Von Susanne Schulte
Die Familiengeschichte der Kalifornierin Becki Cohn-Vargas ist eng mit Dortmund und Lüneburg verbunden. In Lüneburg war sie schon einmal, in 2015. Nach Dortmund reiste sie jetzt zum ersten Mal und stand somit auch zum ersten Mal auf dem Ostenfriedhof an den Gräbern ihrer Urgroßeltern Berta und Albert Rhée sowie weiterer Verwandten, die den Namen Sternau trugen. Dorthin geführt hat sie Klaus Winter, Initiator des Projekts „Jüdische Heimat Dortmund“, für das sich der Historische Verein für Dortmund und die Grafschaft Mark, dessen Mitglied Winter ist, verantwortlich zeigt.
Eine weitverzweigte Familie aus Dortmund und Lüneburg
Dass die beiden, Becki Cohn-Vargas und Klaus Winter zusammenkamen, ist der Geschichtsmanufaktur Dortmund zu verdanken. Diese wandte sich 2022 vor der Sonderausstellung von Exponaten, die der Dortmunder Kaufmann Louis Sternau dem Museum für Kunst und Kulturgeschichte geschenkt hatte, an Becki Cohn-Vargas und bat um ein Foto von ihrem Urgroßonkel, eben dem Louis Sternau. ___STEADY_PAYWALL___
In diesem Zusammenhang erwähnte die Geschichtsmanufaktur, die das Projekt „Jüdische Heimat Dortmund“ professionell betreute, den Namen Klaus Winter. Sie schrieb ihm, er schrieb ihr und so kam der Termin zustande – ein Tag zwischen weiteren Treffen in Berlin und Lüneburg mit der weitverzweigten Familie. Und dieser Tag in Dortmund war gefüllt mit Gesprächen und Besichtigungen.
So stand vor dem Gang über den Friedhof ein Besuch im Museum für Kunst und Kulturgeschichte (MKK) an. Dort bestaunten Becki Cohn-Vargas und ihr Mann Reto Vargas die wertvollen Möbel, Kunst- und Dekorationsgegenstände, die ihr Urgroßonkel Louis Sternau, der Bruder ihrer Urgroßmutter Selma Heinemann, dem MKK gestiftet hatte.
Der großzügige Kaufmann und Lokalpolitiker hatte die heutigen Exponate aus Schlössern der Umgebung gekauft. „Beautiful“ lautete dann auch häufig das Urteil der beiden Gäste aus Kalifornien, sowohl beim Anblick der Stühle und Sofas wie auch zur Architektur des Hauses an der Hansastraße.
Das Ehepaar würdigte nicht nur mit zahlreichen Fotos die Schenkung von Louis Sternau, sondern viele der Ausstellungsstücke aus vergangenen Zeiten. Doch Klaus Winter drängte ein wenig. Auf ging es zur nächsten Station.
Gelungene Flucht aus der Bismarckstraße 44 nach Kalifornien
Vor dem Haus Bismarckstraße 44 klickten erneut die Auslöser der Kameras und der Handys. Hier wohnten bis 1939 die Großeltern von Becki Cohn-Vargas, Max Rhée und Elsa Rhée, geborene Heinemann, mit ihrer Tochter Eva Rhée. Über die Niederlande und England verließ die Familie Europa und siedelte sich in Kalifornien an.
Ihre Mutter, so erzählt Becki Cohn-Vargas, sei als erste der Familie abgereist und habe in England eine Zeit lang in der Schuhfabrik Clark’s gearbeitet. Deren Eltern seien einige Monate später nachgekommen. Das Haus ihrer Großeltern in der Bismarckstraße steht nicht mehr, die Adresse jedoch gibt es noch.
Später, auf dem Ostenfriedhof, will die Frau aus Kalifornien alles wissen über den jüdischen Teil, dessen Erhalt und die Pflege. Klaus Winter erzählt: über die Reinigung der Gräber und Grabsteine, die er ehrenamtlich im Rahmen des Projekts übernommen hat, – hier wie auch auf weiteren acht Friedhöfen in Dortmund -, wie er und Mitarbeiter:innen des Steinheim-Instituts aus Essen die Inschriften lesbar gemacht und übersetzt haben lassen.
Er erzählt von seiner Recherche über die einzelnen, dort bestatteten Personen sowie weiterer bedeutender Personen für das damalige Stadtleben und dass er die von ihm geschriebenen Kurzbiographien auf der Internetseite www.juedische-heimat-dortmund.de veröffentlicht, so dass sie kostenlos von allen gelesen werden können.
Die Geschichte der Lüneburger Vorfahr:innen ist ebenfalls im Netz zu lesen
So finden sich dort die Lebensgeschichten, so weit bekannt, von Becki Cohn-Vargas‘ Vorfahren. Wie die von Herz Levy Sternau, ihrem Ururgroßvater. Mit seiner Frau Lina hatte er viele Kinder, so auch Louis und Selma. Die Dortmunderin Selma Sternau heiratete Robert Heinemann aus Lüneburg, wo die beiden auch lebten.
Ihre Tochter Elsa Heinemann zog wiederum nach Dortmund zu ihrem Mann Max Rhée. Die beiden sind die Eltern von Eva, der Mutter von Becki Cohn-Vargas. Das ist ihre in gerader Linie verwandtschaftliche Beziehung zu Lüneburg.
Und auch in dieser Stadt recherchieren und recherchierten Geschichtsinteressierte, allen voran die Historikerin Anneke de Rudder alles über die Familie Heinemann, die gleich der Familien Sternau und Rhée in Dortmund Kunst, Kultur und Politik an ihrem Wohnort unterstützte. Becki Cohn-Vargas muss heute nichts mehr nachlesen. Sie hat die Lüneburger Verwandtschaftsverhältnisse ebenfalls im Gedächtnis gespeichert:
Angefangen von ihrem dortigen Ururgroßvater Marcus Heinemann und dessen 17 Kindern, über eben diese Kinder und deren Nachkommen und weitere Lebensläufe als Arzt, Philosoph, Rechtsanwalt und Musikverleger. Wer das gerne nachlesen möchte, findet dazu auf der Seite www.beckicohnvargas.com unter der Rubrik The Heinemann Legacy (das Heinemann-Erbe) vieles zur Geschichte der Familie und auch vieles über Becki Cohn-Vargas. Die Seite wird nach einem Klick auch auf Deutsch übersetzt.
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!
Mehr zum Thema bei nordstadtblogger.de:
Steinerne Zeugnisse erinnern an das reiche und vielfältige jüdische Leben in Dortmund
Historischer Verein lässt Informationstafeln an den jüdischen Friedhöfen aufstellen
Die „Heimat Dortmund“ beschäftigt sich mit der jüdischen Stadtgeschichte ab dem Mittelalter
Spurensuche auf historischen jüdischen Grabstätten und Erforschung von Biografien