Es war die offenkundige und fortgesetzte Verweigerungshaltung der CDU-Fraktion im Ausschuss Soziales, Arbeit und Gesundheit (ASAG) des Stadtrates, die dazu führte, dass dem Vorsitzenden, Michael Taranczewski (SPD), irgendwann der Kragen platzte. Was das denn für ein Menschenbild sei, poltert der Sozialdemokrat Richtung CDU. Deren Abgeordneter Thomas Bahr hatte erneut mehr oder weniger „Njet“ gesagt – als ein kleiner Schritt in Richtung finanzielle Hilfen für geduldete Geflüchtete zur Debatte stand, die sich integrieren (wollen), indem sie eine Ausbildung machen, davon aber nicht leben können.
Ursprünglicher Antrag für geduldete Geflüchtete in Ausbildung von der Fraktion Linke/Piraten
Es war die 25. Sitzung des ASAG, am 6. März dieses Jahres: Die Abgeordnete der Fraktion Linke/Piraten, Fatma Karacakurtoglu, begründet einen kurzfristig von ihrer Fraktion eingereichten Beschlussvorschlag zu geduldeten Geflüchteten (Abschiebung ist ausgesetzt) in Ausbildung.
Kern des Problems ist: Die Gefahr von Ausbildungsabbrüchen bei ihnen ist groß, denn sie sind wegen ihres Aufenthaltsstatus als Auszubildende im Betrieb oder als SchülerInnen von Sozialleistungen ausgeschlossen und können daher ihren Lebensunterhalt nicht oder so gut wie nicht bestreiten.
Das zweite Problem an jenem Tage war: Die juristische Lage ist komplex – und kein Ausschussmitglied wusste so recht Bescheid, wie durch den §§-Dschungel zu finden sei, um eine Lösung zu finden. Das war aber von vorneherein klar.
Daher hatte es in dem Antrag der Linken/Piraten lediglich geheißen, die Verwaltung würde gebeten, zu prüfen, wie ein Existenzminimum für Geflüchtete in Ausbildung mit Aufenthaltsgestattung (sind im laufenden Asylverfahren) gewährleistet werden könne und sie solle dahingehend möglichst Lösungsmöglichkeiten aufzeigen.
Das dritte Problem war: Es eilte, um drohende Ausbildungsabbrüche zu verhindern. Bzw., um junge Menschen, die nur geduldet sind oder eine Aufenthaltsgestattung haben, bei Aufnahme einer Ausbildung im Herbst finanziell abzusichern.
Keine gesetzliche Grundlage für Hilfen – die Stadt Dortmund müsste freiwillig einspringen
Dann aber kam – wie sich auch in den beiden nächsten Sitzungen des ASAG zeigen sollte – das eigentliche Problem, wenn es um Bemühungen ging, eine Lösung der misslichen Lage der betreffenden Auszubildenden herbeizuführen: es bestand schlicht in der CDU-Fraktion mit ihrer Hinhaltetaktik bzw. Verweigerungshaltung.
Während sich andere Fraktionen (außer AfD) um eine Lösung bemühten, hieß es seitens des in dieser Angelegenheit offenbar befassten CDU-Wortführers laut genehmigtem Protokoll der Sitzung lediglich:
„Herr Bahr (CDU-Fraktion) kritisiert, dass die Informationen für so ein komplexes Thema als Tischvorlage verteilt werden. Er bedankt sich für die Ausführungen … und gibt an, dass seine Fraktion heute darüber nicht entscheiden könne, falls es doch zu einer Abstimmung kommen sollte.“
Schließlich kommt es zumindest zu der Einigung, sich zur nächsten Sitzung die Gesetzeslage von juristischer Seite erläutern zu lassen. – Dies geschah in der nächsten, 26. Sitzung des ASAG am 15. Mai und danach war klar: Die fragliche Personengruppe hatte nach geltendem Recht keinen Anspruch auf Sozialleistungen.
Was tun? Der vortragende Jurist, Michael Grosse (FH für Öffentliche Verwaltung NRW) empfiehlt den Ausschussmitgliedern, wenn geholfen werden soll, müsste die Stadt für einen begrenzten Personenkreis und Zeitraum die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes freiwillig entrichten.
Größenordnungen etwaig freiwilliger Hilfen der Stadt liegen dem Ausschuss vor
In der anschließenden Debatte versuchen (laut genehmigtem Protokoll) SPD, Bündnis90/Grüne und Linke/Piraten in mehreren Wortbeiträgen das Problem zielführend zu lösen, indem der Gedanke entwickelt wird, an die Verwaltung einen Prüfantrag zu stellen, wie hoch die Kosten für die Stadt bei geduldeten Flüchtlingen und solchen mit Aufenthaltsgestattung im Falle einer freiwilligen Leistungsübernahme wären.
Von der gesamten CDU kommt (wieder laut Protokoll) einzig und allein: „Herr Bahr (CDU-Fraktion) merkt an, wie komplex und undurchdringlich dieses Thema sei. Auch er fragt nach, welche Personenkreise betroffen seien und welche Kosten entstehen würden.“
Nachdem ein entsprechender Prüfantrag einstimmig (AfD war nicht zugegen) beschlossen wurde, kommt es zum bislang finalen Akt bei der letzten Sitzung des ASAG am 3. Juli.
Die Zahlen aus der Berechnung über die erwogenen freiwilligen (teilweise nur ergänzenden) Leistung der Stadt an Geflüchtete, die jetzt SchülerInnen, in berufsvorbereitenden Maßnahmen oder Auszubildende sind und ihren Lebensunterhalt nicht (vollständig) bestreiten können, liegen dem Ausschuss vor.
Sie belaufen sich rechnerisch für die 40 in Dortmund infrage kommenden Personen auf rund 372.000 Euro jährlich und für das laufende Jahr (mit Ausbildungsbeginn ab August) auf etwa 155.000 Euro. Allerdings, betont Sozialdezernentin Birgit Zoerner, gäbe es Unsicherheiten bezüglich der Kosten, weil unter anderem Sogwirkungen Richtung Dortmund aus Nachbargemeinden nicht ausgeschlossen werden könnten.
Antrag von Bündnis 90/Die Grünen fordert Kostenübernahme seitens der Stadt bis Ende 2018
Ausgangspunkt der im Ausschuss in dieser Woche nun folgenden Debatte ist ein auf den Zahlen des Zoerner-Dezernats-5 beruhender Antrag von Bündnis90/Grüne, der neben Aufforderungen in der Sache an Bundes- und Landesregierung als dritten und neuralgischen Punkt die freiwillige Übernahme der Kosten seitens der Stadt, allerdings nur bis Ende 2018 beinhaltet.
Um die von Birgit Zoerner befürchteten Sogwirkungen zu vermeiden, wie Ulrich Langhorst von der Fraktion Bündnis90/Grüne erläutert. Aber auch, um dem Land keine Steilvorlage für weitere Untätigkeit in der Angelegenheit zu bieten.
Es geht also um etwa 150.000 Euro mit einer gewissen Unschärfe nach oben, aber auch in die entgegengesetzte Richtung, sofern Abbrecher einer Ausbildung wieder Ansprüche auf Analog-Leistungen nach SGB XII zuungunsten der Stadtkasse geltend machen können.
Vorschlag der SPD geht über 2018 hinaus und wird von Linken/Piraten wie Grünen begrüßt
Zum Erstaunen der Grünen will die SPD noch einen Schritt weiter gehen: Renate Weyer möchte in ihrem Namen das neu beginnende Ausbildungsjahr insgesamt gleich miteinbeziehen, sollte das Land nicht „aus den Puschen“ kommen, damit bei allen, die jetzt, und nur jetzt, ab dem 1. August eine Ausbildung begännen, diese auch gesichert sei.
Dann geht es zwischen den beteiligten Fraktionen von SPD/Grünen/Linken ein wenig hin und her, wie dies denn administrativ über die Haushaltsberatungen auf den Weg zu bringen sei; eine überraschte Fatma Karacakurtoglu möchte Renate Weyer „am liebsten knutschen“, es ist die Rede von Investition in die Zukunft usf.
Der Ausschuss Finanzen, Beteiligungen, Liegenschaften (AFBL) stünde noch dazwischen, wird festgestellt. Der tagt am Donnerstag, den 5. Juli, und würde allenfalls bis Ende 2018 durchwinken, wie Verwaltungsfachfrau Zoerner informiert. – So geht es weiter. Alle sind im Grunde dafür, möglichst zu fördern, ob bis Ende 2018 oder garantiert bis zum Ende der Ausbildung für jene, die in diesem Jahr erst beginnen. Das Ganze erscheint im Grunde als technisch-taktisches, in administrativen Kategorien zu lösendes Problem.
Wie viel CDU kann sich ein Sozialausschuss leisten, der seinen Namen noch verdient?
Und dann kommt gewissermaßen wieder die kalte Stichsäge der CDU, die bis dahin geflissentlich schweigt. Eigentlich hätte sie gewarnt sein müssen, als der Ausschussvorsitzende zwischendurch kurz überschlägt, was ein solcher Beschluss bedeute – etwa eine Million Euro bei maximal drei Ausbildungsjahren.
Und daraufhin ein etwas längeres Schweigen eintritt, in das Michael Taranczewski trocken hineinbemerkt: Man habe schon einmal am Abgrund gestanden, als ein Baukunstmuseum her sollte; hätte auch ein bisschen was gekostet. Dafür sei auch er damals gewesen, deshalb aber nun ziemlich entspannt.
Der kleine Hinweis scheint aber auf Seiten der christlichen Demokraten nicht weiter angekommen zu sein; es geht hier schließlich nicht um Großprojekte, die zwar helfen mögen, aber zumeist nicht dort, wo Hilfe bitter nötig ist. Etwa bei Flüchtlingen mit zweifelhaftem Aufenthaltsstatus.
Windige Argumente, um weiterhin Flüchtlingen in Ausbildung ohne Grundsicherung Hilfen zu verweigern
Thomas Bahr – hier die erstmalige und einzige CDU-Wortmeldung zum Thema – bemerkt süffisant, er wolle die Stimmung zwar nicht kaputt machen, „aber wir werden dem nicht zustimmen.“ So einfach ist das. Diesmal ist ihm zwar nicht alles zu komplex, aber der Antrag der Grünen habe nicht zur Vorbesprechung vorgelegen (beim letzten Mal waren es die Linken).
Und weiter: Die Stellungnahme der Verwaltung führe für ihn „nicht zwangsläufig dazu, dass die Stadt diese Aufgabe übernehmen sollte“. Der Sinnhaftigkeit der Sache, da stimmte er, solitär betrachtet, natürlich sofort zu. Aber es ginge um einen genehmigungsfähigen Haushalt in Dortmund, um einen Sozialhaushalt mit freiwilligen Leistungen von ein bis zwei Prozent, der durch einen solchen Antrag massiv ausgeweitet würde.
Vielleicht könne er seine Fraktion überzeugen, weil es wirklich nur eine Frage sei, ob man es aus der rechten oder linken Tasche nähme, aber hier und heute könne er dem Antrag nicht zustimmen. – Das Übliche also, seit Monaten.
Jungen Menschen eine Perspektive zu verweigern, kostet das Vertrauen in die Zukunft
Er habe es sich gedacht, dass es so kommt, seufzt der Vorsitzende. Es ginge darum, Menschen, die in Dortmund lebten, geduldet sind und keinen Zugang zum Sozialsystem hätten, denen aber erlaubt würde, eine Ausbildung machten, auch eine Lebensexistenz zu geben.
Das sei für ihn eine zutiefst menschliche Frage. Und, wenn er jetzt ganz bösartig sei, auch eine christliche Frage.
Es seien in der Kommune 27 Ingenieure eingestellt worden, das sei notwendig gewesen, trotz des Sparzwangs. Gleichermaßen und obwohl es Bund und Land nicht interessierte: die jungen Menschen seien nun einmal hier und man wolle ihnen eine Perspektive geben.
Sonst sei am Ende die Verwunderung groß, würden sie kriminell, geschehe dies nicht. Es dürfe ihnen nicht verwehrt werden, etwas Vernünftiges zu machen, wozu eben eine Möglichkeit zur Ausbildung gehöre.
Damals, mit dem Baukunstmuseum, hätte man viel näher am Abgrund gestanden, an den fünf Prozent freiwilliger Leistungen, und angeblich sei es uns da ganz schlecht gegangen – bis zu den nächsten Haushaltsberatungen, mit den entsprechenden Umverteilungen. Da sei alles wieder im grünen Bereich gewesen. So etwas gäbe es jedes Jahr.
Aber jungen Menschen eine Perspektive zu verweigern, das kostete das Vertrauen in die Zukunft. Und die ist unbezahlbar.
CDU sagt nichts mehr, wie auch. – Doch, sie stimmt mit ab, beim Votum über Punkt 1-3 des Antrags Bündnis90/Grüne; über den SPD-Vorschlag solle Sozialdezernentin Zoerner zeitnah eine Formulierungshilfe liefern.
Abstimmungsergebnis: Annahme des Antrags bei einer Enthaltung (FDP/Bürgerliste) und gegen die Stimmen der CDU (Vertreter der AfD war nicht da).
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Thomas Engel
Auch die CDU-Fraktion hat gestern bei der Stadtratssitzung erfreulicherweise zugestimmt, aus der Schatulle der Kommune den infrage stehenden Jugendlichen zu helfen. Gegenstimmen nur von AfD und Neonazis.