Eine Reihe kritischer Stimmen gab es, nachdem bekannt wurde, dass der 37. Deutsche Evangelische Kirchentag in Dortmund stattfinden soll. Auch die 2,7 Millionen Euro, die per Ratsbeschluss aus der Stadtkasse an den Organisationsverein flossen, waren nicht unumstritten. – Jetzt hat der Verwaltungsvorstand nochmals Bilanz gezogen. Geht es nach Besucherzufriedenheit (und daher Imagegewinn), fällt das Resümee mit kleinen Einschränkungen positiv aus. Zudem konnten Einnahmen von rund 15 Millionen Euro generiert werden.
Weniger BesucherInnen als erwartet – Online-Befragung zeigt hohe Zufriedenheit
Im Nachgang zum 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund hatten das Kirchentagsbüro zusammen mit der Wirtschaftsförderung Dortmund eine Online-Besucherbefragung durchführen lassen. Das Ergebnis zeigt: das Zufriedenheitsniveau war insgesamt hoch. Neben dem Programm wurden insbesondere die günstigen Ticketkosten und die Inklusion positiv bewertet.
Insgesamt 121.000 Menschen kamen anlässlich des Kirchentags nach Dortmund, davon zwei Drittel mit einer Dauerkarte.
Damit blieb die Zahl zwar deutlich unter den bis zu 400.000 BesucherInnen, mit denen die Wirtschaftsförderung gerechnet hatte. Doch für die Verwaltungsspitze der Stadt war die Großveranstaltung dennoch ein Erfolg, nicht zuletzt wegen der strategischen Bedeutung des Events.
Was nach der Befragung in Dortmund herausgeragt habe, das sei die Freundlichkeit der Menschen gewesen, erklärt Thomas Westphal, Geschäftsführer der Dortmunder Wirtschaftsförderung. Ebenfalls positiv wahrgenommen: die Programmvielfalt; dazu besonders gute Resonanzen für die Konzerte, die vier von fünf BesucherInnen als sehr wichtig ansahen. Erst danach folgen die Gottesdienste. Ein voller Erfolg war zudem die Kirchentags-App: neun von zehn BesucherInnen haben sie verwendet, um sich über das Programm zu informieren.
Luft nach oben beim Öffentlichen Personennahverkehr und in Gemeinschaftsunterkünften
Vor allem im Vergleich zum vorherigen Kirchentag in Berlin schätzten die BesucherInnen die kurzen Entfernungen und Wege. Fast alle TeilnehmerInnen gaben an, das integrierte ÖPNV-Ticket genutzt zu haben. Dass dabei teilweise Bahnen zwar pünktlich, aber überfüllt waren, ist als einer der wenigen Kritikpunkte bemängelt worden. Generell wurde die Inklusion über den Kirchentag hinweg als gelungen empfunden.
Die durchschnittliche Verweildauer externer BesucherInnen (38 Prozent davon erstmals in Dortmund; gut die Hälfte reiste aus dem Umland Nordrhein-Westfalens an) betrug 4,2 Tage. Das Gemeinschaftsquartier war dabei die beliebteste Übernachtungsmöglichkeit, gefolgt von Freunden und Familie, Hotel, Privatquartier und Tagungshaus.
Trotz der starken Frequentierung gab es kleinere Abstriche bei der Bewertung von Gemeinschaftsunterkünften: sicher nicht zuletzt wegen des durchschnittlich gehobeneren Alters der Kirchentagsgäste, wo es schon mal zwickt, wenn es irgendwo zieht.
Zeigen, was Dortmund ist: langfristiger Imagegewinn für die Stadt steht im Vordergrund
Im Schnitt gaben auswärtige BesucherInnen pro Tag 48 Euro aus, zuzüglich rund 85 Euro für die Übernachtungen. Das rechnet sich nach Auskunft der Wirtschaftsförderung auf rund 15 Millionen Euro an regionalökonomischen Effekten.
„Damit sind auch wir sehr zufrieden“, resümiert Thomas Westphal. „Unterm Strich ein voller Erfolg.“ Vor allem der langfristige Imagegewinn steht für ihn im Vordergrund:
„Noch wichtiger sind jedoch die langfristig positiven Effekte, die der Kirchentag auf das Image der Stadt hat. Wir konnten erfolgreich zeigen, wie gastfreundlich und weltoffen Dortmund ist.“
OB Ullrich Sierau – von Anfang an der Austragung des 37. Kirchentages in Dortmund mehr als nur zugetan („Wenn wir den nicht gerade hätten, müssten wir uns um ihn bewerben!“) – hat Lust auf mehr: er hätte auch nichts dagegen, käme zukünftig der Katholische Kirchentag in die Stadt.
Mehr zum Thema bei nordstadtblogger.de:
FOTOSTRECKE: „NAMEN UND NOTIZEN ZUM 37. EVANGELISCHEN KIRCHENTAG“ IN DORTMUND
FOTOSTRECKE: „NAMEN UND NOTIZEN ZUM 37. EVANGELISCHEN KIRCHENTAG“ IN DORTMUND
Noch viele Baustellen in Dortmund im Zusammenhang mit dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 2019
Reader Comments
Sonja Lemke
Der Kirchentag hat nicht nur die bewilligten 2,7 Millionen gekostet, sonder 3,7 Millionen.
Kirche und Staat gehören getrennt. Das eine Stadt ein Großevent einer Kirche mit derart viel Geld sponsert ist ein Skandal! Gerade Dortmund könnte das Geld sehr gut für soziale Projekte gebrauchen. Stattdessen wird wieder wahnsinnig viel Geld in etwas gesteckt, das nur dazu dient das Image zu verbessern, anstatt echte Verbesserungen zu bewirken.
https://www.dielinke-dortmund.de/nc/presse/aktuell/detail/news/kirchentag-war-teurer-als-erwartet/
https://www.dielinke-dortmund.de/nc/presse/aktuell/detail/news/linke-piraten-kommentieren-rechtfertigung-der-cdu-in-sachen-kirchentag/
Carsten Klink
Da sieht man mal wieder schön, dass der Oberbürgermeisterkandidat der SPD, Thomas Westphal, wohl nicht richtig rechnen kann. Ebenso wie der aktuelle Amtsinhaber, der in Sachen Kirchentagssubventionen auch nicht rechnen kann.
In einer Milchmädchenrechnung kommt Herr Westphal auf 15 Millionen Euro regionalökonomische Effekte. Leider vergisst Herr Westphal die negativen regionalökonomischen Effekte durch die Komplettsperrung des Ostwalls und den damit einhergehenden Umsatzverlust der Innenstadtkaufleute.
Zudem gab es sicherlich auch noch Verdrängungseffekte. Die Kirchentagsbesucher haben auf dem im Sommer sowieso ausgebuchten Alten Markt genau das Bier konsumiert, welches die gemeinen Dortmunder nicht trinken konnten, da der Platz nun halt von einem Kirchentagsbesucher besetzt war. Ebenso die Hotelbetten. Dortmund hat sowieso eine hohe Bettenauslastung. An den fünf Tagen hätten sonst andere in den Betten gelegen. Auf eigene Kosten ohne kommunale Subventionen.
Welchen regionalwirtschaftlichen Effekt hatte dann erst das Pokemon-Go-Fest, welches wenige Wochen später in einer vergleichbaren Zeit mit über 150.000 Besuchern deutlich mehr Menschen nach Dortmund gelockt hatte? Allerdings ohne Millionensubventionen und unsinnigen Straßensperren für auch noch schlecht besuchte Gottesdienste?
Es ist schön, dass die Kirchentagsbesucher mit der Stadt Dortmund sehr zufrieden sind. Alles andere wäre ehrlich gesagt auch echt unverschämt. Wenn eine Stadt jemanden für 3,7 Millionen Euro fünf schöne Tage bereitet, dürfte wohl niemand unzufrieden sein. Mal davon abgesehen, dass die Befragten ja alle Nutznießer der Millionensubventionen waren und allen ja klar ist, warum die Kirchentagsbetreiber und die Stadt eine solche Umfrage machen: Um die Millionensubventionen zu rechtfertigen.
Der Katholische Kirchentag sei auch in Dortmund herzlich willkommen. Wäre nur schön, wenn auch diese extremst reiche religiöse Gesellschaft ihren Kirchentag selbst bezahlen würde und die kommunalen Millionensubventionen lieber im sozialen Bereich und in die Infrastruktur der Stadt investiert wird.
Und welchen Imagegewinn die Stadt Dortmund durch einen Kirchentag einer Kirche hat, die massiv in Kindesmissbrauchsfällen verwickelt ist, möge jeder für sich beurteilen.
Eine etwas andere Bilanz des Kirchentags in Dortmund kann man hier nachlesen:
https://hpd.de/artikel/obdachlose-frieren-und-kirche-wird-bezahlt-17420
Carsten Klink
Nach Kirchentag: Dortmund & Münster Spitzenreiter bei Kirchenaustritten
Das hatten sich die Kirchentagsbetreiber der katholischen sowie der evangelischen Kirche wohl etwas anders vorgestellt. Im Jahre 2019 nach unserer Zeitrechnung traten im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen genau 120.188 Menschen aus den beiden großen Kirchen aus. 2018 hatten bereits 88.510 Menschen der katholischen und evangelischen Kirche den Rücken gekehrt. Dies entspricht einer Zunahme der Kirchenaustritte in NRW im Vergleich zum Vorjahr um über 35 Prozent.
Die Amtsgerichte im Landesteil Westfalen haben allein schon 52.456 Kirchenaustritte im Jahre 2019 registriert. Welch Ironie werden sich viele bei der Veröffentlichung der Kirchenaustrittszahlen des NRW-Justizministeriums gedacht haben. Denn die meisten Menschen in der Region Westfalen traten ausgerechnet in den zwei Städten aus, in denen 2018 und 2019 große religiöse Glaubensfeste dieser beiden religiösen Gesellschaften stattgefunden hatten.
Die Stadt Dortmund, mit 3.809 Austritten Spitzenreiterin, lies sich im Jahre 2019 fünf Tage Evangelischen Kirchentag rund 3,717 Millionen Euro kosten. Zweitplatzierte mit 3.029 Austritten war die alte Bischofsstadt Münster, die den Katholischen Kirchentag im Jahre 2018 direkt und indirekt mit 1.000.000 Euro unterstützte.
In beiden Städten kam es zu breiten öffentlichen Diskussionen in der Stadtgesellschaft über die Höhe sowie über die grundsätzliche Not, diese beiden extrem reichen religösen Gesellschaften auch noch finanziell bei ihren Glaubensfesten zu unterstützen. Sowohl in Dortmund als auch in Münster war die kirchenkritische Gruppe „Das elfte Gebot“ aktiv und sorgte mit einer überlebensgroßen Mosesstatue, die eben jenes 11. Gebot „Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen“ präsentierte, für reichlich Diskussionsstoff. In Dortmund sahen sich die Kirchentagsbetreiber sogar nach dem öffentlichen Auftritt des 11. Gebots in der Dortmunder Innenstadt genötigt, das Gespräch mit den Fraktionsvorsitzenden der demokratischen Rathausparteien zu suchen, um die Kirchentagssubventionen zu sichern.
Auch wird der vom Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA), der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) sowie der Gruppe Religionsfrei im Revier (RiR) zeitgleich zum Kirchentag in Dortmund veranstaltete Ketzertag seine Wirkung auf die Kirchenaustritte nicht verfehlt haben. Mit dem Programm „Schöner Schimpfen mit Philipp Möller“, „Wie der Staat die Kirche finanziert mit Carsten Frerk“, „Aktuelles zum Weltanschauungsrecht mit Jacqueline Neumann vom Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw), „Kirchliches Arbeits-un-recht und mehr mit Ingrid Matthäus-Maier“ und „Despoten. Demagogen. Diktatoren. mit dem Illustrator und Bildhauer Jacques Tilly“ wurde die gesamte Bandbreite der Kirchenkritik auf eine humorvolle bis intellektuelle Weise geboten.
Auch der dreitägig Humanistentag 2019 des Humanistischen Verband (HVD) in Dortmund trug zu einem Kontrastprogramm bei und erinnerte an die zentralen Werte und Prinzipien des Humanismus: vernunftorientiertes und rationales Denken, Selbstbestimmtheit, Individualität, Solidarität und Mitgefühl sowie die Gewissheit, dass alle Menschen nur ein einziges Leben besitzen.
Ebenso hielt in Dortmund die Fraktion DIE LINKE und Piraten im Stadtrat mit kritischen Anfragen und jährlichen Anträgen während der Haushaltsberatungen die Kirchentagszuschüsse auf der Tagesordnung. Während des Kirchentags deckte die Fraktion auch recht uneigennützige Praktiken der Kirchentagsbetreiber auf: So verlangten die Kirchentagsbetreiber für die kostenlos von der Stadt überlassenen Unterkünfte ihrerseits von den Kirchentagsbesuchern Geld. Im Nachgang zum Kirchentag musste der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) auf Nachfrage der Linken und Piraten einräumen, dass der Kirchentag die Stadt Dortmund, in der fast jedes dritte Kind von Sozialleistungen leben muss, rund 1.000.000 Euro mehr gekostet hatte als ursprünglich vom Rat beschlossen.
Dessen ungeachtet gehen sowohl die beiden großen Kirchen als auch deren Kritiker*innen unverdrossen davon aus, dass sich die aktuelle Austrittswelle von historischem Ausmaß auch in den kommenden Jahren weiter fortsetzen wird.
Die Menschen treten aus, weil Kirche für die private Lebensgestaltung keine Relevanz mehr hat, die Menschen von den bis heute nicht komplett aufgearbeiteten und sogar eher weiter verschleierten Missbrauchsskandalen angewidert und von Finanzskandalen wie denen des Bischofs von Limburg oder dem Verwenden des eigentlich für karitative Zwecke gedachten Peterspfennig für Immobilienspekulationen abgestoßen werden. Die Gläubigen unter den Austretenden verlassen ihre Kirche schlicht aus großer Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung über die ausbleibenden Reformen.
Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass die Austrittswelle sogar unabhängig von aktuellen Ereignissen erfolge: „Ohne erkennbare Skandale verliert die katholische Kirche jegliche Bindungskraft, und es wirkt so, als müsse ein Katholik eher begründen, warum er in seiner Kirche bleibt“. Insbesondere Frauen, die bisher in Pfarreien engagiert mitgearbeitet hätten, zögen zunehmend die Konsequenzen aus einer fehlenden Bereitschaft zur Veränderung.
Auch wenn mit jedem Verlust eines Kirchenmitglieds in der Regel stets der Verlust von Kirchensteuereinnahmen verbunden ist, brauchen sich die Evangelische und die Katholische Kirche nicht grämen. Verfügen beide religiöse Gesellschaften zusammen allein in Deutschland doch nach konservativen Berechnungen des Politikwissenschaftlers und ausgewiesenen Experten für Kirchenfinanzen Carsten Frerk über ein Gesamtvermögen von rund 400 Milliarden Euro. Eine Milliarde besteht aus 1.000 Millionen.