Die Bildungsreise nach Oświęcim war nur ein Modul im Ausbildungskonzept

Azubis aus dem Stadtwerke-Konzern besuchten Auschwitz: Eine Fahrt, die Spuren hinterlässt

„Arbeit macht frei“ – das zynische Motto der Nazis empfing die Häftlinge an der Eingangsschranke zum Stammlager Auschwitz 1.
„Arbeit macht frei“ – das zynische Motto der Nazis empfing die Häftlinge an der Eingangsschranke zum Stammlager Auschwitz 1. Foto: Uta Wagner für DSWS21

Es war eine Dienstreise der anderen Art, zu der Auszubildende und Mitarbeiter*innen von DSW21, DEW21/DONETZ, EDG, Borussia Dortmund und dem Deutschen Fußballmuseum im Mai aufbrachen. Sie führte nach Oświęcim – der polnische Name für Auschwitz. Und damit ist auch klar: Ein vergnüglicher Ausflug war das nicht, sondern einer, der tiefe Eindrücke hinterließ. Diese sieben Tage, darin waren sich alle einig, werden lange nachwirken.

 Enge Zusammenarbeit mit dem BVB und dem Deutschen Fußballmuseum

Unter „Ausbildung“ verstehen die kommunalen Unternehmen in Dortmund nicht nur, junge Menschen bestmöglich auf den Beruf vorzubereiten. Es geht ihnen auch darum, wichtige gesellschaftliche Themen zu vermitteln: Wertschätzung für das, was Demokratie ausmacht. Dass Freiheit und Meinungsfreiheit eben keine Selbstverständlichkeiten darstellen. Dass Offenheit und Toleranz die Grundvoraussetzungen für ein friedliches Miteinander sind. Dass Vielfalt bereichert. Und es geht darum, die Mitarbeitenden für Strömungen, Haltungen und Tendenzen zu sensibilisieren, die diesen gemeinsamen Wertekanon gefährden: Rassismus, Antisemitismus, Respektlosigkeit, Hass.

An der alten Rampe in Birkenau legte die Gruppe aus Dortmund im Gedenken an die Opfer rote Rosen nieder.
An der alten Rampe in Birkenau legte die Gruppe aus Dortmund im Gedenken an die Opfer rote Rosen nieder. Foto: Uta Wagner für DSWS21

Über die enge Zusammenarbeit der 21-Gruppe mit dem BVB und dem Deutschen Fußballmuseum kam im vergangenen Jahr die Idee auf, für Auszubildende ein Bildungsangebot zum Thema Antisemitismus aufzulegen. Wichtig: auf freiwilliger Basis. Niemand sollte unter Druck gesetzt werden. Doch das Interesse war gleich im ersten Jahr groß.

Dabei profitierten die Dortmunder Stadtwerke AG (DSW21), die Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH (DEW21) mit ihrer Tochter DONETZ und die Entsorgung Dortmund GmbH (EDG) von der langjährigen Erfahrung, die sowohl Borussia Dortmund als auch das Fußballmuseum mit solchen Programmen haben. Auch die städtische Mahn- und Gedenkstätte Steinwache und die Beratungsstelle gegen Antisemitismus ADIRA waren eingebunden. Ein kompetentes Team.

Die Bildungsreise nach Polen ist nur eines der Bildungsmodule

Die Bildungsreise nach Oświęcim war nur ein Modul, wenngleich das zentrale, auf das die mehrmonatige Arbeit zulief. Ihr gingen Workshops und Seminare voran – u.a. eine Spurensuche in Dortmund und eine intensive Befassung mit der Frage, was Antisemitismus eigentlich ist, wo er historisch wurzelt, woran man ihn heute erkennt und wie man sich ihm entgegenstellen kann.

Symbol für den Holocaust – das Eingangsgebäude des Vernichtungslagers in Auschwitz-Birkenau mit dem Wachturm und den Gleisen, auf denen die Deportationszüge ankamen.
Symbol für den Holocaust – das Eingangsgebäude des Vernichtungslagers in Auschwitz-Birkenau mit dem Wachturm und den Gleisen, auf denen die Deportationszüge ankamen. Foto: Uta Wagner für DSWS21

Vor Ort in Auschwitz nahmen die Auszubildenden, ergänzt um eine Delegation aus den Personalabteilungen der Unternehmen, die Fäden wieder auf und beschäftigten sich mit einigen Biografien und Familiengeschichten. So etwa mit der Geschichte der aus Schmallenberg stammenden Familie Frankenthal, die im März 1943 vom Dortmunder Südbahnhof aus deportiert wurde. Vater Max und Mutter Adele ermordeten die Nazis im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

Die Söhne Ernst und Hans wurden in Auschwitz-Monowitz beim Bau eines Chemiewerkes für die I.G. Farben als Zwangsarbeiter eingesetzt. Sie überlebten. Hans Frankenthal kämpfte später bis zum seinem Tod im Jahr 1999 um Entschädigung. Er hat ein bewegendes Buch geschrieben („Verweigerte Rückkehr – Erfahrungen nach dem Judenmord“) und in den 90er Jahren für das Haus der Geschichte in einem Video-Dokument über seine Erlebnisse im KZ berichtet. Quellen, mit denen sich die Azubis intensiv auseinandersetzten.

Die Geschichte erhielt Namen – die Namen bekamen Gesichter

Im „Buch der Namen“ sind auf tausenden Seiten alle vier Millionen KZ-Opfer aufgeführt. Einige der Auszubildenden gingen auch auf die Suche nach dem eigenen Familiennamen.
Im „Buch der Namen“ sind auf tausenden Seiten alle vier Millionen KZ-Opfer aufgeführt. Einige der Auszubildenden gingen auch auf die Suche nach dem eigenen Familiennamen. Foto: Uta Wagner für DSWS21

Auf diese Weise entstand eine Verknüpfung zwischen dem Nazi-Terror und Dortmund. Die Geschichte erhielt Namen. Die Namen bekamen Gesichter. Und während der jeweils mehrstündigen Führungen durch das Stammlager Auschwitz, das Vernichtungslager Birkenau und den Ort Monowice bekam das Grauen eine Dimension, die schwer zu fassen und noch schwerer zu verarbeiten ist.

Lager von der Größe einer Stadt, die nur den einen Zweck hatten: In möglichst kurzer Zeit möglichst viele Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, körperlich Beeinträchtigte, Homosexuelle und politisch Unbequeme umzubringen, nachdem man sie zuvor schikaniert, gedemütigt, gequält, gebrochen und ihnen jede Würde genommen hatte. Mehr als eineinhalb Millionen waren es am Ende. Nur in Auschwitz.

Es gab viele bewegende Momente während der Führungen. Gesprochen wurde wenig. Zu bedrückend war die Atmosphäre. Zu erschütternd waren die Eindrücke von unmenschlichen Haftbedingungen. Von Strohmatratzenlagern in zugigen Baracken. Dunkelzellen, Todeswänden, Galgen, Gaskammern und Krematorien.

Dieses Bildungsprogramm soll kein einmaliges Angebot bleiben

Gruppenfoto der Auszubildenen und Delegationsteilnehmer*innen im Garten der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Oświęcim.
Gruppenfoto der Auszubildenen und Delegationsteilnehmer*innen im Garten der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Oświęcim Foto: Uta Wagner für DSWS21

Schweigend ging die Gruppe durch Räume, in denen die Koffer, die Kleidung, die Schuhe, die Brillen und sogar die abgeschorenen Haare der Opfer hinter Glas liegen. Durch lange Gänge, bis unter die Decke gesäumt von Porträtfotos, die bei der Registrierung der KZ-Insassen aufgenommen wurden. Durch den Raum mit dem „Buch der Namen“, in dem die vier Millionen KZ-Opfer alphabetisch geordnet auf tausenden Seiten aufgelistet sind.

An der alten Rampe in Birkenau, dort, wo die Deportationszüge ankamen, als die Gleise noch nicht bis ins Lager führten, legte die Gruppe aus Dortmund im Gedenken an die Opfer rote Rosen nieder. Es gab niemanden, der dabei nicht mindestens schwer schlucken musste.

Für die Personalverantwortlichen der beteiligten Unternehmen war noch vor Ort klar, dass dieses Bildungsprogramm kein einmaliges Angebot bleiben kann. Es wird künftig in jedem Jahr stattfinden. Und von den Azubis kam die ebenso eindeutige Rückmeldung: Das ist gut so!

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