Von Joachim vom Brocke
Rundum satt essen sollten sich die Stahlwerker von Hoesch in den mageren 40er und 50er Jahren. Auf Kalorien achtete seinerzeit sowieso niemand; mehr „Fettigkeiten haben sie nötig“ lautete damals der erklärende Begriff der Werksärzte.
10.000 Hoeschianer von der Westfalenhütte zog es ins Tecklenburger Land
Für gut 10.000 Hoeschianer lag die Erholung gewissermaßen vor der Haustür – doch damals ganz schön weit weg von den rauchenden Dortmunder Hochöfen.
Es ging für zwei Wochen zur Erholung ins knapp 100 Kilometer entfernte Ladbergen im Tecklenburger Land, zwischen Münster und Osnabrück gelegen.
Im Stahlwerk gab es für diese Urlauber einen Begriff – sie waren die „Thomasmänner“. Entlohnt wurden die bäuerlichen Gastgeber in Ladbergen von der Westfalenhütte mit Thomasmehl, einem Nebenprodukt aus dem Thomaskonverter zur Stahlherstellung.
Nebenprodukt aus Stahlerzeugung war begehrter Dünger
Erholungsurlaub wurde mit Dieses Thomasmehl war durch qualitativ gutes Eisenerz besonders phosphatreich und deshalb ein gutes und begehrtes Düngemittel für die Landwirtschaft. Wilfried Stockhaus, Mitarbeiter des Hoesch-Museums und gebürtig aus Ladbergen, erinnert an die kurze Geschichte der Thomasmänner.
Ehemaliger Betriebsrat machte sich auf Spurensuche
Im Band 5 der „Industriegeschichtlichen Blätter“ des Hoesch Museums heißt der Titel diesmal „Vom Thomasstahl, vom Thomasmehl und den Thomaskerlen“.
Wilfried Stockhaus, Mitarbeiter des Hoesch Museums und ehemaliger stellvertretender Betriebsrat der Westfalenhütte, hatte sich auf erfolgreiche Spurensuche begeben.
Als achtjähriges Kind hatte Stockhaus ersten Kontakt zu einem Thomasmann: „Das war 1948/1949 auf dem kleinen Kotten meiner Eltern in Ladbergen“. Der Mann half seinem Großvater auf der Diele. Eine Erinnerung, die haften blieb: „Der Thomasmann hatte ein Glasauge“.
Erst später sei ihm erklärt worden, dass er Kriegsversehrter war und zur Erholung auf dem Kotten war.
Unterstützung durch Heimatforscher aus Ladbergen
Die Spurensuche nach den Thomasmännern (auch Thomaskerle genannt) erwies sich für Wilfried Stockhaus schwieriger als erwartet. Archive und Unterlagen waren nicht vorhanden, andere vermochten sich nicht zu erinnern.
Doch der Zufall half: Willi Untiet, ehemaliger Schulleiter und Heimatforscher in Ladbergen, konnte mit dem Begriff Thomasmänner etwas anfangen. Der über 80-Jährige half mit, die Geschichte sichtbar zu machen. Dabei kristallisierte sich heraus, dass die Begriffe Thomasmänner/Thomaskerle meist im bäuerlichen Ladbergen verwendet wurden und im Umfeld der Westfalenhütte meist unbekannt waren.
Ehrenamtliche Mitarbeiter des Hoeschmuseums halfen mit
Im letzten Jahr fand Wilfried Stockhaus in Marlies Berndsen, Horst Klaffke, Peter Kocbeck, Klaus-Eberhard Heinrich, Anton Dirmeier, Willi Schöler und Karl-Heinz Graf weitere Zeitzeugen.
Horst Klaffke (86) zum Beispiel erinnert sich, dass der Werksarzt die Erholung in Ladbergen verordnete. 1955 wurde Klaffke „Thomasmann“ und erholte sich mit seiner Frau zwei Wochen im Tecklenburger Land: „Unser Gastgeber war die Familie Rutenschroer, die eine kleine Schreinerei hatten“, erzählte der langjährige Hoesch-Mitarbeiter: „1969 haben wir die Familie noch einmal privat besucht“.
Willi Schöler aus Eving, der 40 Jahre bei Hoesch sein Geld verdiente, weiß: „Wir wurden sogar mit Musik begrüßt“.
Arbeitsdirektor Alfred Berndsen prüfte selbst die Unterkünfte
Marlies Berndsen, Schwiegertochter des ersten Arbeitsdirektors Alfred Berndsen, die heutige gute Seele des Hoesch Museums und Ehrenvorsitzende des Dortmunder Hausfrauenbundes: „Mit auf Hochglanz poliertem Wagen ist früher mein Schwiegervater nach Ladbergen gefahren, um die Unterkünfte zu prüfen“.
Erst später gab es für erholungsbedürftige Hoeschianer neben Ladbergen noch weitere Luftkurorte die im nahen Sauerland oder im Weserbergland lagen. Doch zu dem kleinen Ort im Tecklenburger Land war die Verbundenheit sehr eng.
Autor Wilfried Stockhaus recherchierte: „Im Jahr 1952 besuchten 82 Bauern die Westfalenhütte, um sich von der schweren Arbeit der Stahlbelegschaft zu informieren“.
Mehr Informationen:
- „Vom Thomasstahl, vom Thomasmehl und den Thomaskerlen“ ist der Titel der 5. Ausgabe der Industriegeschichtlichen Blätter des Hoesch-Museums.
- Einzelausgaben kosten 3 Euro und sind im Museumsshop zu haben (ein 50-kg-Sack Thomasmehl kostete damals etwa 1,50 Mark).
- Geöffnet ist das Hoesch-Museum (Eberhardstraße 12) dienstags und mittwochs von 13 bis 17 Uhr, am Donnerstag von 9 bis 17 Uhr und sonntags von 10 bis 17 Uhr.
- www.hoeschmuseum.dortmund.de