Ist da Licht am Ende des Tunnels? Zwar hat, Stand heute, 24. November, noch kein Corona-Impfstoff eine europäische Zulassung, aber was soll’s. In der Not wird’s schnell gehen – so zumindest der Eindruck bei der zu beobachtenden Beschaffungsbetriebsamkeit. Denn Pharmakonsorten wie Biontech/Pfizer werden in dem sog. (beschleunigten) Rolling-View-Verfahren durchgeschleust. Die Kommunen in NRW wurden bereits angewiesen, Impfzentren zu errichten. Leider weiß augenblicklich niemand an Ort und Stelle wirklich, wie das alles funktionieren soll. Weil elementarste Fragen ungeklärt sind. – Auch darin zeigen sich Stilblüten eines teils verfehlten Krisenmanagements auf Bundes- und Länderebene, unter dem auch Dortmund zu leiden hat.
Corona-Infektionszahlen in Dortmund steigen nicht weiter, fallen aber auch nicht bedeutsam
Die neusten Infektionszahlen wiesen auf „ein Hochplateau“ hin, wie Birgit Zoerner bei der heutigen Pressekonferenz nach der Sitzung des Verwaltungsvorstandes der Stadt formuliert. ___STEADY_PAYWALL___
Das heißt konkret: Das exponentielle Wachstum der Infektionsfälle in den letzten Wochen ist zwar gestoppt, aber es werden auch nicht signifikant weniger Menschen, die das Virus erwischt. Es gibt insofern allein Anzeichen für eine leichte Entspannung der Lage.
201 positive Tests kamen am letzten Wochenende in Dortmund hinzu, berichtet die Sozial- und Gesundheitsdezernentin; am vorangegangenen WE waren es noch 338. Gegenüber 52 Neuinfektionen gestern wurden am vorletzten Montag noch 64 gemeldet. Eine Verbesserung. Doch relativ zum Durchschnitt im Land Nordrhein-Westfalen sieht es in Dortmund weiterhin verhältnismäßig mau aus: die Stadt hat eine 7-Tage-Inzidenzrate von gegenwärtig 205,5 zu 158,9 landesweit.
Prognose: Infektionszahlen werden wieder ansteigen – Sorge um Sterberaten in der Stadt
Also kein Grund, sich gemütlich zurückzulegen. Zumal in naher Zukunft mit einem Anstieg letaler Krankheitsverläufe zu rechnen ist, leider.
Die Ursache dafür macht der Chef des Dortmunder Gesundheitsamtes, Dr. Frank Renken, auf der turnusmäßigen PK deutlich: Neben dem Infektionsgeschehen unter jungen Leuten seien stärker Ältere (vor allem in Pflegeeinrichtungen) betroffen. Jüngstes Ereignis: Aus einem Seniorenheim in Lütgendortmund wurden 61 neue Fälle gemeldet.
Gegenwärtig müssen 160 Patient*innen im kommunalen Zuständigkeitsbereich stationär versorgt werden; 30 bis 35 davon intensivmedizinisch. Zahlen, die anzeigen: es geht nicht mehr weiter deutlich nach oben, mehr aber auch nicht.
Und der Mediziner hat zugleich eine Warnung parat: Was in den letzten Wochen geschehen sei – das würde wiederkommen: „Das ist völlig unvermeidbar“, so Renken gewohnt illusionslos. Ein Blick auf die Jahreszeit und die vorhersehbaren Temperaturen genügt. – Soweit zur Routine auf der Pressekonferenz.
Kommunen sollen Impfzentren errichten, ohne zu wissen, welche Merkmale der Impfstoff hat
Dann kommt es zu den letzten Meldungen, dass es sich mit Verfügung und Zugänglichkeit über diverse Impfstoffe auf die Zielgerade zubewegt. Bezeichnend war eine in diesem Zusammenhang auf der PK häufiger benutzte Formulierung: „Was wir lesen können …“ Es sind Sätze zu hören wie: „All das, was wir im Augenblick machen, hat noch ganz viele Fragezeichen.“
Was sich darin ausdrückt: Viel mehr als die Öffentlichkeit, Stand heute, weiß die Kommune auch nicht. Beteiligte irren an entscheidenden Punkten im Dunkeln. Dieses fehlende Wissen der Verantwortlichen stellt ein erhebliches Problem dar, wenn es darum geht, konkret zu handeln.
Denn einerseits sind Kommunen wie Dortmund gestern über eine virtuell geschaltete Konferenz angehalten worden, noch im Dezember Impfzentren einzurichten, andererseits sind die damit verbundenen logistischen Herausforderungen beispielsweise an die konkreten Merkmale der anvisierten Impfstoffe gebunden – die aber liegen im Dunkeln. Ob sich so des Tunnels Ende präsentieren kann, mögen sich manche fragen.
Fragen über Fragen: Welche Impfstoffe werden geliefert? Wie müssen sie gelagert werden?
Beispiel: Einige Zeit war die Rede davon, die Impfstoffdosen müssen bei minus 70 bis 80 Grad gelagert und dann innerhalb von einer Stunde verimpft werden (wie beim Biontech/Pfizer-Impfstoffgeschäft). Ansonsten landeten sie im Mülleimer.
Neuste Meldung: eine Lagerung bis zu sechs Stunden sei möglich bis zum Verbrauch. – Der Staat, der von seinen Bürger*innen ein Höchstmaß an Corona-Disziplin erwartet, erweist sich selbst als inkompetent, so scheint es. Eine Anmaßung.
Sich widersprechende Informationen auf verschiedenen Kanälen paralysieren konkretes Handeln, wenn es darum geht, adäquate Maßnahmen vor Ort zu treffen. „Wir wissen zu wenig“, verdeutlicht Renken. Auch etwa darüber, ob eine oder zwei Schutzimpfungen vonnöten sind. Gegenwärtig sind es zwei. Morgen drei, oder doch nur eine?
All das verändere eben die konkreten Anforderungen an die Impfzentren. Effektives Krisenmanagement auf Landes- und Bundesebene sieht anders aus. Die Konsequenz fasst Frank Renken zusammen: Wenn die Eckdaten fehlten, „befinde ich mich im Moment so ein bisschen im luftleeren Raum“, beschreibt er mit vorsichtiger Ironie die Lage, in der sich die Gesundheitsbehörden und andere kommunale Akteure augenblicklich befinden.
Verteilungsfragen und Ethik: Wer wird eigentlich zuerst geimpft? – Und wer zuletzt?
Eine weitere, nicht ganz unerhebliche Frage, die mitnichten gelöst ist, zumindest nicht in jenen Einzelheiten, auf die es ankommt, ist die nach der Priorisierung.
Das heißt: Weil ich Anti-Corona-Dosen unter Mangelbedingungen verteilen muss, denn es werden selbstverständlich nicht genug auf einen Schlag zur Verfügung stehen (abgesehen von der logistischen Unmöglichkeit, die gesamte Bevölkerung in der Kommune in kürzester Zeit vollständig durchzuimpfen), muss ich knappe Ressourcen nach einem bestimmten Schlüssel zunächst selektiv verteilen.
Aber an wen zuerst? – Ein zutiefst ethisches Problem, deren jeweilige Beantwortung unterschiedliche Prämissen impliziert, welche die Fachleute oder solche, die sich dafür halten, aus dem deutschen Ethikrat gegeneinander nach „vernünftigen“ Kriterien abwägen müssen. Und das unter Zeitdruck, statt bis ins nächste Jahr darüber zu debattieren und ansonsten nichts zu tun, während Menschen an dem vermaledeiten Virus weiter sterben.
„Freiwillige“ Quarantäne von Familien über Weihnachten durch Verlängerung der Ferien?
Abzuwarten bleibt insbesondere die morgige Berliner „Elefantenrunde“. Was da so dräut. Es sei davon auszugehen, dass die Kulturhoheit der Länder weitgehend bewahrt bleibe, weist Schuldezernentin Daniala Schneckenburger auf die föderale Struktur im Lande hin, wenn es um Bildung geht.
Und damit auf eine Debatte, die im Zuge der Pandemiebekämpfung dieses Prinzip zusehends mit jenem Blick infrage stellte, der auf die Effektivität zentralistischen Handelns in der Angelegenheit abstellt. Wie etwa in Frankreich.
Es geht auch um Weihnachten, ein sensibles Thema. Da wollen die Familien heimelig zusammensitzen. Die Politik hat Angst, dass hier auch bei den verständnisvollsten Bürger*innen, wenn es um die massivste Einschränkung von Grundrechten seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland geht, endgültig eine Schmerzgrenze erreicht sein könnte – und sie rebellieren. Da ist feines Fingerspitzengefühl gefragt.
Konkret geht es darum, die Weihnachtsferien (um zwei Schultage) so zu verlängern, dass sich während der Festtage zusammenfindende Familien quasi automatisch/freiwillig in Quarantäne begäben. Da scheint auf Landesebene zu funktionieren.
Böllern um Silvester? – „Verantwortungsverweigerung“ in Berlin aus Sicht des Dortmunder OB
Und das Böllern um Silvester? Der Verkauf der Knaller soll, so ist aus Berlin zu hören, nicht verboten werden. Stattdessen sollen die Kommunen öffentliches Knallen verbieten. Und privates nur auf vorgezeichneten Arealen zulassen. – Na dann. Der neue Dortmunder OB, Thomas Westphal, bedankt sich jedenfalls herzlich.
Für ihn hat das wenig mit Verantwortung zu tun („Verantwortungsverweigerung“). Sondern eher damit, sie abzuwälzen. Wo sich in Berlin niemand traute, da müssten die Kommunen die Kohlen aus dem Feuer holen.
Ein Verbot von Feuerwerk auf großen Plätzen? Seine Antwort ist klar: Eine pragmatische Unmöglichkeit für die Stadt – das sei nicht machbar, prognostiziert der Dortmunder OB.