Als an Schlaflosigkeit leidender junger Vietnamveteran Travis Bickle, der sich als Taxifahrer im Großstadtdschungel des nächtlichen New York verliert, schrieb Robert De Niro vor mittlerweile 44 Jahren in Martin Scorseses Kultfilmklassiker „Taxi Driver“ Kinogeschichte. Für das Theater im Depot in der Nordstadt haben Regisseur Alexander Olbrich und Dramaturg Berthold Meyer ihre ganz eigene Version des Stoffes entworfen und das Stück auf ihre Art überschrieben.
„Taxi Driver“ beschreibt die Radikalisierung eines Außenseiters
Die eigentlich für diesen Freitag, den 25. September, geplante Premiere muss leider aufgrund der Erkrankung eines Ensemblemitglieds um eine Woche verschoben werden und findet nun am Samstag, dem 3. Oktober, um 20 Uhr statt. Alle bereits gekauften Tickets können selbstverständlich übertragen oder rückerstattet werden.
Die Zuschauer*innen erwartet eine hochaktuelle Geschichte über Ohnmacht inmitten einer Welt der Informationsflut, Einsamkeit in der Mitte der Gesellschaft, Frustration, die Dinge nicht ändern zu können bis hin zur finalen Radikalisierung eines Menschen, der eigentlich nur auf der Suche nach einem tieferen Sinn in seinem Leben ist.
Der gundlegende Handlungsstrang des Films bleibt auch in der Fassung der beiden Theatermacher erhalten. Das nächtliche New York wird in der Theaterumsetzung durch ein mitteleuropäisches Metropolenszenario ersetzt, welches unter anderem durch das Einspielen von Videosequenzen zum Leben erweckt werden wird. Das ganze Stück kommt mit nur drei Darsteller*innen aus, die teilweise in verschiedene Rollen schlüpfen werden. ___STEADY_PAYWALL___
In Scorseses Film reflektiert das pulsierende Nachtleben der Stadt in immer zunehmenderem Maße die psychische Verfassung des Protagonisten, der bei seinen nächtlichen Taxifahrten mit dem „Schmutz“ der Gesellschaft konfrontiert wird. Durch die Fenster seines Fahrzeugs beobachtet er Gewalt, Drogenmissbrauch und Prostitution. Auf seinen Fahrten werden ihm kurze Einblicke in die Schicksale seiner Mitmenschen gewährt.
Die flüchtigen Bekanntschaften liefern ihm dürftige Informationen, die der Ex-Soldat einordnen und interpretieren muss. Sein Taxi wird für ihn quasi zur Filterblase. Von anderen Einflüssen weitestgehend abgeschirmt nimmt er die Nachtwelt hinter dem Steuer seines Taxis wahr und schleichend beginnt der Prozess der Entfremdung, der schließlich in der totalen Radikalisierung mündet.
Anti-Held steckt in einer extremen Krise der Männlichkeit
An dieser Stelle wird der Bezug zur heutigen Zeit besonders deutlich. Was für Travis Bickle das Taxi war, ist für viele junge Menschen, die sich in der heutigen Zeit zu einem bestimmten Thema radikalisieren, das Internet. Auch sie bewegen sich online in vielen Fällen in sogenannten Filterblasen, die gegenteilige Meinungen schlicht und einfach ausblenden. Ein gutes Beispiel sind aktuell die Corona-Leugner*innen.
Man bekommt nur noch die Informationen zu Gesicht, die den eigenen Standpunkt untermauern. Komplexe Sachverhalte werden so oft auf simple Schwarz-Weiss-Theorien heruntergebrochen, bei denen man sich dann nur noch für richtig oder falsch entscheiden muss. Zu Recherchezwecken hat sich Regisseur Olbrich gar in denkwürdigen Chatgruppen herumgetrieben und sich mit terroristischen Manifesten auseinandergesetzt.
„Für mich zeichnet sich Taxi Driver durch das Scheitern von großen Erzählungen aus. Weder im Job noch in der Liebe läuft es rund für Travis. Er hat für sein Land gekämpft und fühlt sich plötzlich vollkommen ohnmächtig, da er nichts an den Dingen ändern kann. Schließlich macht er mobil, verfolgt eine eigene Mission, um die Welt zu retten. Das Ganze ist auch eine extreme Krise der Männlichkeit“, erläutert Regisseur Olbrich.
Bickle verliebt sich in eine Frau aus einer anderen gesellschaftlichen Schicht, eine Wahlkampfleiterin für einen Präsidentschaftskandidaten. Durch seine naiven Avancen ihr den Hof zu machen, wendet diese sich jedoch von ihm ab und bleibt unerreichbar für ihn. Auch bei seinen Arbeitskollegen findet er keinen Anschluss. Frustration und Enttäuschung beherrschen zunehmend das Denken des Veteranen.
Die Begegnung mit einer minderjährigen Prostituierten namens Iris (im Film dargestellt von der damals dreizehnjährigen Jodie Foster) und ihrem Zuhälter (im Film von Harvey Keitel gespielt), bringt bei Travis Bickle das Fass zum Überlaufen und er macht mobil, trainiert seinen Körper, besorgt sich illegal Waffen, schmiedet einen Attentatsplan und setzt sich in den Kopf, Iris als Ein-Mann-Armee aus den Fängen der Prostitution zu befreien.
Toxische Grundierung der Gesellschaft als Nährboden der Radikalisierung
„Travis Bickle ist ein Mann aus dem mittelständischen Milieu, der zunehmend das Gefühl hat, verarscht zu werden“, bringen es Regisseur und Dramaturg auf den Punkt. „Er ist nicht dumm, äußerst sensibel. In ihm sammeln sich Emotionen und Gedanken wie in einem Geysir oder in einem brodelnden Vulkan. Die ihn umgebende Gesellschaft vergiftet ihn“, so Olbrich. Bickle reflektiert nicht, sondern er interpretiert, was er sieht und hört, was zu einer zunehmenden Abkapselung und Isolation führt. Auch diese Aspekte der Geschichte lassen sich hervorragend in die heutige Zeit transportieren.
Die Ungleichheit in der Gesellschaft, die Schere zwischen Arm und Reich, die Ausgrenzung von Minderheiten, das Wiedererstarken von Nationalismus und Populismus international lassen sich letztlich auf eine „toxische Grundierung“ der Gesellschaft zurückführen, die sich besonders durch das Merkmal gestörter oder unvollständiger Kommunikation auszeichnet.
„Den Prozess, den Travis Bickle durch seine nächtlichen Taxifahrten durchmacht, erleben Amokläufer von heute vielfach im Internet“, so Dramaturg Berthold Meyer. So hätten sich in den vergangenen Jahren viele Täter, die zu fragwürdiger Berühmtheit gelangt sind, als Außenseiter empfunden, hätten sich als von der Gesellschaft abgehängt betrachtet und sich dazu berufen gefühlt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, eigenmächtig für „Recht und Ordnung“ zu sorgen.
Die totale Mobilmachung: Ideologischer Gewaltakt, um dem Leben einen Sinn zu geben?
Waren es Anfang des Jahrtausends viele junge Männer zwischen 25 und 35 Jahren, die in islamistischem Fundamentalismus die Erfüllung ihrer Sinnsuche gefunden zu haben schienen, kann man selbiges heute beispielsweise im Bereich des Rechtsterrorismus beobachten.
Auch dies eine spannende Facette von „Taxi Driver“, die Olbrich und Meyer näher beleuchten wollen. Warum tun junge Menschen so etwas? Wie sehen die Biografien der Menschen aus, die sich dazu entscheiden, ihrem Leben durch einen ideologischen Gewaltakt Sinn zu verleihen, fragen die beiden Theatermacher.
Die politische Dimension des Stoffes wird im Theaterstück zeitgenössisch eine wesentlich größere Rolle spielen als im Film. Es soll ein Klima geschaffen werden, zu dem sich die einzelnen Figuren auf ihre Weise verhalten müssen. Kontrovers und besonders spannend macht „Taxi Driver“ auch die Tatsache, dass viele Zuschauer*innen trotz des Gewaltexzesses am Ende von Scorceses Film Sympathien für Travis Bickle empfinden, sein Handeln nachvollziehen können.
Hommage an den Kultfilmklassiker und Aktualisierung des Stoffes
Scorsese ließ hier absichtlich viel Interpretationsspielraum und wertete das Handeln seines Protagonisten nicht. Mit den Worten „Die Kraft des Geistes auf dem falschen Weg“, beschrieb der Regisseur die Motivation seines Protagonisten. Das Theaterstück ist eine radikale Modernisierung des Stoffes ohne platte Aktualisierung.
Es ist der Versuch einer anspielungsreichen Überschreibung, die sowohl aus dem Original als auch aus einer Vielzahl terroristischer Manifeste und weiterer Fremdtexte schöpft, um die Geschichte einer Radikalisierung in unserer Zeit verstehbar zu machen.
Die Theaterumsetzung nähert sich dem Stoff von zwei Seiten: Einerseits geht es um eine Dramatisierung des Stoffes, die den Plot übernimmt, die Vorlage respektvoll zitiert, aber dann aus gegenwärtiger Perspektive überschreibt. Andererseits sucht sie in der direkten Begegnung in Interviews und mit der Kamera auf der Schulter, Bilder und Stimmen unserer Gesellschaft einzufangen, die als Zeitdokumente ein neues Schlaglicht auf die verstörenden Phänomene aus Populismus, Terrorismus, Radikalismus, Spaltung und Entsolidarisierung unserer Gesellschaft setzen.
Erste Hausproduktion der Saison – Besuch auf rund 100 Personen beschränkt
Es handelt sich bei dem Stück um die erste Hausproduktion der Saison für das Theater im Depot in Kooperation mit dem Prinz Regent Theater Bochum. Dort wird es jedoch voraussichtlich erst im Frühjahr 2021 zu sehen sein. Nach anderthalb Jahren Arbeit am Drehbuch und den Proben freuen sich Alexander Olbrich und Berthold Meyer über ihre erneute Zusammenarbeit. Beide bedauern, dass es aufgrund der Pandemielage keine große Premierenfeier geben kann.
Die Gäste seien dennoch dazu angehalten, sich im Anschluss an die Vorstellung beispielsweise in der Depothek zu treffen und sich auszutauschen. Natürlich hat man sich auch im Theater im Depot, sowie im gesamten Kulturort Depot Gedanken über Hygiene- und Anstandsregeln gemacht.
So wurde der Publikumsbereich in zwei Blöcke unterteilt. Bei der Saisoneröffnung sorgte die Durchnummerierung der Plätze noch für etwas Verwirrung, da beide Blöcke mit der gleichen Nummerierung versehen worden waren. Dies soll in Zukunft geändert werden und eine durchgehende Nummerierung eingeführt werden. Alles, was Sie sonst beim Besuch des Theaters beachten müssen, wird der jeweilige Abendspielleiter dem Publikum bekannt geben.
Der Besuch ist auf rund 100 Personen beschränkt. Tickets am besten online reservieren. Alle nötigen Informationen finden Sie im Anhang des Artikels.
Weitere Informationen:
Um etwaigen Befürchtungen entgegenzuwirken, sei noch erwähnt, dass es sich bei der Erkrankung des Ensemblemitglieds nicht um eine Corona-Infektion handelt. Dies wurde vom zuständigen Gesundheitsamt ausgeschlossen.
Durch die Verschiebung der Premiere fällt auch der für Samstag, 26. September 2020, geplante Vorstellungstermin zunächst aus.
- Hier können Tickets gebucht werden: www.depotdortmund.de
- info@theaterimdepot.de
Taxi Driver – Die totale Mobilmachung
Schauspiel: Denis Merzbach, Chris Nonnast, Brit Purwin
Regie: Alexander Olbrich
Dramaturgie: Berthold Meyer
Ausstattung: Nathalie Noel
Videos: Simon Bucks
Sounddesign: Lukas Rabl
Premiere: 3. Oktober 2020, 20 Uhr
Theater im Depot, Immermannstraße 29, 44147 Dortmund
Eintritt Premiere: Online 18 Euro, ermäßigt 10 Euro
Weitere Vorstellungstermine:
- 04. Oktober 2020, 18 Uhr
Eintritt: Online 17 Euro, ermäßigt 10 Euro