personelle Veränderungen. So gab Schilff sein geliebtes Fraktionsamt auf und ordnete sich der Parteiräson unter. Bürgermeister wollte er zwar schon immer mal werden – doch er wäre niemals auf die Idee gekommen, diese Aufgabe zu übernehmen, solange wir „eine so gute und kluge Bürgermeisterin haben“ (O-Ton Schilff).

Daher rückte Hendrik Berndsen nach 26 Jahren im Rat an die Spitze der Fraktion. Berndsen und viele andere hätten dort gerne Franz-Josef Rüther gesehen. Doch der selbstständige Rechtsanwalt winkte ab. Denn das Schilff neben seinem eigentlichen Beruf bei der Deutschen Bahn pro Woche 60 und mehr Stunden als ehrenamtlicher Fraktionsvorsitzender geleistet hatte, war kein Geheimnis. 

„Ich bin ein Präsenztyp“: Berndsen kämpfte mit der Kommunikation in Pandemie-Zeiten

Hendrik Berndsen ist Vorsitzender im Ausschuss Mobilität, Infrastruktur und Grün (AMIG). Foto: Alex Völkel
SPD-Fraktionschef Hendrik Berndsen machte die Kommunikation in Zeiten von Corona große Probleme.

Doch als einer von drei Stellvertreter*innen – gemeinsam mit Carla Neumann-Lieven und Silvya Ixkes-Henkemeier – ordnete sich Franz-Josef Rüther hinter Hendrik Berndsen als Fraktionsvorstand ein.

Doch der Neustart verlief alles andere als glatt: Das schlechte Wahlergebnis, das Fehlen eines neuen Fraktionsgeschäftsführers und die neuen Mehrheiten im Rat erschwerten es Berndsen.

Der machte auch keinen Hehl daraus, dass ihm die Fraktionsarbeit in Zeiten der Corona-Pandemie mehr als schwer falle. „Ich bin ein Präsenztyp. Aber durch die Pandemie habe ich manche Fraktionsmitglieder seit Monaten nicht persönlich gesehen – nur in Videokonferenzen.“ Daher fiel ihm offensichtlich die Fraktionsführung immer schwerer.

Aus der zweiten und dritten Reihe gab es Kritik am Führungsstil, dem Kurs und den Entscheidungen, die Berndsen in den ersten Monaten traf. Dabei spielten offenbar auch alte Unzufriedenheiten eine Rolle, die immer stärker offensichtlich wurden. 

Ein offener Bruch zeichnete sich bei den Themen Flughafen und der Verlängerung der OWIIIa an, wo sich vor allem die Genoss*innen aus dem Dortmunder Osten – allen voran aus Brackel – nicht ausreichend gewürdigt fühlten.

„Ich zolle ihm großen Respekt. Er hat geackert wie ein Pferd – aber es ist eine Teamleistung“ 

Einzelne mahnten zudem andere Kommunikations-, Beteiligungs- und Kommunikationsstrukturen an. Dazu gehörte Silvya Ixkes-Henkemeier, die die aktuelle Personaldiskussion mit ihrem eigenen Rücktritt, den sie schriftlich kurz zur Sonderklausurtagung ankündigte.

Anlass der Klausur war unter anderem die Diskussion zum Umgang zur neuen Wirklichkeit und den neuen Mehrheiten im Stadtrat. Doch anstatt sich inhaltlich aufzustellen, beschäftigte man sich in einer Online-Klausur acht Stunden lang nur mit sich selbst.

SPD-Fraktion – hier ein Bild der konstituierenden Ratssitzung – kam nie richtig in den Tritt. Archivfotos (4): Alex Völkel

Die aufgestaute Unzufriedenheit brach sich Bahn – unter anderem befeuert durch die Aufforderung eines geschlossenen Rücktritts, um Platz zu machen für eine neue Arbeitsweise. Doch Berndsen wollte das nicht und zog die Konsequenz: Er trat zurück und tritt wieder ins dritte Glied. „Ich bleibe im Rat und werde loyal weiterarbeiten“, sagt der Mann, der sich nicht in die erste Reihe gedrängt hatte, sondern mehr oder weniger von und für seine Partei in die Pflicht genommen wurde.

„Es geht nicht um mich oder Hendrik oder Posten allgemein, sondern darum, dass die SPD arbeitsfähig wird“, sagte Silvya Ixkes-Henkemeier im Gespräch mit Nordstadtblogger. Kritik am bisherigen Vorsitzenden äußert sie öffentlich nur indirekt: „Ich zolle ihm großen Respekt. Er hat geackert wie ein Pferd – aber es ist eine Teamleistung.“ 

Franz-Josef Rüther: „Es ist eine ganz schlimme Situation für unsere Fraktion“

Carla Neumann-Lieven ist die wohnungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Foto: Lutz Kampert/ SPD
Carla Neumann-Lieven ist u.a. stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Foto: Lutz Kampert

Doch den von ihr gewünschten Neustart in Form einer vorgezogenen Neuwahl von allen Positionen wird es nicht geben. Denn mit dem Rücktritt schaffte Berndsen nun Fakten, die eine Nachwahl nötig machen. Die beiden anderen Vize – Rüther und Neumann-Lieven – bewerteten eine vorgezogene Neuwahl als völlig falsch – ebenso wie den Rücktritt von Berndsen. 

„Es ist eine ganz schlimme Situation für unsere Fraktion“, sagt Franz-Josef Rüther. „Dass Hendrik Berndsen nun glaubt, den Weg freimachen zu müssen für einen Neuanfang, das bedaure ich sehr.“ Er habe die Fraktion nach vorne gebracht. Und auch seine jetzige Entscheidung verdiene „verdammten Respekt“. 

Als Vize – eine Kandidatur für den Vorsitz schließt er neuerlich aus – wolle er nun seinen Beitrag dazu leisten, die Fraktion nach einer Nachwahl wieder arbeitsfähig zu machen. Einen kompletten Personalaustausch müsse es nicht geben – wohl aber mehr Geschlossenheit in der Arbeit. 

Auch Carla Neumann-Lieven hatten die Diskussionen der letzten Tage stark mitgenommen. „Es ist eine ganz schwierige Gemengelage“, sagte sie auch mit Blick auf die immer deutlicher zu Tage getretenen Gräben innerhalb der Fraktion. „Ich weiß noch nicht, wie wir die zukriegen.“

Wer das zeitaufwändige Ehrenamt übernimmt, ist noch völlig offen

Wirtschaftsförderungsausschuss - Vorsitzender Franz-Josef Rüther. Foto: Alex Völkel
Franz-Josef Rüther will Fraktionsvize und Vorsitzender im Wirtschaftsförderungsausschuss bleiben.

Wer die vakante Spitzenposition besetzen soll, ist noch völlig offen. Denn viele prominente Gesichter gibt es dort nicht, nachdem die Partei bei der Wahl hat Federn lassen müssen. Zudem gibt es viele neue Ratsmitglieder, die zwar sehr motiviert und engagiert sind, aber denen vielleicht die Erfahrung für die schwierige Aufgabe fehlt.

Auf allen Ebenen laufen daher die Gespräche bei der SPD. Klar ist nach dem Rücktritt von Berndsen im Prinzip nur, wer ihn nicht beerben will. So haben alle drei bisherigen Stellvertreter*innen abgewunken. Zudem gibt es Interessenten, die schon bisher wollten, aber bisher nicht mehrheitsfähig waren. 

Am Montag trifft sich die Fraktion und berät erneut, die Nachwahl wird voraussichtlich am Donnerstag in einer Woche stattfinden. Insgesamt drei Positionen sind nachzuwählen – auch eine Beiseitzerin ist zurückgetreten.

Erschüttert blickt Bürgermeister Norbert Schilff auf die Diskussionen in seiner Fraktion und darauf, wie sich diese zerlegt. „Normalerweise bin ich nicht sprachlos. Aber ich möchte das nicht kommentieren“, so der frühere Fraktionsvorsitzende. Dass er es nicht mehr ist, hat ja auch mit der heutigen Gemengelage zu tun. Allerdings ist er „hoffnungsvoll, dass eine gute Lösung gefunden wird“.

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  1. SPD-Ratsfraktion wählt Carla Neumann-Lieven zur neuen Fraktionsvorsitzenden (PM SPD Ratsfraktion Dortmund)

    SPD-Ratsfraktion wählt Carla Neumann-Lieven zur neuen Fraktionsvorsitzenden

    Die SPD-Fraktion im Rat der Stadt Dortmund hat sich am 03.05.2021 im Rahmen einer Fraktionssitzung in der Spitze neu aufgestellt. Hierbei wurde Carla Neumann-Lieven mehrheitlich zur neuen Fraktionsvorsitzenden gewählt. Carla Neumann-Lieven, von Beruf Tagesmutter, ist die erste Frau an der Spitze der SPD-Ratsfraktion und bereits seit 2004 im Rat der Stadt Dortmund. Sie hat in dieser Zeit verschiedene Funktionen in der SPD-Ratsfraktion wahrgenommen.

    Zuletzt war sie als stellvertretende Fraktionsvorsitzende Teil des Geschäftsführenden Vorstands der SPD-Ratsfraktion. In den Geschäftsführenden Vorstand wurden auch Olaf Schlienkamp und Veronika Rudolf als Stellvertretende Vorsitzende gewählt.

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