Mit „Luisa“ sicher durch die Nacht - Dortmund plant Sicherheits-Konzept

Awareness-Teams: Wie sie auf Veranstaltungen für Sicherheit sorgen und weshalb sie so wichtig sind

Die Weste kennzeichnet Ansprechpartner:innen des „Em&Em“ Awareness-Teams. Foto: Paulina Bermúdez

In Dortmund soll das Nachtleben mithilfe des „Wo ist Luisa?“-Konzepts sicherer werden. Dafür setzen sich das Jugendamt der Stadt, der Nachtbeauftragte Christoph Stemann mit den Dortmund Guides sowie alle Dortmunder Clubs und Kollektive gemeinsam ein. Aber was ist eigentlich „Awareness“ und was macht sie? Emre und Emilie vom „Em & Em“-Awareness-Kollektiv geben Einblicke in ihre Arbeit und erklären, weshalb das angedachte Konzept keine langzeitige Lösung ist. Zudem berichtet die Dortmunderin Isabelle U., was passieren kann, wenn eine Discothek nicht über ein Awareness-Team verfügt.

„Luisa“ – Die Helferin für Frauen in unangenehmen Situationen

Ist Luisa hier?“: Mit dem Code-Wort „Luisa“ können sich Feiernde, die in Clubs Hilfe benötigen, auf diskretem Weg an das Personal wenden, zum Beispiel, wenn sie belästigt werden oder aus einer anderen unangenehmen Situation heraus möchten. Die geschulten Mitarbeiter:innen – die vom Dortmunder Ordnungsamt ausgebildet werden – sollen ihnen dann helfen.

Freuen sich über das flächendeckende Awareness-Konzept (v.l.): OB Thomas Westphal, Jan Schröder (Jugendamt), Franca Ziborowius (Frauenberatungsstelle), Chris Stemann (Nachtbeauftragter) Foto: Leopold Achilles

Das Konzept wurde von der Beratungsstelle Frauen-Notruf Münster e.V. entwickelt und 2022 durch das Jugendamt Dortmund erstmals bei Veranstaltungen wie Juicy Beats Festival und den SummerSounds DJ Picknicks eingeführt. Nun bringen das Jugendamt, die Dortmund Guides und die Frauenberatungsstelle Dortmund das Konzept nicht nur in die Clubs, sondern kümmern sich auch um die Nachsorge, sollten Fälle auftreten.

„Wir in Dortmund wollen ein pulsierendes, lebendiges Nachtleben. Und wir wollen auch, dass es sicher ist für alle, die fröhlich feiern wollen“, sagt Oberbürgermeister Thomas Westphal zur Einführung des Konzeptes. „Durch die Luisa-Kampagne können Frauen in bedrohlichen Situationen niedrigschwellig Hilfe finden. Für die Frauen ist es auch ein wichtiges Signal, dass sexualisierte Gewalt in den Räumen der teilnehmenden Clubs nicht geduldet wird“, findet Franca Ziborowius von der Frauenberatungsstelle Dortmund. ___STEADY_PAYWALL___

Macht zurück geben: Das „Em&Em“-Kollektiv sorgt für vielschichtige Sicherheit

Im Frühjahr diesen Jahres entschlossen sich die in Dortmund lebenden Studierenden Emilie Jelinek und Emre Bayanbas ein eigenes „Awareness“-Kollektiv zu gründen. „Wir haben seit Sommer 2022 häufiger mal Awareness gemacht. Angefangen hat alles beim „BIPoC-Klimacamp“ der BUND-Jugend und dann war es wie eine Kettenreaktion“, erklärt Emre im Gespräch mit Nordstadtblogger.de.

Emre vom „Em & Em“-Kollektiv sieht in dem „Luisa“-Konzept keine langfristige Lösung. Foto: Paulina Bermúdez

Doch dies sei nicht der alleinige ausschlaggebende Punkt gewesen: „Wir alle im Kollektiv haben bereits Erfahrungen mit Rassismus, Diskriminierung oder sexuellen Übergriffen im Rahmen von Veranstaltungen gemacht. Deshalb möchten wir für Sichtbarkeit und Empowerment sorgen. Awareness ist eben auch politisch“, verrät Emre. Ziel sei es, Betroffenen Stück für Stück die Macht über die Situation und Handlungsfähigkeit zurück zu geben.

Im „Em&Em“-Kollektiv arbeiten ausschließlich Personen, die Flinta (Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen), BIPoC (Black People, Indigenous People and People of Colour) und queer sind. Wichtig sei dies, um auch innerhalb des Kollektivs einen „safer space“, einen sicheren Raum, für alle Beteiligten zu schaffen. Neben einer bereits vorhandenen Grundsensibilisierung nehmen angehende Mitglieder des Kollektivs an einer internen Schulung teil, die das Kollektiv selbst leitet.

„Uns ist vor allem wichtig, was die betroffene Person möchte“: Awareness-Konzept in Absprache mit Clubs

Das „Em&Em“-Kollektiv, zu dem mittlerweile sechs Menschen gehören, bietet neben Awareness bei Veranstaltungen auch Workshops an. Doch wie genau läuft das ab? „Wir bekommen zunächst Veranstaltungsanfragen, denen erst einmal ein Vorgespräch folgt“, schildert Emilie. Bei dem Vorgespräch mit dem Organisationsteam des Veranstaltungsorts lernten sich erst einmal alle kennen und die Rahmenbedingungen würden besprochen. Daraufhin erstelle man gemeinsam ein umfangreiches Konzept. „Wir schauen vorab, ob unsere Vorstellungen – beispielsweise was Konsequenzen angeht – denen der Organisator:innen entsprechen“, stellt sie klar.

Die diesjährige CSD-Afterparty in Bochum blieb Emilie und Emre positiv in Erinnerung. Screenshot Instagram

„Am Tag der Veranstaltung sind wir schon Stunden vorher vor Ort um uns die Räumlichkeiten anzuschauen und Gefährenpotential abzuschätzen, wie beispielsweise bei besonders engen, abgelegenen Räumen“, sagt Emre. Die Arbeit des Awareness-Teams bei Veranstaltungen ist vielschichtig: „Es gibt Situationen in denen wir selbst etwas beobachten, in denen Betroffene zu uns kommen, oder Dritte, die etwas gesehen haben.“ Konkret gehe es um (übergriffige) Situationen, die für die Betroffenen als unangenehm empfunden werden, ganz gleich ob rassistischen, sexistischen oder diskriminierenden Ursprungs, so Emre. Gekennzeichnet ist das Team mit leuchtenden lila-farbenen Westen.

Kommt es zu solch einer Situation, ist es dem Awareness-Team besonders wichtig, was die betroffene Person möchte. In Bezug auf die Konsequenzen für Täter:innen arbeitet das Team eng mit den Türsteher:innen der Veranstaltungsorte zusammen. Als essenziell erachten die Beiden, dass diese als ausübende Macht, die letztenendes unter Umständen Menschen des Clubs verweisen könne, auch ausreichend sensibilisiert sei. Emilie berichtet von einem positiven Beispiel: „Wir haben bei der CSD-Afterparty in der Rotunde in Bochum Awareness gemacht und gleichzeitig war „Kollektiv Sicherheit“ die Security. Dieses Kollektiv ist sehr sensibilisiert und die Zusammenarbeit hat daher sehr gut funktioniert.“

Emre von „Em&Em“ kritisiert das angedachte „Wo ist Luisa?“-Konzept

„Das Wo ist Luisa?-Konzept geht von binären Frauen in der Rolle der Betroffenen aus, dabei können alle zu Betroffenen werden“, stellt Emre fest. Außerdem gehe es nur um sexualisierte Gewalt. „Was ist mit Diskriminierung, Rassismen oder „Drug-Awareness“?“, fragt er.

Am 29. September gibt es die Möglichkeit, „aware“ (bewusst) zu raven. Screenshot Instagra

Zudem habe er große Bedenken bezüglich des zuständigen Sicherheitspersonals, dass in Dortmund in allen Clubs (bis auf den Tresor.West) von ein und derselben Firma ausgeführt werde: „Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit einem unsensibilisierten Security-Personal, dem selbst zum Teil Rassismus vorgeworfen wird?“

Es brauche nicht nur eine Person hinter der Theke, dessen Hauptaufgabe eine ganz andere sei, sondern ein Team, dass sich auf der Fläche aufhielte und die Situation beobachte, findet Emre. Abschließend sagt er: „Dass „Luisa“ in die Dortmunder Nachtszene kommen soll ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber keinesfalls eine optimale Langzeitlösung.“

Kontaktdaten und weitere Informationen zu aktuellen Awareness-Themen finden sich auf der Instagram-Seite des „Em&Em“-Kollektivs (Link am Ende des Artikels). Wer das Team persönlich kennenlernen möchte ist zu dem „Soli-Tresen“ am 29. September im Rekorder ab 18 Uhr herzlich eingeladen. Dort wird es bis 22 Uhr Schmuck und Selfcare-Angebote geben, anschließend legen DJ:innen Techno auf. Der Erlös geht an das „Em&Em“-Kollektiv.

„Drug-Awareness“ für Gefahren wie K.O.-Tropfen und ein geschulter Umgang mit Betroffenen

Isabelle U. verbrachte sieben Stunden in der Notaufnahme, nachdem ihr K.O.-Tropfen in einem Club verabreicht wurden. Foto: Isabelle U.

Wie gefährlich es werden kann, wenn Clubs nicht über ein Awareness-Team verfügen, erfuhr die 20-Jährige Dortmunderin Isabelle U. erst kürzlich. An einem Samstagabend war die junge Frau gemeinsam mit einem Freund und ihrem Freund in einer Diskothek. Nach dem dritten Bier wurde ihr schlagartig schlecht, sie übergab sich mehrfach auf der Clubtoilette.

„Ich habe gar nicht realisiert, was mit mir passiert“, erklärt U. rückblickend. „Für Außenstehende muss es gewirkt haben, als sei ich sehr stark betrunken,“ erzählt sie weiter und resümiert, dass eben dieser Zustand so gefährlich sei, da umstehende Menschen sich bei einer stark „alkoholisierten“ Person meist distanzierten.

Weiter schildert Isabelle U., sie sei in der Situation zunächst auf sich allein gestellt gewesen. So schnell wie unter den Umständen möglich habe sie ihren Freund aufgesucht und ihm mitgeteilt, dass es ihr nicht gut gehe und sie vorzeitig nach Hause fahren würde – alleine. „Zum Glück hat mein Freund gemerkt, dass irgendwas nicht stimmt und ist mit mir gegangen. Wer weiß was passiert wäre, wenn ich den Club alleine verlassen hätte“, so U.. Die Nacht endete für die junge Frau in der Notaufnahme, in der sie Stunden später mit wenig Erinnerungen des Abends aufwachte.

Auch beim Favoriten-Festival im Depot gab es ein Awareness-Konzept. Foto: Alexander Völkel

„Hätte es ein Awareness-Team gegeben, dass im Club verteilt aufmerksam aufpasst, eben solche Situationen fachkundig einschätzen kann und an mehreren Bereichen, beispielsweise mit Flyern auf der Toilette und im Eingang informiert, hätte ich mir Hilfe suchen können oder sie sofort angeboten bekommen“, stellt Isabelle U. fest.

Sie wünscht sich, dass Awareness-Teams Teststreifen parat haben, um Getränke sofort zu überprüfen, denn je nach Dortmunder Krankenhaus würde zum Teil nicht auf die Droge getestet (dazu muss erst die Kriminalpolizei erscheinen) und zudem sind K.O.-Tropfen nicht lange im Blut oder Urin nachweisbar. Abschließend sagt sie: „Fest steht, dass durch Awareness-Teams mehr Sicherheit für Alle besteht – außer für die Täter:innen. Und genau das sollte das Ziel und der Anspruch eines jeden Clubs sein.“

Mehr Informationen:

Unterstütze uns auf Steady

 

Reaktionen

  1. „Musik-Stammtisch“ des Kulturbüros thematisiert „Awareness-Konzepte für Konzerte, Festivals und Club-Formate“ (PM)

    »MUSIK-STAMMTISCH DORTMUND«
    »Dienstag, 14. November 2023«
    19.00 – 20.30h / domicil, Hansastr. 7-11 / Dortmund-City – Öffentlich & für alle Interessierten offen, Eintritt frei –

    Podiums-Talk: „Awareness-Konzepte für Konzerte, Festivals und Club-Formate“

    „Luisa ist hier!“ und weitere Ansätze für ein neues Bewusstsein

    Entspannt und sicher feiern und Livemusik hören ist leider nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Dabei sollte es jeden bewusst sein, dass zur ausgelassenen Stimmung auch das Gefühl der Sicherheit und der Geborgenheit gehört – für jeden. Um dies zu gewährleisten und zugleich das Bewusstsein für diesen Zustand zu entwickeln und zu schärfen ist das Thema „Awareness“ bei Konzerten, Festivals und bei Clubveranstaltungen ein sehr wichtiges.

    Durch Awareness wird versucht, Veranstaltungen so diskriminierungsarm wie möglich zu gestalten. Es soll eine Atmosphäre erschaffen werden, die es erlaubt, Verantwortungen zu übernehmen und Grenzen zu wahren, sodass sich alle sicher fühlen können – was auch im Interesse aller ist. Es geht dabei um Bereiche wie Rassismus, Queerfeindlichkeit, Diskriminierung oder sexuelle Belästigungen. Und im Umkehrschluss um Antidiskriminierung, Intersektionalität und Empowerment. Awareness ist dabei der bewusste Versuch, Diskriminierungen zu erkennen und auf Grenzüberschreitungen zu reagieren.

    Auch in Dortmund soll das Nachtleben sicherer werden. Dafür setzen sich das Jugendamt der Stadt, der Nachtbeauftragte mit den Dortmund Guides sowie alle Dortmunder Clubs und Kollektive gemeinsam ein. Dortmund ist dabei eine der ersten Großstädte in Deutschland, die das Awareness-Konzept „Luisa ist hier!“ flächendeckend etablieren möchte.

    Was verbirgt sich hinter „Luisa ist hier!“ und wie können Veranstalter*innen ihre Live- und Clubformate sicher und antidiskriminierend planen und umsetzen? Was muss man berücksichtigen? Wie sieht ein Awareness-Konzept aus und wie setzt man dieses um? Diese und weitere Fragen werden wir mit Experten*innen und dem Publikum an diesem Abend gemeinsam diskutieren.

    Hierzu sind alle Interessierten ganz herzlich eingeladen.

    Diskussionspartner*innen:

    Chris Stemann // Nachtbeauftragter Stadt Dortmund

    Kathi Bach (she/her) // Awareness, Door & Kommunikation Tresor.West

    Niclas Meier // Fachreferent Jugendkultur Jugendamt

    Scherwin Hosseini // Blend Bazar/ Blend Haus

    Moderation: Didi Stahlschmidt // Kulturbüro

    Live Show-Case:

    „DAS GROßE LOS“

    „Los zu gehen bedarf es wenig“. Und hier ist der Weg: Alan Kassab am Bass (u.a. Hendrik Otremba, Nathan Gray, Lobby Boy), Eike Jamelle am Schlagzeug (u.a. Otis Optic, vs.ROME, Lobby Boy) und David Bartelt an Gesang und Gitarre sind DAS GROßE LOS. Die Dortmunder Band hat sich 2023 zusammengefunden. Nach Davids ersten Soloauftritten in diesem Jahr spielt DAS GROßE LOS beim Musikerstammtisch das erste Mal live in voller Besetzung. Deutsche Texte fernab von Fahrstuhlschmalz – Punk ist aber auch was anderes. Das darf man getrost Indierock nennen. Melodie und Rhythmus. Mit Wumms. Derzeit arbeitet die Band im Microstudio in Dortmund bei Joachim Serges an neuen Songs. Mit Veröffentlichungen geht es 2024 los.

    »Die heißen 15min …«

    … von 20.15 – 20.30h hat jede*r die Möglichkeit, sich kurz in der Runde vorzustellen, Projekte zu bewerben, Termine zu kommunizieren, zu bewerben oder einfach Werbung für Musik zu machen!

Reaktion schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert