Klare Kante gegen Neonazis: Auch am heutigen Montag (28.10.2019) sind hunderte Menschen gegen einen erneuten Neonazi-Aufmarsch in der Nordstadt auf die Straße gegangen. Während die Partei „Die Rechte“ kaum mehr als 50 Kameraden mobilisieren konnte, waren nach Polizeiangaben mehr als elfmal so viele DemokratInnen und AntifaschistInnen unterwegs. Die Neonazis kündigten an, vorerst auf weitere Aufmärsche in der Nordstadt zu verzichten.
„Gemeinsam gegen Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit“
Die Neonazis hatten ursprünglich bis zum 23. Dezember immer montags Demos angemeldet. Doch wie bereits bei ihren Demomarathon gegen angebliche Polizeiwillkür in Dorstfeld ging den Neonazis auch hier die Luft aus. Gerade noch 50 Neonazis brachten sie auf die Straße, während sich die Zivilgesellschaft in den vergangenen Wochen erst „warm gelaufen“ hatte.
Nach den antisemitischen Hetzereien, den aus ihrer Sicht fragwürdigen Urteilen zu Gunsten der Neonazis, den Anschlägen in Halle und den Wahlergebnissen im Osten sind immer mehr Menschen auf die Straße gegangen. Viele von ihnen beteiligten sich erstmals an einer Demo.
Auch die größte Kundgebung gegen die Neonazis am Montag war von einem „Neuling“ angemeldet worden. Vor dem NSU-Mahnmal hatte erstmals Volkan Baran, der für die Nordstadt zuständige SPD-Landtagsabgeordnete, eine überparteiliche Kundgebung angemeldet: „Gemeinsam gegen Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit“, lautete das Motto.
Rabbiner mahnt, das Schweigen gegen Rechtspopulisten und Neonazis zu beenden
Das Bemerkenswerte dabei: Die Spanne der RednerInnen reichte von Mitgliedern der CDU bis zur Linkspartei. Elif Kubaşık, die Witwe des vom NSU ermordeten Kioskbetreiber Mehmet Kubaşık, reihte sich ebenso hinter das Transparent „Dortmund – bunt statt braun“ ein wie Rabbiner Baruch Babaev.
Obwohl er es eigentlich nicht vorhatte, griff dann auch der Rabbiner zum Mikro: „Es wäre dumm und fahrlässig, es nicht zu tun“, sagte er in ruhigen Worten. Der Rabbiner sprach Elif Kubaşık Mut und Trost zu. Es sei unfassbar, was Neonazis ihrer und anderen Familien angetan hätten und was man vielen Menschen habe antun wollen, sagte Babaev mit Blick auf die gescheiterten Anschläge in Halle.
Er dankte den zahlreichen Menschen in Dortmund, die abermals gegen die Neonazis auf die Straße gingen. Dies sei notwendig und überfällig. Eindringlich warnte er davor, dass die heutigen Generationen sich in 75 Jahren rechtfertigen müssten, warum die Menschen in Europa 2019 trotz Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus geschwiegen und weggesehen hätten, schlug er die Brücke zur NS-Zeit.
Kritik an den unerträglichen Aufmärschen durch die Nordstadt
Zuvor hatte schon Klaus Wegener, Präsident der Auslandsgesellschaft und CDU-Mitglied, an den Ort, wo die Kundgebung stattfand, erinnert. Er verwies auf die Morde des NSU und die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache. Umso unerträglicher sei es, dass Woche für Woche Neonazis unweit dieses Platzes ihre Aufmärsche starteten.
Max Kolbasner, Vertreter der jüdischen Studierenden-Gruppe, berichtete vom alltäglichen Antisemitismus, den er und viele andere Freunde jüdischen Glaubens erleben (müssten). Dennoch lasse er sich davon nicht abhalten, seinen Glauben zu leben, sagte er unter dem Applaus.
Julian Jansen, Kreissprecher der Grünen in Dortmund, blickte unter anderem auf die Wahlen in Thüringen, wo die AfD bei allen Altersgruppen unter 60 Jahren die Mehrheit der WählerInnen hinter sich vereinen konnte. Daher gebe es dringenden Handlungsbedarf. „Es muss sich jeder fragen, auf welcher Seite er steht. Nicht zu handeln, spielt denen in die Hände.“
Iris Bernert-Leushacke, Politikerin der Linken und Sprecherin von BlockaDO, erinnerte daran, wie wichtig es ist, auch gegen die Infrastruktur vorzugehen. So demonstrieren sie seit neun Wochen gegen den neuen Thor-Steinar-Laden „Tønsberg“ im Brüderweg, der sich zum Neonazi-Treff in der City entwickelt hatte. Nach einer Attacke ist der Laden jedoch seit einer Woche geschlossen.
Verfassungsrechtler und Polizei fordern ein Umdenken bei den Gerichten
Allgegenwärtig war die Kritik an den Gerichtsentscheidungen zugunsten der Neonazis – von denen in Redebeiträgen am Montag gefeiert. Sie brüsteten sich damit, der Polizei „mal wieder eine Lektion erteilt“ zu haben, weil die Gerichte Parolen wie „Nie wieder Israel“ von der Meinungsfreiheit gedeckt sahen.
Auch wenn die Polizei natürlich das Urteil respektiert, will sich der Polizeipräsident damit nicht abfinden. Sehr zur Freude der AntifaschistInnen fordert er ein Umdenken – zumindest mit Blick auf die Gerichtsentscheidungen. Damit stößt er in dasselbe Horn wie die drei großen antifaschistischen Bündnisse in Dortmund.
Dazu passt auch ein Fachgespräch bei der Dortmunder Polizei. Dort war der Berliner Universitätsprofessor Dr. jur. Christian Pestalozza zu Gast. Der renommierte Staats- und Verwaltungsrechtler sprach mit Polizeipräsident Gregor Lange über Meinungsfreiheit und Versammlungsrecht.
Bei den Neonazi-Aufmärschen konkurrierten auf der einen Seite die Meinungsfreiheit und das Versammlungsrecht mit den Schutzbedürfnissen der Bevölkerung vor Antisemitismus, Bedrohung, Einschüchterung und Volksverhetzung auf der anderen Seite. „Mit einem aggressiv-kämpferischen Auftreten ist die Dortmunder Rechtsextremisten-Szene auf Versammlungen in der Lage, diese bedrohliche Wirkung zu erzielen“, heißt es in der Pressemitteilung.
Gerichte dürften Schutzbedürfnisse der BürgerInnen vor Verfassungsfeinden nicht vergessen
Professor Pestalozza sieht den verfassungsgemäßen Auftrag des Staates, dass die im Grundgesetz garantierte Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht zwar als hohe Schutzgüter zu betrachten seien; die Schutzbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger vor Verfassungsfeinden dürften deshalb aber nicht schwächer gestellt werden.
„Die Meinungsfreiheit kann sehr wohl eingeschränkt werden, wenn bestimmte Interessen zu schützen sind“, sagte der Jurist in dem Gespräch im Polizeipräsidium. Der Schutz vor Bedrohung, Volksverhetzung und anderen öffentlich wahrnehmbaren Einschüchterungsversuchen müsse in einer wehrhaften Demokratie funktionieren.
Rechtsextreme Organisationen lehnen die freiheitlich-demokratische Grundordnung ab und verfolgen das Ziel, diese zu überwinden. Dafür schrecken sie und ihre Mitglieder vor Gewalt nicht zurück. Die Dortmunder Polizei habe in vielen Gerichtsverfahren der vergangenen Jahre mehrfach wichtige Argumente vorgetragen, um Auflagen gegen rechtsextreme Aufmärsche durchzusetzen, würdigte Pestalozza.
„Die Polizei muss Grenzen setzen können, um die Bürger vor den Feinden der Verfassung zu schützen“
Neonazis würden nicht nur bloße Einschüchterungsversuche unternehmen. Sie seien darauf aus, „Unfrieden“ zu stiften. „Es ist zu erkennen, dass sich gerade etwas aufheizt“, sagte der Staatsrechtler.
Wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung so gestört würden, müsse die Polizei stets das mildeste geeignete Mittel prüfen und anwenden (zum Beispiel Auflagen), bevor sie mit Totalverboten arbeite.
„Die Polizei muss Grenzen setzen können, um die Bürger vor den Feinden der Verfassung zu schützen“, so Professor Pestalozza.
Das Bundesverfassungsgericht soll neu entscheiden
Der Jurist betonte, dass aus der Perspektive eines Staatsrechtlers heraus inzwischen eine moderne Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht notwendig sei.
Profitieren würden auch die Verwaltungsgerichte, wenn die juristischen Grenzen zwischen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und dem Schutz vor Verfassungsfeinden aktualisiert bzw. schärfer ausgeleuchtet würden.
„Wir erleben zurzeit eine gravierende Veränderung des gesellschaftlichen Klimas. Deshalb würde ich es sehr begrüßen, wenn es im Rahmen gerichtlicher Verfahren dazu käme, dass das Bundesverfassungsgericht eine für alle verbindliche aktuelle Klarheit schafft“, betont Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange.
Mehr zum Thema bei nordstadtblogger.de:
Großer Protest gegen den neuen Nazi-Mode-Laden in Dortmund – „Thor Steinar“-Verkauf in der City
Reader Comments
Autonome Antifa 170 (Pressemitteilung)
Erfolgreiche Proteste gegen Demomarathon der Nazis
Auch die fünfte montägliche Nazidemo durch die Nordstadt wurde von
antifaschistischem Protest begleitet und durch ein massives
Polizeiaufgebot durchgesetzt. Die Nazis hatten ursprünglich angekündigt,
bis Dezember jeden Montag durch die Nordstadt zu ziehen. Bereits zu
Beginn der Demonstrationsreihe ruderten sie zurück und sprachen davon,
dass ihre Aufmärsche nur vorsorglich bis Dezember angekündigt seien und
sie gegebenenfalls die Reihe früher beenden. Zudem nahm auch in den
eigenen Reihen das Interesse an den wöchentlichen Aufmärschen immer mehr
ab, so dass bei der vorläufig letzten Demonstration am heutigen Montag
lediglich 50 Nazis auf der Straße waren. Während bei den Nazis die
Teilnehmendenzahlen sanken, befanden sich heute wieder rund 800 Personen
auf der Straße, die die rassistische Hetze in der Dortmunder Nordstadt
nicht unwidersprochen lassen wollten. Obwohl keine Blockaden des
Aufmarsches gelangen, kam es an fast jeder Seitenstraße zu lautstarkem
Protest. „Die Nordstadt-Bevölkerung hat gezeigt, dass sie keinen Bock
auf Nazis hat“, resümiert Kim Schmidt, Pressesprecherin der Autonomen
Antifa 170. „In der Zeit des Protestes haben wir es geschafft, uns
weiter mit der Bevölkerung zu vernetzen. Daran können wir auch
anknüpfen, wenn die Nazis hier nicht mehr laufen. Die Nazis haben nur
erreicht, dass das Viertel umso stärker zusammenhält“. In der Zeit der
Nazidemos hatte das Antifa-Café zu einem offenen Treffen eingeladen, dem
über 50 Leute gefolgt waren, um Gegenproteste und eigene Aktionen zu
planen. Daraus war unter anderem am heutigen Montag ein Familienfest am
Nordmarkt zusätzlich zu den antifaschistischen Aktionen entstanden.
Während die Dortmunder Nazis mit Parolen wie „Nie wieder Israel“ oder
anderen antisemitischen und rassistischen Parolen durch die Nordstadt
zogen und so versuchten, ein Klima der Angst bei den Anwohner*innen zu
erzeugen, haben Antifas von Anfang an gezeigt, dass sie die
Anwohner*innen nicht damit alleine lassen. Mehrfach wurde in den
vergangenen Wochen versucht, die Nazidemo zu blockieren. Dank
zahlreicher Sitzblockaden mussten die Nazis teilweise über andere Wege
geleitet werden. „Die Polizei ist zunehmend gewalttätig gegen die
Protestierenden vorgegangen“, kritisiert Schmidt das Verhalten. „In
ihrer Pressearbeit stellt die Polizei sich als Akteurin gegen Rechts
dar. In der Realität rollt sie den Nazis den roten Teppich in der
Nordstadt aus“. Am 7. Oktober hat die Polizei eine Sitzblockade von 41
Personen kontrolliert und unter anderem Anzeigen wegen Landfriedensbruch
geschrieben. „Die Polizei hat vorher angekündigt, dass Sitzblockaden
nicht strafbar seien, wenn die Nazidemo dadurch nicht verhindert werde.
Das war offensichtlich gelogen“, so Schmidt. „Wir fordern, dass alle
Anzeigen eingestellt werden.“
Vor zwei Wochen konnten Antifas neben dem üblichen Gegenprotest eine
eigene große Demonstration vom Borsigplatz quer durch die Nordstadt auf
die Beine stellen. „Wir konnten damit ein starkes Zeichen gegen rechte
Strukturen und ihre Ideologie setzen. Das war ein wichtiges Signal an
die Anwohner*innen in der Nordstadt“, so Kim Schmidt, „Durchaus positiv
haben wir auch den Protest der restlichen ‚Dortmunder Zivilgesellschaft‘
aufgenommen, an dem sich verschiedenste Bündnisse und Parteien
beteiligten. Dass dies aber erst nach dem antisemitischen Terroranschlag
in Halle geschah, hinterlässt leider einen bitteren Beigeschmack.
Antifaschismus bedarf keines besonderen Anlasses, sondern ist eine
alltägliche Aufgabe. Wir bedanken uns bei allen, die dafür mit uns auf
der Straße waren.“
Es bleibt dabei: Für Nazis und Rassismus ist kein Platz in der Nordstadt!
Grünen-Kreisverband Dortmund (Pressemitteilung)
Aufmärsche der Nazis: Demokratie und Vielfalt schlagen Rassismus
Nach dem beeindruckenden Widerstand der letzten Wochen haben die Dortmunder Nazis angekündigt, ihre bis Weihnachten geplanten Aufmärsche bis auf weiteres zu beenden. Für den GRÜNEN Kreisverband ist das ein Sieg der demokratischen Stadtgesellschaft.
„Es war auch am Montagabend wieder ein klares Zeichen, dass erneut mehrere hundert Menschen auf die Straße gegangen sind, um sich eindeutig und laut gegen Rassismus, Antisemitismus und rechtes Gedankengut auszusprechen. Rechte Hetze, Ausgrenzung von Bevölkerungsgruppen, regelmäßige gewaltsame Übergriffe durch Neonazis und rechtsterroristische Akte dürfen in Dortmund keinen Platz haben.
Es zeigt sich jetzt: Die Demonstrationen und Aktionen der letzten Montage mit bis zu 2000 Teilnehmer*innen waren erfolgreich. Die wenigen Nazis sind von Woche zu Woche noch weniger geworden, von ihrer rechten Hetze und den menschenverachtenden Parolen war teilweise kein einziges Wort zu verstehen. Das hat mit dazu geführt, dass sie jetzt ihre Aufmärsche beenden. Das macht Mut für eventuell notwendige zukünftige Aktionen“, kommentiert der Sprecher des GRÜNEN Kreisverbandes, Julian Jansen, die Situation.
Unerträglich ist es für die GRÜNEN, dass bei den rechten Aufmärschen der letzten Wochen Parolen wie „Nie wieder Israel“ von Gerichten geschützt und von den Nazis gebrüllt werden durften.
„Wir sind der Auffassung, dass die Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist. Aber diese und ähnliche Parolen sind kein Schutzgut, sondern eine unerträgliche Volksverhetzung und gehören verboten. Grundsätzlich sollten aus unserer Sicht die rechtsextremen Aufmärsche komplett untersagt werden, um die Gesellschaft vor Verfassungsfeinden und ihrer offensichtlichen Bedrohung zu schützen“, so Julian Jansen.
Kritik üben die GRÜNEN aber auch am Vorgehen der Polizei am Montagabend. So wurde eine große Zahl von gewaltfreien Demonstrant*innen auf der Kurfürstenstraße eingekesselt, die versucht hatten, zum Protest an der Pauluskirche an der Schützenstraße zu gelangen. Auch hier verlangen die GRÜNEN für zukünftige Demonstrationen ein Umdenken und erinnern den Polizeipräsidenten an seine Aussage, friedliche Gegendemonstrationen in Hör- und Sichtweite der Nazi-Aufmärsche zu ermöglichen.