Bei den kommenden Kommunalwahlen am 13. September könnten sich die politischen Kräfteverhältnisse in der Stadt verschieben. Ein entscheidender Strang, an dem sich die Debatten in Dortmund zukünftig entlanghangeln werden, wird die an vielen Themen immer wieder aufbrechende Frage sein, wer in einer Stadt mit geringeren Einnahmen hier, steigenden Belastungen dort, für Corona eigentlich bezahlen muss. Der Dortmunder DGB hat sich deshalb diesmal vor den Wahlen auch nach außen hin stärker mit einer ganzen Reihe von Konfliktpunkten beschäftigt und einen umfassenden Forderungskatalog aufgestellt. In dessen Zentrum steht das Ziel, einen Masterplan über den Rat auf den Weg zu bringen, der die Strategien zur Bewältigung von Herausforderungen unserer Zeit an regulative Standards in der Arbeitswelt bindet, denn: nur die „Gute Arbeit“ der Beschäftigten kann dem Gemeinwohl maximal dienen.
Gewerkschaften prognostizieren schärfere Verteilungskämpfe und zeigen Kante für die nächsten fünf Jahre
Die Stadt Dortmund ist seit Jahren dabei, Schlüsselherausforderungen gesellschaftlicher Entwicklung in der Kommune systematisch durch Masterpläne abzuarbeiten, die das politische wie Verwaltungshandeln strategisch ausrichten. Und das bislang mit durchaus bemerkenswertem Erfolg. „Da sind eigentlich immer gute Dinge bei rumgekommen“, erklärt Jutta Reiter, Dortmunder DGB-Chefin. Ähnliches schwebt dem DGB-Dortmund nun aus Sicht der Arbeitnehmer*innen vor. ___STEADY_PAYWALL___
Das ist ungewöhnlich. Bisher beschieden sich die Gewerkschafter*innen vor Kommunalwahlen damit, die wichtigsten ihrer Ziel knapp zu formulieren, so etwa 2014 (s. den Link unten) – neben dem Aufruf, überhaupt wählen zu gehen. Aber diese Kommunalwahlen fallen in eine besondere Zeit. In eine des „Krisenmodus“, wie Jutta Reiter betont. Denn: „Die Kommunen müssen die steigenden Belastungen und die geringen Einnahmen ausgleichen und schauen, wie sie damit umgehen“.
Weniger Kuchen, höhere Bedarfe, das riecht verdächtig nach Streit, nach verschärften Verteilungskämpfen. Darum hätten sie sich als DGB gesagt, sie müssten sich noch einmal aufstellen, „wie wir uns die nächsten fünf Jahre vorstellen“. Und haben sich auch nach außen hin umfassender mit den ihnen wichtigen Themen beschäftigt. Wollten sich aus diesem Grund nicht lediglich mit einem Flugblatt zufrieden geben, auf dem die Kernforderungen aufgeführt sind. Politikwechsel, neuer OB, eine hohe Fluktuation im Rat – unsichere Zeiten eben. Wo es sich lohnt, noch einmal klar zu machen, was man will.
Besser ein schlechter Arbeitsplatz als keiner? – DGB gegen Logik eines Minimalismus mit gesenktem Blick
„Gewerkschaftliche Positionen müssen noch mal geschärft werden“, sagt die DGB-Chefin. Und sie sollen durch den Masterplan Soziale Arbeit gestärkt werden. „Das Entscheidende ist, dass man damit strategische Instrumente hat, mit denen man sagt, das wollen wir so und so angehen“, erklärt sie. Und Aufgaben gibt es nach Ansicht der Gewerkschaften genug.
„Gute Arbeit“ – was ist das eigentlich? Für die Kolleg*innen vom DGB ist die Sache klar: es geht um gerechte Vergütungen, sichere statt prekäre Arbeitsverhältnisse, Diskriminierungsfreiheit, gesellschaftliche Verantwortung. Konkret: Wie ist das beispielsweise mit Tarifbindung, Mitbestimmung? Das sei ein ganz wichtiges Thema, bedeutet Jutta Reiter. Sie wüssten, dass die Stadt sich an vielen Stellen darum bemühe, etwa bei der Vergabe. „Wir wissen aber auch, dass die Stadt das nicht als durchgängiges Prinzip hat.“
Sie agiert also an manchen Stellen – freundlich ausgedrückt – etwas pragmatischer. So sehr, dass dies nicht nach dem Geschmack der Streiter*innen für die Rechte von Arbeitnehmer*innen sein kann, die in der Gesellschaft angekommen sind. Zumal Gespräche mit der Stadt in solchen Zusammenhängen offenbar wenig ertragreich waren, wie Jutta Reuter andeutet. Wenn externe Investor*innen winken, scheint die Stadtverwaltung eher nach dem Prinzip zu agieren: besser ein schlechter Arbeitsplatz als keiner. Macht sich ja auch gut in der Statistik. Dass den DGB deshalb nicht gleich ein orgiastisches Jauchzen überkommt, sollte klar sein.
DGB Dortmund: „Gute Arbeit“ auf die Agenda setzen und ein entsprechendes politisches Klima schaffen
Dem Gewerkschaftsbund ist sehr an einem durch einen etwaigen Masterplan mitgelieferten Grundlagenbekenntnis zu Mindeststandards in Beschäftigungsverhältnissen gelegen. „Wir würden uns wünschen, dass sich eine Stadt wie Dortmund sehr bewusst macht, was gute Arbeit heißt, und dass sie das auch als Leitbild nimmt, um bestimmte Beschlussfassungen zu treffen“, macht Reiter klar.
Und liefert die Begründung nach: „Dortmund lebt von der Arbeitsleistung“ seiner Bevölkerung. Die Menschen schafften „Wohlstand, Binnennachfrage, Produkte und Dienstleistungen“. Daraus schlussfolgert sie: „Daher können sie auch erwarten, dass die Stadt Rahmenbedingungen schafft, um hier möglichst gute Arbeit zu ermöglichen.“ Das klingt vernünftig und moderat, die Ausrufung einer lokalen Räterepublik hört sich jedenfalls anders an.
Freilich, die erfahrene Gewerkschafterin weiß um kommunale Handlungsgrenzen. Natürlich könne die Stadt kein Unternehmen dazu zwingen – also, die Standards für Gute Arbeit zu beachten. „Aber indem man das immer wieder auf die Agenda setzt, entsteht natürlich auch eine Art von Klima, und das würde ich mir eben mehr wünschen“, sagt sie.
Wizz Air und Gewerkschaftsfeindlichkeit – die Antwort lautet: „Das ist nicht der Dortmunder Standard.“
Beispiel: die Fluggesellschaft Wizz Air. Deren Chef József Váradi hatte in einem Interview indirekt gedroht, Standorte wie Dortmund – just erst als „Base“, d.h. Heimathafen eingerichtet – zu verlassen, „wenn Gewerkschaften versuchen, uns zu erwischen“. Heiko Holm, Chief Operating Officer von Wizz Air, mochte später solche Aussagen keineswegs relativieren (wir berichteten).
Interessenvertretungen der Beschäftigen scheinen den Verantwortlichen ein Dorn im Auge; vermutlich denkt die Unternehmensführung irrigerweise, sie selbst vertrete die Interessen ihrer Angestellten am besten. Natürlich könne jemand so eine Haltung äußern, konzediert die DGB-Chefin. Worum es ihnen ginge, dass die Kommune politisch deutlich mache: Wir teilen das nicht! „Das sind nicht die Gepflogenheiten, die wir hier haben, wir arbeiten gut mit den Gewerkschaften zusammen“, wünscht sich Reiter mehr Klarheit
Michael Kötzing von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) ergänzt zu dem Wizz Air-Fall und den gewerkschaftsfeindlichen Statements aus der Geschäftsführung: Entscheidend sei, „ob man sich zu der Aussage positioniert, politisch und moralisch, und sagt, das mag so sein, aber das ist nicht der Dortmunder Standard.“ Und gemessen an diesen Maßstäben, die den Kolleg*innen vorschweben, nimmt sich die Stadtwirklichkeit, mindestens Teile von ihr in der Tat alles andere als rosig aus.
Prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Bereich Lager und Logistik: die Dortmunder Beispiele Amazon und TEDi
Es gäbe reichlich Luft nach oben, machen die Gewerkschaftsführer*innen deutlich. „Man weiß gar nicht, wo man in Dortmund anfangen soll“, kritisiert der ver.di-Geschäftsführer Bezirk Westfalen. Einer der Brennpunkte: der Bereich Lager und Logistik – Schwerpunktsetzung der Stadt im Zuge des erforderlichen Strukturwandels.
Da ist Amazon: bei aller Freude über die Ansiedlung damals und die dadurch geschaffenen Arbeitsplätze – das sei im Wesentlichen mit befristeten Beschäftigungsverhältnissen gelaufen, nicht tarifgebunden und infolgedessen mit ewigen Tarifauseinandersetzungen, bemängelt Michael Kötzing.
Oder das TEDi-Lager in Dortmund-Wickede mit seinen prekären Beschäftigungsverhältnissen. „Das geht in Richtung Tönnies, was da passiert“, so der ver.di-Chef. Und das hat Folgen: Konsekutive Arbeitsniederlegungen seit Ende letzten Jahres. Die Gewerkschaft fordert eine Bezahlung nach Tarif bei der Dortmunder Logistik Gesellschaft (DLG) durch die rechtsverbindliche Anerkennung der Tarifverträge des Einzelhandels NRW.
Auf Kosten der Beschäftigen und Sozialkassen: „Jeder nicht-tarifgebundene Betrieb zahlt weniger.“
Geschieht dies nicht, brächte das eben Konsequenzen mit sich, die Auswirkungen auf die Sozialkassen hätten. Denn: „Jeder nicht-tarifgebundene Betrieb zahlt weniger.“ Auf Kosten der Beschäftigten sowie der Sozialkassen würden die Gewinne erhöht. „Da gibt es in der Stadt genug zu tun“, sagt Kötzing. „Wir würden das gerne in den Fokus der Politik rücken und genau deswegen der Masterplan.“
Eine weitere Baustelle, die zukünftig noch stärker auf die politische Agenda rücken wird: der Kita-Ausbau in Dortmund. „Da stellt sich die Frage, wo kommen denn die Träger her, die die Kitas machen?“, gibt der Gewerkschafter zu bedenken. Ob das städtische seien, die unter den Tarifvertrag fielen, oder Initiativen, was auch immer – oder gar private Investoren, die mit tariflichen Regelungen gar nichts am Hut haben.
Im Einzelfall mag das zwar kein Problem sein, doch auf gut Glück wollen sich die Kolleg*innen dann doch nicht verlassen. Es ist quasi wie der Unterschied zwischen der öffentlichen und privaten Vermietung von Wohnraum. In letzteren Fällen sind Mieter*innen viel stärker auf das individuelle Entgegenkommen von Eigentümer*innen angewiesen. Staatliche oder genossenschaftliche Wohnraumvermietung ist dagegen in einem höheren Maße an transparente Regeln gebunden und insofern verlässlicher.
(Alters-)Armut in Dortmund als Thema: Was tun Stadt und Wirtschaftsförderung konkret dagegen?
„In der Summe haben wir eine Entwicklung in dieser Gesellschaft und dieser Stadt, die Auswirkungen auf unser Sozialsystem hat“, sagt Michael Kötzing und meint damit eben den verminderten Rücklauf erwirtschafteten Reichtums an die Gesellschaft bei privaten Unternehmungen, die nicht über explizite Konventionen an die Kette gelegt werden (können). Also etwa durch Mitbestimmung, Tarifbindung oder Ausschluss von prekären Beschäftigungsverhältnissen überhaupt.
Und es gibt eine Reihe anderer Konfliktzonen, bei denen sich die Gewerkschaften positionieren. Stichwort: (Alters-)Armut. Die traurigen Fakten sind: 58.000 Haushalte in Dortmund, in denen durchschnittlich 1,9 Personen leben, haben ein Einkommen von weniger als 1.100 Euro monatlich. Heißt: über 100.000 Menschen müssen mit weniger als 550 Euro im Monat auskommen.
Was sich die Gewerkschaften fragen: Setzen sich Stadt und Wirtschaftsförderung eigentlich für eine tarifgerechte Bezahlung als Bestandteil der Dortmunder Unternehmenskultur ein? Welche Anstrengungen werden unternommen, um ein angemessenes Auskommen auch im Alter zu ermöglichen?
Viele weitere Themen und Fragen und – Nazis und Rechtspopulismus keine Chance geben – Wählen gehen!
Weitere Themen und Forderungen des DGB für die Kommunalwahl 2020 (s. den unten verlinkten Katalog) sind: Gleichstellung in der Bildung, Mobilität (für alle), bezahlbarer Wohnraum, Gleichstellung der Geschlechter, Gesundheitspolitik, Sicherung der kommunalen Finanzen, Absicherung der Kulturschaffenden vor dem Hintergrund der Corona-Krise, öffentliche Daseinsvorsorge, Arbeitslosigkeit und Stärkung der Demokratie – auch durch Beteiligung an den Kommunalwahlen.
Dazu gehört auch ein klares Statement gegen Hass und Gewalt, sei es auf der Straße oder in den Sozialen Medien. Da bräuchte es entschiedenen Widerstand, so die Gewerkschafter*innen in eindeutiger Sprache. Und schreiben in den Forderungen zur Kommunalwahl 2020 fest, was und wer gemeint ist:
„Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus müssen eine Null-Toleranz-Politik erfahren. Deshalb lehnen die Gewerkschaften eine irgendwie geartete Zusammenarbeit mit Parteien wie der AfD ab, die die demokratischen Gremien nur nutzen, um die Demokratie zu gefährden.“
Kommentar (Thomas Engel):
„Gute Arbeit“ – nur zum Wohle aller
Mit der Corona-Krise ist mehr als deutlich geworden: der Kapitalismus in Reinform ist mitsamt seiner Ideologie, dem Wirtschaftsliberalismus, krachend gescheitert. Seine Anhänger*innen, die stets vor zu viel Staat warnen, kommen nicht umhin, hätte er abgelehnt: „Bitte sehr, Ihr wolltet mich doch nicht. Jetzt auf einmal doch?“ – einzugestehen: dass es ohne seine Hilfsprogramme ein Disaster für viele Unternehmen, eine nie dagewesene Kapitalkonzentration gegeben hätte. Es wiederholt sich zwar Geschichte nicht, aber eine Gewissheit: Deregulierte Marktwirtschaft ohne politische Interventionen funktioniert nicht, hat noch nie funktioniert, zumindest nicht ohne fatale Nebenwirkungen durch sozialen Kahlschlag.
Das scheinen manche aus der Wirtschaft immer noch nicht begriffen zu haben. Geht es darum, dass man ihnen unter die Arme greift, ist der Schrei nach staatlicher Unterstützung groß. Sind dagegen Maßnahmen im Gespräch, Beschäftigte vor prekären Verhältnissen zu schützen, heißt es unumwunden: Markt vor Staat. Darin scheint eine durchaus dreiste Doppelmoral durch. Sie drückt eine Haltung aus, der das Wohl der Belegschaft am Ende völlig schnuppe ist, solange die Kasse klingelt. Darauf abzielend, sich wie in einem Raubtierkäfig die dicksten Brocken zu schnappen: satte Profite einzustreichen, zur Reakkumulation und als Dividende.
Weil Manager-Armut, nachdem mal wieder ein Betrieb in den Sand gesetzt worden ist, nicht zu den bekannten Phänomenen sozialer Wirklichkeit in der Bundesrepublik gehört, ist klar, wie die Lastenverteilung aus Sicht einiger Unternehmen auszusehen hat: das volle Risiko tragen nicht die Verantwortlichen, sondern es sollen die Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen dafür gerade stehen – die für dieses Versagen oder irgendwelche Unternehmensentscheidungen als Manövriermasse schlussendlich mit ihrer Existenz bezahlen. Das erinnert ans 19. Jahrhundert und das kann es im 21. nicht mehr sein.
Und, in den Augen des DGB ist dieses dissoziale, auf kurzfristige Vorteile schauende Agieren eh zu kurz gedacht. Die – noch moderate – Grundannahme lautet: „Gute Arbeit“ – in der hier beschriebenen Weise – schafft zufriedene Arbeitnehmer*innen. Deren Motivation ist ein Garant für Produktivität und Innovation. Sie ist insofern Motor für gesellschaftliche Entwicklung, weil Bedingung der Möglichkeit, überhaupt eine Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit geben zu können. Insofern, liebe Unternehmer*innen, aufgepasst: Nachhaltigkeit ist angesagt, nicht nur als Bekenntnis in Hochglanzbroschüren.
Dafür erwartet die Gewerkschaft berechtigterweise ein sichtbares Zeichen von der Stadt: dass sie sich auf eine stärker gemeinwohlorientierte Strategie einlässt, statt jedem dahergelaufenen Gierkopf unbesehen Genehmigungen zu erteilen. Und dass sie diese Intention systematisch dokumentiert. Durch einen Masterplan, in dem die in einem umfassenden Sinne soziale Funktion von Arbeit und deren Schutzbedürftigkeit angemessen aufgearbeitet, gewürdigt und als Lebenselixier für die Zukunft ausgezeichnet wird. Gegenüber Investor*innen, denen das so gar nicht in den Kram passt, lautet das Signal: Auf Sie verzichtet Dortmund gerne!
Weitere Informationen:
- Forderungskatalog des DGB-Dortmund zu den Kommunalwahlen 2020; hier:
- Forderungen des DGB-Dortmund zu den Kommunalwahlen 2014; hier: