Durch die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus kommt das öffentliche Leben nahezu zum Erliegen. Alle Menschen sind angehalten, soziale Kontakte zu meiden. Dies gilt in besonderem Maße für die Risikogruppen. Die Zahl der Infektionen steigt auch in Dortmund weiter an und es ist laut der Expert*innen zu erwarten, dass uns der Höhepunkt in den kommenden Wochen noch bevorsteht.
Für viele ältere Menschen, die ohnehin schon relativ isoliert mit wenig Kontakt zur Aussenwelt ihr Dasein fristen, nimmt die Einsamkeit zu und sie harren in ihren Wohnungen aus, ungewiss wie sich die Lage weiter entwickeln wird. Durch die Ausweitung der Versammlungs- und Veranstaltungsauflagen sind seit Mitte der Woche nun auch die unterschiedlichen Religionsgemeinschaften betroffen und dürfen keine klassischen Präsenzgottesdienste in ihren Räumlichkeiten mehr abhalten. Auch wenn vor allem online viele Alternativen angeboten werden, fehlt vielen Menschen der Rückhalt, der Austausch, der Trost und die Hoffnung, die sie sonst in ihrem Glauben und in der Gemeinschaft gefunden haben.
Aus diesem Grund werden wir während der Corona-Krise regelmäßig Geistliche verschiedener Konfessionen aus Dortmund zu Wort kommen lassen, die den Menschen Mut machen und die Impulse geben wollen, wie wir alle gemeinsam diese Krise überstehen können.
Den Anfang in unserer neuen Impuls-Reihe machte vor zwei Wochen der katholische Pfarrer Ansgar Schocke von der Katholischen Kirchengemeinde Heilige Drei Könige (Dortmund-Nordstadt). In der letzten Woche wendete sich Rabbiner Baruch Babaev von der Jüdischen Gemeinde Dortmund unter dem Titel „In Zeiten, wo die Gottesdienste nicht stattfinden dürfen“ an die Leser*innen.
In der nun dritten Woche möchte die evangelische Pfarrerin und stellvertretende Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Dortmund, Andrea Auras-Reiffen, den Menschen Mut in der Krise machen und sich bei den unzähligen Menschen bedanken, die in dieser schweren Zeit aufopferungsvoll für andere durch ihre Arbeit in der Daseinsfürsorge da sind.
Berührende Liebe –
Gedanken zum Palmsonntag in Corona-Zeiten
Sie sind die Stars dieser Tage: Die Kassiererin an der Kasse des Supermarktes, die Pflegerin im Seniorenheim, die Erzieherin, die Lehrerin in der Notgruppe, die Putzkraft im Krankenhaus, die Krankenschwester, die Ärztin. Die eine zieht Mehl und Nudeln übers Band. Oder sie räumt früh morgens die Regale ein.
___STEADY_PAYWALL___
Die andere ist mittlerweile die einzige Kontaktperson für unsere Eltern und Großeltern. Oder sie arbeitet mit dem Mundschutz und den Desinfektionsmitteln, die ihr noch zur Verfügung stehen. Sie betreut die Kinder der systemrelevanten Personen; bald auch am Wochenende und in den Ferien.
Oder sie wartet mit Anspannung auf den großen Peak. Denn sie hat die erschöpften und verzweifelten Gesichter ihrer Kolleginnen in Italien, Spanien und Frankreich gesehen und fürchtet sich vor dem, was auf sie zukommt. Allen gemeinsam ist: sie schenken uns viel mehr als nur ihre Arbeit.
In diesen Tagen rücken auf einmal andere Menschen in unser Blickfeld. Systemrelevant ist nicht mehr der Vorstand bei Thyssen, VW oder Tesla, sondern die Frauen und Männer in der Daseinsfürsorge. Wir applaudieren ihnen von unseren Balkonen, wie sonst nur den Stars aus Film, Fernsehen oder von Borussia. Und wenn alles vorbei ist, überstanden und überlebt, dann sollten wir ihnen nicht nur mit Applaus und Ferrero Küsschen danken, sondern mit einem angemessenen Gehalt.
„Daseinsfürsorge. Dieser so altmodisch klingende Begriff bekommt wieder Sinn und ganz viele Gesichter.“
Ob jede Krise etwas Gutes hat, mag ich nicht beurteilen. Dazu sind die Opfer zu groß. Aber diese Krise rückt so manche Wertigkeit zurecht. Was ist uns wichtig? Was zählt? Stärker als Gretas Appell an unsere Vernunft trifft uns das Virus mit seinem direkten Angriff auf unsere Existenz. Und in all dem erleben wir Liebe und Zuwendung: Daseinsfürsorge. Dieser so altmodisch klingende Begriff bekommt wieder Sinn und ganz viele Gesichter.
Mit diesem Sonntag beginnt die Karwoche, in der Christinnen und Christen des Leidens und des Todes Jesu gedenken. Palmsonntag, so nennen wir ihn. Der Name erinnert an den Einzug Jesu in die Stadt Jerusalem, vor deren Mauern er sterben wird. Doch nicht nur der bejubelte Einzug Jesu steht an diesem Sonntag auf der Agenda, sondern auch die Geschichte einer Frau ohne Namen.
Sie betritt ein Haus in einem kleinen Ort vor den Toren Jerusalems, in dem Jesus nach den Erzählungen der Bibel eingekehrt ist. Sie drängt sich durch die Menge der anwesenden Männer, die ihr als Frau nur unwillig Platz machen. Dann zerbricht sie ein Gefäß mit kostbarem Öl und salbt Jesus das Haupt, wie es sonst nur Königen oder Verstorbenen zusteht. Ein Moment der Liebe und Zuwendung – Daseinsfürsorge. Doch Applaus erhält sie dafür nicht.
Es ist noch nicht Krise. Die Wertigkeit ruft stattdessen: was für eine Verschwendung! Das kostbare Öl besitzt den Geldwert des 300fachen Tagesverdiensts eines Arbeiters. Eine berechtigte Kritik – in anderen Zeiten! Denn Jesus, der vorausblickt, sagt: Lasst sie. Sie hat (alles) getan, was sie konnte.
Viel Berührendes in den Tagen der Krise: Sie tun, was sie können
Am Palmsonntag 2020 werden die Christinnen und Christen in dieser Stadt, in diesem Land, in vielen Ländern, nicht in ihre Kirchen gehen, um gemeinsam zu singen, zu beten und die Worte der biblischen Erzählungen zu hören. Die Liebe und Zuwendung zueinander müssen wir in diesem Jahr auf andere Weise ausdrücken. Manchen wird das schmerzen.
Aber Gott findet im Hier und Jetzt seinen Weg, sich uns zuzuwenden, uns zu trösten, uns Zuversicht zu schenken. Und so gibt es in diesen Tagen viel Berührendes: Den Gruß des Kindes an seine Oma über die Lokalzeit. Eingespielte Musikstücke und Lieder unserer Kirchenmusiker*innen auf den Homepages der Gemeinden. Den (vorgezogenen) Segen des Papstes für diese Welt auf dem menschenleeren Platz vor dem Petersdom, den er sonst zur Geburt und zur Auferstehung Christi spricht. Sie tun, was sie können. Auch dies: Daseinsfürsorge. Für unser Leben und für unsere Seele.
Von der Frau ohne Namen heißt es in der Bibel: Wo die frohe Botschaft von der Liebe Gottes gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das erzählen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.
Wenn Sie mögen an diesem Sonntag, dann lesen Sie ihre Geschichte nach: Die Bibel, Markusevangelium, Kapitel 14, Verse 3-9; hören Sie auf www.ev-kirche-dortmund.de einen Choral oder beten Sie mit das Ökumenisches Gebet in Zeiten der Coronakrise .
Gott behüte Sie!
Ihre Andrea Auras-Reiffen, Pfarrerin, Ständig Stellvertretende Superintendentin, Evangelische Kirche Dortmund
Evangelische und katholische Kirchen:
Glocken läuten täglich bis Gründonnerstag
Die evangelischen und katholischen Kirchen in Dortmund laden für einen Monat täglich dazu ein, für einen Moment innezuhalten, jede und jeder für sich eine Kerze anzuzünden, sie gegebenenfalls sichtbar ins Fenster zu stellen, und ein Gebet und Vater Unser zu sprechen.
Täglich um 19.30 Uhr können die Gebete mit Glockengeläut eingeleitet und begleitet werden. Die Einladung ruft auf zum Innehalten und zum Gefühl von Gemeinschaft auf Distanz. Jeden Abend in der Passionszeit „versammeln“ sich die Gläubigen einzeln, aber im Gebet vereint – gerne auch mit einem Lied.
Eine Kerze im Fenster kann solidarische Wärme und zuversichtliches Licht ausstrahlen und dies alles bei ökumenisch vielstimmigem Glockenklang. Kerze anzünden und Gebet ist eine ökumenische Initiative und geht an alle Menschen in ganz Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus.
Interessierte können hier einen Gebetsvorschlag der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen NRW (ACK) einsehen oder als PDF herunterladen: Ökumenisches Gebet in Zeiten der Coronakrise
Mehr zum Thema bei nordstadtblogger.de: