Ganz im Zeichen der Bekämpfung des Rechtsextremismus stand der Besuch von Bundesinnenminister Thomas de Maizière in Dortmund. Eine der diskutierten Fragen: „Ist Dortmund überhaupt eine Hochburg des Rechtsextremismus?“. Gemessen an den Bevölkerungszahlen sicher nicht. „Dortmund ist nicht eine Hochburg, wohl aber ein organisatorisches Zentrum der Neonazis“, betonte Polizeipräsident Gregor Lange.
Aussteiger: Dortmund ist für für Autonome Aktivisten am attraktivsten
Steven Hartung, selbst jahrelang Nazi-Kader in Thüringen und früher selbst oft in Dortmund unterwegs, sieht das anders. „Für Neonazis ist Dortmund eine Hochburg – weil es hier die attraktivste Szene für Autonome Nationalisten gibt“, machte der Aussteiger aus der rechten Szene deutlich. Er kritisierte, dass es hier vor Ort kein spezielles Aussteigerangebot gebe.
Der Verein Back-Up/ Comeback hatte sich zuletzt vergeblich bemüht, beim Bund den Zuschlag für ein entsprechendes Programm zu bekommen, welches rechtsaffinen Jugendlichen den Ausstieg vor dem völligen Abrutschen in die rechtsextreme Szene ermöglichen sollte.
„Gerade in Dortmund fehlt das Angebot“, machte Hartung deutlich, der sich selbst an die bundesweit aktive Organisation EXIT gewendet hatte. Dabei gehe es nicht darum, die Neonazis aktiv zu erreichen. „Der Zweifel muss von innen kommen. Dafür muss ich Angebote bereitstellen, die den Ausstieg ermöglichen“. Dazu gehörten Menschen zum Reden, aber auch Schutz.
Klar sei, dass sich ein Neonazi nicht an eine staatliche Stelle wende: „Der Staat ist das Feindbild Nr. 1. Ich bin selbst zu Exit gegangen – es ist eine Nicht-Regierungs-Organisation und sehr bekannt“, verdeutlicht der Aussteiger. „Sie ist durch stichelnde Aktionen bekannt, aber nicht so abschreckend wie Polizei und Staatsschutz.“
Bundesinnenminister mahnt verbesserte Zusammenarbeit beim Verfassungsschutz an
Klare Worte in Richtung Polizei und Innenminister. Sie räumten auf Nachfrage freimütig ein, dass es zumindest früher bei der Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden massive Probleme gegeben habe.
„In der Tat gab es da Mängel. Bei der Bereitschaftspolizei herrscht bundesweit eine erstklassige Zusammenarbeit. LKA und BKA arbeiten auch sehr gut zusammen. Bei den Verfassungsschutzbehörden gibt es diese Tendenz leider nicht. Da besteht eher die Mentalität der Abschottung“, bekundete Bundesinnenminister Thomas de Maizière.
„Wir sind dabei das zu verändern. Doch das muss gelebt werden und kann nicht durch ein Gesetz verordnet werden. Aber das haben alle begriffen.“
Niemand hat sich das vorstellen können oder wollen, sagte Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange mit Blick auf dem NSU. Das hat bei allen Reaktionen ausgelöst, insbesondere in NRW. Das Land habe sich 2008 neu aufgestellt. Es gab zusätzliches Personal und eine gute Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und Polizei, die auch zu den NWDO-Verboten geführt habe.
„Wir haben hier leider in Dortmund die gerissenen Köpfe, die in der Lage waren, sich in kürzester Frist in der Partei Die Rechte wiederzufinden“, macht Lange das Problem deutlich.
Deutlich gestiegene Gewaltbereitschaft von Rechtsextremen – in Dortmund und bundesweit
Der Bundesinnenminister sah in der absoluten Zahl von 21.000 Rechtsextremisten keine Gefahr für Deutschland insgesamt. Die Zahlen seien sogar leicht rückläufig. Allerdings sei rund die Hälfte von ihnen gewaltbereit – und die Gewaltbereitschaft nehme immer weiter zu. „Wir hatten ein hohes Maß an Straftaten“, so de Maizière. Insbesondere gab es 1000 Gewalttaten – ein Anstieg um 23 Prozent.
Das sei auch in Dortmund zu verzeichnen: „Oft liegt es an Personen, die Schatten werfen, die Menschenfischer sind“, verwies er auf bekannte Akteure.
„Der organisierte Rechtsextremismus ist für ein so großes Land wie Deutschland kein großes Problem. Was mir Sorgen macht, ist die Schnittmenge zum Rechtspopulismus – das Hereinkriechen in die Mitte der Gesellschaft“, so Bundesinnenminister Thomas de Maizière.
Gefahr durch Schnittmengen zwischen Neonazis und Rechtspopulisten
Es gebe Schnittmengen zu Rechtspopulisten – auch die heimischen Neonazis versuchten und versuchen, bei den entsprechenden Bewegungen der Rechtspopulisten Fuß zu fassen.
Hier müsse man aufpassen, dass Themen wie Zuwanderung und Flüchtlinge instrumentalisiert würden, sagte er mit Blick auf Pegida und Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa).
„Wir können nicht jeden Rechtspopulisten als Rechtsextremen bezeichnen. Aber wir können auch nicht ohne weiteres eine Grenze ziehen.“ Der Staat müsse daher weiter „ganz hart, repressiv und präventiv gegen Rechtsextreme vorgehen und durch gesellschaftliche Debatten alles tun, dass der Kreis nicht größer wird.“
Thomas de Maizière mahnt formal korrekten Umgang mit Mandatsträgern an
Doch wie sollen Zivilgesellschaft und Medien mit den Neonazis umgehen, wenn sie in den Parlamenten sitzen?
„Sie müssen sie formal korrekt behandeln, solange ihre Parteien nicht verboten sind. Sonst kommen sie in die Opfer- und Märtyrerrolle, die sie sich wünschen“, warnte der Bundesinnenminister.
Der OB müsse dafür sorgen, dass sie ihre Redezeit bekämen und auch die Anträge behandeln. „Formal super-korrekt, aber keinen Millimeter mehr. Und wir müssen die inhaltliche Argumentation suchen. Das ist verdammt mühsam“, erinnerte er sich an seine Zeit im sächsischen Landtag, als die NPD dort einzog. Gleichwohl warnte er davor, über jedes Stöckchen zu springen.
„Die NPD schaffte es mit Provokationen, über Monate die Berichterstattung zu dominieren. Daher hatten wir als Parteien verabredet, dass nur noch einer scharf oder klar antwortet und die anderen auf ihre Redezeit verzichten“, berichtete der CDU-Politiker. Dann habe sich schnell herausgestellt, dass die NPD bei Sachthemen nicht mitreden konnte.
Hoffmann fordert Neuausrichtung: „Brauchen wir diese vielen Bündnisse?“
Die Frage nach dem richtigen Umgang stellte sich auch Thorsten Hoffmann – der CDU-Bundestagsabgeordnete und Dortmunder Ratsherr hatte zu dem Treffen mit Experten und Journalisten eingeladen. Er verwies darauf, dass die Neonazis zwar nur im Promillebereich der Bevölkerung zu finden seien. Doch sie schürten Angst – Zivilcourage nehme vielerorts ab.
Mittlerweile hätten viele Menschen vor den Rechten Angst, bei einigen sei die Zivilcourage verschwunden. „Wir müssen uns offen dem Problem stellen und eine Gesamtstrategie für Dortmund entwickeln“, so Hoffmann.
Auch stellte er die bisherige Struktur in Frage: „Brauchen wir diese vielen Bündnisse? Es gibt sehr viele engagierte Menschen. Trotzdem müssen wir überlegen, wie wir uns neu aufstellen. Die 50 bis 70 Neonazis müssen wir doch in den Griff bekommen.“
Verbot kein Allheilmittel – Zivilgesellschaft muss sich solidarisch zeigen
Natürlich liegt die Verbotsforderung seit langem auf dem Tisch. Doch die Hürden seien bewusst hoch. „Einen Verein kann man verbieten, Parteien nicht. Das hat gute Gründe.“
Aktuell prüft der Landesinnenminister, ob es sich bei der Partei „Die Rechte“ überhaupt um eine Partei handelt oder nicht um eine Fortsetzung einer verbotenen Organisation. „Ich kann dem Land keinen Rat geben. Aber das muss man sehr sorgfältig prüfen. Man will einen solchen Prozess ja nicht verlieren.“
Doch das Hoffen auf ein baldiges Verbot nütze nichts, solange die Neonazis mehrfach pro Woche austesteten, wie weit sie mit ihren Provokation gehen könnten. „Wenn sie unter der strafrechtlichen Schwelle bleiben, habe ich trotzdem das Problem“, gab Lange zu bedenken.
„Für die Repression sind wir zuständig, angetreten und halten das auch ein. Aber das reicht nicht aus. Wir brauchen in der Dortmunder Bevölkerung Solidarität.“
Die Stadtgesellschaft brauche Durchhaltevermögen und Ausdauer, „weil wir es mit einem Rechtsextremismus zu tun haben, der nicht dumpf daher kommt, sondern versucht, den Rechtsstaat auszutanzen“, verdeutlicht der Polizeipräsident. „Das ist ein mühsamer Prozess, auch mit Rückschlägen.“
Aussteiger: „Bratwurst-Braten gegen Rechts ist kein Gegenprotest“
Entschlossenheit mahnte Neonazi-Aussteiger Hartung an: „Es ist ein erklärtes Ziel, solche Provokationen auszutesten. Aber die lebendige Zivilgesellschaft kann dies nicht zulassen.“
Klare Worte fand er für gut-bürgerliche Aktionen: „Bratwurst-Braten gegen Rechts ist kein Gegenprotest. Das nehmen Rechte noch nicht mal als Protest wahr. Es muss darum gehen, klare Kante zu zeigen.“
Dass dies auch in Dortmund schon durchaus wirkungsvoll gelungen sei, habe ein Antikriegstag bewiesen, an dem er mit seinen Thüringer Kameraden teilgenommen habe: „Der Antikriegstag in Dortmund fand als Standkundgebung in einem Industriegebiet statt. Das war demoralisierend. Da hat man keine Lust mehr, dafür anzureisen“, machte Hartung deutlich.
„Dortmund muss zivilgesellschaftlich aufzeigen, dass man nichts damit zu tun haben will. Auch in Vierteln, wo sich die Neonazis schon ausgebreitet haben. Es muss mehr sein, als nur Aufkleber abzureißen“, schrieb der Aussteiger der Stadtgesellschaft ins Stammbuch.
Bereits vor dem Erfahrungsaustausch war Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei der BVB-Stiftung im BVB Lernzentrum im Signal Iduna Park zu Gast, wo es um das Programm „Borussia verbindet – gegen Rassismus“ ging.