Agrarökonomen sehen keine Existenzbedrohung für die Landwirtschaft

Die Aktionswoche der Landwirtschaftsverbände gegen Subventionskürzungen startet Montag

Für kommende Woche planen Landwirt:innen erneut bundesweit Proteste – Abschluss wird in Berlin sein. (Archivbild aus 2019) Foto: Deutscher Bauernverband

Seit Wochen protestieren Landwirt:innen gegen die Streichung von Subventionen. Die Bundesregierung hatte angekündigt, Rabatte für Agrardiesel und die KfZ-Steuerbefreiung für Agrarfahrzeuge zu streichen, um so rund 920 Millionen Euro im Jahr 2024 im Haushalt einzusparen. Am Donnerstag (4. Januar 2024) hat die Regierung die Pläne nach den Protesten nun abgemildert. Den Landwirtschaftsverbänden reicht das nicht. Sie planen weiterhin eine Aktionswoche in der nächsten Woche. Agrarökonomen sehen in den Plänen der Regierung keine Existenzbedrohung für die Landwirtschaft. Dennoch sei eine andere Vorgehensweise mit mehr Perspektiven für die Betriebe zu empfehlen.

Bauernverbände kritisieren auch nachgebesserten Plan

Die geplante Streichung der Subventionen hat starke Proteste aus der Landwirtschaft ausgelöst. So demonstrierten im Dezember tausende Landwirt:innen in Berlin. In verschiedenen Regionen fuhren Traktoren in riesigen Kolonnen. Teilweise wurden damit auch Autobahnen blockiert. Auf die vielen Proteste reagierte die Bundesregierung vergleichsweise schnell – der Druck der Agrarlobby funktionierte.

Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes. (Archivbild) Foto: Deutscher Bauernverband

Der Kompromiss, auf den sich Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner geeinigt haben, sieht vor, dass die Subventionen für Agrardiesel nur schrittweise bis zum Jahr 2026 abgeschafft werden.

Im Jahr 2024 sollen die Rabatte demnach um 40 Prozent verringert werden. Die KfZ-Steuerbefreiung für Agrarfahrzeuge, deren Streichung etwa die Hälfte der eingesparten Subventionen ausgemacht hätte, soll dagegen bestehen bleiben.

Den Landwirtschaftsverbänden genügen die Änderungen nicht. Der Deutsche Bauernverband erklärte, die angekündigte bundesweite Aktionswoche ab dem 8. Januar solle trotzdem stattfinden. „Beide Kürzungsvorschläge müssen vom Tisch“, forderte Joachim Rukwied, Präsident des Bauernverbandes, am Donnerstag. Es gehe hier auch um die Zukunftsfähigkeit der Branche und um die Frage, ob heimische Lebensmittelerzeugung überhaupt noch gewünscht sei. Die angekündigten Änderungen könnten nur ein erster Schritt sein, so Rukwied.

Archivbild: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

So sieht es auch der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband. Man begrüße die geplante Beibehaltung der Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Kraftfahrzeuge sehr.

„Dennoch bleibt es dabei, dass die landwirtschaftlichen Betriebe keine weiteren Einschnitte beim Agrardiesel hinnehmen können. Die Aktionswoche findet daher weiterhin wie geplant statt, um den Anliegen und der Sorge um die heimische Lebensmittelerzeugung Ausdruck zu verleihen“, erklärt der Verband in einer Mitteilung.

„Nach den vielen unpraktikablen Auflagen, Kürzungen und Angriffen auf die Landwirtschaft der letzten Jahre sollen wir Bauernfamilien jetzt auch noch die Fehlplanungen im Bundeshaushalt auslöffeln, das ist einfach zu viel. Wir demonstrieren und wollen so auf uns aufmerksam machen“, heißt es im Aufruf zu den Aktionen im Kreisverband Ruhr-Lippe.

Hohe Gewinne in den vergangenen Wirtschaftsjahren

„Die deutsche Landwirtschaft hatte infolge der Preissteigerungen von Lebensmitteln zwei sehr erfolgreiche Wirtschaftsjahre“, erklärt Prof. Dr. Alfons Balmann. Er leitet das Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien. Insbesondere überdurchschnittlich große Betriebe, an die der Hauptteil der Dieselbeihilfe geht und die auch entsprechend von der Kfz-Steuerbefreiung profitieren, seien im Jahr 2024 infolge der hohen Gewinne wohl stärker von Einkommenssteuer-Nachzahlungen betroffen als von den geplanten Subventionsstreichungen.

Prof. Dr. Alfons Balmann forscht am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien. Markus Scholz/IAMO

„Deutlich weniger rentabel wirtschaften kleinere Betriebe, die jedoch durch Umverteilungsprämien, besondere Steuerbegünstigungen oder auch Begünstigungen im Erbrecht erhebliche Anreize erhalten, trotz fehlender Rentabilität weiter zu wirtschaften“, erklärt Balmann. Diese Begünstigungen kleinerer Betriebe führen allerdings zu einem enormen Konkurrenzdruck innerhalb der Landwirtschaft.

Das spiegele sich vor allem in Nordwest- und Süddeutschland in enormen Kauf- und Pachtpreissteigerungen für landwirtschaftliche Flächen wider. „Die jetzt geplanten Streichungen sind weder für größere noch für kleinere Betriebe existenzgefährdend“, beurteilt Balmann die Situation.

Die Kürzungen entsprächen nur etwa fünf Prozent der Beihilfen und Zuschüsse, die die Betriebe ohnehin erhalten, und nur etwa zwei bis drei Prozent der zuletzt erzielten Gewinne.

In Dortmund gibt es rund 6700 Hektar landwirtschaftlich genutzte Flächen - das entspricht knapp ein Viertel des Stadtgebiets. Foto: Alex Völkel
In Dortmund gibt es rund 6700 Hektar landwirtschaftlich genutzte Flächen – das entspricht rund einem Viertel des Stadtgebiets. Archivbild: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

Die Subventionen seien allerdings aufgrund der enormen Flächenkonkurrenz vor allem in Nordwest- und in Süddeutschland in den hohen Pachtpreisen ‚eingepreist‘. „Eine Kürzung dieser Subventionen wird mittelfristig zumindest einen weiteren Pachtpreisanstieg bremsen oder die Pachtpreise senken“, prognostiziert Balmann.

Auch Agrarökonom Prof. Dr. Sebastian Lakner von der Universität Rostock beschreibt den Gewinn der landwirtschaftlichen Betriebe in den vergangenen zwei Wirtschaftsjahren als recht hoch. Allerdings sei offen, ob sich der Trend 2024 fortsetzt, da die Weltmarktpreise inzwischen wieder gefallen sind.

Zu berücksichtigen sei aber auch, dass man von den betrieblichen Gewinnen nur bedingt auf die Einkommenssituation von landwirtschaftlichen Haushalten schließen könne. Häufig gebe es Betriebsteilungen oder andere rechtliche Konstrukte, die die Aussagekraft von Betriebsdaten für die soziale Lage der Landwirtschaft insgesamt einschränken. Die Gefahr durch Streichung der Subventionen sieht er ähnlich wie Balmann. „Die Kürzungen sind finanziell schon merkbar, aber für einen durchschnittlichen Betrieb nicht existenzgefährdend“, schätzt Lakner.

Keine oder nur geringfügige klimaschonende Effekte

Doch bringen die Streichungen auch etwas fürs Klima oder spart es nur Geld im Bundeshaushalt? „Von dieser Streichung geht das Signal aus, dass mineralischer Kraftstoff – unter Berücksichtigung seiner negativen Umweltfolgen – ein teurer Input ist. Dies ist eine Entwicklung, die bei mineralischem Kraftstoff für Autos bereits durch die mehrfache Erhöhung der Mineralölsteuer seit vielen Jahren vollzogen wurde“, erklärt Lakner.

Prof. Dr. Sebastian Lakner von der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät, Universität Rostock. Foto: Universität Rostock/Kristin Nölting

Allerdings gehen von dieser Streichung kurzfristig keine oder nur geringfügige klimaschonende Effekte aus, da es nur wenige Antriebssysteme mit anderen Energieträgern gibt. Alternative Antriebssysteme basierend auf Elektroantrieben seien im Gartenbau oder anderen Teilsparten vorhanden.

Längerfristig könnten diese Antriebssysteme ökonomisch an Vorzüglichkeit gewinnen und damit technische Entwicklungen anstoßen. Aktuell sei es aber „kaum einzuschätzen, wie schnell und in welchem Maße solche Alternativen marktfähig werden“, erklärt Lakner.

Für Lakner kommt der Unmut der Landwirt:innen nicht überraschend. Im Hinblick auf eine bessere Akzeptanz beim Abbau umweltschädlicher Agrarsubventionen würde er eine andere Vorgehensweise in der Haushalts- und Agrarpolitik empfehlen. Denn die Streichung der Agrardieselbeihilfe und die Befreiung von KfZ-Steuer sei vor allem aus finanzpolitischen Überlegungen vorgenommen worden, ohne für den Sektor eine agrarpolitische Perspektive zu schaffen.

Archivbild: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

Außerdem seien nun viele Landwirt:innen verärgert, da bei ihnen ein merkbarer Betrag kurzfristig gekürzt wurde, während andere umweltschädliche Subventionen – zum Beispiel das Dienstwagenprivileg oder die Befreiung der Kerosinsteuer – von den Kürzungen weitgehend ausgenommen wurden.

„Dies könnte mittelfristig durch eine kohärentere Vorgehensweise bei der Streichung schädlicher Subventionen in allen Sektoren korrigiert werden“, empfiehlt Lakner. Außerdem fehlen in der Agrarpolitik der Ampelregierung grundsätzlich finanzielle Mittel für größere Projekte, wie den Umbau der Tierhaltung oder die Moorwiedervernässung.

„Es wäre im Hinblick auf eine bessere Akzeptanz zu empfehlen, ein agrarpolitisches Konzept für den Rest der Legislatur vorzulegen, das aufzeigt, was die wichtigsten agrarpolitischen Ziele und Projekte der Ampelregierung sind und wie sie finanziert werden sollen“, so Lakner. Auch dies könne für mehr Verständnis und Planbarkeit in der Landwirtschaft sorgen und Perspektiven aufzeigen.

Hunderte zu Treckerdemo zwischen Unna und Geseke erwartet

Archivbild: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

Bundesweit starten die Landwirtschaftsverbände am Montag eine Aktionswoche. Geplant sind Proteste und Gespräche mit Politiker:innen. Los geht es am Montag in den meisten Orten mit Traktordemos.

Der WLV Kreisverband Ruhr-Lippe plant eine Treckersternfahrt aus dem gesamten Gebiet der Kreisverbände Soest und Ruhr-Lippe zur Fahrt auf der B1 zwischen Unna und Geseke.

In Dortmund dürften also nur Trecker zu sehen sein, die auf dem Weg nach Unna sind. Blockaden sind in Dortmund offiziell nicht geplant. Um 11 Uhr wollen sich die Landwirt:innen in Unna an der Geschäftsstelle des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes (Marie-Curie-Straße 6 in Unna) treffen und anschließend gemeinsam auf die B1 nach Geseke fahren.

Organisiert wird die Fahrt aktuell über WhatsApp. Über 500 Menschen haben sich bereits für allein diese Aktion auf WhatsApp zusammengeschlossen.

Querdenken versucht Protest zu unterwandern

Zum Jahresende hat es in Dortmund bereits zwei Protestkorsos gegen die Abschaffung der Sanktionen gegeben. Veranstaltet wurden die allerdings nicht von den Landwirtschaftsverbänden, sondern von Personen aus der Querdenkenbewegung. Die radikalen Verschwörungsidiologen nutzen das Thema nicht nur in Dortmund, um allgemein Stimmung gegen die Regierung zu machen und scheinen eine neue Chance zum Umsturz zu sehen.

Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Der Bauernverband distanzierte sich bereits früh von solchen Vereinnahmungsversuchen. „Der Deutsche Bauernverband distanziert sich aufs Schärfste von Schwachköpfen mit Umsturzfantasien, Radikalen sowie anderen extremen Randgruppen und Spinnern, die unsere Aktionswoche kapern und unseren Protest für ihre Anliegen vereinnahmen wollen“, schrieb der Bauernverband DBV auf Instagram. Die beiden Aktionen aus der Querdenken-Bewegung in Dortmund blieben eher erfolglos.

Die Teilnehmer:innen kamen überwiegend mit PKWs und waren von früheren Protesten bekannt. Zwei Traktoren waren nur bei dem ersten Korso zu sehen. Auf Fahrzeugen waren teilweise Verschwörungsmythen zu lesen. Ansonsten wurden die Demonstrationen vom Lautsprecherwagen eines vorbestraften Querdenken-DJs bestimmt. Er rief dazu auf, sich den Bauern am 8.1. anzuschließen. Ob das die Akteure am Montag versuchen und wie der Verband reagiert, bleibt abzuwarten.


Quellen: Eigene Recherche und Science Media Center Germany

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Reaktionen

  1. Verkehrsbeeinträchtigungen in Dortmund am 08.01.2024 (PM POL-DO)

    Für den morgigen Montag (08.01.2024) wurde für den Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Dortmund eine Versammlung in Form eines sogenannten „Traktorkorsos“ angemeldet. Der Anmelder rechnet mit ca. 60 Fahrzeugen, die daran teilnehmen werden.

    Aufgrund dieser Versammlung muss im Stadtbereich Dortmund, insbesondere auf Teilen der B 1, in Fahrtrichtung Unna und in den Stadtbezirken südlich der B 1, in der Zeit von 08:00 Uhr bis 11:00 Uhr, mit teilweise nicht unerheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen gerechnet werden.

    Die Polizei Dortmund bittet alle davon betroffenen Verkehrsteilnehmenden diese für den morgigen Tag in ihre Planungen einzubeziehen. Sie weist in diesem Zusammenhang auch auf die morgigen Verkehrsmeldungen hin. Weitere Informationen können die Verkehrsteilnehmenden darüber hinaus über die Social-Media-Kanäle des Polizeipräsidiums Dortmund erhalten.

  2. Störungsfreier Verlauf der „Traktorkorso“ – Versammlungen in Dortmund (PM POL-DO)

    Am heutigen Montag (8. Januar) fand eine Versammlung in Form eines „Traktorkorsos“ statt. Dieser begann gegen 8.30 Uhr in Dortmund-Oespel und endete für die Polizei Dortmund auf der Emschertalstraße in Höhe des Dortmunder Flughafens gegen 10.50 Uhr.

    Während des Korsos befanden sich 116 verschiedene Fahrzeuge innerhalb der Versammlung. Der Weg führte von Oespel, Dortmund-Mitte (B1). Dortmund-Hörde, Dortmund-Schüren und Dortmund-Aplerbeck bis nach Unna. In Unna wurde die Versammlung von der Polizei Unna übernommen.

    Parallel dazu wurden durch zwei weitere angemeldete Traktorkorsos (11 und 8 Fahrzeuge), zwei in Dortmund ansässige Medienhäuser aufgesucht, um dort jeweils ein Positionspapier zu übergeben.

    Durch die Versammlung kam an den besagten Örtlichkeiten zu kurzzeitigen Verkehrsstörungen. Der weitere Verlauf war absolut störungsfrei.

    Die Polizei Dortmund hat mit ihren Kräften dafür gesorgt, die Sicherheit der Versammlung zu gewährleisten, die Verkehrsbeeinträchtigungen für unbeteiligte Verkehrsteilnehmende so gering wie möglich zu halten und bedankt sich für das Verständnis.

  3. Fahrzeugkorso mit einer Gesamtlänge von 2,5 km Länge – Wall wurde zweimal umrundet (PM)

    Am heutigen Tag (12.1.) fand in der Dortmunder Innenstadt eine Versammlung in Form eines Autokorsos statt.

    An diesem Korso nahmen rund 158 Fahrzeuge (darunter Traktoren, LKW und PKW) teil. Der Aufzug begann gegen 13:20 Uhr im Bereich des Remydamm und endete gegen 16:05 Uhr in Dortmund auf der Ruhrallee. Dabei wurde der Wall zweimal umrundet. Der Korso hatte eine Gesamtlänge von rund 2,5 km Länge.

    Vor Ort gab der Versammlungsleiter bekannt, dass sich während des Aufzugs bereits Fahrzeuge aus dem Korso entfernen wollen. Der Streckenverlauf wurde aus diesem Grund vor dem Start angepasst. Der Wall wurde dabei entgegen der Planung andersherum befahren. Durch die Nutzung des Außenwalls anstelle des Innenwalls konnten Fahrzeuge den Korso jederzeit verlassen.

    Trotz der deutlichen Erkennbarkeit der Traktoren traten immer wieder Personen zwischen die Fahrzeuge. Dadurch blieben diese stehen und der Aufzug riss stellenweise ab. Die Polizei führte in diesem Zusammenhang Gespräche mit den Passanten.

    Ein Traktor hatte im Bereich Rheinische Straße einen technischen Defekt und nahm nicht weiter an der Versammlung teil. Es kam zu temporären Verkehrsstörungen auf der Strecke des Korsos.

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