Denkmal des Monats Januar 2021: Vom Auto-Super-Markt zum Museum – am Westfalendamm setzte Will Schwarz Zeichen

Kantig statt kurvig - Architekt Will Schwarz veränderte hier seine Formensprache.
Kantig statt kurvig – Architekt Will Schwarz veränderte hier seine Formensprache. Foto: Michael Holtkötter

Eine Viertelmillion Menschen hatten nach nur 90 Minuten bereits das Video eines neuen, mit geschichtsträchtigen Autos bestückten Museums an der B1 auf einem YouTube-Kanal gesehen und zum Teil euphorisch kommentiert. Eigentlich sollte der Museumsbetrieb zu diesem Zeitpunkt in dem 1961 eröffneten Autohaus bereits seit vier Wochen laufen, was allerdings die erforderlichen Regelungen um die Corona-Pandemie verhinderten. Die Neugier auf das Gebäude mit den historischen Fahrzeugen ist Grund genug, das alte Autohaus am Westfalendamm 106 – 108 als Denkmal des Monats Januar 2021 vorzustellen.

Automobile Veränderungen der Welt vor 60 Jahren

Der neue Eigentümer erwarb vor gut einem Jahr das Autohaus und erfüllte sich damit einen Kindheitstraum: „Viel lieber als die Autos, wollte ich schon als Kind das Autohaus kaufen.“ Er war in der Nähe aufgewachsen – und die Faszination für die Autos und das Haus blieb.

Als der Kaufmann Hans Wilke im Herbst 1961 sein Autohaus an der B1 eröffnete, war der jetzige Eigentümer noch gar nicht geboren. Die Welt befand sich im Umbruch. Der Kalte Krieg spitzte sich langsam zu. Auf vielen Gebieten bahnten sich neue Entwicklungen an: Mit Juri Gagarin war am 12. April der erste Mensch ins Weltall geflogen. Der junge amerikanische Präsident John F. Kennedy wurde zum Hoffnungsträger nicht nur der Amerikaner, seine Frau Jackie beeinflusste als Mode-Ikone den Kleidungsstil weltweit.

Mit dem Bau der Berliner Mauer am 13. August schien der Bestand von zwei deutschen Staaten auf Dauer betoniert zu sein. Und die neue Fernsehsendung „Musik aus Studio B“ und der Hamburger Star-Club eröffneten der Bevölkerung den Zugang zur internationalen Popmusik.

Kommen und Gehen in der Autowelt: Spannungsfeld zwischen Statussymbol und notwenigem Vehikel 

In seinem neuen Automuseum will Jean Pierre Kraemer Einblicke in die Autombilgeschichte geben. Foto: Michael Holtkötter
In seinem neuen Automuseum will J.P. Kraemer Einblicke in die Autogeschichte geben. Foto: Michael Holtkötter

Das Statistische Bundesamt meldete für 1961 bereits rund fünf Millionen Pkw, eine Verdoppelung des Bestandes innerhalb von vier Jahren. Das Auto entwickelte sich einerseits allmählich zum Statussymbol, wurde aber andererseits auch zum notwendigen Vehikel für den Weg zur Arbeit.

Obwohl beim Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg die Planer die Weichen für autogerechte Städte stellten, verstopfte der Individualverkehr zunehmend die Innenstädte. 1961 führte Kassel als erste Großstadt die Parkscheibe ein.

Mit rund zwei Millionen produzierter Autos im Jahr 1960 war Deutschland weltweit der drittgrößte Produzent. Neben vielen Gewinnern gab es auch Verlierer. So mussten die Bremer Borgward-Werke 1961 Konkurs anmelden. Neben den deutschen Modellen stieg die Nachfrage auch nach außerhalb Deutschlands produzierten Automarken, allen voran Italien und Frankreich. Hans Wilke nahm diese Tendenz auf und verkaufte in seinem Autohaus Wagen der Firmen Renault, Peugeot und Citroën.

Der „Auto-Super-Markt“ klingt heute fremd, galt damals aber als modern

Größer als die Markennamen ließ der Inhaber die Bezeichnung „Autohaus Wilke“ anbringen. Ganz oben auf dem Dach aber prangten abends die Neon-Buchstaben „AUTO-SUPER-MARKT“. Was heute fremd klingt, galt damals als modern.

Man kaufte seine Lebensmittel immer seltener im Tante-Emma-Laden, sondern im großzügig gestalteten Supermarkt mit vielfältigerem Warenangebot. Der erste große deutsche Supermarkt eröffnete 1957 in Köln. Die Entwicklung startete allerdings schon 1930 in der Nähe von New York, als man den weltweit ersten Supermarkt in einer alten Autowerkstatt eröffnete.

Ob Hans Wilke davon wusste, als er sich dafür entschied, sein Geschäft als Auto-Super-Markt zu bezeichnen, ist nicht überliefert. Er bot neben den französischen Neuwagen auch Gebrauchtwagen an und hatte dafür das zweite Obergeschoss reserviert. So wurde auch der Gebrauchtwagenkauf zum „gepflegten“ Erlebnis.

Kantig statt kurvig – Architekt Will Schwarz veränderte hier seine Formensprache

Das Treppenhaus ist das markanteste Wahrzeichen des denkmalgeschützten Gebäudes.
Architekt Will Schwarz hat viele Spuren in Dortmund hinterlassen. Dazu gehört auch das alte Gesundheitsamt – ebenfalls ein Baudenkmal. Foto: Alex Völkel

Das Autohaus betrat man über einen vorgelagerten eingeschossigen Pavillon auf schiefwinkligem Grundriss. Was wie eine Reminiszenz an die Architektur der 1950er Jahre anmutet, war der Linienführung von Westfalendamm und einmündender Voßkuhle zu verdanken, die der Architekt Will Schwarz berücksichtigte.

Aus dem Pavillon führte der Weg in das eigentliche Geschäftshaus, das als dreigeschossiger Kubus mit einer Kantenlänge von ca. 30 m errichtet wurde. Ein filigranes Raster aus schmalen Stahlstäben ist dem Stahlbeton-Skelettbau vorgelagert und ermöglicht die komplette Verglasung der Fassaden. Besonders stark wirkt die damit angestrebte elegante Ausstrahlung bei abendlicher Beleuchtung des Inneren.

Im Vergleich mit anderen zeitgleichen Autohäusern der Stadt zeigt sich das Haus am Westfalendamm bis heute, auch nach der Sanierung, fast unverändert. Es ist ein Teil der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Stellung, die das Automobil in den 1950er und frühen 1960er Jahren des 20. Jahrhunds in unserer Gesellschaft einnahm und macht damit den Denkmalwert aus.

Mit diesem Objekt veränderte der Architekt Will Schwarz (1907 – 1992) seine Formensprache. Bekannt war er bis dahin in Dortmund vor allem für seine Bauten zur Bundesgartenschau 1959 (Florianturm und Park- Café) sowie für das Gesundheitsamt in der Innenstadt. Besonders die beiden letztgenannten, 1959/1961 vollendet, zeigen mit ihren gekurvten Formen, bunten Mosaiken und integrierten Kunstwerken die heitere, eher verspielte Architekturauffassung der Fünfzigerjahre. Mit dem Autohaus Wilke begann auch Will Schwarz, den rationalistischeren, kantigeren Architekturtendenzen der Sechzigerjahre zu folgen.

Die elegante und transparente Architektur war die beste Werbung an der vielbefahrenen B1

Jean Pierre Kraemer (Screenshot)
Jean Pierre Kraemer (Screenshot)

Die Wahl einer Stahlbetonkonstruktion für das Autohaus erlaubte im Inneren weite und großzüge Ausstellungsräume. Notwendige Büro- und Gemeinschaftsräume hatte Schwarz an die Seite und in das zurückspringende Dachgeschoss verlagert, das sich hinter dem Schriftzug „AUTO-SUPER-MARKT“ verbarg.

Ein Autolift brachte die Wagen in die oberen Geschosse. Hans Wilke hatte den Bauplatz am Westfalendamm ganz bewusst gewählt. Die elegante und transparente Architektur war die beste Werbung an der vielbefahrenen B1. Schnell wurde das Autohaus zur Landmarke mit hohem Wiedererkennungswert.

Vieles davon werden wir im Pace Automobil Museum sehen können, das so oft angeklickte Video zeigt, wie sich der heutige Eigentümer Jean Pierre Kraemer die Eröffnung vorgestellt hat. „So sah meine Phantasie aus… Aber das dürfen wir im Moment nicht, was aber kein Problem ist, denn wir warten“, heißt es am Ende des Films. Und wir freuen uns dann umso mehr, mit einem Spektrum vom Käfer bis hin zum Formel-1-Rennwagen in Auto- und Zeitgeschichte eintauchen zu können.

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