Gastbeitrag von Rainer Zunder (zuerst erschienen im Blog der Republik)
Es ist nicht das zentrale Thema des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentages, der vom 19. bis 23. Juni in Dortmund stattfindet. Es wird zuweilen sogar – zumindest in der Wahrnehmung mancher Medien – durch eine entfernt verwandte Diskussion überlagert. Wenn derzeit über das von fast 120.000 Menschen besuchte protestantische Großereignis berichtet wird, könnte der Eindruck entstehen, als gebe es nichts Wichtigeres als die Frage, warum zu den mehr als 2000 Veranstaltungen keine hohen Funktionsträger der stark rechtslastigen AfD eingeladen wurden. Und hinter dieses Pseudo-Problem tritt dann zurück, womit sich das evangelische Laientreffen ganz praktisch auseinandersetzt: mit dem rabiaten Rechtsextremismus und den von höchst gewaltbereiten Nazis ausgehenden Gefahren.
Starke Präsenz von „Christen gegen Rechtsextremismus“ beim Kirchentag
Das ist, wie gesagt, kein alles überlagerndes Thema. Aber eins, mit dem sich KirchentagsbesucherInnen aus allen Teilen der Bundesrepublik sehr ernsthaft befassen, wo sie, wie es scheint, gar nicht genug an Informationen bekommen können.
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Die meisten wissen, dass die 600.000-Einwohner-Stadt Dortmund ein Problem mit einer kleinen, aber brandgefährlichen Nazi-Szene hat, die zuweilen mit dem – irrwitzigen – Anspruch auftritt, Dortmund sei ihre Stadt. Jetzt, beim Kirchentag, ist zu erfahren, wie sich eine sehr engagierte Stadtgesellschaft seit 20 Jahren dagegen zur Wehr setzt. Dazu gehört auch der vor einigen Jahren gegründete Arbeitskreis „Christen gegen Rechtsextremismus“.
Gleich viermal trat der Arbeitskreis, dem 110 Einzelpersonen (überwiegend Protestanten, aber auch einige sehr aktive Katholiken), der Verband der Frauenhilfe und acht komplette Kirchengemeinden des Evangelischen Kirchenkreises Dortmund angehören, allein an den ersten beiden Tagen des Dortmunder Protestantentreffens in Erscheinung; vier weitere Auftritte werden bis zum Schluss des Kirchentages noch folgen. Was das Team der Aktiven um Pfarrer Friedrich Stiller, Sabine Fleiter, Diane Spitz und Friedrich Gnad vorher kaum zu hoffen gewagt hatte: die Resonanz, die Beteiligtenzahlen sprengten jede Erwartung.
Steinwache als Ort für das „Gedenken zu Beginn“ wurde bewusst ausgewählt
Gleich an der ersten Veranstaltung jedes Kirchentages, dem „Gedenken zu Beginn“ am Mittwoch von 14 bis 15 Uhr, nahmen mit rund 500 BesucherInnen mehr Menschen teil als bei früheren Kirchentagen. Das Gedenken findet traditionell an Orten statt, die während der Nazi-Diktatur zwischen 1933 und 1945 für furchtbare Verbrechen standen.
In Dortmund war das die „Steinwache“ hinter dem Hauptbahnhof, ein berüchtigter Folterkeller der Gestapo. Unmittelbar vor der Steinwache, die heute eine Mahn- und Gedenkstätte ist, befindet sich seit wenigen Jahren ein Mahnmal für die vom NSU in Deutschland ermordeten zehn Menschen. Zu diesen Opfern gehörte Mehmet Kubaşik, der in seinem Kiosk in der Dortmunder Nordstadt, nur wenige hundert Meter von hier, erschossen worden war.
Gerade wegen dieser Brücke des Verbrechens über 80 Jahre hinweg hatte der Arbeitskreis „Christen gegen Rechtsextremismus“ dem Kirchentag den Ort für das „Gedenken zu Beginn“ vorgeschlagen. Das fand vor allem die Zustimmung von Kirchentagspräsident Hans Leyendecker, dem Dortmund aus seiner Zeit als Redakteur der „Westfälischen Rundschau“ sehr gut bekannt ist.
Kirchentagspräsident spricht alle DemokratInnen an, den rechten Terror zu bekämpfen
Leyendecker, am Mittwoch Eröffnungsredner der Gedenkstunde, schlug von Steinwache und NSU einen weiteren Bogen, als er über den Mord an dem Kasseler CDU-Politiker Walter Lübcke sprach und forderte, „den rechten Terror gemeinsam zu bekämpfen: Patrioten, Demokraten werdet wach!“
Neben dem Kirchentagspräsidenten sprach auch Baruch Babaev, der Rabbiner der jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund, „an diesem Ort, der zeigt, wie tief Menschen, wie tief eine ganze Gesellschaft sinken kann“. Mit Erschrecken müsse man nun feststellen, wie die heutige Rechte „die Rhetorik der Nazis“ wieder aufnimmt: Früher habe es geheißen „Die Juden sind unser Unglück“, heute verbreiteten sie die Parole „Israel ist unser Unglück“; nach 1933 habe es geheißen „Kauft nicht beim Juden“, heute forderten die neuen Nazis zum Boykott Israels auf.
Dann griff der Rabbiner das Motto des Dortmunder Kirchentages „Was für ein Vertrauen“ auf und verknüpfte es mit dem Bekenntnis: „Und doch haben wir unsere Hoffnung, unser Vertrauen in diese Gesellschaft nicht aufgegeben.“
130.000 BesucherInnen zogen am „Abend der Begegnung“ durch die Innenstadt
Wie die Evangelische Kirche in Dortmund als Teil der Stadtgesellschaft seit vielen Jahren ihre demokratischen und christlichen Werte den Nazis entgegenhält, stellten Pfarrer Friedrich Stiller, beim Kirchenkreis Dortmund Leiter des Referats für Gesellschaftliche Verantwortung, und andere Mitglieder von „Christen gegen Rechtsextremismus“ beim „Gedenken zu Beginn“ dar.
Mehrfach wiederholten sie mahnend „Rechtsextremismus tötet!“ und erinnerten an die fünf Menschen, die allein in Dortmund seit dem Jahr 2000 von Nazi-Tätern ermordet worden waren. Gleichzeitig bekannten sie sich zur toleranten, weltoffenen, demokratischen Bürgerschaft: In die Mitte der Zivilgesellschaft vorzudringen, hätten die 200 hiesigen Rechtsextremisten nie geschafft.
Auch beim anschließenden „Abend der Begegnung“, als 130.000 BesucherInnen durch die Dortmunder Innenstadt strömten, konnten sich die „Christen gegen Rechtsextremismus“, ähnlich wie bei der Gedenkstunde, über mangelndes Interesse und gute Resonanz nicht beklagen. Der Arbeitskreis hatte einen eigenen Stand, an dem er sich und seine Arbeit vorstellte.
Das vorbereitete Informationsmaterial – Flyer, Infoblätter – wurde stark nachgefragt, ungezählte Kirchentagsbesucher suchten das Gespräch: Probleme mit Nazis haben sie überall, in Bamberg und Hamburg ebenso wie in Dortmund.
Zweistündiger Stadtrundgang zum Thema Rechtsextremismus in Dortmund
Was Mitglieder von „Christen gegen Rechtsextremismus“ schon beim „Gedenken zu Beginn“ an der Steinwache berichtet hatten, ist – noch wesentlich ausführlicher – auch thematischer Gegenstand des etwa zweistündigen Stadtrundgangs „Rechtsextremismus in Dortmund – eine Stadt wehrt sich“.
Er wird von Donnerstag bis Samstag zweimal täglich als offizielle Kirchentagsveranstaltung vom Arbeitskreis angeboten. Gleich am ersten Tag wurden die Erwartungen der Veranstalter weit übertroffen: An jedem der beiden Rundgänge nahmen mehr als 100 Menschen teil.
Das Spektrum ist auf acht Stationen weit gefasst: vom Ausgangspunkt „Platz der Alten Synagoge“, wo die Nazis 1938 das prächtige jüdische Gotteshaus haben abreißen lassen, über die Stadtkirche Sankt Reinoldi, wo sich 1934 die erste Bekenntnissynode gegründet hat und deren Turm erst 2016 Dortmunder Nazis besetzten, bis hin zum NSU-Mahnmal, wo des Dortmunder Mordopfers Mehmet Kubaşik gedacht wird.
Der eindrucksvollste, bedrückendste Ort ist zweifellos der U-Bahnhof Kampstraße in der Innenstadt. Hier hatte am 28. März 2005 ein jugendlicher Rechtsextremist den 31-jährigen Punker Thomas Schulz ermordet. Der nach wenigen Jahren aus der Haft entlassene Täter schloss sich sofort wieder seinen Gesinnungsgenossen an. Bei öffentlichen Veranstaltungen trug er ein T-Shirt mit dem Aufdruck: „Was sollten wir bereuen?“
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