Mit großer Mehrheit bestimmten 128 Delegierte auf der AWO-Unterbezirkskonferenz Anja Butschkau zur neuen Vorsitzenden der Arbeiterwohlfahrt in Dortmund. Zu ihren Stellvertreter*innen wählten sie Ulrike Matzanke und Oliver Schröer. Anja Butschkau ist für die AWO-Mitglieder und AWO-Mitarbeiter*innen keine Unbekannte: Sie arbeitete 27 Jahre im Verband, zuletzt war sie in Dortmund verantwortlich für die Verbands- und Öffentlichkeitsarbeit, bis sie 2017 als SPD-Landtagsabgeordnete nach Düsseldorf ging.
Die neue Vorsitzende hat ihr ganzes Berufsleben in der AWO-Familie verbracht
Die Kandidatur für den Vorsitz wurde Butschkau vom Vorstand angetragen, nachdem unerwartet die langjährige Vorsitzende Gerda Kieninger im Januar verstarb. Sie hätte sich nach 17 Jahren in dem Amt erneut zur Wahl gestellt.
Anja Butschkau (54 Jahre, verheiratet, eine erwachsene Tochter) war in ihrem gesamten Berufsleben Teil der großen AWO-Familie, bis sie für die SPD in den Landtag einzog.1988 als Praktikantin in Obdachlosensiedlung und ab 1989 hauptamtlich war sie bei der AWO. Von 2009 bis 2017 war sie in Dortmund im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Verbandsarbeit tätig. Von daher kannte bzw. kennt sie die Ortsvereine wie kaum eine andere im Verband.
Im Landtag konzentriert sie sich auf die Themenfelder Arbeit, Gesundheit und Soziales und ist zudem gleichstellungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion in NRW. „Das mache ich basierend auf den Werten der AWO. Diese prägen mich seit langem im Beruflichen und Privaten“, betonte Butschkau in ihrer Vorstellungsrede.
Einsatz für die gerechte und solidarische Gesellschaft und gegen Faschismus
Eine gerechte und solidarische Gesellschaft sei leider kein Selbstläufer. „Wir müssen sie jeden Tag neu erkämpfen. Der Privatisierungswahn des Neoliberalismus ist längst nicht überstanden. Immer häufiger müssen sich gemeinnützige Träger dem Wettbewerb mit gewinnorientierten Unternehmen stellen“, machte die SPD-Politikerin deutlich.
Das treffe vor allem die Menschen, die nicht so viel Geld hätten, Rentner*innen mit kleinen Einkommen, Alleinerziehende, Arbeitslose, Zugewanderte und Geringverdiener*innen. „Für die und andere wollen wir kämpfen. Ihnen möchte ich als Vorsitzende eine Lobby geben“, sagte sie unter dem Applaus der AWO-Delegierten.
Und auch auch den Kampf gegen Ausgrenzung und rechte Hetze will sie fortsetzen: „Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus haben in unserer Stadt und unserem Land keinen Platz“, so Butschkau. Die AWO sei immer ein starker Partner in der Stadtgesellschaft und ein Garant für Solidarität, Zusammenhalt und Gerechtigkeit gewesen.
„Wir machen auch zukünftig unseren Mund auf für die, die keine oder eine leise Stimme haben“, versprach sie den Delegierten, die sie mit einem überwältigenden Ergebnis zur Nachfolgerin von Gerda Kieninger machten, die für Butschkau nicht nur die Chefin, sondern auch Freundin und Mentorin war.
OB sieht die AWO als Garant für die soziale Gerechtigkeit in Dortmund
In der künftigen Arbeit steht Butschkau nicht allein. Ebenfalls neu in den Führungsfunktionen sind Ulrike Matzanke und Oliver Schröer, die Renate Riesel und Hans-Jürgen Unterkötter „beerbten“, die nicht erneut für die Stellvertreter-Positionen kandidiert hatten.
Der Vorstand wird komplettiert durch die zehn Beisitzer*innen: Ewald Schumacher, Friedhelm Sohn, Hans van Dormalen, Hans-Jürgen Unterkötter, Brigitte Steins, Brigitte Westphal, Brigitte Jülich, Birgitt Kalle, Werner Rabenschlag und Simone Knipping. Als Revisor*innen nehmen ihre Arbeit auf: Karlheinz Heinrich, Friedhelm Mocek, Wolfgang Wittke, Helmut John und Manuela Stens.
Die Wahlen leitete das Präsidium mit Volkan Baran, Sabine Poschmann und Norbert Schilff. „Haltung zeigen – Werte leben“ hatte die AWO als Motto für die Konferenz formuliert. Dass diese Worte gut gewählt waren, bekräftigten die Gäste in Grußworten und Reden.
OB Ullrich Sierau sprach sehr persönlich von der ehemaligen Vorsitzenden „Gerda, die die Haltung gelebt hat, von der andere nur reden“ und forderte: „Wir müssen das fortsetzen.“ Die AWO sei ein „Garant für soziale Gerechtigkeit“ und „Gerda war in dieser Hinsicht vorbildlich“.
Gelebte AWO-Werte: Solidarität, Toleranz, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit
Auch Thomas Westphal, als Vertreter des SPD-Unterbezirksvorstandes, und Frank Ortmann für die Arbeitsgemeinschaft Dortmunder Wohlfahrtsverbände, betonten die Notwendigkeit der Arbeit des Verbandes und die gute Kooperation mit den anderen Verbänden.
Nadja Lüders, Generalsekretärin der NRW-SPD, bezog sich in ihrer Festrede ebenfalls auf das Konferenz-Motto und das aktuelle Grundwerteprogramm der AWO. „Solidarität, Toleranz, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit – wie kann man das leben? Ihr Delegierte aus den Ortsvereinen tut das jeden Tag.“
Für sie sei es selbstverständlich, in Fortsetzung der Anstrengungen von AWO-Gründerin Marie Juchacz, dass SPD-Mitglieder auch AWO-Mitglieder seien. Das verstehe sich aus dem Wohlfahrtsgedanken der damaligen Politik der sozialdemokratischen Partei. „Haltung zeigen“ forderte sie gegen faschistische Äußerungen. Sie sorge sich sehr, „wie dieses rechte Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft einsickert“.
Als Beispiel erinnerte sie an eine Aussage des CDU-Mitglieds Friedrich Merz, der Ursache und Wirkung umdrehe. Um rechtsradikale Parteien und Gruppen zu schwächen, habe dieser angemahnt, die Grenzen zu schließen und die Kleinkriminalität zu bekämpfen. An die Konferenzteilnehmer*innen gewandt sagte sie: „Ihr sagt, was nicht geht und habt dies festgeschrieben in eurem Leitantrag.“
Klimaschutz, Abkehr von Gewinnorientierung und Quartiersarbeit als Themen
Um Haltung und Werte ging es nicht nur in dem von Lüders genannten Leitantrag, sondern auch in den weiteren, die zu beraten und zu verabschieden waren. So stimmten die Delegierten der Forderung zu, soziale Dienstleistungen nicht an gewinnorientierte Anbieter zu vergeben und den Vorrang der freien Wohlfahrtspflege zu wahren.
In Sachen Klimaschutz will der Verband auf kommunaler Ebene Ideen sammeln, wie man sich selbst vorbildlich verhalten kann.
Zudem plant man, zusätzliche Angebote in die Begegnungsstätte aufzunehmen und allen Vereinen deutlich zu machen, was seit jeher gilt, aber selten wahrgenommen wird: Die Begegnungsstätten können von allen aus dem Quartier genutzt werden für Versammlungen, Spiel- und Singveranstaltungen, Treffen mit und ohne Programm.
Gora fordert Daseinsvorsorge: „Soziale Arbeit kann man nicht privatisieren“
Die unternehmerische Seite der Dortmunder Arbeiterwohlfahrt stellte Geschäftsführer Andreas Gora vor. Die AWO hat mittlerweile mehr als 1700 hauptamtliche Beschäftigte – die meisten von ihnen langfristig, tarifgebunden, sozialversicherungspflichtig und – außer wenn sie es nicht wollen – in Vollzeit beschäftigt.
Das Unternehmen AWO müsse sich mittlerweile in vielen Feldern dem Wettbewerb mit gewinnorientierten Konzernen stellen, weil viele soziale Aufgaben privatisiert und den Marktkräften unterworfen würden – und das ohne Not. „Soziale Arbeit kann man nicht privatisieren“, und falls doch, müssten Regulatoren greifen, machte Gora deutlich.
Denn viele Aufgaben wie die Kinderbetreuung und anderen Betreuungs- und Beratungsangeboten müssten Werte im Mittelpunkt stehen und nicht der „Shareholder-Value“, also die Gewinnmaximierung. Die Menschen und ihre Bedürfnisse müssten auch weiterhin im Mittelpunkt stehen – nicht die Wünsche von Investoren oder Konzernen.
Gora, der im Sommer als Geschäftsführer ausscheidet und in Rente geht, hob einige „herausragende Beratungsangebote“ im Unterbezirk hervor: das Psycho-Soziale Zentrum für Geflüchtete, die Schwangerschaftskonfliktberatung, die Kurvermittlungsstelle, die diskriminierungsfreie Pflege in der Evinger Seniorenwohnstätte sowie die Offenen Ganztagsangebote an 16 Schulen.
Dies dürfe nicht aus dem Blick geraten, gerade wenn insbesondere von rechtsaußen versucht werde, bundesweit die AWO zu diskreditieren, sagte er mit Blick auf die Skandale in den AWO-Kreisverbänden in Frankfurt und Wiesbaden. „In Dortmund und im Bezirk Westliches Westfalen gebe es Strukturen, „die den systematischen Missbrauch von Funktionen verhinderten. Bei uns ist ein solcher Skandal nicht möglich“, sagte Gora sichtlich emotional.
Drei langjährige Aktive würden mit der Verdienstmedaille ausgezeichnet
Nach dem Werten des Verbandes gewirkt haben seit Jahren und Jahrzehnten drei Personen, die mit der Verdienstmedaille ausgezeichnet wurden: Georg Deventer, Arnold Pankratow und Renate Riesel.
Deventer ist ein bekennender Antifaschist, engagiert sich in vielen Vereinen und Arbeitskreises gegen Hass und Rassismus. Arnold Pankratow sammelt nach seiner Pensionierung immer noch Spenden für das von ihm entwickelte Projekt Tischlein deck dich, um Kindern an Schulen, in Jugendzentren und Kinderstuben ein Essen zu sichern.
Renate Riesel ist seit 25 Jahren Vorsitzende im Ortsverein Kirchderne, hat in dieser Funktion nicht nur für die AWO, sondern auch für die gesamte Nachbarschaft rund um den Merckenbuschweg gewirkt. So sorgte sie unter anderem dafür, dass ein sehr gut besuchtes Jugendzentrum eingerichtet wurde, das der Ortsverein heute immer noch ehrenamtlich unterstützt.
Erstmals verleiht die AWO in Erinnerung an Marie Juchacz Schwester die „Elisabeth“
Eine ganz besondere Auszeichnung erhielten dann noch vier Personen, die nach Jahren, zum Teil Jahrzehnten, ihre Ehrenämter niederlegten: Eine von Günter Rückert entworfene Skulptur von Elisabeth Kirschmann-Röhl, der jüngeren Schwester der AWO-Gründerin Marie Juchacz.
Kirschmann-Röhl hat nicht nur selbst unverzichtbare Arbeit für die AWO in deren ersten Jahren geleistet, sie war auch für ihre Schwester eine unverzichtbare Stütze. Womöglich, weil sie bereits 1930 im Alter von nur 42 Jahren starb, sind ihre großen Verdienste in Vergessenheit geraten.
Mit den ersten vier Exemplaren der Skulptur wurde Renate Riesel, Richard Fiebig, Walter Mielke und Wilhelm Möller gedankt, die aus ihren Ehrenämtern ausgeschieden sind.
Ehrenzeichen der Arbeiterwohlfahrt für 14 Aktive aus den Ortsvereinen
14 Frauen und Männer erhielten das Ehrenzeichen der Arbeiterwohlfahrt, da sie sich in ihren Ortsvereinen, unabhängig davon, ob sie dort einen Funktion übernommen haben oder nicht, seit Jahren, zum großen Teil seit Jahrzehnten, außerordentlich engagieren.
Das sind aus dem Ortsverein Asseln/Husen-Kurl Dirk Sparka und Bärbel Kannenberg, aus Brechten-Holthausen Marlies Rocholl, aus Eichlinghofen Jürgen Fischer, aus Eving II Monika Anders, aus Hörde-Süd Roswitha Fenneker, Ingrid Fiebig, Richard Fiebig und Günter Schulte, aus Nordstadt Herbert Domanski, aus Wellinghofen Helmut Weis, aus Westrich-Lütgendortmund Kläre Enderweit, aus Wichlinghofen Heinz Drees und aus Wickede Hilde Stiebert.
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